Nr. 347 Ministerrat, Wien, 7. Juni 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 2. 4.), Krauß 8. 6., Bach 8. 6., Schmerling, Bruck, Thinnfeld 10. 6., Thun, Kulmer 10. 6., Degenfeld; abw.abwesend Stadion, Gyulai.
MRZ. 2277 – KZ. 1893 –
- I. Organisation der Gerichtsbehörden in Dalmatien
- II. Verfahren bei Verlassenschaftsabhandlungen und Anlage der Waisenkapitalien
- III. Suspendierung von Finanzbeamten durch das lombardisch-venezianische Generalgouvernement
- IV. Ordnungswidriges Verfahren des lombardisch-venezianischen Generalgouvernements gegenüber den Finanzbehörden
- V. Entlassung eines Ministerialkonzipisten durch die Militärbehörde
- VI. Kosten der Eisenbahn über den Semmering
Protokoll der am 7. Juni 1850 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.
I. Organisation der Gerichtsbehörden in Dalmatien
Der Justizminister Ritter v. Schmerling brachte zunächst die Gerichtsorganisation für Dalmatien zum Vortrage1.
Da in Dalmatien schon jetzt lf. Gerichte bestehen, so wird dort mit geringen Modifikationen das gegenwärtige System beibehalten werden können. Die gegenwärtigen Präturen werden Bezirksgerichte, die Kollegialgerichte Landesgerichte (in Zara, Spalato, Ragusa). In Cattaro wird ein Kollegialgericht minderer Gattung bestehen, aSchwurgerichte sollen vorerst nichta eingeführt werden. Von Cattaro nach Ragusa besteht die lebendigste Verbindung zur See. Die schwerste Frage ist die, ob das Oberlandesgericht seinen Sitz in Zara oder in Spalato haben soll. Der Justizminister bemerkte, daß er über diese Frage mit allen Autoritäten des Landes und bei seiner Anwesenheit in Triest mit vielen Beamten konferiert habe, welche in Dalmatien gedient haben, und ungeachtet, daß Spalato mehr in der Mitte des Landes liege und Zara als Festung manche Unannehmlichkeiten für die Beamten habe, zu dem Entschlusse gelangt sei, den Sitz des Oberlandesgerichtes für Zara in Antrag zu bringen. Zu diesem Antrage bestimmen ihn vorzüglich zwei Gründe, a) daß in Spalato kein Gebäude für das Gericht, noch weniger Unterkunft für die Räte und den Präsidenten zu finden und es vor zwei Jahren kaum möglich wäre, dahin zu übersiedeln, und b) weil es sehr wünschenswert sei, daß das Oberlandesgericht dort seinen Sitz habe, wo sich die Statthalterei befindet wegen der vielen Beziehungen beider zueinander.
Diese Ansicht wurde von dem Ministerrate geteilt und für die Wahl von Zara von dem Minister des Inneren noch insbesondere geltend gemacht, daß es ein fester Ort sei und dem Zentrum der Monarchie näher liege als Spalato, daß Spalato zu nahe an der türkischen Grenze sei, daß Zara schon im langjährigen Posseß dieses Gerichtes sich befinde und daß es schwer wäre, ihm dasselbe nun zu entziehen. Sollte in der Folge die Landesvertretung sich für die Verlegung des Oberlandesgerichtes von Zara nach Spalato aussprechen|| S. 61 PDF || bund dies genehmigt werdenb, dann werde es ohne Anstand geschehen können. Durch die Gerichtsorganisierung in Dalmatien, bemerkte der Justizminister weiter, werde eine Vermehrung der Beamten nicht, vielmehr eine Verminderung derselben eintreten, weil manche kleine Präturen auf den Inseln aufgehoben werden. Was die Gehalte dieser Beamten anbelangt, so sei es eine Ungerechtigkeit, die Justizbeamten in Dalmatien schlechter zu besolden als in den anderen Provinzen. Für die Zukunft wären demnach dieselben ebenso wie die Justizbeamten in den anderen Kronlanden zu besolden. Der gesamte Justizetat würde sich in Dalmatien auf die Totalsumme von 236.000 f. belaufen.
Auch dagegen ergab sich keine Erinnerung, und nur der Finanzminister glaubte bemerken zu sollen, daß Dalmatien im Staatshaushalte bisher passiv war und daß es im allgemeinen wünschenswert sei, die Auslagen für dieses Land möglichst zu verringern. Der Justizminister wird nun diesen Beschlüssen zufolge den au. Vortrag über die Gerichtsorganisierung in Dalmatien Sr. Majestät erstatten2.
II. Verfahren bei Verlassenschaftsabhandlungen und Anlage der Waisenkapitalien
Derselbe Minister referierte sodann über das bei den neuen Gerichten zu beobachtende Verfahren bei den Verlassenschaftsabhandlungen etc.3
Nach der Ansicht des Justizministers wäre es gewagt, solange das bürgerliche Gesetzbuch besteht, die Geschäfte des adeligen Richteramtes aufzulassen. Die bisherige gerichtliche Aufsicht über solche Geschäfte wäre vielmehr mit Modifikationen im Prinzipe aufrechtzuerhalten. Mit Festhaltung dieses Prinzips hätten bei Verlassenschaften die Gemeindevorstände kleinere Inventuren vorzunehmen und auch die Notare wären dazu zu verwenden. Was die Notare betrifft, so könnte man noch um einen Schritt weiter gehen und, wenn großjährige Erben einschreiten, die ganze Abhandlung (die Erbserklärung und Einantwortung abgerechnet) denselben überlassen. Hiefür sprechen zwei Gründe: a) Bei großjährigen Erben hat das Gericht kein Interesse, sich in die Abhandlung, wenn das Erbrecht ausgewiesen ist, einzumengen und zu sehen, wie die Erbschaft verteilt wird; b) das Geschäft wird in Hände gelegt, welche cfür die Gebührenc etc. haften, und es wird ein Garant in die erste Linie gestellt, an den man sich halten kann.
Eine zweite Bestimmung wäre wegen der Elozierung der Waisenkapitalien zu treffen. Nach der bisherigen Übung wurden größere Beträge von Waisenkapitalien entweder hypothekarisch angelegt oder zum Ankaufe von Staatspapieren (öffentliche Obligationen) verwendet; kleinere Beträge wurden von den Waisenämtern kumulativ angelegt. Die Herrschaften haben nämlich auch die kleinsten Beträge in Empfang genommen, die Waisenkasse hat sie dann kumulativ angelegt, die Schuldscheine wurden auf das Waisenamt geschrieben und die Pupillen seinerzeit abgefertigt. Da dieses Verhältnis für die Zukunft, beim Aufhören der Patrimonialgerichte, nicht besteht und sich nicht leicht|| S. 62 PDF || jemand finden dürfte, welcher diese Last und die damit verbundene Haftung übernehmen würde, so meinte der Justizminister, daß sich ein Mittel, die geringen Waisenkapitalien (etwa bis 500 f.) fruchtbringend anzulegen, darin finden ließe, sie in zweckmäßige Sparkassen zu geben, wo auch die geringsten Beträge fruchtbringend angelegt und nach Belieben zurückgenommen werden können. Auf die Vermehrung solcher Sparkassen auf dem Lande wäre zu wirken, und die im Mai 1848 festgesetzte Ausnahme von dem Verbote, Pupillargelder in Sparkassen anzulegen, hätte ferner zu bestehen.
Nach der Ansicht des Ministers des Inneren dürfte es nicht genügen, auf die Gründung und Vermehrung der Sparkassen für die geringeren Waisenkapitalien auf dem Lande einzuwirken, welche Kassen momentan zahlungsunfähig werden können, sondern es sei wünschenswert, die ganze Verwaltung solcher Waisenkapitalien nach Art der Sparkassen zu zentralisieren, d.i. eigene Sparkassen zu errichten, welche dieses Vermögen verwalten würden. Mit einer solchen Einrichtung wäre keine Gefahr verbunden, die Pupillen, ihr Vermögen und ihre Interessen blieben in steter Übersicht, die Einzahlungen geschehen bei Sterbfällen und Rückzahlungen bei Großjährigkeit, die politischen Ereignisse hätten keinen Einfluß auf solche Kassen. Ein anderer Vorteil wäre der, daß solcher Kassen nicht viele bestünden, etwa in dem Sprengel eines Oberlandesgerichtes eine mit mehreren Kommanditen bei den verschiedenen Gerichten, und daß der Staat nicht mit dem Detail der Vermögensverwaltung der Pupillen belastet würde. Die Disposition mit dem Vermögen der Pupillen bliebe übrigens den Gerichten.
Der Finanzminister Freiherr v. Krauß meinte gleichfalls, daß, da die neue Einteilung der Gerichte verschieden von der früheren ist, eine Waisenkasse für einen größeren Bezirk, für mehrere Gerichte als eine Zwischenverfügung notwendig erscheine, deren Organe vor allem die alten Sachen auszutragen, zu liquidieren und die neuen einzuleiten hätten. Diese Kasse wäre so zu konstruieren, daß der Staat auch die Haftung übernehmen könne.
Der Minister Graf Thun glaubte nur bemerken zu sollen, daß dort, wo Waisenkassen bestanden sind, ihre Zentralisierung vermieden werden sollte, indem sich Dominien finden dürften, welche im Einverständnisse mit ihren Nachbarn dieses Geschäft und die damit verbundene Haftung übernehmen würden. Bei den Dominien hat man die Verhältnisse der ehemaligen Untertanen genau gekannt und wußte, wem und wieviel man Kredit gewähren soll, wodurch die Waisenkassen gesichert waren.
Der Beschluß des Ministerrates fiel dahin aus, daß es bei den bisherigen diesfälligen Gesetzen zu verbleiben habe und der faktische Bestand aufrechtzuerhalten sei, für den Übergang seien aber für mehrere Dominikalbezirke Waisenkassen zu errichten, deren Organe die alten Sachen auszutragen und der neuen Einrichtung Eingang zu verschaffen hätten, in welcher letzteren Beziehung der Justizminister noch eine Verhandlung einzuleiten sich vorbehielt4.
III. Suspendierung von Finanzbeamten durch das lombardisch-venezianische Generalgouvernement
Der Finanzminister Freiherr v. Krauß besprach hierauf eine ihm von dem Vorsteher der lombardisch-venezianischen Finanzbehörde zugekommene Anzeige, nach welcher von dem dortigen Generalgouvernement zwei Zolleinnehmer, De Vincenti und Talamona, auf dem Grunde, daß sie den Kontraband begünstigt haben und mit den Schwärzern auf dem besten Fuße stehen sollen, suspendiert worden sind, und bei welcher Gelegenheit zugleich das Verlangen ausgesprochen wurde, daß die Finanzbehörden dem Statthalter untergeordnet werden sollen5.
Was die ohne eine vorausgegangene Untersuchung und Anzeige an den Vorsteher der Finanzbehörden verfügte Suspendierung der gedachten Finanzbeamten anbelangt, findet sie der Finanzminister keineswegs gerechtfertigt. Wenn der Statthalter oder der Generalgouverneur dem Chef der Finanzverwaltung die Anzeige oder Eröffnung macht, daß ein oder der andere Finanzbeamte aus politischen Gründen auf seinem Posten nicht belassen werden könned, so wird der Chefe den Beamten nach Umständen versetzen, suspendieren, quieszieren oder seine Dienstesentlassung in Antrag bringen. Zu einer Unterordnung der Finanzbeamten unter den Statthalter sei gar kein Grund vorhanden, und dieselbe erscheine durchaus nicht notwendig, es wäre denn, der Statthalter wollte, wie in den anderen Kronländern, zugleich Chef der Finanzbehörden sein. Aber auch dieses wäre im lombardisch-venezianischen Königreiche nicht leicht ausführbar, weil es dort zwei Statthalter und nur eine Finanzoberbehörde gibt. Der Finanzminister glaubt daher, diese Angelegenheit dahin zu erledigen, daß es dem Statthalter oder Generalgouverneur zustehe, sofern ein Finanzbeamter aus politischen Gründen von seinem Posten zu entfernen ist, davon dem Vorsteher der Finanzbehörde die Eröffnung zu machenf, wenn aber es darauf ankommt, gegen den Beamten eine Disziplinaruntersuchung einzuleiten, die vorgekommenen Tatsachen und Verdachtsgründe dem gedachten Vorsteher zu eröffnenf, welcher dann entweder eine gemischte oder eine bloß finanzielle Untersuchung über diesen Beamten einzuleiten und seine Versetzung oder Quieszierung und das sonst Nötige verfügen wird.
Der Ministerrat erklärte sich hiermit einverstandeng,6 so wie auch
IV. Ordnungswidriges Verfahren des lombardisch-venezianischen Generalgouvernements gegenüber den Finanzbehörden
mit dem weiteren Antrage des Finanzministers, aus Anlaß eines von dem Generalgouvernement an den Vorsteher der Finanzbehörden (mit der Unterzeichnung „Piombazzi“) erlassenen, die unabhängige Stellung der Finanzbehörden kompromittierenden Auftrages, die Akten über gewisse Finanzbeamten unverweilt vorzulegen und die eingetretene Verzögerung zu rechtfertigen, dem Feldmarschall Radetzky zu schreiben, er|| S. 64 PDF || wolle darauf sehen, daß von seiner Kanzlei keine solchen Erlässe an die Finanzbehörde mehr ausgefertigt werden7.
V. Entlassung eines Ministerialkonzipisten durch die Militärbehörde
Hier bemerkte der Minister der Landeskultur etc. Ritter v. Thinnfeld , daß auch ihm von der Militärbehörde das Entlassungsdekret für den in seinem Ministerium angestellten Konzipisten Samuel v. Bántó zugestellt worden sei, ohne irgend einen Grund anzugeben, warum derselbe entlassen werden soll und ob eine Untersuchung mit demselben vorgenommen worden ist. Dieser Fall dürfte in dem oben zu III. erwähnten Sinne zu erledigen sein8.
VI. Kosten der Eisenbahn über den Semmering
Der Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Bauten Freiherr v. Bruck übergab schließlich zur Berichtigung der selbst zur Ah. Kenntnis gekommenen irrigen Angaben rücksichtlich der Kosten der Eisenbahn über den Semmering die beiliegende Zusammenstellung der einzelnen Strecken des Semmerings mit deren Länge, Bausumme etc. zu Protokoll, um auf diesem Wege zur Ah. Kenntnis gebracht zu werden. Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich, daß der Unterbau 7,382.525 fr., der Oberbau mit Doppelgeleisen und schweren Schienen 1,518.000 fr., die Gebäude 499.475 fr. und das ganze zusammen 9,400.000 fr. kosten würdeh .
Wien, den 8. Juni 1850. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 12. Juni 1850.