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Nr. 14 Ministerrat, Wien, 22. Februar 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet (RS. Klaps); VS. Kaiser; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 24. 2.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Degenfeld, Plener, Wickenburg, Lasser, Szécsen, Pratobevera, Szög yény, Mažuranić 26. 2.; abw. Vay; BdR. Erzherzog Rainer 2. 3.

MRZ. – KZ. 639 –

Protokoll der Ministerkonferenz am 22. Februar 1861 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Reichsratsstatut

Se. Majestät der Kaiser geruhten, als ersten Gegenstand der heutigen Beratung das sogenannte „Statut für die Reichsvertretung“ zu bezeichnen, welches mit Beseitigung der Benennung „Reichstag“ den Namen „Statut für den Reichsrat“ zu erhalten hat1. Für die Teile, in welche der Reichsrat zerfällt, geruhten Se. Majestät die Bezeichnung „Herrenhaus“ und „Haus der Abgeordneten“ zu wählen. Nachdem Se. Majestät die in dem Protokolle der früheren Konferenzberatung niedergelegten Gründe für die Textierung des § 3 und insbesondere für den Ausdruck „durch Gutsbesitz hervorragende Geschlechter“ entgegengenommen hatten, geruhten Allerhöchstdieselben, sich dafür zu entscheiden, daß gesetzt werde „hervorragende Adelsgeschlechter“, da nach dem Zusammenhange und Sprachgebrauche unter „Geschlechtern“ doch keine anderen als Adelsgeschlechter verstanden werden können und kein Grund vorhanden sei, dies nicht klar auszusprechen.

Der Staatsminister erörterte hierbei, daß der vorhandene Besitz oder doch die beschleunigte Gründung eines Fideikommisses in Grundbesitz als unerläßliche Bedingung der Verleihung der erblichen Reichsratswürde Allerhöchstenortes festgestellt werden dürfte, obgleich im Statute davon nicht ausdrücklich Erwähnung geschieht. Selbst eine gebundene Geldrente sichere nicht bleibend den Glanz eines Geschlechtes. Ohne großen Namen und ohne bedeutenden Grundbesitz aber sei das Institut des Oberhauses ohne Bedeutung. Derlei adurch die nachträgliche Gründung eines entsprechend dotierten Fideikommissesa bedingte Ah. Ernennungen dürften insbesondere in Ungarn notwendig werden, da dort bis jetzt nur sehr wenige Fideikommisse bestehen.

Die ausdrückliche Erwähnung der Woiwodina neben dem Königreiche Ungarn hat im § [6] auf Ah. Anordnung zu unterbleiben.

Der Minister des Äußern erhob Bedenken wegen des Übergewichtes, welches das städtische und industrielle Element der Stimmzahl nach über den Grundbesitz in den Landtagen erhalten soll — ein Übergewicht, welches sich auch im Reichsrate zum wesentlichen Nachteile für die Regierung wiederholen wird, bwenn die Beschränkung der Wahlen in den Landtagen beibehalten werde. Die zweite Wählergruppe habe ein um so entschiedeneres Übergewicht, als der Zensus in der dritten so tief gegriffen sei, daß auch in dieser der Grundbesitz als solcher kaum vertreten sei. Ein Zensus von 10 Gulden repräsentiere nicht den Grundbesitz, da der Besitz von ein paar Joch genüge, um zum mindesten diesen Zensus zu erreichen. Die Erfahrung lehre aber, daß nur diejenigen Verfassungen, welche dem Grundbesitz einen überwiegenden Einfluß einräumen, Bestand haben und sich zum Gedeihen des Ganzen vorteilhaft entwickeln. England liefere hierzu den Beweisb wenn die || S. 94 PDF || Beschränkung der Wahlen in den Landtagen beibehalten werde. Die zweite Wählergruppe habe ein um so entschiedeneres Übergewicht, als der Zensus in der dritten so tief gegriffen sei, daß auch in dieser der Grundbesitz als solcher kaum vertreten sei. Ein Zensus von 10 Gulden repräsentiere nicht den Grundbesitz, da der Besitz von ein paar Joch genüge, um zum mindesten diesen Zensus zu erreichen. Die Erfahrung lehre aber, daß nur diejenigen Verfassungen, welche dem Grundbesitz einen überwiegenden Einfluß einräumen, Bestand haben und sich zum Gedeihen des Ganzen vorteilhaft entwickeln. England liefere hierzu den Beweis. In England war der Grundbesitz lange Zeit ausschließend [sic!], und er ist noch jetzt vorwiegend im Unterhause vertreten. Graf Rechberg sprach sich auch diesmal wie bei früheren Beratungen gegen die Beschränkung der Wahlen für den Reichsrat auf gewisse Kreise aus. Der Staatsminister entgegnete, daß nebst den Abgeordneten des großen Grundbesitzes auch die Abgeordneten der Landgemeinden das Interesse des Grundbesitzes vertreten und diese zwei Gruppen zusammen überall das städtische Element an Zahl überwiegen. Die Verteilung der Stimmen sei übrigens durch die Minister Baron Mecséry, Graf Wickenburg und Ritter v. Lasser genau geprüft und anstandslos gefunden worden. Die Beschränkung der Abgeordnetenwahl für den Reichsrat auf Kreise motivierte der Staatsminister so wie bei den früheren Beratungen und bemerkte, daß der große Grundbesitz in Böhmen bei seinen Wahlen an keine Kreise gebunden sein würde. Minister Graf Szécsen äußerte, er begreife vollkommen das Gewicht der politischen Gründe, welche für Wahlen nach Kreisen etc. sprechen, doch könne dies unmöglich für Ungarn zur Geltung kommen, und man müsse es dem Lande klarmachen, daß man damit nicht den nationalen Charakter des Landes als eines einheitlichen politischen Körpers alterieren will, sonst wird diese Bestimmung zu einem heftigen Agitationsmittel mißbraucht werden. Graf Szécsen entwickelte ferner umständlich seine Ansicht über die Wendung, welche die öffentliche Meinung in Ungarn bezüglich des Reichsrates seit dem 20. Oktober genommen hat, und über die Aufnahme, welche die dermal in Antrag stehenden Bestimmungen in diesem Lande finden werden. Der Minister weiset darauf hin, daß der künftige Reichsrat sowohl in seiner Gliederung als in der Zahl seiner Mitglieder von den am 20. Oktober gezeichneten Grundzügen abweiche und daß man in Ungarn besorgen werde, dieser Körper werde über seine jetzigen Befugnisse hinausgehen und nach und nach die Befugnisse der Landtage absorbieren. cDer Staatsminister erwiderte hierauf, daß er seinen au. Antrag auf Erhöhung der Mitgliederzahl des Reichsrates erst dann beschlossen habe, als der Hofkanzler Baron Vay sich gegen ihn über die Vorteile ausgesprochen hat, welche ein durch seine große Zahl imponierender Zentralberatungskörper Ungarn gegenüber gewähren würde.c Der Staatsminister erwiderte hierauf, daß er seinen au. Antrag auf Erhöhung der Mitgliederzahl des Reichsrates erst dann beschlossen habe, als der Hofkanzler Baron Vay sich gegen ihn über die Vorteile ausgesprochen hat, welche ein durch seine große Zahl imponierender Zentralberatungskörper Ungarn gegenüber gewähren würde. [ Szécsen :] Aus diesm Grunde werde man sich dort mit dieser Einrichtung überhaupt nicht befreunden und vorderhand wenigstens gegen dessen Beschickung sträuben. Graf Szécsen könne allerdings nicht verbürgen, daß selbst ein Reichsrat mit nur einer Kammer und bloß 100 Mitgliedern — ganz im Sinne der Ah. Entschließungen vom 20. Oktober — von || S. 95 PDF || Ungarn werde beschickt werden. Aber er dürfe nicht unterlassen, zu bemerken, daß die öffentliche Stimme sich gegen die bevorstehende neue Schöpfung weit mehr und insbesondere auch aus dem Grunde erklären wird, weil die Textierung des Statuts im § 7 gegen die dortlands gesetzlichen Formen verstößt, indem von der landtäglichen Festsetzung des Wahlmodus Umgang genommen wird. Man könne im Drange des Augenblicks wohl provisorische Wahlmodalitäten vorschreiben, endgiltig könne aber die Sache nur durch ein Landesgesetz geregelt werden, und dies dürfte daher im Statute auszusprechen sein. Die Bestimmung, wodurch die Anordnung direkter Wahlen — statt des Landtages — vorbehalten wird, spreche eigentlich schon den Bruch mit Ungarn aus, und Graf Szécsen muß daher dringend beantragen, daß dieselbe weggelassen und sich darauf beschränkt werde, zu sagen, daß Se. Majestät Allerhöchstsich vorbehalten, für die Einberufung zum nächsten Reichstag in den königlichen Propositionen an den Landtag provisorische Anordnungen zu erlassen. Der Finanzminister setzt in einem längeren Vortrage die dringende Notwendigk eitauseinander, daß schon im April d. J. ein mit den legalen Befugnissen ausgestatteter Reichsrat zustande komme, indem der Minister nur mittelst desselben in die Lage versetzt werden würde, für den Staatsschatz, der sich der Erschöpfung nähert, neue Quellen zu eröffnen. Gelingt dies nicht, so ist man außerstande, die Kosten der Armee sowie der Zivilverwaltung zu bestreiten, und daher mit dem finanziellen auch der politische Ruin unvermeidlich2. Man hat in der Konferenz von der Notwendigkeit einer endgiltigen Vereinbarung mit dem Landtage über die Beschickung des Reichsrates aus Ungarn gesprochen, gibt aber zugleich zu, daß dieses vielleicht Monate, wohl auch Jahre dauern kann. Auf eine so ferne Zukunft kann und darf sich der Finanzminister nicht vertrösten lassen, da es sich um Hilfe binnen wenigen Wochen handelt. Während der Deliberation des ungarischen Landtages ginge Österreich zugrunde! Der zweite ungarische Hofkanzler äußerte, daß, sosehr er auch die Beschickung des Reichsrates aus Ungarn wünsche, er doch die Besorgnis des Grafen Szécsen teilen müsse, daß die vorgeschlagenen Bestimmungen des Statuts diesem Zwecke mehr nachteilig als förderlich sind. Es erübrige wohl nichts, als die definitive Feststellung des Wahlmodus dem gesetzlichen Wege vorzubehalten und unter die königliche Propositiond eine provisorische Verordnung über die Reichsratswahl durch den Landtag aufzunehmen, eworüber dann allenfalls ein Antekoronationalartikel zustande kommen könntee . Wird nun auch diese Verordnung nicht vollzogen und kommt kein Abgeordneter aus Ungarn, so ist doch der Reichsrat förmlich einberufen, und er kann, abgesehen von den vorhandenen Lücken, seine dringenden Arbeiten legal beginnen.

Nach längerer Erörterung der hierbei einschlägigen Fragen vereinigten sich die Minister Ritter v. Schmerling, v. Plener und Graf Szécsen, dann der Hof kanzler || S. 96 PDF || v. Szőgyény beiläufig über folgende — von Sr. Majestät Ag. genehmigte — Textierung: „Über die Art der Entsendung der Mitglieder aus Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien und Slawonien wird der Kaiser, bis darüber ein Gesetz im verfassungsmäßigen Wege zustande kommt, den bezüglichen Landtagen provisorische Anordnungen zukommen lassen3.“

Se. Majestät der Kaiser geruhten zu bemerken, daß bei Aufzählung der finanziellen Attributionen des Reichsrates vom Texte des Diploms auf eine die Befugnisse des Körpers erweiternde Weise abgegangen worden sei. Die größte Vorsicht sei hierbei unerläßlich, da man darauf gefaßt sein müsse, bei dem Eintritte gewisser Eventualitäten einer regierungsfeindlichen Majorität des Reichsrates gegenüberzustehen, welche der Armee und der Administration den Lebensnerv durch Zurückweisung des Budgets, Verweigerung von Steuern etc. wird abschneiden wollen. Welche Gefahren selbst für die Existenz des Staates daraus hervorgehen können, liegt am Tage, und diesen Gefahren muß im Statute vorgebeugt werden. Allerdings ist in demselben ausgesprochen, daß, wenn die Erhöhung vorhandener oder die Einführung neuer Steuern nicht vereinbart werden kann, die bestehenden Steuern und Abgaben fortzuentrichten seien. Allein diese Bestimmung scheint nur für den bezeichneten Fall und nicht allgemein genug festgesetzt. Sie ist daher entsprechend textiert an einer anderen Stelle des Paragraphes einzuschalten, und von dem Ausdrucke „die Feststellung des Voranschlags durch ein Gesetz“ sind die Worte „durch ein Gesetz“ zu streichen, welche im Diplom nicht enthalten sind. Der Staatsminister übernahm es, die diesfällige Berichtigung vorzunehmen4. Statt „Zu diesem engeren Reichsrate gehören“ wird zu setzen sein „vor diesen etc.“.

Minister Graf Szécsen bevorwortete, daß in den §§ 10 und 11 statt „Reichsangelegenheiten“ ein anderer, die Suszeptibilitäten in Ungarn nicht verletzender Ausdruck, z. B. „gemeinsame Angelegenheiten“, gewählt würde. Der Finanzminister sah nicht ab, wie das Wort „Reichsangelegenheiten“ in Ungarn empfindlich verletzen könne, nachdem die Benennung „Reichsrat“ nicht beanständet wird. Se. Majestät der Kaiser geruhten zu gestatten, daß statt des Wortes „Reichsangelegenheiten“ ein anderer Ausdruck von gleicher Bedeutung gebraucht werde5.

Der kaiserliche Erlaß, womit das Reichsratsstatut hinausgegeben wird, ist gemäß Ah. Anordnung nicht als kaiserliches Patent zu bezeichnen. Über die von Sr. Majestät dem Kaiser beanständete wiederholte Angelobung der Statutsbestimmungen durch Allerhöchstihre Nachfolger schlug der Staatsminister die Modalität vor, daß Allerhöchstdieselben die Beobachtung des Statuts seinerzeit lediglich || S. 97 PDF || in Allerhöchstihrem Thronbesteigungspatente anzugeloben haben würden, wodurch sich die Ablegung besonderer Angelöbnisse oder Eide beheben würde6.

II. Staatsratsstatut

Se. k. k. apost. Majestät geruhten hierauf, das Staatsratsstatut zur Sprache zu bringen.

Der Minister des Äußern erklärte sich entschieden gegen die Unterstellung des Staatsratspräsidenten unter den Ministerpräsidenten, indem dadurch die Unabhängigkeit der staatsrätlichen Gutachten vom Ministerium beeinträchtigt würde. Auf diese Unabhängigkeit wird aber in allen konstitutionellen Staaten, und zwar mit Recht, der größte Wert gelegt. Der Staatsminister erwiderte, daß, wenngleich der Ministerpräsident dem Staatsratspräsidenten am Range vorzugehen hätte, darin allein sowie überhaupt in keiner Bestimmung des Statuts eine Unterstellung des Staatsratspräsidenten ausgesprochen sei. Die beiden Präsidenten sind nur die vermittelnden Glieder beim Verkehr der beiden voneinander ganz unabhängigen Körper. Se. Majestät der Kaiser geruhten zu bestimmen, daß über die Teilnahme des Staatsratspräsidenten an den Abstimmungen im Ministerrate nichts gesagt und lediglich ausgesprochen werde: „Der Staatsratspräsident wohnt den Beratungen der Minister bei.“ Aus Anlaß der Bestimmung, daß der Staatsratspräsident über Antrag des Ministerpräsidenten Ah. ernannt wird, geruhten Se. Majestät der Kaiser zu äußern, daß Allerhöchstdieselben selbstverständlich über die Wahl dieses Funktionärs einen Vorschlag des Ministerpräsidenten einholen würden, doch finden Allerhöchstdieselben es nicht für nötig, in diesem Statute einen Passus darüber aufzunehmen, der als Beschränkung der freien Ah. Wahl gedeutet werden könnte. Der § 3 wurde daher gelöscht7.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 1. März 1861. Empfangen 2. März 1861. Erzherzog Rainer.