Nr. 89 Ministerkonferenz, Wien, 5. Jänner 1860 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser, BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend Erzherzog Albrecht, Erzherzog Wilhelm, Erzherzog Rainer, (Rechberg 6. 1.), Thun 6. 1., Bruck 7. 1., Nádasdy 7. 1., Gołuchowski 7. 1., Thierry 8. 1., Schmerling 10. 1.
MRZ. – KZ. 174 –
Protokoll der Ministerkonferenz am 5. Jänner 1860 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Strafprozeß gegen Hofrat v. Zsedényi und Genossen
Der Justizminister referierte, daß Zsédeny, Máday und Pálkövy gegen das Straferkenntnis rekurriert haben, und daß der Staatsanwalt an ihn (Graf Nádasdy) die Anfrage gerichtete habe, ob auch er den Rekurs ergreifen solle1. Der Minister gedenkt, den Beschluß über diese Frage ganz dem Staatsanwalte anheimzustellen, da selber in seinem Wirkungskreis liegt und der Minister nicht im Besitze der Akten ist, aus welchen sich über den Erfolg einer Berufung prognostizieren ließe. Daß die Strafe relativ so niedrig bemessen wurde, scheint auf den Milderungsumständen zu beruhen. Graf Nádasdy gedächte ferner, den Oberstaatsanwalt anzuweisen, daß er eventuell bei Einbringung eines Gnadengesuches der Bitte um einen Strafaufschub nicht entgegentrete, damit durch den faktischen Antritt der Strafe nach zurückgewiesenem Rekurs nicht einem Ah. Gnadenakte vorgegriffen werde, sondern ut res integra maneat. Der Justizminister ist überhaupt der Meinung, daß es im Interesse der Regierung liege, die Finalentscheidung über diesen Straffall aufzuschieben, um den Schuldigen Zeit zu lassen, für die Redressierung des Geschehenen tätig zu sein.
Der Kultusminister besorgt, daß diese letztere Weisung nicht ganz unbekannt bleiben und als eine Ah. Absicht zu begnadigen gedeutet werden würde, was keineswegs wünschenswert ist. Graf Thun stimmt dafür, daß man diese Angelegenheit ganz den gesetzlichen Weg gehen lasse, um die übrigen Strafprozesse, die wegen ähnlicher Verbrechen im Zuge sind, nicht zu präjudizieren. Der Minister des Inneren erklärte, er sehe nicht ab, warum die Regierung in diesem eklatanten Falle von dem unbestrittenen gesetzlichen Strafrechte keinen Gebrauch machen solle.
Se. Majestät der Kaiser geruhten Ah. auszusprechen, daß die ganze Verhandlung auf dem gesetzlichen Wege durchzuführen sei.
Der Justizminister deutete schließlich an, er habe nur die Absicht zu verhindern, daß die Gerichte aus übergroßem Eifer mit dem Strafvollzuge schneller als gewöhnlich vorgehen2.
II. Enquete über den ungarischen Tabakbau
Als hierauf von Sr. kaiserlichen Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Albrecht die Frage wegen des Tabakbaus in Ungarn für den Export zur Sprache gebracht wurde3, äußerte der Finanzminister , daß er über die ungarische Tabakfrage eine eigene Enquetekommission unter dem Vorsitze des Freiherrn v. Baumgartner, einer anerkannten Spezialität in diesem Fache, zusammenzusetzen gedenke, und richtete an Se. kaiserliche Hoheit die Bitte, hiezu einige Mitglieder bestimmen zu wollen, die Vorlagen zur Information der Kommissionsglieder würden bereits gedruckt.
Se. Majestät geruhten zu befehlen, daß die Kommission ihre Arbeiten mit möglichster Beschleunigung zu beginnen und zu Ende zu führen habe, nachdem bereits im Februar die Gesuche um Lizenzen für die nächste Tabakbaukampagne eingebracht werden müssen und bei deren Erteilung die erst zu fassenden Beschlüsse maßgebend sein werden4.
III. Hypothekarkreditanstalt für Ungarn
Über eine Ah. gestellte Frage referierte der Finanzminister , daß Graf Emil Dessewffy sein mit Graf Barkóczy und v. Lónyay ausgearbeitetes Projekt einer Hypothekarkreditanstalt in Ungarn5 bereits nach Wien gebracht habe und selbes demnächst Sr. kaiserlichen Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Generalgouverneur unterbreiten werde. Dem Vernehmen nach wolle Graf Dessewffy die Angelegenheit später zu Pest in einem größeren Komitee beraten.
Se. k. k. apost. Majestät geruhten zu befehlen, daß diese Sache baldigst in Gang gebracht werde, und der Ministerpräsident sowie der Minister des Inneren hoben die Notwendigkeit heraus, daß die Regierung die Verhandlung selbst in die Hand nehme, damit sie nicht der Beratung jener großen Versammlung in Pest anheimfalle.6
IV. Besitztum der siebenbürgischen Grenzregimenter
Se. Majestät der Kaiser geruhten den Finanzminister anzuweisen, dem Stande der Verhandlungen über das Besitztum der siebenbürgischen Grenzregimenter einen Impuls zu geben, nachdem dieselben dem Vernehmen nach jetzt beim Finanzministerium liegen7.
V. Ablösung der Luisenstraße
Se. Majestät der Kaiser geruhten hierauf von den Ministern des Inneren und der Finanzen Auskünfte über die beantragte Ablösung der Luisenstraße durch den Staat entgegenzunehmen.
Graf Gołuchowski wird demnächst mit dem in Wien befindlichen Direktorium der Luisenstraßengesellschaft über die Ablösungssumme in Verhandlung treten8.
VI. Bau der Kärntner Eisenbahn
Aus Anlaß einer an Se. k. k. apost. Majestät gerichteten Bitte des kärntnerischen Landesausschusses referierte der Finanzminister über die Gründe des langsamen Fortschreitens der Kärntner Eisenbahnbauten9. Baron Bruck wird bemüht sein, daß die Eisenbahngesellschaft eine größere Summe für die Fortsetzung dieser Bauten widme. Doch ist nicht zu verkennen, daß diese Gesellschaft zum Ausbau der anderen wichtigeren und rentableren Linien ihre Kräfte bereits so stark in Anspruch nehmen muß, daß sie für die Kärntnerbahn nicht so viel tun kann, als man begreiflich im Lande selbst wünscht.
VII. Bau der Linz-Passauer Eisenbahn
Der Ministerpräsident stellte die Frage, ob man auf baldige Vollendung der Linz-Passauer Eisenbahn rechnen könne, nachdem bayrischerseits darauf gedrungen werde.
Der Finanzminister gab die Versicherung, daß die Eisenbahn bis Passau zu dem vertragsmäßig festgesetzten Termine (1863) vollendet sein werde10. Schwerer werde es allerdings halten, die vertragsmäßigen Zusicherungen in Betracht der Pilsner Bahn bis zum Jahre 1862 zu erfüllen. Indes hoffe er, daß die dazu bisher fehlenden Geldmittel werden aufgebracht werden können11.