Nr. 1a Promemoria Metternichs über die inneren Fragen Österreichs, Wien, 27. März 1852 (Beilage zu: MRP-1-3-01-0-18520414-P-0001.xml) - Retrodigitalisat (PDF)
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Älterer Druck bei
Kübeck
, Briefwechsel Metternich - Kübeck 221 ff.
; siehe auch den Begleitbrief Metternichs an Kübeck v. 27. 3. 1852,
ebd. 163 f.
MRZ. – KZ. –
Über den Auszug der Anträge, welche in dem Zweck einer entsprechenden Stellung und Wirksamkeit der Ministerien und des Reichsrats vorgelegt wurden, kann ich aus Mangel der näheren Kenntnis der über den hochwichtigen Gegenstand stattfindenden Verhandlung Bemerkungen nicht über das prinzipielle Feld ausdehnen. Auf diesen Gesichtspunkt ersuche ich die Leser dieser Zeilen sich zu stellen.
Die Minister-Frage ist eine der Kompetenzen, welche im gemeinen bürgerlichen wie im gesamten Staatsleben zu den wichtigsten gehören und deshalb einer deutlichen Bezeichnung und Begrenzung bedürfen.
Was sind Minister? Sie sind öffentliche Beamte; die ersten Werkzeuge der ordnenden und schirmenden Staatsgewalt; diese Gewalt selbst sind sie nicht und können sie nicht sein, denn auf die Minister wie auf alle Diener paßt die Verantwortlichkeit, d. h. ein Begriff, der auf die oberste Gewalt, auf die Souveräne, nicht anwendbar ist, weil über der obersten Gewalt keine höher als sie stehende hiernieden gedacht werden kann. Diese Wahrheiten haben nichts gemein mit der Souveränitätsfrage im monarchischen oder im republikanischen Haushalte, mit der persönlichen fürstlichen oder der Volkssouveränität. Der Staat, er sei Monarchie oder Republik, muß regiert werden, und die Werkzeuge, welche den Wert der Mittel zum Zweck haben, sind und können nur Werkzeuge sein, über denen die souveräne Gewalt steht.
Die Veranlassung zu den in Verhandlung stehenden Fragen hat die Zwitterstellung geboten, in welcher der moralische Körper, welcher unter der Benennung „des Ministeriums“ besteht und in seiner tatsächlichen Anwendung nur „Minister“, d. h. Vorstände der obersten Bestandteile der Regierung bietet, sich noch dermalen befindet. In der früheren, in der Sturmflut des Jahres 1848 untergegangenen inneren Regierungsweise des Reiches bestunden keine Ministerien (mit Ausnahme des der äußeren Angelegenheiten), sondern oberste Regierungsbehörden in einer kollegialischen, d. h. aus einem Präsidenten und einem Gremium bestehenden Form. Mit dem Eindringen des modernen Konstitutionalismus in das alte, durch und durch konstitutionelle Reich und des Übergangs der persönlichen Souveränität in die des Volkes verschwand – wie dies nicht anders sein konnte – die frühere Regierungsweise, und es entstanden der Volksvertretung gegenüber verantwortliche Minister. Die Charte vom 4. März 1849 veränderte nichts in der Lage. Der Umschwung in derselben ward erst durch die kaiserliche Manifestation vom 20. August [1851] bezeichnet und prinzipiell mittelst der vom 31. Dezember 1851 vervollständigt. Welches ist und welcher muß der Zweck des Tages sein? Er ist durch die Gewalt der Dinge selbst geboten, und er spricht sich in der Notwendigkeit aus, daß die Stellung der Ministerien mit der Rückkehr der obersten Staatsgewalt in die Hände des souveränen Oberhauptes des Staates in Einklang gestellt werde. Einklang in den Dingen bildet || S. 7 PDF || sich aus den ihnen zu Grund liegenden Prinzipien und aus den auf dieselben passenden Formen heraus. Wie steht es mit der letzteren in der im Prinzip durch die kaiserlichen Aussprüche vom Jahre 1851 festgestellten Regierungsfrage?
Der Kaiser hat die Regierung wieder in seine Hände genommen; im Begriff der Charte vom 4. März 1849 lag sie in denen der Minister, und im abstrakten Begriffe war das Regieren die Aufgabe des moralischen Körpers, den der Wortlaut „das Ministerium“ bezeichnet. Als ein Körper solcher Art mußte ein Ministerrat unter einem Präsidenten (und sei es nur, weil einem Rat, einem Gremium die geregelte Leitung der Geschäftsverhandlung not tut) entstehen. Welchen Wert hat dieser Rat heute? Welchen hat die Stelle des Ministerpräsidenten?
Die heutige Lage hat, man beleuchte sie im Sinne einer gesunden Praxis, den Unwert einer anomalen; eine der Lagen, zu welchen schiefe Benennungen stets führen. Dieser Tatbestand ist in den Anträgen, welche der gegenwärtigen Arbeit zum Anlaß dienen, deutlich erwiesen und er fordert sonach eine Abhilfe.
Der Ministerrat und -präsident sind Erfindungen des französischen, modernen Repräsentativsystems und die Anwendung des diesem System zur Grundlage dienenden Axioms: „Le Roi regne mais ne gouverne pas!“ – eines Axioms, welches seine Ausbeute in den Jahren 1830 und 1848 gefunden hat und sieh als das Wegjagen der niehtverantwortlichen Könige und dem [sie!] Zuhausebleiben der verantwortlichen Minister der Welt kundgegeben hat! Zwischen den Ministern, d. h. den Oberleitern der höchsten Regierungsbehörden und als solche der [sie!] ersten Werkzeuge des Regenten, muß eine bleibende Berührung stattfinden; die Form dieser Berührung muß die von Besprechungen, Konferenzen sein, ohne daß dieselben den Namen eines Ministerrats zu führen geeignet wären.
Anders steht es mit der Benennung „Reichsrat“, eines wahren Gremiums mit einem Kopf und Gliedern, dem das Erteilen vom Monarchen angeforderten Rats, aber keine tatsächliche Ausführung der souveränen Beschlüsse zusteht.
Der Übelstand in der Lage des Reiches und der Stellung der Regierung in demselben liegt in dem gewaltsamen Untergang der altgewöhnten, auf logischen Grundlagen aus sich selbst herausgewachsenen Normen und Benennungen und deren Ersatz durch Benennungen und Normen, welche dem modernen Konstitutionalismus entlehnt wurden und denselben überlebt haben. Die kaiserlichen Manifestationen vom 20. August und vom 31. Dezember 1851 haben die im Jahre 1848 verschüttete Quelle der [von] allen monarchischen Staaten benötigten Macht – eine Quelle, in welcher in dem Kaiserreiche die allein mögliche Macht ruht – wieder aufgedeckt. Sie haben den Ausspruch gefällt: „Von nun an regiert der Kaiser wieder im Reiche, in dem Reiche im Begriffe der Gesamtheit wie in allen dasselbe bildenden Teilen!“ Mit der Aufdeckung einer Quelle ist aber die Aufgabe nicht gelöst; ihr Abfluß muß geregelt werden; geschieht dies nicht, so entsteht ein Sumpf oder ein See, welch ersterer sich mit Miasmen füllt und der andere die Aussicht auf verheerende Aus- und Durchbrüche bietet.