Nr. 489 Ministerkonferenz, Wien, 10. Jänner und 20. Februar 1859 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend: Erzherzog Albrecht keine BdE.
- Sammelprotokoll; RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet (RS.Reinschrift: Kanzleischrift); VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend Erzherzog Albrecht (BdE.Bestätigung der Einsicht fehlt), gesehen Bach 28. 4., gesehen Thun 28. 4., Nádasdy 28. 4., gesehen Hauer 30. 4.
MRZ. – KZ. 1576 –
Protokolle der am 10. Jänner und 20. Februar 1859 unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät abgehaltenen Konferenzen.[Sitzung v. 10. 1. 1859]
[I.] Die Regelung der kirchlichen Verhältnisse der Evangelischen beider Bekenntnisse in Ungarn
Se. Majestät der Kaiser geruhten die Ah. Absicht auszusprechen, die Regelung der kirchlichen Angelegenheiten der Evangelischen beider Bekenntnisse im Königreiche Ungarn mit Hinblick auf die neueste Gestaltung der politischen Konjunkturen in kürzester Zeitfrist einer allseitig möglichst beruhigenden Erledigung zuführen zu wollen1. Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Albrecht , von Sr. Majestät zur Ergreifung des Wortes aufgefordert, referierten in Kürze über das Ergebnis der über diese wichtige Frage mit den Ministern des Inneren und des Kultus zu Prag gepflogenen Beratungen. Man habe sich hiebei darüber geeinigt: 1. daß eine vorläufige Vernehmung der Synoden, der zu besorgenden Aufregung wegen und als schwerlich zum Ziele führend, nicht Platz zu greifen hätte und diesfalls unmittelbar mit der Hinausgabe eines Ah. Patentes vorzugehen wäre, 2. daß eine neue, mit den Statthaltereiabteilungsbezirken nach Tunlichkeit zusammenfallende Einteilung der Superintendenzen vorzunehmen sei. Nachdem es anerkannt geraten ist, bei den bevorstehenden Ah. Verfügungen an die Synodalvorlagen vom Jahre 17912 anzuknüpfen, haben Se. k. k. Hoheit den Versuch gemacht, diese Synodalvorlagen, und zwar vorerst jene der augsburgischen Konfession, punktweise mit Berücksichtigung der im Gesetzentwurfe des Kultusministers formulierten Anträge zu erledigen. Dieser Entwurf sei bereits dem Kultusminister mitgeteilt worden3.
Sektionschef Baron Hauer fügte noch bei, daß man sich bei der Redaktion des Entwurfes in allen Punkten, wo einfe Änderung von Staats wegen nicht unumgänglich || S. 218 PDF || nötig erschien, an die Synodalanträge gehalten habe. Die notwendigen Bestimmungen über das ius supremae inspectionis, welche von den Synoden in ihren Anträgen nicht berührt wurden, habe man aufgenommen; bezüglich des Eherechtes wurde dagegen im Entwurfe nichts normiert, da dies der Synodalgesetzgebung vorzubehalten wäre.
Der Kultusminister erklärte, daß er sich mit der in Rede stehenden, auf den Text der protestantischen Synodalbeschlüsse von 1791 basierten Erledigung nicht einverstehen könne, und zwar weder in formaler Beziehung noch in merito. In formaler Beziehung nicht, denn man könne sich nicht an einen in Stil und Anordnung ganz veralteten Text halten, der auch eine Menge Details, selbst über die Gottesdienstordnung, enthält, welche nicht vor das Ah. Forum gehören, und weil bei dieser Form diejenigen Punkte, welche die Regierung beseitigt, zu auffallend hervortreten; in meritorischer Beziehung aber nicht, weil 1. die Vorlagen von 1791 gegenüber der neueren, von den Protestanten in Ungarn selbst vorgenommenen und zum Teil in gedruckten Entwürfen vorliegenden legislativen Arbeiten auf diesem Felde4 mitunter antiquiert erscheinen, sodaß die Protestanten selbst durch Genehmigung der damaligen Synodalbeschlüsse nicht zufriedengestellt wären, und 2. weil daran in wesentlichen Punkten doch (wie auch in der vorliegenden Bearbeitung ersichtlich ist, deren Abweichungen von seinem – Graf Thuns – eigenen Entwurfe ihm übrigens nicht zweckmäßig scheinen) so viel geändert werden müßte, daß man schon deshalb von einem engeren Anschließen an den Text der Synodalvorlagen keine Befriedigung erwarten könne. Graf Thun müsse im wesentlichen seine, im au. Vortrage vom 4. September 1858 5 gestellten Anträge festhalten.
Der Minister des Inneren bemerkt, daß bei den früheren Beratungen über diese Frage von der Voraussetzung ausgegangen wurde, daß behufs der definitiven Erledigung der Synodalanträge vom Jahre 1791 und der endlichen Regelung der protestantischen Verhältnisse in Ungarn vorläufig noch Synoden einberufen und darüber zu Rate gezogen werden sollten. Nach der nunmehr vorliegenden Darstellung des Kultusministers werde von dieser vorläufigen Synodalberatung abgesehen, und es sollen sofort die gedachten Synodalanträge ihre Erledigung erhalten. Hiemit habe man sich in Prag in thesi einverstanden erklärt, indem man erwogen habe, daß jene Bestimmungen der beantragten Erledigung, welche vom Standpunkte des landesherrlichen Oberinspektionsrechtes und überhaupt vom staatlichen Interesse getroffen werden sollen, jedenfalls vornweg festgestellt und nicht von dem Ausschlage einer Synode abhängig gemacht werden könnten, alle übrigen Bestimmungen aber ohnehin dem weiteren Synodalwege vorbehalten blieben, daß es daher keinem begründeten Anstande unterliegen dürfte, schon jetzt mit der Erledigung der gedachten Synodalanträge vorzugehen, um dadurch endlich die täglich dringender werdende kirchliche Ordnung bei den Protestanten herbeizuführen.
Nur was die Form der hinauszugebenden Erledigung betrifft, war man abweichender Meinung. Nach Ansicht des Ministers des Inneren ließen sich aber vielleicht beide Auslegungen vereinigen, wenn die Bestimmungen der ersten Kategorie in ein Patent zusammengefaßt würden, rücksichtlich der durch dieses Patent aber gleichzeitig zu erledigenden || S. 219 PDF || Synodalanträge im wesentlichen die Fassung und Anordnung dieser Anträge mit den von Sr. Majestät für notwendig erkannten Modifikationen zur Grundlage genommen und selbe, derartig zusammengestellt, dem Patente als Beilagen (für jede Konfession gesondert) beigefügt würden.
Der Justizminister sprach sich entschieden dafür aus, daß die Angelegenheiten der zwei Konfessionen auch in zwei Patenten geregelt werden, da eine geteilte Opposition leichter zu überwinden sein werde als eine vereinigte der gesamten ungarischen Akatholiken.
Der Kultusminister erklärte sich dagegen überzeugt, daß eine solche getrennte Behandlung sich bei jedem Versuche als unausführbar darstellen werde; ebenso halte er es für unmöglich, das, was die Wahrung staatlicher Interessen fordere, von der Kirchenordnung streng zu sondern.
Es sei unumgänglich nötig, daß die Regierung nach 70jährigem Schweigen mit einer umfassenden Herstellung des verheißenen certus ordo hervortrete; wohl aber wäre nur ein Teil desselben als völlig festgestellt zu erklären, während durch den übrigen Teil der diesfälligen Norm die Verhältnisse nur provisorisch geregelt werden dürften, um zunächst die Berufung einer Synode zu ermöglichen, welche sodann den provisorischen Teil zu prüfen und weiter zu entwickeln haben würde.
Der Minister des Inneren sprach sein Bedenken gegen das Institut des Oberkirchenrates aus; in dem vorzugsweise protestantischen Preußen sei die Handhabung des landesherrlichen Oberaufsichtsrechtes nicht dem Oberkirchenrate (der obersten protestantischen Kultusbehörde), sondern dem Kultusministerium zugewiesen6; der katholische König von Bayern sei durch seinen protestantischen Kirchenrat in eine sehr unangenehme Stellung geraten. Darin liege eine ernste Warnung. Die einvernommenen Konvente haben sich gegen den Oberkirchenrat ausgesprochen; es schiene daher nicht geraten, ihnen denselben ab imperio aufzudringen. Sollte in der Folge von Seite der Synoden der Antrag auf die Errichtung einer solchen obersten Kultusbehörde gestellt werden, so bleibe dies der seinerzeitigen freien Schlußfassung des Souveräns vorbehalten. Se. Majestät der Kaiser erinnerten, daß der katholische Landesfürst, nach der Ansicht der Protestanten, als an der Spitze der akatholischen Kirche seines Landes stehend, sich seine Ratgeber frei wählen könne, und im Ministerium nur derselbe Grundsatz anzuwenden sei, der bereits in Behandlung dieser Angelegenheiten bei den Landesstellen gilt.
Der Kultusminister glaubte, daß diese Frage der sorgfältigsten Erwägung bedürfe. Es würde für ihn die peinlichste Lage sein, in protestantischen Angelegenheiten eine Entscheidung zu fallen, und auch die Protestanten würden sich dabei nicht beruhigen. In dem ihnen hinausgegebenen Gesetzentwurfe erscheine eine besondere oberste Kirchenbehörde; man erwartet sie und wird ohne Zweifel darum bitten, wenn sie nicht vornweg gewährt würde. Eine unabhängige Sektion für die evangelischen Angelegenheiten im Kultusministerium aber würde eine Abnormität bilden.
|| S. 220 PDF || Schließlich geruhten Se. Majestät zu befehlen, daß der Minister des Inneren den Entwurf zu einem Patente in dem von ihm entwickelten Sinne versuche und sich darüber mit dem Kultusminister ins Einvernehmen setze.
Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Albrecht sprachen hiebei die dringende Bitte aus, daß die Ah. Patente zur Regelung der Angelegenheiten beider Konfessionen womöglich bis zum nächsten Frühjahre erlassen werden möchten.
Wien, am 12. Jänner 1859.
[Sitzung vom 20. Februar 1859]
Gegenstand der heutigen Beratung war die Regelung der kirchlichen Angelegenheiten der Akatholiken in Ungarn.
Se. k. k. apost. Majestät geruhten auf die Notwendigkeit hinzuweisen, diese Angelegenheit bald und in einer die Akatholiken beruhigenden Weise der Lösung zuzuführen.
Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Albrecht , im wesentlichen mit dem vom Minister des Inneren gemäß des in der Konferenz vom 10. Jänner 1859 erhaltenen Ah. Auftrages verfaßten Gegenentwurfe eines Ah. Patentes7 einverstanden, deuteten daraufhin, daß die Hauptfrage, worüber eine Ah. Entscheidung gewärtigt werden muß, die Bildung des Oberkirchenrates sei, gegen welche Institution sich im Lande stets mehr Stimmen aussprechen. Se. k. k. Hoheit müssen als Generalgouverneur den höchsten Wert darauf legen, daß unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen des Auslandes die Veranlassung zu neuer Unzufriedenheit im Inlande sorgfältig vermieden werde. Die Krisen der Münzreform8 und der Tabakbaulizenzrestringierung9 seien eben erst überwunden; man müsse sich wohl hüten, jetzt auf dem religiösen Gebiete neue und gefährlichere Krisen hervorzurufen, da die Geschichte zeigt, daß selbe während auswärtiger Kriege öfter zu Revolutionen ausarteten. Se. k. k. Hoheit müssen daher beantragen, daß diese Angelegenheit, womöglich noch vor dem nächsten Mai, in einer beruhigenden Weise geregelt werde.
Nachdem der Kultusminister im Laufe der hierüber gepflogenen längeren Erörterung seine Meinung von der Notwendigkeit eines vom Ministerium getrennten Oberkirchenrates umständlich motiviert hatte, erklärte dieser Minister schließlich, er müsse gemäß der ihm obliegenden beschworenen Pflicht an seinen au. Anträgen festhalten und Se. Majestät au. bitten, Ag. zu gestatten, daß dieselben in der Ministerkonferenz ordnungsmäßig beraten und hierauf vom Reichsrate begutachtet würden.
|| S. 221 PDF || Se. Majestät der Kaiser geruhten hierauf Ag. zu befehlen, daß die Anträge des Kultusministers so schnell als möglich in Ministerkonferenzen zu beraten seien und sich in dem sohin auszuarbeitenden letzten Patentsentwurfe jeder nicht durch höhere Staatsinteressen dringend gebotenen Normierung enthalten werde10.
Wien, am 21. Februar 1859.
Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, den 1. September 1859.