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Nr. 71 Ministerrat, Wien, 24. Mai 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet (RS. Klaps) ; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 26. 5.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Lasser, Szécsen, Plener, Wickenburg, Pratobevera, Lichtenfels, FML. Schmerling 31. 5.; außerdem anw. Geringer; abw. Degenfeld, Vay; BdR. Erzherzog Rainer 8. 6.

MRZ. 854 – KZ. 1728 –

Protokoll des zu Wien am 24. Mai 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Entwurf der Hauptgrundsätze für die Einrichtung und Verfassung der Gemeinden

Der Staatsminister referierte über seinen bereits einer Vorberatung im Staatsrate1 unterzogenen Entwurf eines kaiserlichen Patentes betreffend die Hauptgrundsätze, welche für die Einrichtung und Verfassung der Gemeinden durch die Reichsgesetzgebung festzusetzen wärena, 2. Auf Grundlage und mit Einhaltung || S. 69 PDF || dieser Bestimmungen würden — wie es im Eingange des Patentes heißt — Gemeindeordnungen für Böhmen, Galizien, Dalmatien, Ober- und Niederösterreich, Schlesien, Mähren, Steiermark, Kärnten, Krain, Salzburg, Bukowina, Tirol, Vorarlberg, Görz, Istrien und die Stadt Triest durch Landesgesetze zu erlassen sein und zu diesem Ende die entsprechenden Gesetzesvorschläge als Regierungsvorlagen den nächsten Landtagen übergeben werden3.

Der Art. I gab zur Einbringung von drei Amendements Anlaß:

a) Der Finanzminister hätte gewünscht, daß hier, so wie im § 1 des Gemeindegesetzes vom 17. März 1849 4, ausgesprochen werde, es sei unter Ortsgemeinde in der Regel die sogenannte Katastralgemeinde zu verstehen, bei deren Bildung man sich ohnehin möglichst an die Ortsgemeinde gehalten hat. Die Aufrechthaltung der Katastralgemeinde sei von großem Werte in finanziell-administrativer Beziehung. Die Vereinigung mehrerer Katastralgemeinden zu einer Ortsgemeinde unterliege allderdings von seinem Standpunkte keinem Anstande, dagegen aber wäre die Zerreißung einer Katastral- in mehrere Ortsgemeinden nicht zu gestatten. Der Polizeiminister erkannte gleichfalls, daß, wenn man diesen Grundsatz aufgibt, viele administrative Schwierigkeiten entstehen werden, welche um so höher steigen, je mehr man der Willkür in der Zuweisung und Ausscheidung von Grundstücken freie Hand läßt.

Minister Graf Szécsen würde die Katastralgemeinde — insoferne sie nicht auf einem althergebrachten Verbande beruht — nicht als unveränderliche Basis des Gemeindeorganismus annehmen, da sie mehr mit Rücksicht auf die Erfordernisse des Steuerwesens als auf jene der Gemeinde gebildet wurde. Andererseits erschwert auch das Festhalten an der Katastralgemeinde die oftb wünschenswerte Ausscheidung des großen Grundbesitzes, der meistens in verschiedenen Katastralgemeinden zerstreut liegt. Minister Ritter v. Lasser würde es vorziehen, in diesen Grundzügen die Frage der Katastralgemeinde unberührt zu lassen. Dagegen wären die Regierungsvorlagen an die Landtage im Sinne des vom Finanzminister gestellten Antrages auszuarbeiten. Der Handelsminister war gleichfalls für die Weglassung und zeigte an dem Kurorte Gleichenberg, daß manchmal gewichtige Kommunalinteressen die Zerteilung der Katastralgemeinde rätlich machen.

Die Stimmenmehrheit erklärte sich gegen das Amendement a.

b) Der Minister des Äußern bemerkte, er habe Gelegenheit, sich aus eigener Anschauung von den Nachteilen zu überzeugen, welche die Bildung zu kleiner Ortsgemeinden nach sich zieht. Die Zersplitterung geht namentlich in einigen Gegenden Niederösterreichs so weit, daß es Gemeinden mit nur 13, ja noch weniger Häusern und Gemeinden fast ganz ohne Grundbesitz gibt (Neukettenhof). Es ist begreiflich, daß bei so kleinen Körpern die Gemeindeangelegenheiten, namentlich die Polizei, schlecht gehandhabt werden. Gleichwohl fordert dies || S. 70 PDF || einen unverhältnismäßigen, für die Gemeindeglieder drückenden Aufwand, der meist nur dem Vorstande zugute kommt. Durch die Vereinigung mehrerer solcher kleiner Gemeinden zu einer einzigen würden in polizeilicher, administrativer und finanzieller Beziehung so wesentliche Vorteile erzielt werden, daß Graf Rechberg eine diesfällige imperative Anordnung in die vorliegenden Grundsätze einzuschalten beantragen müsse. Das im Art. V enthaltene bloß fakultative Zugeständnis der Vereinigung mehrerer Gemeinden zur gemeinschaftlichen Geschäftsführung werde den vorhandenen Übelständen nur in seltenen Fällen abhelfen, nachdem überall der Eigennutz einiger Gemeindeglieder an der Fortdauer der Zersplitterung interessiert ist und die Vereinigung meistens zu hintertreiben wissen wird. Es dürfte daher zweckmäßig sein, ein Minimum im Gesetze auszusprechen, unter welches bei einer Ortsgemeinde nicht herabgegangen werden darf. Als eine solche Grenze würde sich der Sprengel der Pfarre empfehlen, da es doch als eine zu weit gehende Parzellierung angesehen werden muß, wenn mehrere „eingepfarrte kleine Ortschaften“ oder Pfarrfilialen jede eine besondere Ortsgemeinde bilden.

Der Staatsratspräsident wies auf die Schwierigkeiten hin, für so verschiedenartige Kronländer ein allgemeingültiges Minimum im Reichsgesetzec auszusprechen. Dieser Ausspruch dürfte weit angemessener in den Landesgesetzen seinen Platz finden. Übrigens konnte schon nach § 4 des Gemeindegesetzes vom Jahre 1849 die Vereinigung mehrerer Gemeinden von Amts wegen verfügt werden. Minister v. Lasser stimmte gleichfalls gegen den Ausspruch eines Minimums mit Berufung auf das Beispiel der Gemeinde Stadlau, die bei nur 19 Häusern zu den reichsten Gemeinden zählt und alle Mittel zur selbständigen Existenz besitzt, während das von Proletariern bewohnte Neu-Inzersdorf mit 300 Hausnummern bloß durch seinen Verband mit dem kleinen, aber wohlhabenden Alt-Inzersdorf imstande ist, die Gemeindeauslagen zu bestreiten. Der Handelsminister erinnerte, daß der Sitz der Pfarrei nicht immer der Hauptort des Pfarrsprengels ist und daß namentlich im Gebirge die Filialen einer Pfarre oft zu weit zerstreut liegen, als daß alle zu einer Gemeinde vereinigt werden könnten.

Die Mehrheit der Stimmen entschied sich gegen das Amendement bd .

c) Der Absatz 3 des Art. I lautet: „Das Landesgesetz bestimmt, ob und unter welchen Bedingungen der große Grundbesitz geschieden vom Gemeindeverbande behandelt werden könne.“ Der Minister des Äußern machte aufmerksam, daß durch diese Textierung den Landtagen freigestellt wird, ob sie die Ausscheidung gestatten wollen oder nicht. Damit könne sich Graf Rechberg nicht einverstanden erklären, da dem großen Grundbesitze durch die früheren Gesetze die fakultative Trennung zugestanden wurde und er hierauf ein ius quaesitum habe. Er könne sich auf das gegebene kaiserlichee Wort berufen, und || S. 71 PDF || dies müsse heiliggehalten werden. Obgleich persönlich ein Gegner der Trennung, deren Übelstände fGraf Rechbergf sehr wohl einsehe, sei er durch obige Rücksicht bestimmt zu beantragen, daß in der Textierung das Wort „ob“ ausgelassen werde. Minister Graf Szécsen, mit der Vorstimme einverstanden, schlug folgende Textierung vor: „Das Landesgesetz bestimmt, in welcher Weise der große Grundbesitz etc.“

Minister v. Lasser glaubte, daß selbst diese Textierung die gMöglichkeit einerg Ausscheidung nicht unter allen Umständen sichern würde, indem die Landtage dieselbe an so lästige Bedingungen knüpfen können, daß sie aufhört, wünschenswert zu sein. Übrigens werde ohnehin die Ausscheidung des großen Grundbesitzes kaum anderswo als in Böhmen, Mähren und Galizien angestrebt werden, zumal der 2. Absatz des Art. VI h(durch die Virilstimme in der Gemeindevertretung)h den Gutsbesitzern eine Art Ersatz für die Ausscheidung gewähren dürfte.

Die Stimmenmehrheit erklärte sich auch gegen das Amendement c, und es wurde sonach der ganze Art. I in der vom Staatsminister vorgeschlagenen Fassung angenommen.

Der 2. Absatz des Art. II: „Die Heimatsverhältnisse werden durch ein Reichsgesetz geregelt“ bildete den Gegenstand einer längeren Erörterung, indem Minister Graf Szécsen es weder nötig noch rätlich fand, hier von einem Reichsgesetze zu sprechen, ida es sich hier um ein Gesetz für die deutschslawischen Erbländer handlei, und jandere Stimmführer fanden, daßj diese Textierung auch dahin gedeutet werden könne, daß ein Reichsgesetz darüber erst erlassen werden soll, während dies keineswegs beabsichtigt wird, indem kein Bedürfnis dazu vorhanden ist. Man will durch diesen Ausspruch vielmehr nur verhindern, daß die Regelung des Heimatrechtes nicht zu den Landesangelegenheiten gezogen und infolgedessen buntscheckig werde. Der Staatsratspräsident , dem sich Baron Pratobevera anschloß, schlug vor, diesen Ausspruch in negativer Weise zu tun. Allein die Stimmenmehrheit erklärte sich für die vom Minister Ritter v. Lasser vorgeschlagene Fassung: „Die Heimatsverhältnisse sind durch die bestehenden Gesetze geregelt5.“

Im Art. III, Absatz 2, wurde auf Antrag des Ministers v. Lasser statt „Zuständigkeit“ der legale Ausdruck „Heimatsberechtigung“ gesetzt.

Die Art. IV und V wurden in der beantragten Fassung angenommen.

Staatsrat Baron Geringer referierte über die bei der staatsrätlichen Beratung des Art. VI zur Sprache gebrachten Modifikationen, wobei die Substituierung des Ausdruckes „Gemeinde­vorstehung“ statt „Gemeindevorstand“ in der Minorität || S. 17 PDF || geblieben war, während der Staatsminister sich mit den Anträgen der Majorität kdes Staatsratesk vereinigt hatte, daß die periodische Wahl der Gemeindevertretung ausdrücklich zu erwähnen und im letzten Satze nach „Gemeindevertretung“ einzuschalten wäre „persönlich oder durch Stellvertreter“. Die Konferenz war mit dieser Fassung des Art. VI gleichfalls einverstanden, ohne auf den von den Ministern Graf Rechberg und Graf Szécsen lim Einklange zum Amendement c Art. Il gestellten Antrag einzugehen, daß im dritten Satze statt „Das Landesgesetz bestimmt, ob und inwieferne Gemeindeglieder etc.“ gesetzt werde: „Das Landesgesetz bestimmt, in welcher Weise etc.“

Laut eines von der Majorität des Staatsrates vorgeschlagenen Zusatzes zum Art. VI soll der Landesvertretung die Bestimmung vorbehalten werden, ob und inwieferne die Wahl des Gemeindevorstehers der Bestätigung der Regierung bedürfe. Der Minister des Äußern hält den Vorbehalt der Bestätigung der Gemeindevorstandswahlen durch die Regierung für so wichtig, daß er denselben nicht den Landtagen anheimgegeben, sondern ganz außer Frage gestellt zu sehen wünscht. Durch diesen Vorbehalt allein kann man sich dagegen schützen, daß an vielen Orten politisch gefährliche Individuen zu Gemeindeämtern gewählt werden; wie gefährlich es sei, der Krone dieses Recht zu vergeben, darüber lieferten die gegenwärtigen Zustände in Ungarn ein trauriges, aber wohl zu beherzigendes Beispiel. Dieser Vorbehalt der Wahlbestätigung sei auch in Deutschland gang und gäbe. Der Polizeiminister fände es überflüssig und selbst Verlegenheiten bereitend, wenn die Regierung sich die Bestätigung der Wahlen aller Gemeindevorstände vorbehalten wollte. Nur bei den Bürgermeistern größerer Städte sei dies von Wichtigkeit. Minister v. Lasser erkannte dies für richtig an, wies aber darauf hin, daß, nachdem diese Städte (laut Art. XVII) eigene Statute erhalten werden, die Regierung seinerzeit bei deren Erlassung sich das Bestätigungsrecht vorbehalten könne, ohne bereits jetzt in den Grundsätzen davon zu sprechen6. Überhaupt sei die Regierung in der Lage, durch ihre Vorlagen in den einzelnen Ländern manche wichtige Bestimmungen leichter durchzusetzen als durch deren Aufnahme in die Grundsätze. Der Minister stimme daher für die Weglassung dieses ganzen Schlußsatzes, und die Majorität erklärt sich damit einverstanden.

Staatsrat Baron Geringer referierte ferner, daß bei der staatsrätlichen Beratung unter Zustimmung des Staatsministers zum Art. VII beantragt worden sei, den gesetzlich unbestimmten Ausdruck „entehrende Handlungen“ zu beseitigen und den Absatz 2 dahin abzuändern, daß derjenige, welcher nach Maßgabe der Landesordnungen mwegen schuldbarer Handlungenm zur Landesvertretung nicht wahlberechtigt ist, auch hinsichtlich der Gemeindevertretung || S. 73 PDF || nicht wahlberechtigt sei. Nachdem der Ministerrat hiemit einverstanden war, wird die entsprechende Modifikation des Textes vorgenommen werden.

Die Art. VIII, IX und X gaben zu einer Erinnerung keinen Anlaß.

Art. XI. Der Minister des Äußern wünschte, daß hier nebst der Handhabung der Ortspolizei auch von der Feldpolizei gesprochen werde. Die Feldpolizei befinde sich in Österreich nämlich insgemein auf der niedrigsten Stufe, und Diebstähle sowie Frevel aller Art kommen sehr häufig vor, so daß der Grundertrag — und somit auch der Grundwert — dadurch wesentlich beeinträchtigt wird. Es ist so weit gekommen, daß man sich scheut, Klee in manchen Teilen der Monarchie zu bauen und Obstbäume auf den Feldern zu pflanzen, weil meistens durch diebische Hände der größte Teil der Ernte verlorengeht. Der Weg an die Gerichte ist zeitraubend und meist erfolglos, weil man die Spuren der Übertretung schnell zu beseitigen versteht. Hier könne die Abhilfe daher nur durch eine kräftige Handhabung der Feldpolizei von Seite der Gemeindevorstände geschaffen werden, und eben darum wünsche Graf Rechberg, darauf schon in den Grundsätzen einen Nachdruck zu legen. In nationalökonomischer Beziehung sei es von hoher Wichtigkeit, dem Grundeigentümer die Mittel zu sichern, sein Eigentum so gut wie möglich zu verwerten. Es werden hiedurch die Steuerkraft und der Grundstock des Nationalvermögens gehoben. Unter den Ursachen, welche dazu beitragen, daß der Wert des Grund und Bodens in Österreich ungleich niedriger steht als im Auslande, sei der Mangel an Schutz durch eine gute und kräftig gehandhabte Polizei eine der entscheidendsten. Es sei traurig, daß z. B. am Rhein, bei Mannheim, ein Morgen Feld bis zu 3.000 fl. wert sei, während in Österreich ein Joch Feld von ganz gleich guter Ertragsfähigkeit, das das doppelte Ausmaß eines badischen Morgens enthält, mit 300 bis 500 fl. verkauft werde7. Über die Notwendigkeit der strengerenn Handhabung der Feldpolizei waren die übrigen Stimmführer mit dem Minister des Äußern einverstanden. Sie glaubten jedoch, daß unter dem Ausdrucke „Orts-“ auch die Feldpolizei subsumiert sei. Zur Übung der Feldpolizei bestehen bereits an vielen Orten eigene Gemeindeorgane: die sogenannten Feld-, Grün- und Weinhüter. Die weitere Ausdehnung und Verbesserung dieses Instituts nach Maßgabe der faktischen Lokalverhältnisse gehören aber nicht in die allgemeinen Grundsätze.

Bei Art. XIII wurde über Antrag des Ministers Baron Pratobevera beschlossen, das Recht der Gemeinden, sich selbst zu besteuern, in Übereinstimmung mit Art. XXIV durch Einschaltung der Worte „bis zu einem bestimmten Maße“ zu beschränken.

Im Art. XV wurde zur näheren Bezeichnung der Gemeinden höherer Ordnung das Zitat „Art. XVIII“ in einer Klammer eingeschaltet. Nachdem Minister Baron Pratobevera auf den Übergriff hingedeutet hatte, daß manche Gemeinden in nicht geschlossenen Orten die Zuschläge zur Verzehrungssteuer nicht bloß von || S. 74 PDF || dem Lokalverbrauche des Bieres und Branntweines, sondern selbst von dem dort bloß zum Handel produzierten Quantum einheben wollen, was eine ganz ungerechtfertigte und äußerst lästige Besteuerung der Produktion begründen würde, beschloß der Ministerrat o über Antrag des Finanzministers , in einem Zusatze zu diesem Artikel — so wie es im Gemeindegesetze von 18598 § 82 geschah — auszusprechen, daß durch den Zuschlag zur Verzehrungssteuer bloß der Verbrauch im Orte und nicht die Produktion und der Handelsverkehr getroffen werden dürfen.

Der Art. XVI, die Berufung gegen Beschlüsse des Gemeindeausschusses betreffend, veranlaßte, so wie beim Staatsrate, auch in der Ministerkonferenz Diskussionen, indem der Staatsratspräsident darin die ausdrückliche Wahrung des Rekurses in gewissen Angelegenheiten des übertragenen sowohl als des eigenen Wirkungskreises an die lf. Behörden vermißte, während der Staatsminister die Offenlassung dieses Berufungsweges als selbstverständlich betrachtete und im Texte des Art. XVI keine Andeutung fand, daß die Berufung ausschließend nur an die Gemeinde höherer Ordnung zu gehen habe. Auch Minister v. Lasser fand die Grenzlinie für die Rekurse in den beiden Richtungen nicht scharf gezogen. Berufungen gegen Vergewaltigungen contra legem pwären nach seinem Dafürhaltenp an die lf. Behörde, dagegen Rekurse in Angelegenheiten, welche zur ökonomischen Gebarung, zur Tutel [usw.] gehören, an die Gemeinde höherer Ordnung zu ergreifen. In diesem Sinne dürfte der Artikel unter Berufung auf Art. XIV präziser zu textieren sein. Die Stimmenmehrheit erklärte sich jedoch für den Text des Entwurfes.

Der Art. XVIII und die folgenden bis XXII wurden vom Staatsrate Baron Geringer unter einem besprochen, wobei er referierte, daß die Stimmenmehrheit des Staatsrates sich mit dem Antrage des Staatsministers vereinigt habe, während die Minorität — gestützt auf die bei den Beratungen der Vertrauensmänner in den Ländern erhobenen Bedenken, daß die Bezirksgemeinde weder nötig noch nützlich, sondern selbst politisch bedenklich sei, jedenfalls aber ein kostspieliges und in den kleinen Kronländern ganz überflüssiges Mittelglied bilden würde — glaubte, daß die Bestellung des autonomen Körpers der Bezirksgemeinde den Landtagen bloß fakultativ anheimzustellen wäre. Der Staatsratspräsident erklärte, daß er bei den lautgewordenen so verschiedenartigen Ansichten über diese Frage, und da der den Bezirksgemeinden sowohl in erster Instanz als im Berufungswege einzuräumende Wirkungskreis noch nichts weniger als klar abgegrenzt ist, das Aufdringen dieser Institution keineswegs bevorworten könne und für eine bloß fakultative Normierung stimmen müsse. Der Staatsminister fand gegen diesen Antrag zur Vermeidung jeden Zwanges nichts zu erinnern, erörterte jedoch umständlich die Notwendigkeit und Nützlichkeit der Bezirksgemeinde, deren Schaffung ein Mittel gewähre, die lf. Behörden || S. 75 PDF || von manchen bedeutenden Agenden in Steuer-, Kataster-, Waisen- und Grundbuchssachen zu entlasten und den Gemeinden in Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises eine homogen-autonome, wohlinformierte zweite Instanz überzuordnen, welche in den großen Kronländern als Zwischenglied zum Landtag gute Dienste leisten werde. An Kompetenzkonflikten werde es freilich, besonders anfangs, nicht fehlen; aber bei scharfer Abgrenzung des Wirkungskreises und nach einiger praktischer Erfahrung in Handhabung des ungewohnten Organismus werden dieselben seltener werden. Der Polizeiminister äußerte, er habe sich gegen die vom Grafen Goluchowski vorgeschlagene Organisation, wonach alle unteren Regierungsorgane aufgelassen werden sollten, aus überwiegenden Gründen erklären müssen. Von dieser so weit gehenden Autonomie sei nicht mehr die Rede, sondern es handelt sich dermal nur um eine Gemeinde höherer Ordnung, deren Bildung nicht nur politisch möglich und unbedenklich, sondern — zumal in großen Ländern — auch nützlich sein werde. Dieselbe wäre daher nach dem Antrage des Staatsministers in die Grundsätze, jedoch fakultativ, aufzunehmen. Minister Ritter v. Lasser sprach sich im selben Sinne aus, schlug jedoch vor, im Art. XXIII des Wirkungskreises in Steuer- und Waisenangelegenheiten ausdrücklich zu gedenken, wogegen der Finanzminister erwiderte, daß es bei der Ungewißheit über das künftige Steuersystem besser wäre, diese ohnehin nur vage Andeutung ganz wegzulassen. Die übrigen, somit die mehreren Stimmführer waren gleichfalls für die Normierung der Bezirksgemeinden nach dem Antrage des Staatsministers, jedoch in fakultativer Weise, und es wird hienach der Art. XVIII zu modifizieren sein.

Im Art. XXII wurde der Absatz 1 einstimmig nach dem Antrage des Staatsrates in folgender Weise gefaßt: „Alle inneren, die gemeinsamen Interessen des Bezirkes (Kreises) und seiner Gemeindeglieder betreffenden Angelegenheiten“.

Im Art. XXIII wurde infolge einer Andeutung von Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer statt „Reichsgesetz“ gesetzt „allgemeines Gesetz“9.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 7. Juni 1861. Empfangen 8. Juni 1861. Erzherzog Rainer.