Nr. 99a Ah. Handschreiben an den Generalgouverneur in Ungarn, Erzherzog Albrecht, Wien, 23. Jänner 1860 (Beilage zu: MRP-1-4-01-0-18600126-P-0099.xml) - Retrodigitalisat (PDF)
- HHSTA., CBProt. 24 c/1860
MRZ. keine – KZ. keine –
Lieber etc.!
Die aus Ungarn einlangenden Nachrichten über die Fortschritte der politisch-nationalen Agitation lassen die Notwendigkeit erkennen, der systematisch betriebenen Wühlerei mit energischen Maßregeln entgegenzutreten. Insoweit die Agitation sich auf ein passives Verhalten der Regierung gegenüber und auf für die Regierung an und für sich gleichgiltige, daher durch kein Gesetz gebotene oder verbotene Vorgänge, wie z.B. die Anlegung landesüblicher Kleidungsstücke beschränkt, kann die Regierung sich gleichfalls darauf beschränken, solche Erscheinungen zu ignorieren und unbeirrt in der Durchführung der Regierungsmaßregeln und in der Handhabung der Gesetze fortzufahren. Sobald aber die Demonstration in Bedrohungen oder Feindseligkeiten gegen solche, die sich ihr nicht anschließen wollen, ausartet, ist es Pflicht der Regierung, zum Schutze des Gutgesinnten oder Friedfertigen unnachsichtliche Strenge walten zu lassen. Ebenso ist dort, wo die Aufreizung oder die Demonstration offenkundig die Tendenz, Regierungsmaßregeln herabzusetzen und Regierungsorgane zu mißachten, zur Schau trägt, zur Aufrechthaltung der Autorität, die keine wie immer geartete Verletzung dulden darf, energisches und entschiedenes Vorgehen notwendig, und es versteht sich von selbst, daß gegen tatsächliche Exzesse, Renitenzen und Ruhestörungen schleunigst und rücksichtslos mit allen der Regierung zu Gebote stehenden Mitteln, nötigenfalls auch unter Entwicklung der militärischen Macht eingeschritten werden muß.
Euer Liebden sind als Generalgouverneur mit allen unter den obwaltenden Verhältnissen erforderlichen Vollmachten ausgerüstet, und Ich versehe Mir vertrauensvoll von Ihrer Umsicht und Tatkraft die gehörige Handhabung derselben.
Mit den Nachfolgenden näheren Andeutungen entspreche Ich dem mehrmals geäußerten Wunsche Euer Liebden nach genaueren Verhaltungsregeln1.
Es liegt in den Befugnissen Euer Liebden, zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung besondere Verbote für das Königreich Ungarn oder einzelne Landesteile zu erlassen und die Übertretung mit strengster Bestrafung zu bedrohen.
Indem Ich Euer Liebden diesfalls einen Auszug aus den analogen, im September 1859 im Venezianischen erlassenen Bestimmungen2 mitteile, ermächtige Ich Sie hiemit ausdrücklich, diese oder ähnliche Verbote, wo und wann es Euer Liebden für nötig erachten, mit der gleichen Strafsanktion kundzumachen und dafür das gleiche Verfahren in Anwendung zu bringen.
Euer Liebden sind ermächtigt, das Nötige zu verfügen, damit Individuen, die nach ihren Antezedentien, nach ihren notorischen Gesinnungen oder nach ihrem Treiben in neuerer Zeit geeignet erscheinen, die Urheber oder Mittelpunkte von regierungsfeindlichen Bestrebungen oder Tätlichkeiten zu werden, nicht nur strengstens überwachen, sondern auch bei der ersten Feindseligkeit gegen die Regierung an den Tag legenden oder aufreizenden Handlung, die sie sich erlauben, sowie überhaupt, wenn die Umstände eine Unruhestiftung mit Grund besorgen lassen, sogleich in Gewahrsam genommen, vorbehaltlich etwa ihrer weiteren strafgerichtlichen Behandlung von den Orten, wo sie die Staatssicherheit bedrohen könnten, rechtzeitig entfernt und durch Konfinierung an andere Orte, im Notfalle auch durch Internierung in feste Plätze oder durch ex officio Abstellung zu Disziplinarkompanien unschädlich gemacht werden. Wird die Entfernung in einem außerhalb Ungarns gelegenen Ort notwendig, so wollen Euer Liebden sich wegen Durchführung der Maßregel an den Chef der betreffenden Zentralbehörde wenden.
Was das Verhalten der Studenten betrifft, so sind die Disziplinarnormen strenge zu handhaben und bei Demonstrationen und Exzessen der oben bezeichneten Art gegen die Rädelsführer, die ohne Zweifel bekannt sein werden, durch polizeiliche Abstrafung, sogleiche Entfernung und nötigenfalls Konfinierung an einen bestimmten Aufenthaltsort unnachsichtlich vorzugehen. Andererseits wird aber auch darauf zu achten sein, die unmittelbare Leitung der Lehranstalten Männern anzuvertrauen, welche nach ihrer wissenschaftlichen und sozialen Stellung sowie nach ihrem Charakter befähigt erscheinen, auf die den äußeren Einflüssen im Guten wie im Bösen leicht zugängliche Jugend belehrend und beruhigend einzuwirken und durch diese moralische Einflußnahme wenigstens bei den Massen der Studierenden das Eingreifen der Polizeigewalt entbehrlich zu machen. Euer Liebden wollen in dieser Richtung vor allem die Verhältnisse bei der Pester Universität würdigen und wenn, wie Ich voraussetze, bei der Leitung derselben eine Änderung wünschenswert ist, ohne Verzug das Geeignete verfügen und Meinem Unterrichtsminister zur Kenntnis bringen.
Da in bewegten Zeiten die Kraft der Regierung sich gegen außenhin durch imponierende ernste Ruhe, die recht wohl mit wachsamer Bereithaltung gegen alle Eventualitäten vereinbar ist, kennzeichnen muß und die Bevölkerung durch nichts so sehr beunruhigt wird, als wenn sie bei den Regierungsorganen selbst Beunruhigung und unsichere Geschäftigkeit wahrnimmt, so wollen Euer Liebden den unterstehenden Exekutivorganen die Notwendigkeit eines derartigen gemessenen Benehmens einschärfen und denselben zugleich bestimmte Verhaltsbefehle erteilen lassen, nach denen sie, jeder in seinem Wirkungskreise, im eintretenden Falle unter eigener Verantwortung vorgehen können und wodurch es den oberen und obersten Autoritäten möglich wird, ohne von Fall zu Fall bei jedem einzelnen Vorkommnis durch unmittelbare vorläufige Kenntnisnahme und Anordnung eingreifen zu müssen und sich dadurch selbst abzunützen, ihre Aufmerksamkeit der Lage im allgemeinen zuzuwenden und die Aktion der höheren Organe wirklich nur den wichtigeren Anlässen vorzubehalten.
Sollten Euer Liebden wider Verhoffen die vorstehenden Verhaltungsmaßregeln nicht für ausreichend erachten, so sehe Ich Ihren weiteren Anträgen entgegen.