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Nr. 563 Ministerrat, Wien, 29. September 1851 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 30. 9.), P. Krauß 3. 10., Bach 1. 10., Thinnfeld 3. 10., Csorich, K. Krauß, Baumgartner; abw. Thun, Stadion, Kulmer.

MRZ. 3344 – KZ. 3604 –

Protokoll der am 29. September 1851 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.

I. Gnadenantrag

Der Justizminister Ritter v. Krauß trug an, für mehrere Individuen aus der letzten ungarischen Rebellion die Ah. Gnade Sr. Majestät für die Bewilligung der Abkürzung ihrer Strafdauer in Anspruch zu nehmen, und zwar zunächst für die zwei Pester Bürger a) Schröder alias Warsay, Fischmeister, und b) Kajdán, Schnürmachermeister daselbst, welche als Beisitzer an einem Blutgerichte teilgenommen haben1, wobei der Advokat Ignaz Kmety zum Tode verurteilt worden ist.

Die beiden genannten Bürger wurden wegen dieser Teilnahme und Zustimmung zum Todesurteilea zu vier Jahren Kerker verurteilt.

Der Justizminister Ritter v. Krauß bemerkte, daß Se. Majestät einem anderen Individuum, nämlich dem Ladislaus Bezdédy, welcher wegen einer gleichen Teilnahme an einem Blutgerichte zu vier Jahren Kerker verurteilt ward, die Hälfte dieser Strafdauer bereits nachzusehen geruhet haben2 und daß bei gleichen Verhältnissen und gleichem Verschulden auch für die beiden Obgenannten die Ermäßigung ihrer Strafdauer auf zwei Jahre von der Ah. Gnade Sr. Majestät zu erbitten wäre.

Dem Justizminister stimmte wegen der Konsequenz und gleicher Behandlung Gleichschuldiger nur der Finanzminister bei, während die übrigen Stimmführer des Ministerrates sich gegen die Begnadigung beziehungsweise Abkürzung der Arreststrafe der Genannten erklärten, weil das Blutgericht in Pest einen furchtbaren Terrorismus ausgeübt und unter den damaligen schwierigen Umständen der guten Sache sehr viel geschadet hat2.

II. Gnadenantrag

Joseph Graf v. Kreith aus Eperies, Saroser Komitat gebürtig, griechisch-katholischer Pfarrer in der Zips, wurde wegen Vorschubleistung zum bewaffneten Aufstande auf sechs Jahre zum Festungsarreste in Eisen verurteilt, in welchem er sich bereits seit November 1849 befindet. Bei genauer Erwägung der mildernden und erschwerenden Umstände und seiner Behauptung, daß er bdurch Zwangb bemüßiget war, die Befehle des Kossuth|| S. 252 PDF || zu publizieren, erachtete der Justizminister, daß dessen Strafdauer auf zwei Jahre zu reduzieren und deshalb der entsprechende Antrag an Se. Majestät zu stellen wäre, womit sich der Ministerrat mit dem Beifügen einverstanden erklärte, daß bei Intimation ausdrücklich gesagt werde, Graf Joseph v. Kreith dürfe ohne Ah. Bewilligung Sr. Majestät nicht mehr als Pfarrer verwendet werden3.

III. Gnadenantrag

Joseph Pfeifer, katholischer Pfarrer und Distriktsdechant zu St. Anna, wurde gleichfalls wegen Vorschubleistung zum bewaffneten Aufstande zu fünf Jahren Festungsarrest verurteilt. Er ward beschuldigt, mit der Nationalgarde mit der Sense bewaffnet ausgerückt zu sein, die Prozession gegen die Russen angeführt und das von dem Bischofe Horváth verfasste Gebet öffentlichc gebetet zu haben. Mildernd sprach für ihn der Umstand, daß er sich in der Zwangslage befand, die von dem ungarischen Ministerium erlassenen Befehle ausführen zu müssen.

Das Temesvárer Kriegsgericht meinte, daß er der Gnade der Verkürzung seiner Strafdauer nicht unwürdig sein dürfte, während das 3. Armeekommando dafür hielt, daß, da er mehreres von dem gegen ihn Angeführten leugnete und die von ihm gewünschten Zeugen nicht vorgeführt worden sind, eine genauere Untersuchung mit ihm hätte vorgenommen werden sollen.

Der Ministerrat hat sich, auch mit Zustimmung des Justizministers (welcher anfänglich auf die Abkürzung der Strafdauer des Pfarrers Pfeifer auf zwei Jahre angetragen hatte) dahin ausgesprochen und geeinigt, daß, ohne eine neuerliche Untersuchung zu veranlassen, im Wege des Statthalters durch die politischen Behörden zu erheben und aufzuklären wäre, ob die von dem gedachten Pfarrer geltend gemachten Umstände, welche nicht erhoben worden sind, geeignet seien, für ihn im Gnadenwege den Antrag auf eine Abkürzung seiner Strafdauer zu stellen4.

IV. Gnadenantrag

Der Ministerialsekretär bei dem ungarischen Finanzministerium Joseph Szlávy wurde wegen Unterstützung der revolutionären Sache zu fünf Jahren Kerker verurteilt. Er hat gegen die Publikation des Ah. Manifestes vom 3. Oktober 1849 protestiert, in dem Ärarialbergwerke Orawitza, dessen Oberbeamter er war, den Beamten angeordnet, bei Annäherung der kaiserlichen Truppen sich zu entfernen; er begab sich nach Debreczin, wo er mit Duschek arbeitete, ging nach Entfernung der kaiserlichen Truppen wieder nach Orawitza und leitete wieder das Amt.

Mildernd spricht für ihn, daß er bei dem damaligen Terrorismus nur den erhaltenen höheren Befehlen gemäß handelte. Er sitzt bereits seit dem 24. Dezember 1849.

Der Justizminister meinte, daß auch dessen Strafdauer auf zwei Jahre abgekürzt werden dürfte, womit sich die Stimmenmehrheit des Ministerrates, der Minister v. Thinnfeld insbesondere, mit der Bemerkung vereinigte, daß, wie ihm bekannt, die Sinnesart des Szlávy nicht verderbt sei, indem er die kaiserlich Gesinnten nicht belästigte, sich human|| S. 253 PDF || gegen dieselben benahm, und seine Fehltritte mehr die Folge seiner ämtlichen Stellung als seiner Gesinnung waren.

Der Minister Ritter v. Baumgartner und der Ministerpräsident sprachen sich jedoch gegen die Begnadigung aus, weil Szlávy ein Beamter und zwar ein Oberbeamter war, deren Pflichtverletzung streng geahndet werden müsse5.

V. Entbindung der Gemeindevorstände von dem Eide auf die Verfassung

Der Minister des Inneren Dr. Bach erhielt die Zustimmung des Ministerrates, die Anfrage der Statthalter, ob dort, wo bei der Beeidigung der Gemeindevorstände die Klausel wegen der Verfassung aufgenommen war, eine neue Beeidigung derselben vorgenommen werden solle, oder ob eine bloße Verständigung, daß sie des Eides auf die Verfassung entbunden seien, genüge6, dahin zu beantworten, daß ihnen die Intimierung der Gemeindevorstände in der erwähnten Beziehung überlassen werde, daß jedoch keine neue Beeidigung und keine Kundmachung stattzufinden habe7.

VI. Zolltarif (14. Beratung)

Der Finanzminister Freiherr v. Krauß besprach schließlich mit Beziehung auf die Beratungen über den neuen österreichischen Zolltarif die sogenannten Nebengebühren (das Weggeld, Siegelgeld, Zettelgeld, Lagergeld etc.)8.

Diese Gebühren, welche auch er nicht als Muster der Konsequenz über jeden Einwurf erhaben und als unabänderlich ansehe könne, wären nach seiner Ansicht aus finanziellen Rücksichten einstweilen in ihrem gegenwärtigen Ausmaß zu belassen. Sie werfen einige hunderttausend Gulden ab, auf welche die Finanzen gegenwärtig nicht leicht verzichten können. Bei dieser einstweiligen Bestimmung behalten wir freie Hand, diese Gebühren in der Folge, wenn der neue Zolltarif einen großen, diese Gebühren deckenden Betrag abwerfen sollte, zu mindern oder ganz aufzuheben. Die Bestimmungen in Ansehung der Nebengebühren lassen sich von dem Zolltarife leicht trennen, und eine zwischen den Ministerien der Finanzen und des Handels einzuleitende besondere Verhandlung würde solche Bestimmungen in Kürze zustande bringen.

Der Minister Ritter v. Baumgartner fand dagegen vorderhand und unter der Voraussetzung, daß die Belassung der Nebengebühren in ihrem gegenwärtigen Ausmaß nicht als eine definitiv festgesetzte Maßregel angesehen werde, nichts zu erinnern, glaubte jedoch bemerken zu sollen, daß auch die Zollkommission bei ihren Anträgen in Ansehung der Nebengebühren durch Rücksichten für das Interesse der Finanzen geleitet wurde. Sie habe nur die nicht als begründet erschienenen Nebengebühren zur Minderung oder Auflassung angetragen, dagegen bei anderen, wie bei der Siegelgebühr, eine Erhöhung von 1 Kreuzer auf 2 Kreuzer befürwortet, weil der Zollpflichtige dieser Gebühr, wenn er selbst alles gut verpackt und versiegelt, entgehen kann, und ebenso auch bei dem Zettelgelde|| S. 254 PDF || in einigen Fällen, wo es ihr zweckmäßig erschien, eine Erhöhung der Gebühr in Antrag gebracht.

In Absicht auf die Zollbestimmungen für die rohe Baumwolle und die Baumwollgarne fand sich der Finanzminister bestimmt, folgende Bemerkungen vorzubringen. Die Einfuhr der Baumwolle nehme von Jahr zu Jahr zu. Gegenwärtig betrage die Zolleinnahme von diesem Artikel 886.000 fr. Würde der Zoll von einem Zentner sporco, wie in dem neuen Tarife angetragen wird, auf 5 Kreuzer herabgesetzt, so würde diese Einnahme auf 48.000 fr. herabfallen und eine Verminderung des Einkommens um 838.000 fr. die Folge davon sein, welcher Entgang für die Finanzen empfindlich wäre und nach der Ansicht des Finanzministers in diesem Umfange leicht vermieden werden kann.

Nach seinem Dafürhalten wäre der Zoll von einem Zentner Baumwolle mit 25 Kreuzern festzusetzen. Bei diesem Tarifsatze, welcher den Industriellen nicht nachteilig wäre, würde die Einnahme 242.000 fr. betragen und der Ausfall gegen jetzt sich mit 644.000 fr. herausstellen.

Um jedoch den Übergang von dem gegenwärtigen Tarifsatze (1 fr. 29½ Kreuzer) zur künftigen Bestimmung des Tarifs (25 Kreuzer) anzubahnen, wäre in der Art vorzugehen, daß der gegenwärtige Tarifsatz im ersten Jahre um ein Drittel vermindert, d. i. auf 1 fr. herabgesetzt werde, im zweiten Jahre auf 45 Kreuzer und dann auf 25 Kreuzer, wobei es zu verbleiben hätte.

Für diese Bestimmungen sprechen nicht nur Rücksichten für das Ärar, sondern auch für die Industrie. Handelsleute, welche große Werte in dieser Ware liegen haben, würden bei einer bedeutenden und plötzlichen Verminderung des Tarifsatzes darauf große Verluste erleiden und in der ersten Zeit die Konkurrenz nicht aushalten können.

Da jedoch die obige Maßregel nicht isoliert getroffen werden kann und notwendigerweise auch auf die Bauwollgarnzölle zurückwirken muß, so wäre, meint der Finanzminister, der Zoll für diese im ersten Jahre statt mit 7 fr. mit 8 fr. zu erheben, im zweiten Jahre mit 7 fr. 40 Kreuzern und für die Zukunft mit 7 fr. 20 Kreuzern, wobei es verbleiben würde. Ebenso wären auch die Zölle für die gezwirnten und gefärbten Baumwollgarne angemessen zu regulieren.

Ferner glaubte der Finanzminister, eben auch aus Rücksichten für die Industrie und die Finanzen, den Antrag stellen zu sollen, daß in der zweijährigen Übergangsperiode für die außer Handel gesetzten Waren (welche künftig frei einzuführen erlaubt sein soll) ein mäßiger Zuschlag zu den angetragenen Tarifsätzen hinzugefügt werde, welcher nach seiner Ansicht im ersten Jahre ein Fünftel und im zweiten Jahre ein Zehntel des Tarifsatzes zu betragen hätte.

Der Handelsminister Ritter v. Baumgartner glaubte, als Entgegnung auf diese Anträge lediglich die Gründe berühren zu sollen, welche die Kommission bei ihrem Antrage, den Zoll für ein Zentner roher Baumwolle auf 5 Kreuzer zu setzen, leiteten.

Diese waren: daß in dem Zollvereine9 auf die Einfuhr der Baumwolle gar kein Zoll besteht, daß die Industriellen in einem sehr mäßigen Zollsatze auf diesen Artikel eine Lebensfrage für die wichtige Baumwollwarenerzeugung erkannten, weshalb denn auch|| S. 255 PDF || mehr ein Nominalzoll (behufs der Aufzeichnung für die statistischen Daten) angenommen wurde; daß unsere Fabrikanten in Ansehung des Bezuges der Baumwolle sich in einer minder günstigen Lage befinden als die Fabrikanten anderer Staaten, insbesondere die englischen u. dgl.

Der Handelsminister bemerkte weiter, daß er selbst den vom Finanzminister angetragenen Zollsatz von 25 Kreuzer als eine Kalamität für diesen wichtigen Industriezweig so lange erkennen müßte, solange nicht beim Flachs eine wesentliche Änderung bei uns eintritt. Auch würde er einen großen Wert darauf legen, der Ansicht nicht den Eingang zu verschaffen, der Staat sei schuld, daß unsere Fabrikanten die Konkurrenz nicht aushalten können.

Sollten aber finanzielle Rücksichten es unabweislich notwendig machen, daß der Zoll mit 25 Kreuzern festgesetzt werde, so würde der Handelsminister wenigstens dringend wünschen, daß es nicht in der Art ausgesprochen werde, welche jede Aussicht auf eine fernere Reduktion des Zolles ausschließt, obgleich nach seiner Ansicht alles Schwankende in der Gesetzgebung sorgfältig vermieden werden sollte.

Auch meinte derselbe, daß nach angestellten vorläufigen Berechnungen die Finanzen aus dem neuen Zolltarife eine Mehreinnahme von wenigstens zwei Millionen zu erwarten haben dürften, welche Mehreinnahme den Ausfall bei der Baumwolle mehr als hinreichend decken würde.

Nach längerer Besprechung über diesen Gegenstand wurde von dem Ministerrate der Beschluß gefaßt, daß nach der Übergangsperiode der Tarifsatz für die Einfuhr der Baumwolle mit 5 Kreuzern als feststehend anzunehmen sei und daß statt des eben vom Finanzminister angetragenen Zuschusses von ein Fünftel im ersten Jahre und ein Zehntel im zweiten Jahre, welchen Zuschuß man als zu groß erkannte, dwährend der beiden ersten Jahre ein Zuschlag vond 10 % angenommen werden soll.

Die Bestimmungen hinsichtlich der Warenerklärungen wurden dem gemeinschaftlichen Einver­nehmen der Ministerien der Finanzen und des Handels überlassen10.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, den 5. Oktober 1851.