Nr. 572 Ministerrat, Wien, 20. Oktober 1851 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 21. 10.), P. Krauß 22. 10., Bach 22. 10., Thinnfeld 22. 10., Thun, Csorich, K. Krauß, Baumgartner; abw.abwesend Stadion, Kulmer.
MRZ. 3564 – KZ. 3792 –
Protokoll der Sitzung des Ministerrates, gehalten zu Wien am 20. Oktober 1851 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses FML. Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Gebrauch des Ah. Titels „apostolische“ Majestät
Der Minister des Inneren stellte die Frage, welche Ausdehnung dem Ah. Befehle vom 12. d. M., Z. 3522, über den Gebrauch des Ah. Prädikats „apostolisch“ in den Kundmachungen der das Königreich Ungern und insonderheit dessen Klerus betreffenden Ah. Beschlüsse zu geben1, ob nämlich dieses Prädikat nur bei den Kundmachungen in Ungern oder bei allen Kundmachungen allgemeiner, also auch für Ungern geltender Ah. Beschlüsse, oder endlich überhaupt bei allen Kundmachungen kaiserlicher Beschlüsse in Anwendung zu bringen sei.
Der Wortlaut des Ah. Kabinettschreibens vom 12. d. M. deutet wohl nur die erste Modalität an, involviert aber dem Geiste nach auch die zweite, nämlich den Gebrauch des Prädikats bei Kundmachung allgemeiner, auch das Königreich Ungern betreffender Ah. Anordnungen.
Da indessen wichtige politische Rücksichten für die Beobachtung einer vollkommenen Gleichförmigkeit in dieser Beziehung sprechen, so vereinigte sich der Ministerrat in dem bei Sr. Majestät zu stellenden Antrage, daß sich des fraglichen Prädikats in allen Kundmachungen kaiserlicher Beschlüsse bedient werde2.
II. Invalidenfonds
Der Kriegsminister gab mit Beziehung auf die Deliberation vom 17. d. [M.] Nr. I X nachstehende Aufschlüsse über den Stand und die Verhältnisse der fünf Invalidenfonds. Der Radetzkyfonds ist vom Wiener Gemeinderat gegründet und wird auch von demselben ohne Einflußnahme des Kriegsministerii verwaltet. Der Welden-, Haynau- und Latourfonds werden vom Kriegsministerium verwaltet. Der Jellačićfonds endlich ist doppelt: der Provinzialfonds, auf dessen Verwaltung das Kriegsministerium keinen Einfluß übt, und der Baron-Jellačić-Fonds, welcher vom Kriegsministerium verwaltet wird. Die Verteilung der Interessen dieser Fonds stehet den Namensträgern derselben zu. Dagegen ist auch kein Anstand, wohl aber hält es der Finanzminister im Interesse der Fonds selbst für notwendig, daß sich die Staatsverwaltung der Gebarung mit dem Stiftungskapital dieser Fonds versichere und daß die aus der letzten Lotterie zu Gunsten|| S. 295 PDF || dieser Fonds erzielten Gewinne per 220.000 f. an die Finanzen abgeführt und von diesen dafür Staatsschuldverschreibungen – man einigte sich in 4½%ige – hinausgegeben werden, welche sodann den Fonds zuzuschreiben wären3.
Der Kriegsminister erklärte, hiergegen im allgemeinen nichts erinnern zu sollen, sich jedoch in Ansehung des Radetzkyfonds die vorläufige Einsicht des Stiftbriefs vorbehalten zu müssen, um zu ermessen, ob nach demselben die Verwaltung des Fonds ans Kriegsministerium abgegeben werden könne4.
III. Erziehungsbeitrag für die Waisen nach Albert Koronay
Der Kriegsminister referierte über seinen vom Finanzministerium beanständeten Antrag auf Erwirkung von Erziehungsbeiträgen jährlicher 25 f. für jedes der drei Kinder der nur mit 100 f. pensionierten Feldkriegskanzleiadjunktenswitwe Koronay.
Der Hauptanstand gegen jenen Antrag war, daß keine Ah. Aufforderung zur Erstattung des Antrags auf diese günstigere Behandlung der Bittstellerin vorliegt. In praxi tritt jedoch dieser formelle Anstand mit besonderer Härte dort hervor, wo die Unzulänglichkeit der normalmäßigen Gebühr offenbar ist, wie im vorliegenden Falle. Der Finanzminister erklärte also seine Zustimmung zu dem vom Kriegsminister beabsichtigten Antrage auf die Beteilung der Kinder mit 25 f. jährlich; nur würde er 20 f. für jedes mit Rücksicht auf den Charakter und die Besoldung des Vaters (300 f.) für hinreichend gehalten haben5.
IV. Pensionsbehandlung des Johann Appel
Ebenso erklärte er seine Beistimmung zu dem Antrage des Unterrichtsministers , daß dem mit 350 f. besoldeten Hauptschullehrer in Troppau Johann Appel die als Gehilfe an einer Trivialschule zugebrachten vier Dienstjahre zu seiner weitern fast 37jährigen pensionsfähigen Schuldienstleistung eingerechnet, mithin ihm nach einer Gesamtdienstzeit von 41 Jahren der ganze Gehalt als Pension bemessen werden dürfe6.
V. Aufgebotsdispense
Der Kultusminister referierte in betreff der Dispens von allen drei Aufgeboten in den Fällen des § 86 ABGB., während in der Regel die Dispens hievon vom Gubernium und vom Kreisamte erteilt wird, räumt dieser § 86 der Ortsobrigkeit in Fällen einer nahen Todesgefahr dieses Recht ein. Infolge der Veränderung der politischen Behörden hat nun wohl in dieser Beziehung die Kreisregierung an die Stelle des Guberniums, die Bezirkshauptmannschaft an die Stelle des Kreisamts zu treten. Für die Ortsobrigkeit besteht aber kein Surrogat, und es wäre doch bedenklich, in allen Fällen des § 86 dem Lokalgemeindevorstande || S. 296 PDF || das fragliche Dispensationsrecht einzuräumen, während es wegen der Dringlichkeit der Angelegenheit wieder nicht ratsam ist, die Einholung der Dispens jederzeit an den oft sehr entfernten Bezirkshauptmann zu weisen. Andererseits wird nun auch Zeuge einer Kurrende des Olmützer Erzbischofs7 das Recht, vom Aufgebote zu dispensieren, in kirchlicher Beziehung von den Ordinariaten angesprochen. Um nun für Fälle der nahen Todesgefahr die Parteien nicht der mit dem Einholen der doppelten Dispens beim Konsistorium und beim Bezirkshauptmann notwendig verbundenen Verzögerung auszusetzen und ein gleichförmiges Verfahren in dieser Beziehung zu erzielen, hätte der Kultusminister beabsichtigt, eine Verhandlung mit den Bischöfen dahin einzuleiten, daß sich darüber vereinbart werde, derlei Dispensen vom betreffenden Bezirksdechante einvernehmlich mit dem Lokalortsvorsteher in kirchlicher und politischer Richtung erteilen zu lassen.
Der Minister des Inneren war dagegen der Meinung, daß, nachdem auch bisher wenigstens hier und da die kirchliche Dispens vom Aufgebote nebst der politischen angesucht worden ist, die Frage zu trennen und, während deren Normierung in kirchlicher Hinsicht den Bischöfen anheimgestellt bliebe, sich auf die Entscheidung der Kompetenzfrage für die Erteilung der politischen Dispens zu beschränken wäre8. Für diese hätte nun seines Erachtens statt der in § 86 ABGB. bezeichneten politischen Ortsobrigkeit der Bezirkshauptmann, und in Orten, welche eine eigene Gemeindeordnung haben, der Bürgermeister einzutreten. Diese Entscheidung wäre den Bischöfen zu ihrer weiteren Verfügung zu eröffnen und sich hierauf um so mehr zu beschränken, als es sich bis zur Revision des Gemeindewesens überhaupt hier nur um ein Interimisticum handelt.
Der Kultusminister erklärte sich mit dem Antrage des Ministers des Inneren einverstanden9.
VI. Besetzungsvorschlag für das Erzbistum Kalocsa
Der Kultusminister brachte ferner den Vorschlag vom 12. d. [M.], Z. 3536, zur Besetzung des Erzbistums in Kalocsa adurch Bischof Kunszta in Vortrag, gegen welchen sich von Seite des Ministerrates keine Erinnerung ergab10.
VII. Strafprozeßordnung (2. Beratung)
Fortsetzung der Beratung der Strafprozeßordnung für die Kronländer, wo keine Geschwornengerichte werden eingeführt werden11.|| S. 297 PDF ||
Es wurden die §§ 60 bis 98 beraten und mit unwesentlichen Änderungen angenommen.
Diese sind:
§ 77 wurde beim Nachspüren des Rufes der Zusatz „von Mund zu Mund“ gestrichen,
§ 81 statt „bei ihm gemachten“ Anzeigen beliebt „an sie gelangenden“.
§ 91. Da die pensionierten Offiziere von der Teilnahme an Geschwornengerichten befreit sind, so trug der Justizminister selbst darauf an, nicht nur – wie es im Entwurfe heißt – alle in aktiver Dienstleistung stehenden, sondern überhaupt alle Militärs von der Teilnahme an der Gerichtszeugenschaft freizulassen, also den Zusatz „in aktiver Dienstleistung stehende“ zu beseitigen und dafür „alle Militärpersonen überhaupt“ zu setzen.
§ 98 reklamierte der Finanzminister das dem Staatsanwalte seinem Berufe und seiner Institution nach zustehende Recht, von einer anhängig gemachten Untersuchung abzustehen, welches Recht hier dem Gerichte zugewiesen ist. Die Fälle, in denen das Gericht von einer Klage absteht, sind anders als die, wo der Staatsanwalt es tut. Ersteres tritt ein, wenn die Untersuchung voraussichtlich zu keinem Resultate führt; letzteres, auch wenn eine Verurteilung in Aussicht steht, aus wichtigen politischen Rücksichten. Die Beurteilung der letzteren dem Gerichte zu überlassen, geht nicht an. Der Finanzminister wünschte daher, daß es dem Staatsanwalte überlassen werde, die Anklage zurückzuziehen.
Der Justizminister entgegnete, daß es bedenklich sei, einer einzelnen Person, wie dem Staatsanwalt, das Recht, von der Voruntersuchung abzulassen, einzuräumen.
Dort, wo wirklich politische Gründe eintreten können, bei Hochverrats- und Preßprozessen, sei es der Regierung bei der Hauptverhandlung ohnehin gewahrt; bei allen Arten von Verbrechen aber glaube er dies nicht beantragen zu können, weil dadurch der Lauf der Justiz beeinträchtigt und Mißbräuchen kaum vorgebeugt werden würde12.