Nr. 257 Ministerrat, Wien, 18. Jänner 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 20. 1.), Krauß 21. 1., Bach 21. 1., Gyulai 21. 1., Schmerling 21. 1., Bruck, Thinnfeld 21. 1., Thun, Kulmer 21. 1.; abw.abwesend Stadion.
MRZ. 286 – KZ. 238 –
Protokoll der am 18. Jänner 1850 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses etc. Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Ablehnung der Errichtung einer Universität in Hermannstadt
Der Ministerpräsident eröffnete, daß Se. Majestät der Kaiser die in dem Ministerrate vom 14. l.M. aus Anlaß der Ernennung des Dr. Harum zum Professor zur Sprache gebrachte Errichtung einer förmlichen Universität in Hermannstadt nicht angezeigt finden1.
II. Erwerb der lombardisch-venezianischen Eisenbahnaktien
Der Justizminister erstattete infolge Ministerratsbeschlusses vom 5. v.M.2 sein Rechtsgutachten über die Frage, ob der lombardisch-venezianischen Eisenbahngesellschaft vertragsmäßig das Recht zustehe, die Einlösung der Aktien durch den Staat al pari zu fordern.
Das Übereinkommen vom Jahre 1843 räumt der Gesellschaft dieses Optionsrecht nur unter folgenden zwei Bedingungen ein: 1. daß der Ober- und Unterbau der fraglichen Bahn gänzlich vollendet sei, und 2. daß der Bau aus den eigenen Mitteln der Gesellschaft geführt worden sei3. Da nun diese Bedingungen nicht erfüllt erscheinen, indem 1. noch immer beträchtliche Strecken der Eisenbahn zwischen Venedig und Mailand unausgebaut sind, und 2. der Bau in letzter Zeit auch zum Teile aus Staatsmitteln geführt wurde, so erklärte Ritter v. Schmerling, daß er das fragliche Optionsrecht als nicht bestehend ansehen müsse.
Der Minister des Handels erklärte, daß seiner Meinung nach das Optionsrecht der Gesellschaft noch nicht als absolut verwirkt gelten könne; adaß solches dagegen nicht in der Ausdehnung bestehe, wie die Gesellschaft es geltend machen wolle, d.h. bis der Staat die ganze Bahn hergestellt habea . Man müsse berücksichtigen, daß wenigstens gewisse Strecken der Eisenbahn, nämlich einerseits bis Treviglio, andererseits bis Vicenza, ausschließend mittelst der Gesellschaftskapitalien in Ober- und Unterbau vollendet und fahrbar hergestellt worden sind. Ferner sei nicht zu übersehen, daß die Regierung|| S. 40 PDF || selbst aus politischen und militärischen Rücksichten die Bauleitung in die Hand genommen und ohne Auftrag oder Zustimmung der Aktionäre einen Teil der Baukosten für die von der Regierung gewünschte schnelle Herstellung der Strecke zwischen Vicenza und Verona aus der Staatskasse angewiesen habe, bnachdem solche aus den Mitteln der Gesellschaft fast vollendet war, als die Insurrektion ausbrach.b,4 Diese Eingriffe der Regierung könnten unmöglich den vertragsmäßigen Ansprüchen der Gesellschaft nachteilig sein, cund seiner Ansicht nach haben die der Gesellschaft eingeräumten zwei Jahre von dem Augenblicke an begonnen, als nach der Wiedereinnahme von Venedig der Betrieb der Bahn bis Verona für das Publikum eröffnet worden ist.c
Der Finanzminister erklärte, bei den bevorstehenden Verhandlungen mit der Eisenbahngesellschaft sowohl von der Deduktion des Justizministers als von den Bemerkungen des Freiherrn v. Bruck den geeigneten Gebrauch machen zu wollen5.
III. Sprache bei Gerichtsverhandlungen
Der Justizminister äußerte, daß mehrere Vorkommnisse bei höheren und niederen Gerichtsbehörden in verschiedenen Provinzen mit gemischter Bevölkerung ihm die Überzeugung von der Notwendigkeit beigebracht habe, über die Sprache, in welcher die Gerichte nach den verschiedenen Richtungen ihrer Amtswirksamkeit und in Gremio, mündlich und schriftlich zu verhandeln haben, eine bestimmte und allgemeine Norm zu erlassen6. Ritter v. Schmerling las einen Entwurf der über diesen Gegenstand festzusetzenden Bestimmungen, und nachdem sich darüber einige Minister in verschiedenem Sinne geäußert, wurde beschlossen, daß dieser Entwurf sämtlichen Ministern vorläufig in lithographierten Exemplaren mitzuteilen und hierauf erst die eigentliche Beratung zu eröffnen wäre7.
IV. Zeitungsartikel des „Lloyd“ gegen die Bankdirektion
Der Finanzminister las eine an ihn soeben gelangte Note der Bankdirektion, worin über die in dem hier beigeschlossenen Morgenblatte des „Lloyd“ vom 17. Jänner enthaltene böswilligen und verleumderischen Angriffe Klage geführt und gebeten wird, die Nationalbank wolle gegen diese und ähnliche Angriffe von Seite des genannten Journals in Schutz genommen werden8.
Es wird darin der Direktion Liederlichkeit in der Gebarung, dem Bankgouverneur aber vorgeworfen, daß er den Bankausschuß zum Gesetzesbruch verleitet habe. Am Schlusse des Artikels erscheint die Insinuation, daß der Gouverneur durch die von ihm hintertriebene Prüfung der jährlichen Rechnungsabschlüsse den Verdacht errege, es sei in der Bank etwas zu verhehlen.|| S. 41 PDF ||
Der Finanzminister setzte sowohl den Vorgang bei der Bankausschußsitzung vom 7. Jänner l.J. als die Modalitäten auseinander, wie die Rechnungsabschlüsse geprüft werden, aus welcher Darstellung sich ergibt, daß der gerügte Zeitungsartikel zwei wesentliche Unrichtigkeiten enthalte: nämlich a) daß die Rechnungen nicht geprüft worden seien, und b) daß der Bankgouverneur die Ausschüsse von der Prüfung abgehalten habe. Da nun die Bankdirektion die täglich sich wiederholenden ungerechten und zum Teil selbst verleumderischen Angriffe des „Lloyd“ schwer empfindet und dieselbe bei ihrer erprobten Willfährigkeit, dem allgemeinen Besten zu dienen, gerechten Anspruch auf einen besonderen Schutz der Regierung hat, welche die Gebarung des Instituts durch ein von ihr ernanntes Organ, den Gouverneur, leitet und somit von dem Tadel der Gebarung gleichfalls getroffen wird, so glaubte Baron Krauß, es sei notwendig, in dieser Angelegenheit etwas zu tun, um der Bankdirektion die gebührende Satisfaktion zu verschaffen. Es frage sich nur, wie weit die Regierung diesfalls zu gehen habe. Man habe die Auswahl unter folgenden Maßregeln: 1. Einschaltung eines, die tatsächlichen Unrichtigkeiten aufdeckenden Artikels im „Lloyd“ selbst, wozu dieses Blatt nach dem Preßgesetze verpflichtet ist; 2. Eine umständliche Darstellung in der Wiener Zeitung über die bei der ganzen Gebarung der Nationalbank eingeführten ebenso zweckmäßigen als sorgfältigen Kontrollen, um die dem Kredite des Instituts nachteilige Insinuationen über geheime Unterschleife in ihrer Nichtigkeit darzustellen, und 3. Einleitung eines Preßprozesses gegen den verantwortlichen Nominalredakteur Löwenthal und die sonstigen, nach dem Gesetz für den bestrittenen Artikel haftenden Personen.
Nach reifer Erwägung entschied man sich, daß die Regierung bloß die unter 1. und 2. bezeichneten Maßregeln zu ergreifen und es der Bankdirektion zu überlassen hätte, von ihrem Rechte zur Überreichung einer Preßklage Gebrauch zu machen. Bei der Ungewißheit des Ausgangs eines Preßprozesses dieser Art könnte die Einbringung einer Klage durch den Staatsanwalt leicht einen ganz andern als den gewünschten Erfolg herbeiführen9.