Nr. 126 Ministerrat, Wien, 24. September 1861 — Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 24. 9.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Degenfeld, Lasser, Plener, Lichtenfels, Forgách, Esterházy, Rizy; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 6. 10.
MRZ. 925 – KZ. 3114 –
Protokoll I des zu Wien am 24. September 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer
I. Zurückziehung des Gesetzes über das Ausgleichsverfahren
In der gestrigen Sitzung des Herrenhauses über den Gesetzentwurf wegen des Ausgleichsverfahrens1 wurde § 35 gegen den Regierungsantrag nach dem Beschlusse des Abgeordnetenhauses mit 31 gegen 30 Stimmen dahin angenommen, daß Gläubiger nicht gezwungen werden können, ihre Forderungen anzumelden, und daß es ihnen dann vorbehalten bleibt, ihre Forderung nach beendetem Verfahren gegen den Schuldner geltend zu machen. Hiermit fällt das ganze Gesetz, denn es beruht wesentlich auf dem Prinzipe, daß der Schuldner, wenn er sich dem Ausgleichsverfahren unterzieht und sein ganzes Vermögen den Gläubigern abtritt, von seinen Verbindlichkeiten gegen alle frei werde. Nur dadurch wird der eigentliche Zweck des Ausgleichsverfahrens erreicht. Ist dieses Prinzip verworfen, so gewährt das Gesetz den beabsichtigten Nutzen für die Handelswelt, Schuldner und Gläubiger, nicht mehr. Unter diesen Umständen machte der Staatsminister den Antrag, das Gesetz zurückzuziehen und es vorderhand bei dem bestehenden Gesetze, dessen Mängeln durch das neue abgeholfen werden sollte, zu belassen.
Sektionschef Rizy erklärte sich mit diesem Antrage um so mehr einverstanden, als durch den Beschluß der Häuser der Lebensnerv des Gesetzes durchschnitten und kein anderer Ausweg übrig ist, als entweder die Gläubiger, die sich weigern, an der Ausgleichung teilzunehmen, zum Schaden der andern vollständig zu befriedigen oder den ganzen Ausgleichsversuch fallenzulassen. Minister v. Lasser sprach sich in ähnlicher Weise aus. Mit dem also modifizierten Paragraph würde das Gesetz nicht mehr gegen das Konkursverfahren schützen, das man im Interesse des Handels, der Gläubiger und des Schuldners vermeiden zu können glaubte. Und da es sonach nicht möglich ist, diesen Vorteil mit den im neuen Gesetze sonst noch bezweckten Verbesserungen zu bewahren, so ist es wohl besser, diese letzteren aufzugeben und den Interessenten wenigstens den nach dem bestehenden Gesetze gewährten Hauptvorteil zu sichern. Der Staatsratspräsident bezog sich auf sein diesfalls im Herrenhause abgegebenes Votum2 und hob nur hervor, daß überall, wo das Ausgleichsverfahren angenommen worden, es auf dem durch den Beschluß des Reichsrates vernichteten Prinzipe || S. 384 PDF || beruht, dessen Beseitigung das ganze unpraktisch macht, ja einen inneren Widerspruch enthält, indem sie das einzige Mittel zum Ausgleich, die Entscheidung der Majorität, durch das Zugeständnis vereitelt, daß einzelne Gläubiger sich dem Ausgleichsverfahren entziehen können. Er stimmte daher um so lieber für die Zurückziehung des Gesetzes, als ihm wünschenswert erscheint, daß die Regierung den beiden Häusern des Reichsrates beweise, daß sie sich von ihnen nicht alles gefallen lasse. Zwar machte der Minister des Äußern , der übrigens nach seinen in Frankfurt gemachten Erfahrungen3 nicht sehr eingenommen für dieses Ausgleichsverfahren ist, darauf aufmerksam, daß, wenn das Gesetz wegen der sonstigen im Herrenhause angeregten Modifikationen an das Abgeordnetenhaus zurückgelangt, vielleicht dort etwas [für die] Zurücknahme des Beschlusses gewirkt werden könnte — und der ungrische Hofkanzler gab zu bedenken, ob es, da für beide Meinungen gewichtige Gründe angeführt wurden, dem konstitutionellen Prinzipe nicht mehr entspräche, sich dem einstimmigen Beschlusse beider Häuser zu fügen und sie die Verantwortung für dessen Folgen tragen zu lassen, als das ganze Gesetz darum zurückzuziehen. Allein es wurde erwidert, daß nach der Geschäftsordnung nur die Differenzen der beiden Häuser, nicht aber deren übereinstimmende Beschlüsse nochmals zur Beratung kommen können und daß die Regierung unter den obwaltenden Verhältnissen die Verantwortung für die Zurückziehung ihrer in der Grundfeste erschütterten Gesetzvorlage amit Bezug auf die Geschäftsordnung ohne Anstanda übernehme4.
Hiernach erklärten sich alle übrigen Stimmführer — Minister Graf Esterházy übrigens unter Anerkennung der Richtigkeit des vom ungrischen Hofkanzler vorangestellten konstitutionellen Prinzips — mit dem Antrage des Staatsministers einverstanden. Letzterer nahm es über [sic!] sich, hierwegen den beiden Häusern motiviert Mitteilung zu machen, welcher nach der Ansicht des Staatsratspräsidenten noch die Erklärung beizufügen wäre, daß die Regierung bedauere, daß der Beschluß des Reichsrates dem Publikum die Verbesserungen entzieht, die das neue Gesetz gegen das bestehende verschafft haben würde5.
II. Eventuelle Zurückziehung des Gemeindegesetzes
Gegen den Antrag des Staatsministers , das eingebrachte Gemeindegesetz ebenfalls zurückzuziehen, wenn der Antrag des Grafen Rothkirch, wodurch alle || S. 385 PDF || Grundzüge des Entwurfs umgestoßen würden, im Abgeordnetenhause durchgehen sollte, wurde nichts erinnert. Minister v. Lasser glaubte, diese Eventualität gar nicht voraussetzen zu sollen6.
Wien, am 24. September 1861. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 5. Oktober 1861. Empfangen 6. Oktober 1861. Erzherzog Rainer.