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Nr. 607 Ministerrat, Wien, 27. Dezember 1851 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 28. 12.), Bach 28. 12., Thinnfeld 2. 1., Thun, Csorich, Krauß, Baumgartner 2. 1.; abw. Stadion, Kulmer.

MRZ. 4377 – KZ. 4624 –

Protokoll der am 27. Dezember 1851 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Fürsten Felix von Schwarzenberg.

[I.] Verfassungsrevision (8. Beratung)

Der Gegenstand der heutigen Besprechung des Ministerrates waren die von dem Ministerpräsidenten in der gestrigen Ministerratssitzung mitgeteilten, von Sr. Majestät an ihn gelangten Grundzüge, nach welchen die Bearbeitung der wichtigsten und dringendsten Gegenstände der Organisierung nach Aufhebung der Reichsverfassung eingeleitet werden soll1.

Zu § 1 des diesfälligen Entwurfes wurde beschlossen, statt „Tirol und Vorarlberg“, zu sagen „Tirol mit dem Lande Vorarlberg“, weil Vorarlberg niemals eine gefürstete Grafschaft für sich war aund diese berichtigte Bezeichnung bereits in dem Tiroler Landesstatute über dortigen Antrag von Sr. Majestät sanktioniert vorliegta ; ferner vor dem Worte „Militärgrenzgebiete“ das Verwaltungsgebiet der Woiwodschaft Serbien und des Temescher Banates zu setzen und bei Anführung des Großfürstentumes Siebenbürgen den Einschluß „mit Inbegriff des Sachsenlandes“ beizubehalten.

Dafür wurde geltend gemacht, daß die Woiwodschaft mit dem Patente vom 15. Dezember 1848 hergestellt wurde, daß Se. Majestät bmit dem Patente vom 18. November 1849 b mit dem Patente vom 18. November 1849 den Titel „Großwoiwode“ zu den übrigen Titeln aufzunehmen geruhten2 und daß in diesem Paragraphe auch andere Länder angeführt werden, die keine Kronländer sind, wie z. B. Krakau, cZator, Auschwitzc und Fiume.

Was insbesondere das Sachsenland anbelangt, so haben Se. Majestät diesem Lande eine unmittelbare Administration zuzugestehen geruhet3, und die Sachsen haben historische, verbriefte Rechte für sich.

Zu dem § 6 wäre zuzufügen: „Im Königreiche Ungarn bleibt, in Anbetracht der großen Ausdehnung, die Aufstellung von leitenden Oberbehörden zwischen den Komitatsbehörden und der Statthalterei, nach Maßgabe des Bedürfnisses der Verwaltung, vorbehalten.“|| S. 452 PDF ||

Von der Ausscheidung der Murinsel aus dem Territorium von Ungarn wäre nicht notwendig zu sprechen, da sie ohnedies mit Kroatien vereiniget ist und unter derselben Administration steht.

Im § 7 wären die eingeklammerten drei Worte „nicht die Katastralgemeinden, sondern“, welche ohnehin keine Disposition enthalten, wegzulassen.

Zu § 8 bemerkte der Justizminister , daß hier das Epitheton „königliched landesfürstliche“ vor Städten wegzulassen wäre, weil es Städte gibt, die eine eigene Jurisdiktion ausübten, und doch keine landesfürstlichen waren. Diese würden sich für ausgeschlossen halten, und sollen doch wie die landesfürstlichen behandelt werden.

Mit dem Justizminister für die Weglassung des gedachten Epitheton stimmten die Minister v. Thinnfeld und Ritter v. Baumgartner, während die übrigen Stimmführer, also die Mehrheit, sich für die unveränderte Beibehaltung dieses Artikels erklärten.

§ 13 wäre erstens nach „Verbindlichkeit“ statt „für Gemeindevorstände“ zu setzen „für die Gemeinden“; zweitens statt „Staats- und Landesangelegenheiten“ wären die Worte „öffentliche Angelegenheiten“ zu gebrauchen; drittens nach „gewisse“ einzuschalten „wichtigere“, und viertens wären nach „Behörden“ die Worte zu setzen „unter Mitwirkung der denselben zur Seite zu stellenden beratenden Ausschüsse.“

§ 19. „Die Trennung der Justizpflege von der Verwaltungsbehörde soll bei den Justizkollegial­gerichten, dann den zweiten und dritten Instanzen allgemein, bei den ersten Instanzen aber im lombardisch-venezianischen Königreiche und dort, wo es als unerläßlich anerkannt wird, stattfinden.“

Zwischen den §§ 19 und 20 wäre ein eigener Paragraph aufzunehmen, des Inhalts: „Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch soll als das gemeinsame Recht für alle Angehörigen des österreichischen Staates, auch in jenen Ländern, in welchen es dermalen noch nicht Geltung hat, mit Beachtung der eigentümlichen Verhältnisse derselben eingeführt, und ebenso das Strafgesetz für den ganzen Umfang des Reiches in Wirksamkeit gesetzt werden.“e

Die §§ 22 und 23 hätten in folgender Art zu lauten:

„§ 22. Bei den Übertretungen und Vergehen, welche nicht der Kompetenz der Kollegialgerichte zugewiesen werden, hat das inquisitorische Verfahren in möglichst einfacher Form stattzufinden.

§ 23. Bei Verbrechen und jenen Vergehen, welche den Kollegialgerichten zugewiesen werden, ist das Verfahren nach dem Anklageprozesse in der Art einzurichten, daß die Funktion des Staatsanwaltes bei dem Kollegialgerichte von Mitgliedernf dieses Gerichtes auszuüben ist und dem Angeklagten ein Verteidiger zugestanden wird.“ gDer Justizminister glaubte, es müßten eigene Staatsanwalt­schaftsbeamte zur Vermittlung und Aufrechthaltung der Anklage bestimmt werden, weil ihre Funktionen so wichtig und häufig sind, daß sie nicht als Nebensache behandelt werden können. Übrigens könnte ausdrücklich beigefügt werden, daß ihre Amtswirksamkeit sich auf den Anklageprozeß zu beschränken habe.g Der Justizminister glaubte, es müßten eigene Staatsanwalt­schaftsbeamte zur Vermittlung und Aufrechthaltung der Anklage bestimmt werden, weil ihre Funktionen so wichtig und häufig sind, daß sie nicht als Nebensache behandelt werden können. Übrigens könnte ausdrücklich|| S. 453 PDF || beigefügt werden, daß ihre Amtswirksamkeit sich auf den Anklageprozeß zu beschränken habe.

Der § 24 wäre nach Weglassung des ersten Satzes lediglich auf den letzten Satz zu beschränken: „Das Urteil wird in das Gewissen und die subjektive Überzeugung der Richter gelegt.“

Der § 25 hätte, als zu speziell, ganz zu entfallen. Das darin Enthaltene ist abstrakt technisch und gehört in das Detail der Gesetzgebung.

Der § 26 hätte, mit Weglassung des übrigen, so zu lauten: „Das mündliche Verfahren hat nur bei der Schlußverhandlung in der ersten Instanz hbei Kollegialgerichtenh stattzufinden.“

Zu § 30 wäre beizusetzen: „Dieselben haben zugleich die zweite Instanz in den den Bezirksämtern zugewiesenen Straffällen zu bilden.“

Im § 31 wäre nach „die“ einzuschalten „in allen übrigen Angelegenheiten als zweitei Instanz fungier­enden Oberlandesgerichte“ etc. jDer Justizminister wäre für die Beibehaltung des ursprünglichen Textes nur mit Weglassung der sich ohnedies verstehenden Worte „mit Berücksichtigung und Beschränkung auf das strengste Bedürfnis“.i

§ 34. Die Wirksamkeit der Justizbehörden wird (statt „in der Gerichtsordnung und Strafprozeßordnung“) „in den besonderen Gesetzen“ die nähere Bestimmung finden.

Im § 36 wäre nach „werden“ einzuschalten „beratende“ Ausschüsse.

Der Minister des Kultus und des öffentlichen Unterrichtes Graf Thun brachte bei der Vertretung wiederholt in Anregung, daß kder Kirche und den Unterrichtsanstalten eine Teilnahme an der Vertretung nicht zugesichert werde, weil Unterrichtsanstalten keine selbständigen Korporationen sind, was aber die Kirche anbelangt, es weder notwendig noch rätlich − in ihrem eigenen Interesse − erscheine, sie in politische Verhandlungen im Allgemeinen zu verwickeln.j

Der Ministerrat hat, diese Ansicht teilend, sich für die Auslassung der Kirche und der Unterrichtsanstalten bei der Vertretung ausgesprochen.

Der Justizminister Ritter v. Krauß brachte mit Beziehung auf die Beratung vom gestrigen Tage neuerdings in Anregung, daß es im hohen Grade wünschenswert wäre, wenn in dem Ah. Patente nebst der Gleichheit vor dem Gesetze und der Aufhebung des Untertansverbandes noch einiger anderer wichtiger Zugeständnisse Erwähnung getan würde, um die Bevölkerung, welche darauf einen hohen Wert legt, über die Besorgnis ihrer Entziehung beruhiget werde.

Dahin gehören, seiner Meinung nach, die Wahrung der Nationalität und Sprache, die Freizügigkeit im ganzen Reichsgebiete, die Rechte der anerkannten Religionsgesellschaften, die Zugänglichkeit aller Ämter und Staatsdienste für jeden Befähigten.

|| S. 454 PDF || Hinsichtlich des schließlich vorgelesenen Patentsentwurfes ergab sich mit Ausnahme zweier vorgeschlagener Wortänderungen sonst keine Erinnerung4.

Wien am 28. Dezember 1851. Schwarzenberg. Ah. E. Ich haben den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 30. Dezember 1851.