Nr. 422 Ministerrat, Wien, 19. November 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 20. 11.), Krauß 23. 11., Bach 23. 11. (I–VI), Schmerling 21. 11., Bruck, Thinnfeld, Thun, Csorich 21. 11., Kulmer; abw.abwesend Stadion.
MRZ. 4649 – KZ. 4117 –
- I. Bitte des Katholikenvereins um Gestattung von Versammlungen
- II. Verfahren gegen das in Zuccole eingelaufene Handelsschiff
- III. Behandlung der zu Gradiska angehaltenen 30 Kisten Gewehre
- IV. Aufnahme der aus Serbien geflüchteten Christen
- V. Sistierung des Einstandswesens bei der heurigen Rekrutierung
- VI. Cholerakontumazwesen
- VII. Aufhebung des Zwangskurses der Banknoten bei Renten- und Kapitalzahlungen
Protokoll der Sitzung des Ministerrates, gehalten zu Wien am 19. November 1850 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses, FML. Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Bitte des Katholikenvereins um Gestattung von Versammlungen
Der Ministerpräsident übergab dem Minister des Inneren ein Gesuch des Katholikenvereins um die Bewilligung zur Abhaltung von Versammlungen während des Belagerungszustands unter Beobachtung gewisser Einschränkungen zur weiteren Verfügung. Der Minister des Inneren fand dieses Begehren der Exemplifikationen wegen zur Gewährung nicht geeignet, während der Kultusminister das vom Verein geltend gemachte Motiv, daß nach Aufhebung des Belagerungszustandes andere Verbindungen, die im geheimen arbeiten, bereits organisiert auftreten werden, indessen der Katholikenverein erst mit seiner Organisierung beginnen könne, allerdings für berücksichtigungswürdig halten würde1.
II. Verfahren gegen das in Zuccole eingelaufene Handelsschiff
Der Kriegsminister referierte über die Anfrage, wie gegen eine in den toten Hafen vom Zuccole auf der Insel Lesina eingelaufene neapolitanische Handelsbrigantine zu verfahren sei, worauf die Entscheidung dahin ausfiel, daß dieselbe von einem k. k. Kriegsschiffe aufgebracht werden solle, nachdem das Einlaufen in einen toten Hafen allein schon, abgesehen von der verweigerten Legitimation, ein solches Verfahren rechtfertigt2.
III. Behandlung der zu Gradiska angehaltenen 30 Kisten Gewehre
Eine weitere Anfrage, was mit 30 Kisten Gewehren, die, von Widin über Orsowa gekommen, in Altgradiska angehalten und von einem türkischen Offizier reklamiert worden sind, zu geschehen habe, ward, da es sich in dieser Sache bei dem Bestande des Durchfuhrverbots vermutlich um eine zollämtliche Operation handeln dürfte, dahin beantwortet, daß diese Kisten vorderhand noch ferner anzuhalten seien3.
IV. Aufnahme der aus Serbien geflüchteten Christen
teilte der Kriegsminister die Notiz mit, daß aus Serbien 25 Christen, um dem Zwange zur Teilnahme am Aufstande zu entgehen, über die Grenze geflüchtet und nach Esseg befördert worden seien4.
V. Sistierung des Einstandswesens bei der heurigen Rekrutierung
In betreff der Suspendierung des Einstandswesens5 für die Dauer der gegenwärtigen Rekrutierung erbat sich der Minister des Inneren die nähere schriftliche Mitteilung des Kriegsministers, der selbe auch zusagte6.
VI. Cholerakontumazwesen
Der Minister des Inneren referierte in betreff des Cholerakontumazwesens.
Von den deutschen Ärzten wird die Cholera für nicht kontagios (in der Regel), von den italienischen dagegen für kontagios erklärt. Daher kam es, daß 1849 beim Auftreten der Cholera in Italien die Dalmatiner auf eigene Faust Cholerakontumazen einrichteten, und daß selbst vom Handelsministerium eine fünftägige Observanz für Seeprovenienzen aus den von der Seuche heimgesuchten ausländischen Seeplätzen angeordnet wurde. Bei der von der österreichischen Regierung von jeher festgehaltenen Ansicht aber, daß die Cholera nicht kontagios sei, kann diese Einrichtung nicht fortbestehen. Sie wurde auch bereits vom Handelsministerium behoben, asobald sich die Cholera in den inländischen Seehäfen zeigte,a und gegen das Ministerium des Inneren der Wunsch ausgesprochen, daß über die Erfolglosigkeit von Kontumazmaßregeln wider die Cholera eine Belehrung hinausgegeben werde. Der Minister des Inneren zweifelte zwar, daß bei der vorgefaßten Meinung der Welschen eine solche Belehrung Eingang und Glauben finden werde, und es schien ihm vielleicht zweckmäßiger, mit schonender Berücksichtigung jener Meinung für Schiffe, die aus angesteckten Orten kommen, eine eintägige Observanz anzuordnen.
Nachdem jedoch der Handelsminister das Motiv seiner Anordnung jener fünftägigen Observanz für Schiffe aus Orten, von woher ein Weg zu Lande gar nicht oder nur aus großer Entfernung eingeschlagen werden kann, näher erörtert und sich auf den Antrag|| S. 84 PDF || beschränkt hatte, eine Belehrung über die Art und Weise, wie die Regierung Vorsichtsmaßregeln wider die Cholera auffasse, an die Landesautoritäten und durch diese an die Ortsbehörden und Pfarrer zur weitern Belehrung des Volks hinauszugeben, so erklärte sich der Minister des Inneren hiermit einverstanden und sicherte dem Handelsministerium die Mitteilung der seinerseits hierwegen zu erlassenden Weisung an die Landesbehörde behufs der Verständigung der Seesanitätsbehörden zu7.
VII. Aufhebung des Zwangskurses der Banknoten bei Renten- und Kapitalzahlungen
Der Justizminister referierte über eine Vorstellung des Obersten Gerichtshofes gegen die Bestimmungen der Regierung vom 22. Mai und des Ah. Patents vom 2. Juni 1848, wornach jedermann verpflichtet ist, die Noten der privilegierten österreichischen Nationalbank bei allen Zahlungen nach ihrem vollen Nennwerte als Konventionsmünze anzunehmen, außer, wenn die Zahlung in Gold- oder ausländischen Silbermünzen gebührt, in welchem Falle sie in diesen Münzen oder nach deren Kurswert zur Zeit der Zahlung zu leisten ist8.
Der Oberste Gerichtshof findet es mit seinem richterlichen Gewissen nicht vereinbar, nach einem Gesetze Recht zu sprechen, welches den Bestimmungen des ABGB. und des Patents von 1816 widerstreitet, zumal in Fällen, wo die Zahlung in bestimmten Silbermünzen mit Ausschluß von Papiergeld, ja mit Verzichtleistung auf das dem Schuldner durch das Patent vom 2. Juni 1848 eingeräumte Recht stipuliert worden ist. Er schlägt sonach zur Beseitigung der seiner Ansicht nach besonders in Darleihensgeschäften aus jenen Bestimmungen sich ergebenden Unzukömmlichkeiten einstweilen, bis zur Regulierung der Geldverhältnisse überhaupt, folgende Übergangsmaßregeln vor:
1. In allen Fällen, wo es sich nicht um Rückzahlung des Kapitals, sondern um Renten und Zinsen handelt, die Entrichtung derselben in Silbermünze, oder, nach der Wahl des Gläubigers, in Banknoten nach dem Kurswerte vorzuschreiben.
2. Bei Kapitalrückzahlungen soll, wenn der Gläubiger aufkündigt, dieser das in Silber bedungene Kapital in Banknoten zurücknehmen müssen; kündigt dagegen der Schuldner auf, so habe derselbe in Münze oder, nach Wahl des Gläubigers, in Noten zum Kurswerte zu zahlen.
Der Justizminister bemerkte hierüber, daß der Richter, der nicht zugleich Gesetzgeber ist, in seinem Gewissen nicht beunruhigt sein könne, wenn er nach den klaren Bestimmungen des gegebenen Gesetzes entscheidet.
Was die von dem Obersten Gerichtshofe vorgeschlagenen Maßregeln betrifft, so kann die Ausführung derselben nicht angeraten werden. Die ganze Frage darf nämlich nicht von einem einseitigen Gesichtspunkte aufgefaßt werden. Wo der gesamte Geldverkehr den Bestimmungen des Gesetzes vom 22. Mai resp. 2. Juni 1848 unterworfen ist, läßt|| S. 85 PDF || sich wohl keine Ausnahme für einzelne Geschäfte, Darleihen, denken. Solche Ausnahmen für Darleihensgschäfte zuzulassen, würde nur eine – nicht zu rechtfertigende Begünstigung der Kapitalisten sein. Insbesondere wäre die ad 1. vorgeschlagene Bestimmung eine ungerechte, weil der zum Bezuge der Renten oder Zinsen Berechtigte dieselben, indem er sie in Banknoten erhält, jedenfalls in kurrenter Münze empfängt und an dem Kapital keine Einbuße erleidet.
Der Finanzminister erklärte sich mit der Ansicht des Justizministers vollkommen einverstanden, indem er hinzusetzte, daß, solange das Mißverhältnis der Valuta nicht im allgemeinen behoben ist, eine partielle Maßregel wie die angetragene nicht nur nichts helfen, sondern vielmehr den im Patente vom 2. Juni 1848 nur auf die Dauer der außerordentlichen Umstände angeordneten Bestimmungen gewissermaßen den Charakter der Permanenz aufdrücken und das Mißverhältnis der Valuten noch erhöhen, endlich der Staatsverwaltung selbst ihren Gläubigern gegenüber wesentliche Verlegenheiten bereiten würde, indem dieselben mit eben dem Rechte wie andere die Zahlung der Zinsen etc. in Silber verlangen könnten.
Der Ministerrat war sonach einstimmig der Meinung, die Anträge des Obersten Gerichtshofes auf sich beruhen zu lassen.
Der Minister des Inneren war bei diesem Vortrage nicht mehr anwesend.
Wien, am 20. November 1850. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 24. November 1850.