Nr. 230 Ministerrat, Wien, 17. Dezember 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Krauß, Bach, Gyulai, Schmerling, Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 18. 12.), Krauß 18.12., Bach 19.12., Gyulai 18.12., Schmerling 18.12., Bruck, Thinnfeld 18.12., Thun, Kulmer 18.12.; abw.abwesend Stadion.
MRZ. 4686 – KZ. 3924 –
- I. Provisorische Gesetze über Grundbücher, Kompetenz und Strafverfahren, Konkurse und Brachium in Ungarn
- II. Todesurteile gegen Johann Bind und Joseph Rach
- III. Posteinigungskonferenz
- IV. Freihafen von Venedig
- V. Wirkung der Zeitungsartikel über die Oesterreichische Nationalbank im Auslande
- VI. Nachricht aus Schumla
- VII. Ministergutachten über k.k. Familiengüter
- VIII. Gesuch des Magistrats von Komorn um Unterstützung
- IX. Zulage für Gymnasialprofessoren
- X. Erleichterung der Gefangenschaft des Grafen Leopold Nádasdy
Protokoll der Sitzung des Ministerrats gehalten zu Wien am 17. Dezember 1849 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses FML. Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Provisorische Gesetze über Grundbücher, Kompetenz und Strafverfahren, Konkurse und Brachium in Ungarn
Der Justizminister referierte über die infolge der Gerichtsorganisation in Ungern notwendig gewordenen provisorischen Vorschriften1.
a. In betreff der Grund- und Intabulationsbücher bei den Bezirksgerichten, wornach zur Anlage derselben einstweilen mittelst einzelner Folien auf Anlangen der Grundbesitzer oder deren Gläubiger mit Ausschluß derjenigen, welche Realitäten infolge von Pfand(schein-) Verträgen besitzen, geschritten werden soll.
b. In betreff der Zuständigkeit der Strafgerichte und des Verfahrens in Strafsachen, wornach mit Zugrundelegung der Hauptbestimmungen des österreichischen Strafgesetzes über die Gliederung der Verbrechen und Vergehen, die Kompetenz der Einzelrichter bei Verbrechen oder Vergehen, die nicht über sechsmonatliche Haft als Strafe nach sich ziehen, jene der Bezirkskollegialgerichte bei Verbrechen mit Strafen bis drei Jahre und jene der Landesgerichte bei allen höher verpönten Verbrechen einzutreten hätte.
c. In betreff der Zuständigkeit der Gerichte bei Konkursfällen, deren Verhandlung, wo der Passivstand 1.000 fr. übersteigt, den Landesgerichten zugewiesen wird.
d. In betreff des „Brachiums“, d.i. jener Verrichtungen, welche bisher in Gemäßheit des Wechselgesetzes dem Vizegespan, Stuhlrichter etc. oblagen und nunmehr den betreffenden Bezirksrichtern zugewiesen werden sollen.
Da der Ministerrat mit den Anträgen einverstanden war, so wird der Justizminister hierwegen Vortrag an Se. Majestät erstatten2.
II. Todesurteile gegen Johann Bind und Joseph Rach
Weiters referierte derselbe über die wider Johann Bind wegen meuchlerischen Gattenmordes, dann wider Joseph Rach (rectius Roch) wegen Mordes gefällten Todesurteile mit dem Antrage auf Nachsicht der Todesstrafe, wogegen nichts erinnert wurde3.
III. Posteinigungskonferenz
Der Handelsminister teilte den Inhalt eines Schreibens des nach Berlin zur Konferenz über die deutsche Posteinigung abgesandten Rates Turneretscher mit, woraus hervorgeht, daß der preußische Minister v. Heydt bereit ist, in dieser Angelegenheit mit der österreichischen Regierung Hand in Hand zu gehen, vorläufig jedoch die Mitteilung der Ansichten der letzteren über die wesentlichsten Gegenstände der Unterhandlung erwartet4.
Um dieser Erwartung zu entsprechen, wird es nötig sein zu erklären, ob Österreich dena von denb deutschen Regierungen cnach denc zu Dresden verabredeten feststehendend Bestimmungen über den Debit, Preise und Transport der Zeitschriften beitritt. Der Handelsminister erbat sich die Ermächtigung des Ministerrats, diese Erklärung bejahend abgeben zu dürfen, vorbehaltlich der bei der Postkonferenz selbst zu beantragenden und zu beschließenden Abänderungen, was insbesondere der Finanzminister lebhaft wünscht, weil ihm der der Portobemessung für Zeitschriften zum Grunde gelegte Maßstab nach dem Preise der Zeitung nicht zweckmäßig erschiene.
Der Ministerrat trat dem Antrage des Handelsministers bei, welcher hiernach das Weitere erlassen wird5.
IV. Freihafen von Venedig
Ebendieser Minister brachte aus Anlaß der Aufhebung der Hafenfreiheit von Venedig die Notwendigkeit zur Sprache, für ein Entrepot zur Unterbringung der ausländischen Warenvorräte, welche derzeit in einer dem Zollwert von 11 Millionen ausmachenden Masse in Venedig aufgehäuft lagern, zu sorgen, und schlug zu diesem Ende vor, hierzu die Insel San Giorgio, welche schon ursprünglich, bevor ganz Venedig die Hafenfreiheit erhielt, Freihafen war und mit den nötigen Magazinen etc. versehen, dermalen|| S. 908 PDF || aber, als der wichtigste strategische Punkt fzum Teilef vom Militär besetzt ist, gänzlichg wenigstens insolange einzuräumen, bis durch eine Kommission ein geeigneter Platz für den Freihafen ausgemittelt und adaptiert worden sein wird6.
Da der Kriegsminister sich gegen die, wenn auch nur zeitweilige Räumung der Insel San Giorgio vom Militär zumal schon gegenwärtig auf das bestimmteste erklärte, und das nach dessen Meinung von der Marine nie mehr zu beziehende große Arsenal hinlänglichen Raum zur Unterbringung des Freihafens bietet, so wird der Handelsminister den eben in Venedig anwesenden Ministerialrat v. Blumfeldh seines Ministeriums anweisen, imit dem Feldmarschall Radetzky zu konferieren und an Ort und Stelle die nötigen Erhebungen zu pflegen, da der Ministerrat der Ansicht beitrat, daß dem Handelsstande insolange die Insel San Giorgio überlassen werden müsse [ ]i .7
V. Wirkung der Zeitungsartikel über die Oesterreichische Nationalbank im Auslande
Weiters teilte der Handelsminister den Inhalt eines Berichts des Generalkonsulatsverwesers in Leipzig über den üblen Eindruck und die nachteiligen Folgen mit, welche die seit längerer Zeit fortgesetzten Ausfälle der österreichischen, selbst konservativen Zeitschriften gegen die Österreichische Nationalbank für unseren Kredit im Auslande verursachen8. Er nahm hieraus Veranlassung, den Finanzminister anzugehen, daß die mit der Reform des Bankinstituts zu betrauende Kommission baldigst ihre Arbeiten beginnen und gleichzeitig ein Abkommen mit einem der tüchtigsten Mitarbeiter des Lloyd, Warrens, von welchem die Artikel gegen die Bank herrühren, versuchet werde. Indem es der Minister des Inneren übernahm, in letzterer Beziehung nach Tunlichkeit einzuwirken, erklärte der Finanzminister , daß die obgedachte Kommission bisher nur darum noch nicht ins Leben getreten sei, weil noch Abgeordnete aus dem lombardisch-venezianischen Königreiche fehlen9.
VI. Nachricht aus Schumla
Nach einem vom Ministerpräsidenten vorgelesenen Schreiben aus Schumla vom 23. November ist Kossuth wegen Vernachlässigung seines Anhanges infolge eines Verhältnisses zu der jungen Gräfin Dembińska (einer Debreziner Kaufmannstochter)|| S. 909 PDF || gestürzt und an seiner Stelle Moritz Perczel zum Chef der ungrisch-polenschen Emigration erhoben worden10.
VII. Ministergutachten über k.k. Familiengüter
Der Ministerpräsident brachte aus Anlaß der vom k.k. Fondsgüterdirektor Hofrat Krzisch beantragten Einvernehmung des Ministeriums für Landeskultur über die Errichtung einer Rübenzuckerfabrik auf der k.k. Familienfondsherrschaft Göding die Frage vor, ob die k.k. Ministerien berufen seien, in Privatangelegenheiten der Ah. Familie Gutachten zu erstatten.
Der Ministerrat erklärte einstimmig, daß die k.k. Minister als solche vermöge ihrer ämtlichen Stellung hiezu nicht berufen seien11.
VIII. Gesuch des Magistrats von Komorn um Unterstützung
Das an Se. Majestät gelangte Gesuch des Komorner Magistrats vom 20. November 1849 um Unterstützung wurde über Antrag des Finanzministers vom Ministerpräsidenten dem Minister des Inneren zur Einholung der nötigen Information darüber durch Baron Geringer übergeben12.
IX. Zulage für Gymnasialprofessoren
Der Unterrichtsminister brachte seinen Vortrag vom 18. November 1849 KZ. 3677 wegen Gehaltsverbesserung für die Gymnasialdirektoren, Katecheten und Lehrer, welcher bereits unterm 10. Dezember 1849 No. VI. im Ministerrate verhandelt worden, nochmals mit der Schlußbemerkung zur Sprache, daß er, gern bereit, vermeidliche Auslagen den Finanzen zu ersparen, die Zulage für die Katecheten aufgeben wolle, dagegen auf seinen durch ein wahrhaft dringendes Bedürfnis gebotenen Anträgen für die Direktoren und Lehrer verharren müsse.
Der Finanzminister hält aber gerade die Reduktion der letzten, mit 30.700 fr. angesetzten Post im Interesse der Finanzen für notwendig und will sich für itzt nur zur Passierung der Hälfte, also einer Zulage von 100 fr. jährlich für jeden Lehrer, mit dem Bemerken verstehen, daß man es mit der Einstellung der sog. Nachstunden in der ersteren Zeit nicht so genau nehmen dürfte. Gegen die Zulage für die Direktoren hätte er nichts einzuwenden.
Bei der Umfrage (wo der Justizminister den Wunsch äußerte, daß für jedes Ministerium ein Budget festgesetzt werden möchte, um nicht bei jeder einzelnen Post die besondere Zustimmung des Finanzministeriums verlangen zu müssen, ein Wunsch, den der Finanzminister unter den gegenwärtigen Verhältnissen für unausführbar erklärte, weil, nachdem der größte Teil der ordentlichen Einnahmen vom Aufwande für die Armee in Anspruch genommen wird, beinahe alle übrigen Forderungen durch außerordentliche Mittel bedeckt werden müssen) erklärten sich drei Stimmen (v. Schmerling, v. Bruck und v. Thinnfeld) für den Antrag des Unterrichtsministers, aber|| S. 910 PDF || die Minister Bach, Graf Gyulai, Freiherr v. Kulmer und der t.g. gefertigte Ministerpräsident, also die mehreren, für den Antrag des Finanzministers, welcher die Last der Finanzen etwas erleichtern, dabei doch eine Verbesserung der Lage der Lehrer gewähren und eine weitere in Aussicht stellen würde13.
X. Erleichterung der Gefangenschaft des Grafen Leopold Nádasdy
Der Kriegsminister referierte über das Gesuch der Gräfin Tornay um die Vergünstigung, daß ihr Schwiegersohn, der zu vier Jahren Festungsarrest verurteilte Graf Leopold Nádasdy, seiner Haft entlassen und ihm gestattet werde, in der Festung auf freiem Fuße zu leben, mit dem Antrage auf Abweisung, nachdem die tunlichen Erleichterungen bereits zugestanden worden sind14.
Die Mehrheit des Ministerrats trat diesem Antrage bei, nur Baron Kulmer, welcher den Grafen Nádasdy im Vergleiche zu andern zu streng behandelt findet und von einer längeren Anhaltung desselben im Arreste für dessen schwächliche Gesundheit nachteilige Folgen fürchtet, würde für die Gewährung der Bitte stimmen15.
Wien, am 18. Dezember 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 20. Dezember 1849.