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Nr. 60 Ministerrat, Wien, 3. Mai 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS. (ursprünglich als MRProt. I v. 3. 5. 1861 bezeichnet; vgl. MRProt. v. 3. 5. und 4. 5. 1861) ; P. Marherr; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 3. 5.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Degenfeld (bei III abw.), Vay (bei III abw.), Lasser, Szécsen, Plener, Wickenburg, Pratobevera, Lichtenfels; BdR. Erzherzog Rainer 9. 5.

MRZ. 839 – KZ. 1435 –

Protokoll des zu Wien am 3. Mai 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Änderung des Immunitätsgesetzes für Reichsrats- und Landtagsmitglieder

Bei näherer Erwägung der Bestimmungen des im Ministerrate am 25. v. M., Z. 833, beratenen Gesetzentwurfs über die Immunität der Reichsrats- und Landtagsmitglieder1, § 1, hat der Staatsminister gefunden, daß es zweckmäßig sein dürfte, die Bestimmung wegzulassen, daß niemand wegen „Äußerungen, insofern sie nicht den Tatbestand eines Verbrechens begründen“ zur Verantwortung gezogen werden könne. Äußerungen solcher Art können nur Majestätsbeleidigungen sein. Daß solche in einem Landtage oder im Reichsrate vorgebracht werden könnten, soll man gar nicht voraussetzen. Eine derlei Voraussetzung wäre fast eine Beleidigung der Versammlung, und da die Geschäftsordnung dafür gesorgt hat, daß Rednern, welche sich Ausschreitungen erlauben, das Wort entzogen werden kann, ja, daß sie nach Umständen aus dem Hause ausgestoßen werden können, so beantragte der Staatsminister die Weglassung der bemerkten Klausel. Die weitere Bestimmung, wornach „persönliche Beleidigungen“ geahndet werden können, hätte wohl einen Grund für sich, nämlich, daß man in das Recht der Privaten, für Beleidigungen Genugtuung zu verlangen, nicht eingreifen will. Wenn jedoch die gewiß weit strafbarere Majestätsbeleidigung hier weggelassen wird, so wäre es kaum zu rechtfertigen, der beleidigten Person eines Mitgliedes des Reichsrates oder Landtages einen größeren Schutz angedeihen zu lassen. Der Staatsminister beantragte daher auch die Hinweglassung der letzteren Klausel.

Der Staatsratspräsident war mit der Weglassung der ersteren Klausel einverstanden, weil in Versammlungen mit von der Regierung ernannten Präsidenten die alsogleiche Unterdrückung solcher Ausschreitungen erwartet werden kann. Er würde aber das Wort „Äußerungen“ gar nicht gebrauchen, sondern sich lediglich darauf beschränken zu sagen, daß — wie dies in den Immunitätsgesetzen anderer auswärtiger konstitutioneller Körper der Fall ist — niemand wegen seiner im Hause abgegebenen Meinung und Abstimmung zur Verantwortung gezogen || S. 9 PDF || werden könne, dagegen für „persönliche Beleidigungen“ nach dem Gesetze verantwortlich sei, aobwohl es nicht zu verkennen ist, daß sobald einmal wegen Verbrechen keine strafgerichtliche Verantwortung stattfindet, dieselbe konsequenterweise wegen bloßer persönlicher Beleidigungen noch minder in Anspruch genommen werden kanna, was auch Baron Pratobevera annahm. Der Minister des Äußern war mit dieser letzteren Modifikation einverstanden, weil seines Erachtens dann unter den „persönlichen Beleidigungen“ auch die Majestätsbeleidigung begriffen wäre. Minister Graf Szécsen machte dagegen geltend, daß prinzipiell die Immunität nur darin bestehe, daß wegen Meinung und Abstimmung im Hause keine Verantwortung stattfinde und eine Verhaftung nur mit Zustimmung — beziehungsweise Kenntnisnahme — des Hauses zulässig sei. Alles, was über diese Bestimmungen hinausgehe, führe zu einer Kasuistik, welche zu vermeiden sei, daher sich Votant für eine Textierung erklärte, die sich auf diese von ihm angeführten Grundsätze beschränkt. In ähnlicher Weise sprach sich der Polizeiminister aus, welcher hervorhob, daß der Begriff „persönliche Beleidigung“ zu vage sei und daß dieser Ausdruck mit den Bezeichnungen, die diesfalls im Strafgesetze vorkommen, nicht übereinstimme.

Hiernach erklärten sich alle übrigen Stimmen für die Weglassung der ganzen Klausel und für die einfache Bestimmung: „daß wegen der im Hause abgegebenen Meinungen und Abstimmungen niemand zur Verantwortung zu ziehen sei.“ Die Textierung wurde dem Staatsminister im Einvernehmen mit dem Staatsratspräsidenten überlassen2.

II. Beantwortung der Interpellation wegen Teilnahme Ungarns, Kroatien-Slawoniens und Siebenbürgens an der Reichsvertretung

Über Anfrage des Polizeiministers, wie es mit der Beantwortung der im Hause der Abgeordneten gestellten Interpellation in betreff der Beteiligung Ungerns etc. an der Reichsvertretung zu halten sei, bemerkte der Staatsminister , || S. 10 PDF || daß er sich vorbehalte, im Komitee über den Adreßentwurf die entsprechenden Mitteilungen zu machen, auch einen Tag bestimmen wolle, an dem die Interpellation im Hause beantwortet werden wird3.

III. Presseprozeß gegen drei Wiener Journale wegen Mitteilung des Kossuthschen „Affidavits“

b Wegen Mitteilung des Kossuthschen „Affidavits“ im Banknotenprozesse sind die drei Journale „Wanderer“, „Presse“ und „Österreichische Zeitung“ gerichtlich verfolgt, und es ist gegen das Erkenntnis des Landesgerichts, daß eine strafgerichtliche Untersuchung nicht stattfinde, von der Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt worden.

Der Polizeiminister fragte an, ob bei dem Umstande, daß der Erfolg der Berufung und, falls ihr stattgegeben würde, die Verurteilung zweifelhaft sind, dann daß der Kossuthsche Prozeß wahrscheinlich auch auf dem ungrischen Landtage besprochen und wenigstens von einer Partei gegen die Regierung wird ausgebeutet werden wollen, diese Angelegenheit weiter zu verfolgen oder aber die Staatsanwaltschaft anzuweisen sei, von ihrer Berufung abzustehen. Der Ministerrat entschied sich einhellig dafür, der Berufung ihren Lauf zu lassen, weil — wie der Minister des Äußern bemerkte — die Regierung, will sie nicht Schwäche zeigen, von dem einmal eingeschlagenen Wege nicht wohl mehr abweichen kann und weil — wie Minister Graf Szécsen hinzusetzte — die Partei, die zu Kossuth hält, durchaus keine Rücksicht verdient4.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 8. Mai 1861. Empfangen 9. Mai 1861. Erzherzog Rainer.