Nr. 608 Ministerrat, Wien, 29. Dezember 1851 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend Schwarzenberg, Bach, Thinnfeld, Thun, Csorich, Krauß, Baumgartner; außerdem anw.anwesend und BdE.Bestätigung der Einsicht Kübeck, Krieg, Purkhart, Szőgyény, Salvotti, Zichy, Buol, Salm-Reiferscheid; der Mantelbogen fehlt, die BdE.Bestätigung der Einsicht befindet sich am Ende des Protokolls.
MRZ. 4391 – KZ. 64/1852 –
Protokoll der am 29. Dezember 1851 zu Wien abgehaltenen Konferenz unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
[I.] Verfassungsrevision
Se. Majestät der Kaiser geruhten, als Gegenstand der heutigen Beratung jene zur Veröffentlichung bestimmten Ah. Erlässe zu bezeichnen, wodurch die Reichsverfassung vom 4. März 1849 außer Kraft zu setzen und die Grundzüge der einzuführenden neuen politischen und gerichtlichen Institutionen auszusprechen wären1.a
Auf Ah. Befehl wurde sofort der von dem Reichsrate vorgelegte Patententwurf verlesen2.
Aus Anlaß eines hiebei vom Unterrichtsminister erhobenen Zweifels, ob nicht nach den Bestimmungen dieses Patents die Wiedereinführung jedes den früheren Beziehungen zwischen Obrigkeit und Untertan analogen Verhältnisses, namentlich der Emphyteusis, für alle Zukunft abgestellt wäre, wurde der diesfällige Passus in Erwägung gezogen und dabei einstimmig erkannt, daß derselbe lediglich das Untertans- und Hörigkeitsverhältnis als von Staats wegen aufgehoben erkläre, dagegen aber die hie und da − namentlich, wie Reichsrat v. Szőgyény bemerkte, in Ungarn − bestehenden emphyteutischen Verträge, wie auch deren Abschluß für die Zukunft, ganz unberührt lasse.
Nachdem Reichsrat Baron Buol geäußert hatte, daß es zur Beruhigung eines Teiles der Bevölkerung wesentlich beitragen würde, wenn in dem Ah. Patente nicht bloß der gegen billige Entschädigung, sondern auch der gegen Ablösung aufgehobenen Giebigkeiten ausdrückliche Erwähnung geschehe, vereinigte man sich, über Vorschlag des Ministers des Inneren, dahin, das Beiwort „billig“ vor „Entschädigung“ wegzulassen, wodurch dann beide Kategorien von Giebigkeiten im Ah. Patente berücksichtigt erscheinen würden3.
Reichsrat Freiherr v. Krieg entwickelte hierauf seine Meinung, daß zugleich mit der Reichsverfassung auch die im Patente vom 4. März 1849 bezeichneten sogenannten Grundrechte außer Kraft zu setzen wären4.
Daß die meisten dieser Rechte mit einem geregelten Zustande des Reiches, besonders unter den gegenwärtigen Verhältnissen, nicht vereinbarlich seien, ist außer Zweifel; || S. 456 PDF || dieselben sind daher auch teils gar nicht ins Leben getreten, teils durch den Belagerungsstand in mehreren Kronländern und Städten suspendiert worden. Es schiene daher dem Reichsrat Baron Krieg das Beste zu sein, deren Aufhebung gleich jetzt zu beschließen und diese Ah. Willensmeinung ohne weitere Zögerung zu erklären. Das einzige dieser Rechte, welches gleichzeitig als aufrecht erhalten zu bezeichnen sein würde, ist das in § 2 enthaltene der anerkannten Religionsgesellschaften, da es nicht in der Ah. Absicht liegen dürfte, dieses Recht zu schmälern, und da eine feierliche Anerkennung hierüber Millionen kaiserlicher Untertanen über ihr Heiligstes beruhigen würde.
Über die von Sr. Majestät dem Kaiser aufgeworfene Frage, ob die legislativen Arbeiten bereits so weit vorgeschritten seien, um in Kürze die den Rechtszustand in diesen Beziehungen normierenden Gesetze erlassen zu können, äußerte der Minister des Inneren , daß dies allerdings der Fall sei, und bemerkte, daß insbesondere das Strafgesetz die Garantie für die persönliche Freiheit der Staatsbürger regele und Mittel gegen die unerlaubten Vereine gewähren werde. Der Minister des Inneren könne daher nur dem Reichsrate Baron Krieg beipflichten, daß die größtenteils faktisch nicht bestehenden Grundrechte auch in Österreich (wie bereits in den meisten deutschen Staaten) ohne weiteren Aufschub außer Kraft gesetzt würden − jedoch mit Vorbehalt der Rechte der Religionsgesellschaften. Nachdem auch der Reichsrats- und der Ministerratspräsident sich im selben Sinne ausgesprochen hatten, geruhten Se. Majestät zu befehlen, daß die für die Verfassungsrevision aufgestellte Kommission sich mit der Textierung des über die Aufhebung der sogenannten Grundrechte im Ah. Patente einzuschaltenden Satzes zu beschäftigen habe.
Gegen den Inhalt der hierauf vorgelesenen Entwürfe von Ah. Handschreiben an den Minister- und den Reichsratspräsidenten ergab sich von keiner Seite eine Erinnerung.
Hierauf wurde der Sr. Majestät vom Reichsrate vorgeschlagene Entwurf der Grundzüge des neuen politischen und gerichtlichen Organismus vorgelesen5, welcher bereits das Substrat der am 26. und 27. Dezember 1851 im Ministerrate gepflogenen Vorberatungen gebildet hatte, wobei Se. Majestät die von dem Ministerrate in Vorschlag gebrachten Modifikationen des Entwurfes zur Beratung der Konferenz zu bringen geruhten.
§ 1. Gegen den Vorschlag, bei Aufzählung der Länder des Kaiserreichs statt „die gefürstete Grafschaft Tirol und Vorarlberg“ zu setzen „die gefürstete Grafschaft Tirol mit dem Lande Vorarlberg“ ergab sich von keiner Seite eine Erinnerung, nachdem der Minister des Inneren aufgeklärt hatte, daß diese letztere Bezeichnung bereits bei Hinausgabe der Tiroler Landesordnung, nach dem Wunsche des Landes selbst, in Anwendung gebracht worden sei. Vorarlberg sei weder ein Bestandteil der Grafschaft Tirol, noch eine selbständige Grafschaft, sondern nur der Komplex der sogenannten vorarlbergischen Herrschaften.
Der Ministerrat hatte nach den Worten „das Großfürstentum Siebenbürgen“ folgenden Zusatz beantragt: „mit Inbegriff des Sachsenlandes, des Verwaltungsgebiets der Woiwodschaft Serbien und des Temescher Banats.“|| S. 457 PDF ||
Gegen diesen Antrag erklärte sich Reichsrat Fürst Salm, indem diese Länderbenennungen nicht auf althistorischem Grunde beruhen, die darunter gemeinten Gebiete früher stets als unter Ungarn und Siebenbürgen begriffen galten und es vielseitig, in Ungarn sowohl als in Siebenbürgen, schmerzlich berühren würde, wenn den gedachten Gebieten, durch ihre abgesonderte Aufzählung im § 1, eine getrennte Stellung als Kronland gewissermaßen zuerkannt würde. Derselben Meinung traten auch die Reichsräte Graf Zichy und v. Szőgyény bei, während die übrigen Reichsräte glaubten, daß man sich, mit Übergehung der Woiwodina und des Banats, auf die Erwähnung des Sachsenlandes beschränken könnte.
Die Minister der Finanzen, der Justiz, des Kultus, der Landeskultur und des Krieges erinnerten, daß die Aufzählung der Länder in § 1 mit ihrer Eigenschaft als Kronländer nicht im Zusammenhang stehe, sonst würde man dort Krakau, Zator, Auschwitz und Fiume nicht anführen können; es handelt sich vielmehr bloß um Bezeichnung des Territoriums.
Insofern fänden daher das Sachsenland und die Woiwodina dort ganz ordnungsmäßig ihren Platz. Die Weglassung des Sachsenlandes wäre für die sächsische Nation, welcher die Unabhängigkeit im Jahre 1848 ausdrücklich zuerkannt wurde6, sehr kränkend. Die Woiwodschaft bestehe faktisch als getrenntes Statthaltereigebiet, und es werde von den Serben darauf ein großer Wert gelegt.
Der Minister des Inneren äußerte, das Sachsenland könne neben Siebenbürgen wohl ebenso genannt werden, wie Vorarlberg neben Tirol; indes lege er darauf keine so große Wichtigkeit, als auf die Erwähnung der Woiwodschaft. Hier bestehe ein faktisches Verhältnis, welches man nicht mit Stillschweigen übergehen könne. Se. kaiserliche Hoheit Erzherzog Albrecht seien zum Statthalter des „Königreichs Ungarn“ ernannt worden, ohne daß der Woiwodschaft dabei Erwähnung geschah7. Dieselbe gelte mithin dermal als außerhalb Ungarns gelegen; sie stehe unter einem besonderen Statthalter, und dieses Territorium scheine daher bei der Aufzählung im § 1 nicht wohl übergangen werden zu können.
Der Reichsratspräsident schlug vor, im § 1 die mit mancherlei Schwierigkeiten verbundene Länderaufzählung dadurch zu umgehen, daß bloß gesagt werde: „Die unter den alten historischen oder neuen Titeln im österreichischen Kaiserstaate vereinigten Länder bilden die untrennbaren Bestandteile der österreichisch-kaiserlichen Erbmonarchie.“
Der Ministerratspräsident stimmte für die ausdrückliche Erwähnung des Sachsenlandes und der Woiwodschaft.
Se. Majestät der Kaiser geruhten die Schlußfassung über diesen Punkt Ah. Sich vorzubehalten.
Der vom Ministerrate zum § 6 vorgeschlagene Vorbehalt wegen Bestellung von Zwischenbehörden in Ungarn zwischen der Statthalterei und den Komitatsbehörden wurde von Ah. Sr. Majestät − als zum Detail des Verwaltungsorganismus gehörig, und übrigens keineswegs ausgeschlossen − beseitigt.|| S. 458 PDF ||
Se. Majestät der Kaiser verordneten die Beibehaltung der vom Ministerrate als entbehrlich angedeuteten Parenthesis „(nicht die Katastral- sondern) die faktisch bestehenden Bezirksgemeinden etc.“ im § 7, nachdem der Reichsratspräsident aufgeklärt hatte, man habe bei dieser Textierung im Auge gehabt auszusprechen, daß die großen Grundbesitzer − mögen sie auch zur Katastralgemeinde gehören − nicht in die Ortsgemeinde notwendig einzubeziehen sind.
Zum § 9 brachte Minister Graf Thun in Vorschlag, daß der große herrschaftliche Grundbesitz nicht dem Bezirks-, sondern dem Kreisamte unterzuordnen wäre; das Personal des Bezirksamts werde nämlich einem mächtigen und reichen großen Grundbesitzer gegenüber nicht immer seine Unabhängigkeit und Unbefangenheit bewahren können; auch werde dadurch die Kompetenzfrage über Grundbesitzer, die in mehreren Bezirken begütert sind, gelöst. Wolle man aber die Frage jetzt nicht präjudizieren, so dürfte man im § 9 statt „und unmittelbar dem Bezirksamte untergeordnet werden“ sagen „und den lf. Behörden untergeordnet werden.“
Reichsrat Fürst Salm trat dieser Meinung mit der Modifikation bei, daß die großen Grundbesitzer unmittelbar den Statthaltereien unterzuordnen wären, da Fürst Salm sich im Prinzip gegen den Fortbestand der Kreisämter als Zwischenbehörde erklären müsse. Die Reichsräte v. Salvotti und v. Purkhart fänden gegen die vom Grafen Thun vorgeschlagene Textierung nichts zu erinnern.
Die Reichsräte Baron Buol, Graf Zichy, v. Szőgyény und Baron Krieg waren dagegen des Erachtens, daß die großen Grundbesitzer vom Bezirksamte nicht zu eximieren wären, da hiedurch der Instanzenzug wesentlich beirrt und die politischen Verhandlungen in öffentlichen Angelegenheiten, wobei große und kleine Grundbesitzer zugleich beteiligt sind, erschwert und verzögert werden würden.
Die sämtlichen übrigen Minister erklärten sich gleichfalls für die Beibehaltung der Textierung des Entwurfs, und nachdem der Reichsratspräsident noch schließlich angedeutet hatte, daß dieselbe die weitere Frage über die juridische Kompetenz des großen Grundbesitzes und seines Eigentümers noch immer offen lasse, indem es sich hier nur um das Bezirksamt als politische Behörde handelt, geruhten Se. Majestät die Fassung des Entwurfs § 9 Ah. zu genehmigen.
Zum § 13 geruhten Se. Majestät den vom Ministerrate vorgeschlagenen Ausdruck „Gemeinden“ − statt Gemeindevorstände − genehm zu halten, und es bei den Worten des Entwurfs „Staats- und Landesangelegenheiten“ bewenden zu lassen.
Im 2. Satze desselben Paragraphes wurde nach „gewisse“ eingeschaltet „wichtigere“, da, wie der Ministerrat angedeutet hatte, die Gemeinden darin die Beruhigung finden werden, daß man die Bevormundung nicht auf alle, selbst unwichtige Gemeindeangelegenheiten auszudehnen gedenke.
Über den, vom Ministerrate vorgeschlagenen Zusatz nach Behörden „unter Mitwirkung der denselben zur Seite zu stellenden beratenden Ausschüsse“, bemerkte der Reichsratspräsident , daß derselbe zwar eine ganz richtige Bestimmung enthalte, dieselbe jedoch an einem anderen Orte passender angebracht werden dürfte.
Se. Majestät fanden von diesem Zusatze Umgang zu nehmen.
Zu § 18 glaubten Reichsrat v. Salvotti und der Justizminister vorschlagen zu sollen, daß die Unabhängigkeit des Richters − zu seiner und des Publikums Beruhigung − hier|| S. 459 PDF || speziell, und zwar, nach dem Vorgange anderer Staaten, noch mehr zu wahren sei, als die der Beamten anderer Kategorien.
Der Minister des Inneren glaubte sich gegen eine solche Bevorzugung des Bezirksrichters vor dem neben ihm fungierenden politischen Beamten verwahren zu sollen, und nachdem der Reichsratspräsident erklärt hatte, die Wahrung der Unabhängigkeit des Richterstandes werde ihre nähere Normierung in der Dienstespragmatik finden, geruhten Se. Majestät Ah. Sich für die Beibehaltung des Texts im Entwurfe auszusprechen.
§ 19. Wurde der Zusatz nach „Instanzen aber“ − „im lombardisch-venezianischen Königreiche“ Ah. genehmigt.
Der Ministerrat hatte vorgeschlagen, daß nach § 19 ein eigener Paragraph folgenden Inhalts eingeschaltet werde.
„Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch soll als das gemeinsame Recht für alle Angehörigen des österreichischen Staates auch in jenen Ländern, in welchen es dermal noch nicht Geltung hat, mit Beachtung der eigentümlichen Verhältnisse derselben eingeführt, und ebenso ein Strafgesetz für den ganzen Umfang des Reiches in Wirksamkeit gesetzt werden.“
Reichsrat Fürst Salm stimmte gegen die allgemeine Einführung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, als verfrüht. Noch manches müsse in den politischen und sozialen Verhältnissen Ungarns, Siebenbürgens und Kroatiens anders werden, bevor das Gesetzbuch vom Jahre 1811 dort mit Nutzen eingeführt werden könne, und indem man sich dessen als eines letzten sehr erwünschten Zieles bewußt werde, möge man doch für jetzt von jeder bestimmten, einem Versprechen gleich kommenden Bedeutung Umgang nehmen.
Reichsrat Graf Zichy hielt die Einführung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches in Ungarn dermal für unmöglich; man könne eine Jahrhunderte alte und mit den Landessitten im Zusammenhang stehende Gesetzgebung nicht plötzlich mit einer neuen, auf fremde Verhältnisse berechneten, vertauschen. Eine allgemeine Verwirrung würde die Folge einer solchen Maßregel sein.
Reichsrat v. Szőgyény erkannte zwar die Einführung eines verbesserten Strafgesetzes in Ungarn als eine Wohltat; nicht so aber die des österreichischen bürgerlichen Gesetzbuches. Die völlige Einheit des Zivilrechts in der ganzen Monarchie werde man dadurch doch nicht erzielen, indem die Avitizität, selbst nach ihrer Abschaffung, und manche andere Eigentümlichkeiten Ungarns, es fortan unerlässlich machen werden, daß daselbst gewisse besondere Gesetze bestehen. Für dieses Land dürfte es dermal genügen, wenn daselbst, mit Beibehaltung des ungarischen Rechts, solche Einrichtungen getroffen werden, daß die Gerichtspflege unabhängig, schnell und wohlfeil geübt werde.
Reichsrat v. Purkhart stimmte gleichfalls für den Aufschub der Einführung des österreichischen Zivilrechtsb in Ungarn.
Reichsrat Baron Buol war wenigstens gegen die unmittelbare Einführung des Zivilrechts.|| S. 460 PDF ||
Reichsrat Baron Krieg − mit der Einführung in thesi einverstanden − würde nur glauben, daß sich vor der Regulierung der Avitizität und des Erbrechts nicht darüber Ah. Ortes auszusprechen wäre.
Reichsrat v. Salvotti verkennt nicht die Schwierigkeiten dieser Einführung, welche jedenfalls nur mit gewissen Modifikationen möglich sein werde, glaubt aber doch, daß vorläufig der Grundsatz hier, in der vom Ministerrate vorgeschlagenen Weise, anzuerkennen wäre.
Der Finanz- und Handelsminister glaubte die baldigste Einführung des österreichischen Zivilrechts, im Interesse des Verkehrs, lebhaft bevorworten zu sollen.
Der Justizminister fand, daß in den großen organischen Grundzügen über die künftige Gestaltung des Justizwesens dieses Prinzip − als ein vorgesetztes, unfehlbar zu erreichendes Ziel − nicht fehlen dürfe. Man überschätze die Schwierigkeiten, welche sich der Einführung des österreichischen Zivilrechts in Ungarn entgegenstellen. In den deutschen Provinzen sei der Übergang vom römischen Rechte im Jahre 1811 binnen wenig Monaten gemacht worden; ebenso in Galizien − wo sich früher nach dem alten polnischen Rechte benommen wurde − der Übergang zum gemeinen Rechte, nach der Teilung Polens.
Derselben Ansicht traten auch die Minister der Landeskultur, des Krieges, des Kultus und [der Minister] des Inneren bei − welcher letztere darauf hinwies, daß die Einführung des österreichischen bürgerlichen Gesetzbuches statt des Code Napoleon im lombardisch-venezianischen Königreiche ungeachtet der wesentlichen Eigentümlichkeiten dieser Länder auf keine Schwierigkeiten gestoßen sei und sich vielmehr daselbst ebenso gut bewährt habe, als es sich demnächst in Krakau bewähren wird.
Minister Dr. Bach ging hierauf speziell auf die Bestandteile des Gesetzbuches ein; er zeigte, daß das Personenrecht wenig Schwierigkeiten bieten könne, zumal ein Hauptteil desselben − das Eherecht − ohnehin im Wege eines Konkordats für alle Länder gleichförmig geregelt werden müsse. Über die Notwendigkeit der ganz neuen Regulierung des ungarischen Erbrechts sei ohnehin bereits die ganze Welt einig, wie auch über das Bedürfnis der Einführung eines Hypothekargesetzes. Das ungarische Vertragsrecht stimme mit dem römischen, dem Wesen nach, überein − somit auch mit dem auf letzteres gebauten österreichischen Vertragsrechte. Die überwiegende Mehrheit der österreichischen Bevölkerung erwarte und wünsche einen Ah. Ausspruch über die Einführung eines gleichen bürgerlichen Gesetzes in allen Ländern der Monarchie.
Der Reichsratspräsident erklärte, er könne seinerseits die Erreichung dieses Zieles nur als sehr wünschenswert betrachten. Wofern Se. Majestät Ah. Sich für den Ausspruch des Grundsatzes nach der vom Ministerrate vorgeschlagenen Fassung zu entscheiden geruhen, dürfte nur der Zwischensatz „und mit den angemessenen Vorbereitungen“ nach den Worten „mit Beachtung der eigentümlichen Verhältnisse“ eingeschaltet werden, um die Bewohner der beteiligten Länder darüber zu beruhigen, daß es sich nicht um eine augenblickliche und unvorbereitete Einführung des neuen Gesetzes handle.
Se. Majestät der Kaiser geruhten hierauf den vom Ministerrate formulierten Paragraph mit dem vom Reichsratspräsidenten vorgeschlagenen Zusatze Ah. zu genehmigen.
§ 21/22 enthält die Beseitigung der Schwurgerichte. Der Kultusminister sprach den Wunsch aus, daß diese Institution, da sie für die Zukunft beseitigt werden soll, lieber sogleich, ganz und allenthalben abgestellt werden möchte.|| S. 461 PDF ||
Diesem Vorschlage begegnete der Justizminister mit der Einwendung, daß man die Schwurgerichte notwendig so lange bestehen lassen müsse, bis die Gesetze über das Verfahren der Gerichte, die an ihre Stelle zu treten haben, Ah. Orts erlassen worden sind.
Se. Majestät der Kaiser geruhten die baldige Vorlage der diesfälligen Gesetzentwürfe anzubefehlen.
Der § 23 wurde von Sr. Majestät in folgender, vom Ministerrate vorgeschlagenen Fassung Ah. genehmigt: „Bei den Übertretungen und Vergehen, welche nicht der Kompetenz der Kollegialgerichte zugewiesen werden, hat das inquisitorische Verfahren, in möglichst einfacher Form, stattzufinden.“
Statt des § 22 des Reichsratsentwurfs hatte der Ministerrat folgende Bestimmung vorgeschlagen: „Bei den Verbrechen und jenen Vergehen, welche den Kollegialgerichten zugewiesen werden, ist das Verfahren nach dem Anklageprozesse in der Art einzurichten, daß die Funktion des Staatsanwaltes bei dem Kollegialgerichte von Mitgliedern dieses Gerichts auszuüben ist und dem Angeklagten ein Verteidiger beigegeben wird.“
Nachdem Reichsrat v. Salvotti aus diesem Anlaß seine Ansichten über den nützlichen Einfluß der Staatsanwaltschaft auf die Verbesserung und Belebung des inquisitorischen Prozesses entwickelt und auf die Notwendigkeit hingewiesen hatte, dem Staatsanwalte eine nur vom Justizminister abhängige Stellung zu geben, ergriff der Justizminister das Wort, um seine gleiche Überzeugung und die Meinung auszusprechen, daß ebendeswegen kein Mitglied des Kollegialgerichts mit den Funktionen des Staatsanwalts betraut werden könne, weil es nicht die nötige Unabhängigkeit vom Präsidenten haben werde. Die Kosten dürften dadurch nicht vermehrt werden, und ebensowenig werde es dem Staatsanwalte an hinlänglicher Beschäftigung fehlen − wenn ihm gleich die, zu mancherlei Reibungen führende Kontrolle des Gerichts abgenommen und seine Tätigkeit bloß auf die Anklage beschränkt wird.
Der Justizminister setzte ferner auseinander, daß die Bestimmungen der § 22, 24, 25, 26 und 27 des Entwurfes den eigentlichen legislativen Bestimmungen zu sehr vorgreifen und in Details eingehen, deren dermalige vorläufige Präjudizierung bei der demnächst beginnenden Ausarbeitung der Gesetzesvorschläge die größten Schwierigkeiten bereiten könnten. Man bindet sich die Hände und ist dadurch vielleicht in die unangenehme Alternative versetzt, entweder statt eines wohlkombinierten Ganzen ein Stückwerk zu liefern, oder von den festgesetzten und öffentlich ausgesprochenen Grundsätzen abzuweichen.
Ritter v. Krauß erlaube sich daher, statt der obgedachten Paragraphen des Entwurfs, folgende zwei Paragraphen in Vorschlag zu bringen.
§ 24. In den Strafsachen, welche den Kollegialgerichten zur Verhandlung zugewiesen sind, ist der Grundsatz der Anklage, der Bestellung eines Verteidigers für den Angeklagten und der Mündlichkeit im Schlußverfahren zu beobachten.
§ 25. Die Anklage ist durch die Staatsanwaltschaft zu vermitteln, deren Wirkungskreis auf die Mitwirkung in Strafsachen zu beschränken ist.
Se. Majestät der Kaiser geruhten hierüber zu bestimmen, daß der § 24 des Entwurfs, welcher die Beweistheorie aufstellt, wegzulassen, dagegen aber der § 27, worin die Nichtöffentlichkeit des Verfahrens ausgesprochen wird, beizubehalten sei.
Der Justizminister hätte geglaubt, daß wenn überhaupt jetzt schon in das Detail der Strafurteilsformen einzugehen wäre (§ 25), statt der dritten Form „Freisprechung von|| S. 462 PDF || der Anklage“ der Ausdruck „nicht überwiesen“ zu wählen sein dürfte − das non liquet, oder die ab instantia Lossprechung des älteren Strafprozesses − weil die Worte „nicht überwiesen“ klar ausdrücken, daß nicht aller Verdacht behoben, sondern die Untersuchung nur aus Mangel voller Beweise der Schuld aufgehoben worden sei. Die „Freisprechung von der Anklage“ könnte vielleicht im Publikum häufig als eine völlige Schuldloserklärung gedeutet werden.
Reichsrat v. Salvotti glaubte dagegen, daß die Form „Freisprechung von der Anklage“, welche auch durch mehrere fremde Gesetzgebungen angenommen worden ist, den rechtlichen Verhältnissen völlig entspreche.
Se. Majestät der Kaiser geruhten den § 25 des Reichsratsentwurfes in seiner ganzen Fassung Ah. zu genehmigen.
§ 31. Über die Ah. Ortes gestellte Frage, ob in allen Straffällen ohne Unterschied das Oberlandesgericht die zweite Instanz sein sollte, äußerte der Justizminister, er glaube, daß die Übertretungen und geringen Vergehen den Kollegialgerichten zur Entscheidung in zweiter Instanz wohl unbedenklich überlassen bleiben könnten. Die Verweisung dieser Erkenntnisse an die Oberlandesgerichte werde dieselben mit Arbeiten dergestalt überhäufen, daß man sich zu einer sehr kostspieligen Vermehrung des Standes dieser Obergerichte genötigt sehen werde. In Böhmen allein seien während eines Jahres 34.000 Anzeigen von Übertretungen und 7000 von Vergehen vorgekommen.
Die Reichsräte Baron Krieg und v. Salvotti fanden dagegen die doppelte Stellung der Kollegialgerichte, als Behörden erster und zweiter Instanz, abnorm und glaubten, daß bei Beobachtung des schriftlichen Verfahrens alle Rekurse von den Oberlandesgerichten unschwer würden erledigt werden können, da die am zahlreichsten vorkommenden Fälle sehr einfacher Natur sind.
Se. Majestät geruhten hierauf Ah. zu bestimmen, daß alle Entscheidungen über Straffälle in zweiter Instanz von den Oberlandesgerichten zu fällen sein werden − und daß die in Frage stehenden Paragraphe, gemäß der Ah. Beschlüsse, einer neuen, sorgfältigen Textierung zu unterziehen seien.
Gegen den vom Ministerrate zum § 34 vorgeschlagenen Ausdruck „in den besonderen Gesetzen“ statt „in den Gerichtsordnungen“ ergab sich von keiner Seite eine Erinnerung, ebensowenig als gegen den Zusatz „beratende“ vor „Ausschüsse“ im § 36.
Der Ministerrat hatte vorgeschlagen, daß unter den Faktoren, aus welchen die Ausschüsse laut § 36 zusammenzusetzen sein werden, „die Persönlichkeiten der Kirche und Unterrichtsanstalten“ nicht anzuführen wären, nachdem die katholische Kirche als solche bei der ihr in neuester Zeit angewiesenen unabhängigen Stellung im Staate nicht wohl auf einen politischen Einfluß Anspruch machen könne.
Reichsrat Graf Zichy glaubte, der Kirche die Teilnahme an den Ausschüssen vindizieren zu sollen, zumal in Ungarn die höhere Geistlichkeit verfassungsmäßig unter den Ständen stets den ersten Platz behauptet habe.
Auch die Reichsräte Fürst Salm und Freiherr v. Krieg glaubten, daß der Kirche in § 36 Erwähnung geschehen solle, teils zum Zeichen des Gewichtes, welches von der Regierung auf ihren Beirat gelegt wird, teils weil die Geistlichkeit in der Lage ist, viele der wahren und dringenden Bedürfnisse des Landes und Volkes genau zu kennen und Mittel zur Abhilfe an die Hand zu geben.|| S. 463 PDF ||
Der Kultusminister entgegnete hierauf, daß die meisten hohen geistlichen Würdenträger und die reicheren Klöster ohnehin, als große Grundbesitzer, ihren Platz in den Ausschüssen finden werden und daß es ihm nicht nötig schiene, noch weiter zu gehen und den Klerus, seinem eigentlichen Berufe zuwider, in politische Angelegenheiten zu verwickeln, besonders da es dann schwer werden würde, dem nichtkatholischen Klerus die Vertretung in den Ausschüssen zu verweigern. Bei der Wichtigkeit dieser Frage, welche noch einer späteren, reifen Erwägung unterzogen werden dürfte, geruhten Se. Majestät der Kaiser den Vorschlag des Reichsratspräsidenten zu genehmigen, daß darüber in den jetzt zu veröffentlichenden Grundsätzen noch nicht definitiv zu entscheiden, sondern die nähere Bestimmung der Faktoren, aus welchen die Ausschüsse zu bilden kommen, den späteren Ah. Verfügungen vorzubehalten wäre.
Nachdem über den weiteren Inhalt des Entwurfes von keiner Seite mehr eine Erinnerung vorgebracht wurde, geruhten Se. Majestät der Kaiser den Ministern zur Pflicht zu machen, daß die Bearbeitung der Entwürfe zu den erforderlich werdenden neuen Gesetzen mit genauer Beobachtung der Ah. Orts vorgezeichneten Grundsätze vorgenommen und möglichst beschleunigt werden.
Der Justizminister erhielt auch sofort die von ihm angesuchte Ah. Ermächtigung, eine vorläufige Skizze über das Detail der jenen Grundsätzen entsprechenden neuen gerichtlichen Einrichtungen vorläufig der Ah. Genehmigung unterziehen zu dürfen, um auf diese Weise die Richtpunkte für die nähere Ausarbeitung zu gewinnen8.
Schließlich geruhten Se. Majestät der Kaiser die Anzeige des Ministerpräsidenten, daß der Kultusminister den Platz des Freiherrn v. Krauß in der engeren Kommission für die Verfassungsrevision einnehmen werde, genehmigend zur Ah. Wissenschaft zu nehmen9.