Nr. 86 Ministerrat, Wien, 20. Juni 1861 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 22. 6.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Lasser, Szécsen, Plener, Wickenburg, Pratobevera 30. 6., Lichtenfels; außerdem anw.anwesend Žigrović (für I); abw.abwesend Vay, Schmerling; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 4. 7.
MRZ. 874 – KZ. 2080 –
Protokoll des zu Wien am 20. Juni 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Ausscheidung der Stadt Zengg aus dem Militärgrenzverband
Hofrat v. Žigrović referierte über die vom kroatisch-slawonischen Landtage erneuerte Bitte um Ausscheidung der Stadt Zengg aus dem Militärgrenzverbande1. Referent zeigte, daß die seit 18022 Allerhöchstenorts wiederholt erteilten Zusicherungen bezüglich dieser Ausscheidung bisher keine praktische Folge hatten und die diesfalls auf jedem Landtage erneuerten Bitten stets nur dilatorisch mit Hinweisung auf eine zusammenzusetzende Vollzugskommission erledigt worden seien. Das Hofdikasterium habe dem Rechtsbestande der gegenwärtig vorliegenden Bitte die Anerkennung nicht versagen können und daher auf deren Ag. Gewährung au. angetragen3.
Der Kriegsminister äußerte, dieser Gegenstand sei bereits in den Konferenzberatungen am 16. Jänner4 und 6. Mai d. J. seinerseits so umständlich beleuchtet worden, daß er heute für seinen abweislichen Antrag nichts wesentlich Neues mehr vorzubringen imstande sei. Zur Information der gegenwärtigen neuen Mitglieder der Konferenz las FZM. Graf Degenfeld hierauf eine Darstellung der in Absicht auf die Stellung der Stadt Zengg seit Ihrer Majestät Kaiserin Maria Theresia bestandenen rechtlichen und faktischen Verhältnisse5 und knüpfte daran das Gutachten, daß er sich aus wichtigen politischen und militärischen Rücksichten gegen die Ausscheidung erklären müsse. In politischer Beziehung sei es nämlich sehr bedenklich, durch die Provinzialisierung eines zwischen zwei || S. 145 PDF || Grenzregimentern gelegenen Seehafens eine der Militärjurisdiktion und -aufsicht unzugängliche Freistätte für Revolutionsmänner und einen Herd zur Förderung von Agitationen aller Art in den benachbarten Kronländern zu schaffen. In militärischer Beziehung bestehe aber das Bedenken, daß von Zengg nach Karlstadt eine Straße führt6, welche kürzer ist als die Luisenstraße7 und nicht, gleich der letzteren, beherrscht werden kann, und man sich daher aller Mittel versichern muß, um einen Invasionsversuch von diesem Punkte aus zu vereiteln. Schließlich erwähnte der Kriegsminister, daß die Stadt Zengg infolge des Grenzverbandes auch namhafte Vorteile genießt, z. B. eine jährliche Dotation von 30.000 f. auf Kommunalbedürfnisse aus dem Grenzproventenfonds8. Minister Graf Szécsen bemerkt, daß der Anspruch auf die Provinzialisierung Zenggs vom rechtlichen Standpunkte aus nicht zu bestreiten sei. Andererseits ist aber nicht zu verkennen, daß es aus den geltend gemachten militärischen und politischen Rücksichten sehr bedenklich wäre, diesem Anspruche unter den gegenwärtigen Verhältnissen unverzüglicha Folge zu geben, bhierauf bezügliche Versprechungen aber ohne ihre gleichzeitige Erfüllung die Wiederholung eines Vorganges wären, der schon in früheren Zeiten der Autorität der Regierung viel geschadet und das Vertrauen in dieselbe untergraben habeb . Es scheine daher angezeigt, diese Bitte des Landtages unerledigt auf sich beruhen zu lassen, so wie es cauch vor den Ereignissen des Jahres 1848c mit vielen landtäglichen Repräsentationen gehalten wurde, die man nicht direkt abweisen wollte. Hofrat v. Žigrović äußerte, daß auch das Ausbleiben einer Erledigung über das fragliche landtägliche Petitum schlechten Eindruck machen werde, und erinnerte ferner, daß die Provinzialisierung Zenggs die Belassung einer Besatzung zur Verteidigung des Platzes keineswegs hindern würde. Der Polizeiminister erwiderte, daß nach den gemachten Erfahrungen in Kroatien von der Erzielung eines guten Eindruckes durch Ah. Konzessionen nichts zu erwarten sei und man sich daher zur Erzielung eines sehr problematischen Eindruckes nicht Gefahren in politischer und militärischer Hinsicht aussetzen sollte. Minister Ritter v. Lasser glaubte ebenfalls, daß es am besten sei, die Reinkorporierung Zenggs dermal auf sich beruhen zu lassen, zumal auch der Landtagsabschied von 1851 darüber nichts festsetzte9.
|| S. 146 PDF || Sämtliche übrigen Minister und der Staatsratspräsidentd waren auch der Meinung, daß die in Rede stehende Bitte dermal unerledigt zu bleiben hättee, 10.
II. Mitteilung an die Gründer der Staatseisenbahngesellschaft über die Motive der Abweisung des Gesuchs um Statutenänderung
Der Finanzminister referierte, die Gründer der Staatseisenbahngesellschaft seien mit ihrem Gesuche um Ablösung der jährlichen Gründertantieme mittels übertragbarer Genußscheine nach dem im Ministerrate am 22. v. M. beschlossenen au. Antrage von Sr. Majestät zurückgewiesen worden11. Die Bittsteller gedächten jedoch, ihr Einschreiten, auf welches sie ein großes Gewicht legen, mit solchen Modifikationen zu erneuern, welche ihnen Chancen auf einen günstigeren Erfolg gewähren, und zur Behebung der vorhandenen Anstände wünschten sie, eine Mitteilung über die Gründe der Abweisung zu erhalten12. An und für sich sehe der Finanzminister keinen Anstand gegen eine solche Mitteilung, zumal die Abweisung nicht aus politischen oder sonst geheimen Gründen, sondern lediglich mit Rücksicht für den Vorteil der Aktionäre erfolgt ist. Die Motive der Ah. Beschlüsse pflegten allerdings in der Regel den Parteien nicht mitgeteilt zu werden, allein es seien auch diesfalls nicht selten Ausnahmen gemacht worden. Die Motive würden hier keineswegs behufs einer Polemik, sondern vielmehr deswegen angesucht, um sich den Absichten der Regierung zu konformieren. Auch komme zu berücksichtigen, daß die Entscheidung in erster Instanz — deswegen, weil das Gesuch eine Statutenänderung involviert — schon Allerhöchstenorts erflossen ist, während sonst die behördlichen Entscheidungen erster Instanz motiviert hinausgegeben werden.
Nach längerer Beratung über diesen Gegenstand vereinigten sich sämtliche Stimmführer dahin, daß den Bittstellern die nötigen Andeutungen zur Reformierung ihres Petitums zu geben wären, jedoch in einer solchen Form, daß von einer Mitteilung der Motive des Ah. Beschlusses oder des Antrags der Konferenz gar keine Rede wäre. Es wäre sich daher nach dem von den übrigen Votanten geteilten Antrage des Staatsratspräsidenten darauf zu beschränken, zu sagen, die Motive der Abweisung könnten ihnen nicht bekanntgegeben werden, daß übrigens das Ministerium nicht in der Lage wäre, ein eventuell wiederholtes Einschreiten ähnlicher Art bei Sr. Majestät zu unterstützen, solange nicht folgende Bedenken behoben erscheinen usw. Die Minister der Polizei, des Kriegs und des Handelsf waren dafür, daß diese Eröffnung den Bittstellern mündlich, gGraf Szécsen dafür, daß sie durch ein vertrauliches Privatschreiben gemacht werdeg Graf Szécsen dafür, daß sie durch ein vertrauliches Privatschreiben || S. 147 PDF || gemacht werde, die übrigen Stimmen, mit welchen sich auch Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog vereinigte, somit die Majorität, entschieden sich aber für eine schriftliche, weil präzisere Mitteilung13.
Wien, 22. Juni 1861. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 3. Juli 1861. Empfangen 4. Juli 1861. Erzherzog Rainer.