Nr. 425 Ministerrat, Wien, 25. November 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend: Bach, Stadion abw. Stadion
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 26. 11.), Krauß 28. 11., Schmerling 29. 11., Bruck, Thinnfeld 27. 11., Thun, Csorich, Kulmer 27. 11.; anw.anwesend Bach, abw.abwesend Stadion.
MRZ. – KZ. 4120 –
- I. Einberufung der in Österreich befindlichen preußischen Untertanen
- II. Zusammenkunft Felix Fürsten Schwarzenberg mit Otto v. Manteuffel
- III. Zeitungsartikel gegen das Treiben der Agioteure
- IV. Umtriebe einer Gesellschaft zur Verschlimmerung der Kurse an der Wiener Börse
- V. Landung der Türken im Kanal von Cattaro
Protokoll der am 25. November 1850 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.
I. Einberufung der in Österreich befindlichen preußischen Untertanen
Die preußische Gesandtschaft hat an die Redaktion der Wiener Zeitung einen Artikel zur Einrückung eingesendet, welcher die Einberufung sämtlicher im österreichischen Staate befindlichen preußischen Untertanten zum Gegenstande hat1. Dieser Artikel würde im wesentlichen in folgender Art lauten: Wir Friedrich Wilhelm etc. verordnen: § 1. Nachdem die Mobilmachung Unserer Armee verfügt worden ist, so ergeht an alle preußischen Untertanen, welche sich mit oder ohne Erlaubnis im Auslande aufhalten, der Befehl, sich bei ihren betreffenden Obrigkeiten zu melden. § 2. Welche bis zum 15. Dezember d. J. dieser Aufforderung Folge leisten, erhalten einen vollständigen Pardon und sind aller gesetzlichen Strafen wegen der unbefugten Abwesenheit, insoferne ihnen nicht andere strafbare Handlungen zur Last fallen, frei und ledig. § 3. Dagegen haben jene, welche nicht in dieser Frist zurückkehren, alle gesetzlichen Strafen auf die unbefugte Abwesenheit zu gewärtigen. Gegeben Berlin 9. November 1850.
Die königlich preußische Gesandtschaft bringt dies mit dem Beisatze zur allgemeinen Kenntnis, daß auch die in der österreichischen Armee dienenden Offiziere, welche preußische Untertanen sind und das 40. Lebensjahr nicht zurückgelegt oder die Entlassung aus dem preußischen Staate nicht nachgesucht und erhalten haben, in der oberwähnten Frist ebenfalls zurückzukehren haben.
Nach der Ansicht des Ministerpräsidenten soll ein Aufsatz dieser Art von einer fremden Gesandtschaft nicht brevi manu an die Redaktion der Wiener Zeitung gelangen, und es wäre in der Ordnung gewesen, denselben vor allem dem hiesigen Ministerium mitzuteilen. Die Kundmachung einer preußischen Verordnung in der gedachten Form und im Wege der offiziellen Wiener Zeitung könne nicht gestattet werden. Wünscht die Gesandtschaft diese Kundmachung durch irgend ein anderes Zeitungsblatt als Privatkundmachung zur öffentlichen Kenntnis zu bringen, so stehe es ihr frei.
Der Ministerrat erklärte sich mit dieser Ansicht mit der Bemerkung einverstanden, daß kein österreichisches Gesetz in der erwähnten Form in einem auswärtigen Staate kundgemacht|| S. 95 PDF || werde und daß die Redaktion der Wiener Zeitung verantwortlich zu machen wäre, wenn sie solche Kundmachungen in ihr Blatt aufnehmen würde2.
II. Zusammenkunft Felix Fürsten Schwarzenberg mit Otto v. Manteuffel
Der Ministerpräsident bemerkte weiter, daß der preußische provisorische Minister des Äußern v. Manteuffel, der für eine friedliche Ausgleichung günstig gestimmt sei, ihm den Wunsch zu erkennen gegeben habe, mit ihm an einem noch näher zu bestimmenden Orte, etwa in Teplitz oder Dresden, zusammenzukommen und eine Besprechung zu halten3. Der Ministerpräsident stellte die Anfrage, ob eine solche Zusammenkunft zu wünschen sei und ob er hiezu die Erlaubnis Sr. Majestät des Kaisers einholen solle oder nicht. Nach seiner Ansicht komme allerdings alles darauf an, ob v. Manteuffel, der als unpatriotischer Minister verschrien sei, im Ministerium bleiben werde oder nicht4.
Der Ministerrat glaubte, eine solche Zusammenkunft und Besprechung immerhin als wünschenswert erkennen zu sollen5.
III. Zeitungsartikel gegen das Treiben der Agioteure
Der Finanzminister Freiherr v. Krauß las (mit Beziehung auf den Beschluß des Ministerrates vom 23. d. M.)6 einen Aufsatz für die öffentlichen Blätter vor, dazu bestimmt, dem Treiben der Agioteurs zur Herabminderung unserer Valuta und den nachteiligen Folgen desselben entgegenzutreten.
Der Ministerrat hat sich sowohl mit dem Inhalte als der Form dieses Aufsatzes wie auch mit der Ansicht des Finanzministers einverstanden erklärt, daß dieser Aufsatz als erster Artikel dieser Art nicht ämtlich durch die öffentlichen Blätter bekanntzumachen wäre7.
IV. Umtriebe einer Gesellschaft zur Verschlimmerung der Kurse an der Wiener Börse
Derselbe Minister bemerkte weiter, von dem hiesigen Militärgouverneur FZM. Baron Welden eine Zuschrift erhalten zu haben, worin ihm angezeigt wird, daß sich eine Gesellschaft hier gebildet habe, um unsere Kurse auf der Börse herabzudrücken.
Da es sich in diesem Augenblicke nicht um die Festsetzung der Maßregeln zur Einschränkung beziehungsweise Regulierung der Börse, sondern nur um eine provisorische polizeiliche Verfügung unter den gegenwärtigen Umständen handelt, so hat der Finanzminister diesen Gegenstand zur weiteren Verhandlung und angemessenen Verfügung an den Minister des Inneren abgetreten8.
V. Landung der Türken im Kanal von Cattaro
Der Minister des Inneren brachte hierauf zur Kenntnis des Ministerrates, daß nach den ihm zugekommenen Nachrichten sich die Landungen der Türken an den beiden Landzungen bei Crkvice und in der Suttorina bestätigen. Eine türkische Dampffregatte mit 1000 Mann Truppen ist nämlich, ohne eine vorläufige Anzeige an Österreich erstattet und die Ermächtigung hierzu angesucht zu haben, in den Kanal von Cattaro eingelaufen und hat daselbst jene 1000 Mann ausgeschifft, um den Omer Pascha zu verstärken9.
Der Minister Dr. Bach bemerkte, daß in den Jahren 1817 und 1830 Verhandlungen wegen dieser Dalmatien zweimal unterbrechenden Gebietsteile gepflogen worden, aber liegen geblieben seien. Was den faktischen Stand anbelange, so aist zwischen der Türkei und der Republik Ragusa im Anfang des 18. Jahrhunderts ein Vertrag abgeschlossen wordena, in welchem diese beiden Gebietsteile bvon der Republik Ragusa, welche schon seit dem 15. Jahrhundert unter türkischem Schutze stand und die Republik Venedig nicht zum Nachbar haben wollte,b an die Türkei abgetreten wurden. Diese Verträge seien jedoch hier nicht vorgefunden worden, und es sei nicht einmal gewiß, ob cdie Urkunden nochc bestehen10.
Nach der Ansicht des Ministers des Inneren kommen hier zweierlei Gesichtspunkte in Betrachtung. Der erste ist, ob aus dem Titel des Vertrages Rechte und welche für die österreichische Regierung abgeleitet werden können. Um in dieser Beziehung ins Klare zu kommen, habe der Minister heute nach Venedig und Ragusa geschrieben, um nachzuforschen, ob solche Verträge bestehen und welchen Aufschluß sie über die diesfälligen etwaigen Rechte der österreichischen Regierung gewähren.
Der zweite Gesichtspunkt ist internationaler Natur. Hierbei komme es darauf an, ob die beiden Gebietsteile (Canal di Narenta und die Bocche di Cattaro) als geschlossene Kanäle (Meere) nach dem Seerechte und Völkerrechte nicht als jener Nation angehörig zu betrachten sind, welche das Gebiet beherrscht, wie z. B. das Asowsched Meer den Russen und der Bosporus den Türken gehört. Bei der edie Suttorina bespülenden Seeflächee, bemerkte der Minister, sei dies der Fall, indem sie finnerhalb der Bocche di Cattaro liegtf . Bei Klek sei es überhaupt weniger wichtig11. Der vorliegende äußerst wichtige Fall sollte nach der Ansicht des Ministers Dr. Bach dazu benützt werden, um das gedachte Territorialverhältnis ins Klare zu stellen, und der Gesichtspunkt, der hierbei festgehalten werden dürfte, wäre der, daß man nicht zugeben könne, daß in die Bocche di Cattaro|| S. 97 PDF || ohne österreichische Erlaubnis irgend ein fremdes Kriegsschiff einlaufe. Nach seiner Meinung wäre das türkische Küstengebiet in den Bocche di Cattaro dann zu besetzen, wenn ein wiederholtes Einlaufen eines türkischen Kriegsschiffes in dieselben stattfinden sollte.
Wollte man nicht dieses, dann wäre eine entsprechende Anzahl von Schiffen in jene Gegend zu senden, um dem Versuche zur Wiederholung dieses Einlaufens zu begegnen, zugleich aber nach Konstantinopel zu schreiben, daß man den Befehl gegeben habe, jenes Gebiet sogleich zu besetzen, wenn ein neuer Versuch zum Einlaufen gemacht werden sollte.
Der Ministerpräsident als Ministers des Äußern glaubte bemerken zu sollen, daß die Überwachung jener Einfahrt bedeutende Auslagen verursachen und es vielleicht angemessener sein dürfte, ein geringere Opfer erheischendes Abkommen, etwa die Verminderung der Salzpreise, mit den Türken zu finden. Wenn wir, bemerkte derselbe weiter, mit der Türkei Schwierigkeiten machen, so haben wir gleich die Engländer gegen uns. Nach seiner Ansicht wäre gegen den von den Türken gewagten Schritt zu protestieren und nach Konstantinopel zu schreiben, daß das Einlaufen in ein geschlossenes Meer (mare clausum) ohne österreichische Bewilligung nicht hätte statthaben sollen. Würde in Zukunft ein türkisches Kriegsschiff ohne hierortige Bewilligung einlaufen, so würde man das Meer, den Kanal von Cattaro, sperren. Mit Güte, bemerkte der Ministerpräsident weiter, richte man mit den Türken viel mehr aus als mit Gewalt, und fügte bei, daß bei einer Protestation von unserer Seite die Engländer vorderhand nichts tun können, daß wir sie aber mehr durch eine Besetzung als durch eine Verhandlung provozieren würden. Beschränkten wir uns auf einen Protest, so würden die Engländer nicht einschreiten.
Der Minister Freiherr v. Bruck äußerte dagegen die Ansicht, den gegenwärtigen Vorfall dazu zu benützen, die türkische Erdzunge bei den Bocche di Cattaro gleich zu besetzen. Die Türken sind in unser Seegebiet ohne unsere Bewilligung mit einem Kriegsschiff eingefahren und haben eine Handlung, man könnte sagen Insulte, begangen, welche sie sich im Bosporus von keinem Menschen gefallen lassen würden. Erheben wir bloß einen Protest und knüpfen Verhandlungen an, ohne daß wir jenes Gebiet besetzen, so besorge er sehr, daß die Engländer und vielleicht auch die Franzosen mit einem Gegenproteste auftreten, und dann dürfte es schwer sein, ohne weitere Komplikationen mit der Besetzung vorzugehen, die aber als eine geschehene Sache in den uns rechtlich zustehenden Grenzen einfach hingenommen werden müßte. Haben wir das Terrain besetzt, dann wäre den Türken zu sagen, daß wir getan, was wir zur Sicherung des Landes tun mußten, nämlich die Erdzunge besetzt, und daß wir sie so lange besetzt halten werden, bis nicht von Seite der Türken bindende Erklärungen gegeben werden, daß ähnliche Versuche nicht mehr statthaben sollen.
Dieser Ansicht trat der Justizminister Ritter v. Schmerling bei. Der Minister des Kultus und des öffentlichen Unterrichtes Graf Thun bemerkte, daß das türkische Kriegsschiff sich jedenfalls widerrechtlich in jenen Gewässern befinde, und daß sonach von unserer Seite alle Mittel zu Lande und zur See angewendet werden können, um es aus dieser Gegend weggehen zu machen. Nach seiner Ansicht wäre das türkische Territorium, wenn das Kriegsschiff sich noch da befindet, zu besetzen, um es durch diesen Schritt zu zwingen, sich zu entfernen, und so lange besetzt zu halten, bis dieser Zweck erreicht ist. Wäre|| S. 98 PDF || dagegen das Kriegsschiff schon weg, so wäre lediglich die Einfahrt gegen ähnliche Wiederholungen durch unsere Schiffe zu bewachen.
Dieser Ansicht traten die übrigen Stimmführer, somit die Majorität, und auch der Minister Freiherr v. Bruck unter der Voraussetzung bei, daß sein, als das Äußerste hingestellter Antrag nicht genehm sein sollte.
Nach der Ansicht des Finanzministers Freiherrn v. Krauß wäre zugleich, um die gehörige Form nicht zu verletzen, nach Konstantinopel zu schreiben, daß diese Besetzung geschah, um der Wiederholung ähnlicher Einfahrten zu begegnen, und daß sie so lange dauern werde, bis bündige Erklärungen gegeben und die Bedingungen festgesetzt sein werden, unter welchen der Eingang von Kriegsschiffen in jene Gewässer künftig gestattet werden solle.
Der Kriegsminister Freiherr v. Csorich bemerkte, er würde demnach ein Schiff zur Verstärkung der „Maria Anna“ in jenen Gewässern dem General Mamula zusenden und ein bis zwei Bataillons dahin disponieren, um im gegebenen Falle die Gegend so lange besetzt zu halten, bis das türkische Kriegsschiff weg ist.
Über diesen wichtigen Gegenstand wird sich jedoch vorerst die Ah. Genehmigung Sr. Majestät erbeten werden, um sodann die kombinierten Weisungen (von den Ministerien des Äußern, des Krieges und des Inneren) erlassen zu können12.
Wien, den 26. November 1850. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 1. Dezember 1850.