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Nr. 53 Ministerkonferenz, Wien, 29. Oktober 1859 – Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Rechberg 31. 10.), Erzherzog Wilhelm, Erzherzog Rainer 6. 11., Thun 2. 11., Bruck 2. 11., Nádasdy 3. 1., Gołuchowski 4. 11., Thierry 5. 11.

MRZ. – KZ. 3811 –

Protokoll [II der Ministerkonferenz] vom 29. Oktober 1859 (abends) unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät.

I. Die in nächster Zukunft zu ergreifenden Finanzmaßregeln, namentlich das Anlehen

Se. Majestät der Kaiser geruhten die ernste Finanzlage der Monarchie zur Sprache zu bringen mit dem Bemerken, daß die Anträge wegen der Ersparungskommission zur Herstellung des Gleichgewichts im Budget und wegen der Staatsschuldenkontrolle mit tunlichster Beschleunigung zu erstatten seien und die Konferenz sich auch ohne Verzug mit der Beratung über die Reduktionen im Budget für 1859/60 zu beschäftigen habe1.

Nachdem unter den vom Finanzminister vorgeschlagenen Maßregeln die Aufnahme eines großen Anlehens noch vor Ende dieses Jahres einen Hauptfaktor bildet2, geruhten Se. Majestät die Frage zu stellen, ob unter den vorhandenen Konjunkturen auch mit Sicherheit auf das Gelingen dieser Operation zu rechnen sei und was im Falle des Mißlingens zur Deckung der Staatsbedürfnisse vorzukehren sei.

Der Finanzminister äußerte hierauf, er zweifle nicht, daß die Aufnahme eines Anlehens gelingen werde. Die Frage sei nur, bis zu welchem Betrage es zu eröffnen wäre. Ob bis zu 300 Millionen, wobei auch die Konvertierung von 85 Millionen Nationalanlehen und die Regulierung der Bankverhältnisse ermöglicht würde, oder bloß bis zur Höhe des Defizits im Verwaltungsjahre 1860. Die Ausdehnung der Kreditsoperation werde sich einerseits nach dem Erfolge der Verlautbarungen über die Budget- und Kontrollkommissionen, andererseits nach dem Stande der politischen Verhältnisse richten müssen, welche dann eben den Geldmarkt influenzieren werden.

Auf die Bemerkung des Ministerpräsidenten , daß das Mißlingen der russischen Anleihe es rätlich mache, schon jetzt in Überlegung zu nehmen, was zu geschehen hätte, wenn das neue österreichische Anlehen mißlingt, erwiderte der Finanzminister , das Mißlingen der russischen Anleihe sei wesentlich die Folge davon, daß die Finanzwelt durch die nicht genau bekannte, aber jedenfalls sehr große Masse des russischen Papiergeldes eingeschüchtert wird. Baron Bruck ist überzeugt, daß sich das laufende Defizit jedenfalls im Wege eines Lotterieanlehens würde decken lassen. Im äußersten Falle müsse man aber an die Bank rekurrieren. Als weitere Hilfsquellen stehen übrigens in Aussicht: die Vergütung für die lombardische Schuldquote und der Erlös für Staatsgüter, um deren Verkauf zwei Gesellschaften sich bewerben. Übrigens müsse man die || S. 199 PDF || eigene Kapitalskraft Österreichs nicht unterschätzen, welche binnen einem Jahr ein Anlehen von 100 Millionen zu decken im Stand sein würde3.

II. Auskünfte über schwebende Verhandlungen

Se. Majestät geruhten schließlich Allerhöchstsich Auskünfte über den Stand der Verhandlungen über die Judenfrage4, über das neue Gewerbsgesetz5 und über die Petition der ungarischen Studenten6 erstatten zu lassen.

Am 31. Oktober 1859. Rechberg. Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Schönbrunn, 9. November 1859.