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Nr. 217 Ministerrat, Wien, 30. November 1849 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Wacek; VS. Schwarzenberg; anw. Krauß, Bach, Gyulai, Schmerling, Bruck, Thun, Thinnfeld, Kulmer; BdE. (Schwarzenberg 1. 12.), Krauß 8.12., Bach 8.12., Gyulai 7.12., Schmerling, Bruck, Thun, Thinnfeld 11.12., Kulmer 4.12.; abw. Stadion.

MRZ. 4405 – KZ. 3774 –

Protokoll der am 30. November 1849 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.

I. Provisorische Reichsgewalt

Der Ministerpräsident eröffnete, daß der Erzherzog Reichsverweser bereit sei, die provisorische Reichsgewalt an das Interim abzugeben, sobald sämtliche Regierungen ihre Beitrittserklärung eingesendet haben werden (deren noch vier abgehen), und dann in Gegenwart der Abgeordneten derselben nach einer Anrede abzutreten1. Preußen habe erklärt, daß dieses nicht angehe, indem die anderen Regierungen nach § 7 ihre Befugnisse in die Hände des Königes von Preußen gelegt hätten und keine Bevollmächtigten zu dem Akte senden dürfen. Jene, welche zufällig da wären, mögen als Zuseher und Zuhörer daran teilnehmen2.

Gestern nachts, bemerkte der Ministerpräsident weiter, sei er mittelst einer telegraphischen Depesche in die Kenntnis gesetzt worden, die Regierung des Königes von Preußen könne und werde Bevollmächtigte anderer Regierungen zu dem erwähnten Akte nicht zulassen, und der preußische Gesandte Graf Bernstorff habe ihm heute früh dasselbe mitgeteilt und um eine Antwort angesucht3, welche ihm einstweilen dahin erteilt wurde, daß der Ministerpräsident darüber erst mit Sr. Majestät dem Kaiser und seinen Kollegen sprechen müsse. Der Ministerpräsident erkennt diese Forderung Preußens als eine durch nichts gerechtfertigte Anmaßung, an der wir uns nicht beteiligen können. Warum Abgeordnete anderer Regierungen, wenn sie keine politische Rolle spielen, dabei nicht als Zuhörer und Zuschauer gegenwärtig sein könnten, sei nicht abzusehen. Der Erzherzog Reichsverweser habe übrigens einen Mann mit Aufträgen hierher geschickt, der|| S. 859 PDF || nächstens eintreffen werde, nach dessen Vernehmung dann das Weitere hierüber festgesetzt werden dürfte.

Die Minister Ritter von Schmerling und von Bruck bemerkten hierbei, daß es vielleicht nicht unangemessen wäre, einen Termin, etwa den 15. Dezember, festzusetzen, wo das Interim ins Leben zu treten hätte4.

II. Lucchesisches Anlehen

Der Handelsminister Ritter von Bruck brachte hierauf folgenden Gegenstand zur Sprache5: Der alte Herzog von Lucca Karl II. habe, bevor er noch in den Besitz von Parma und Piacenza gelangte, ein Anlehen von 800.000 fr. bei Rothschild gemacht, wofür Österreich die Garanzie übernahm, und als Hypothek einige seiner Allodialgüter in Lucca eingesetzt. Die früheren Raten seien richtig gezahlt worden, drei der späteren blieben aber im Rückstande, woran die in letzterer Zeit eingetretenen Wirren Ursache waren.

Als der Minister von Bruck in Mailand angekommen war, sprach der Bevollmächtigte des Herzogs von Lucca Ward mit ihm, ob nicht Mittel gefunden werden könnten, mit dieser Schuld zuende zu gelangen, und es wurde eine Konvention dahin kombiniert, daß der parmesanische Staatsrat in die Schuldbücher von Parma und Piacenza diese Schuld eintragen lasse und dadurch sicherstelle, wozu es aber notwendig sei, daß der junge Herzog Karl III. eine Akte einlege, derzufolge ein angemessener Teil seiner Apanage zur Ratenzahlung der Schuld und der Interessen abgezogen werden darf. Ward ist eingegangen, und das vorzüglichste Motiv hiezu war, daß die Hypothek auf die herzoglichen Güter in Lucca aufgehoben werde. Ward hat ferner das Nötige eingeleitet, daß der junge Herzog die erwähnte Akte einlege, was auch geschehen ist.

Da das Finanzministerium die Hypothek in Lucca nicht löschen lassen will, so meinte der Minister von Bruck, daß die unter seiner Mitwirkung geschlossene Konvention für Parma nicht dazu benützt werden sollte, um eine größere Sicherheit zu erlangen, und wolle man die Privathypothek in Lucca nicht löschen lassen, so müsse man den Parmesanern freistellen, von jener Inskription abzugehen.

Der Finanzminister Freiherr von Krauß bemerkte hierüber, der ursprüngliche Vertrag mit dem Herzoge von Lucca Karl II. sei die Grundbasis des gegenwärtigen Verhältnisses. Ein Paragraph dieses Vertrages bestimme, daß, sobald der Herzog Parma bekommt, die Schuld aus den Landeseinkünften getilgt werden soll. Hiernach haben wir nebst der Privathypothek auch die Hypothek auf die Einkünfte des Herzogtums Parma erworben, und nun soll die Privathypothek aufgegeben werden, wogegen er sich bestimmt erklären müsse. Der junge Herzog habe kein größeres Recht als der Vater. Die Hauptschwierigkeit liege in der Natur der Schuld. Ward wolle sie als Privatschuld des|| S. 860 PDF || Herzogs erklären, wir müssen uns aber hüten, sie als solche zu erkennen, denn ist man mit der Hypothek auf dem großen Buche zufrieden und es tritt eine Veränderung in Parma ein, so ist eine Gefährdung der Schuld vorhanden, deren Verantwortung er nicht übernehmen könnte.

Die Minister von Bruck und Graf Thun meinten dagegen, daß diese Schuld als eine Privatschuld des Herzogs Karl II. angesehen werden müsse, die er übernommen, als er noch nicht Herzog von Parma war, weshalb auch in Parma die Inskription verweigert und erst dann bewilliget wurde, als der junge Herzog die erwähnte Akte eingelegt hat, ohne welche die Inskription in Parma nie erfolgt wäre. Auch bemerkte der Minister von Bruck, daß Parma nur wenige Schulden habe, zahlungsvermögend sei, der junge Herzog die Schuld anerkenne, und daß es ihm besser schiene, daß Österreich seine Forderung an Parma zu stellen habe.

Da es bei diesem Gegenstande vorzüglich auf Erwägung der juridischen Gesichtspunkte ankommt, aus welchen diese Sache aufgefaßt werden muß, nämlich auf die Beantwortung der Frage, ob wir aus Anlaß des ersten Vertrages zur Inskription berechtigt sind oder nicht, so hat der Ministerrat über die Motion des Ministers Ritter von Thinnfeld beschlossen, daß die beiden Verträge dem Justizminister zur Einsicht und Äußerung seiner Meinung hierüber mitgeteilt werden sollen6.

III. Kriegskontributionen und Requisitionen im lombardisch-venezianischen Königreiche

Der Minister Ritter von Bruck bemerkte weiter, bei Gelegenheit der Regulierung der italianischen Steuern sei den Italienern für drei Jahre ein Zuschlag von 50 Prozent zu der direkten Steuer gemacht, dagegen aber die bestimmte Zusicherung gegeben worden, daß alle Kriegskontributionen und Requisitionen aufzuhören haben7. Nach verläßlichen, dem Minister von Bruck zugekommenen Nachrichten hört aber die Eintreibung der Kriegskontribution in der Lombardie und im Venezianischen nicht auf, was keineswegs geeignet sei, die Gemüter der Italiener für uns zu gewinnen. Nach der Ansicht des Ministers wäre das Patent über die oberwähnte Steuerregulierung dem Feldmarschall in Erinnerung zu bringen, nach welchem die Kriegskontribution und Requisition und die zu deren Eintreibung aufgestellten Kommissionen aufzuhören haben, indem selbst die allfälligen Ausstände daran durch die politischen Behörden eingetrieben werden können, wogegen sich keine Erinnerung ergab8.

IV. Grundsteuer in Krakau

Der Finanzminister Freiherr von Krauß besprach hierauf die Grundsteuerangelegenheit des Gebietes Krakau. In der dortigen Grundsteuer waren früher auch die Urbarialschuldigkeiten begriffen, welche mit 56.000 fr. ausgemittelt worden sind. Dieser Betrag wurde aus der Grundsteuer ausgeschieden, und das Finanzministerium|| S. 861 PDF || genehmigte diese Ausscheidung mit dem Beisatze, daß die Grundsteuer deshalb nicht vermindert werden dürfe9.

Gegenwärtig handelt es sich um die Frage, wie der erwähnte Ausfall gedeckt werden solle. Die Kommission in Krakau und der Gouverneur bemerken, daß daselbst die Grundsteuer (Offiara), die Kaminsteuer und eine Klassenerwerbssteuer bestehen. Von der Offiara wurden den Grundbesitzern jene 56.000 fr. abgezogen, die nun anders gedeckt werden sollen. Die Kommission und der Gouverneur meinen, daß diese 50.000 fr. nicht auf die Kaminsteuer (eine nicht zweckmäßig eingerichtete und wenig ausgiebige Steuer), sondern auf die Klassenerwerbssteuer zu legen wären, da die Grundbesitzer nun Eigentümer ihrer Gründe sind. In Krakau waren sie nämlich nur Pächter, und erst unter Österreich und nach Lösung des Untertansbandes sind sie Eigentümer der Gründe geworden. Früher waren sie von der Grundsteuer frei, und es erscheint billig, daß sie den erwähnten Ausfall übernehmen, der zu der Erleichterung, die ihnen durch die Aufhebung der Urbarialschuldigkeiten zugegangen, ohnedies in einem mäßigen Verhältnisse steht10.

Der Finanzminister hält diese Modalität zur Genehmigung geeignet, wozu der Ministerrat seine volle Zustimmung gab11.

V. Erledigung der kroatischen Landtagsbeschlüsse vom Jahre 1848

Der Minister des Inneren Dr. Alexander Bach teilte mit, daß er den Vortrag des Ministerrates samt Patent über die Erledigung der kroatischen Landtagsbeschlüsse und über die Organisierung von Kroatien dem Minister Freiherrn von Kulmer zur vorläufigen Durchsicht übergeben habe12. Bei diesem Anlasse wurde zugleich erwähnt, daß der von Sr. Majestät angenommene Titel eines Großwoiwoden am Schlusse des großen kaiserlichen Titels darum gereiht wurde, weil die Woiwodschaft das jüngste österreichische Kronland ist13.

VI. Franz-Joseph-Ordensstiftung

Derselbe Minister las hierauf den Entwurf der Statuten des neu einzuführenden Verdienstordens unter der Benennung „Franz-Joseph-Orden“ vor. Dieser Orden soll von jedem ausgezeichneten Verdienste ohne Rücksicht auf Stand und Religion erreichbar sein, die Devise „Viribus unitis“ führen, aus drei Klassen bestehen, deren erste „Großkreuz“, die zweite „Kommandeur“ oder „Komtur“ und die dritte „Ritter“ dieses Ordens heißen, taxfrei verliehen werden, die Dekoration soll nach dem Tode des Ausgezeichneten oder wenn er der Auszeichnung verlustig erklärt wurde, an die Ordenskanzlei zurückgestellt werden, Se. Majestät behalten sich als Großmeister dieses Ordens das Recht vor, den Großkanzler dieses Ordens aus den Rittern der ersten Klasse desselben und die übrigen Ordensbeamten zu ernennen usw.

|| S. 862 PDF || Der Ministerrat erklärte sich in der Sache einverstanden, der Plan und die Form der Dekoration wird noch näher abgesprochen werden14.

VII. Behandlung der durch die Organisierung der Behörden entbehrlich werdenden Beamten

Nachdem die Organisierung der Behörden bereits weit vorgeschritten ist, so hielt es der Minister des Inneren schließlich für notwendig, auch die Bestimmungen zu besprechen, was mit jenen Beamten zu geschehen habe, die bei der neuen Organisierung nicht werden untergebracht werden können. Ein Teil der Beamten, bemerkte derselbe, wird in der Verwendung bei den Statthaltern bleiben. Auf die geistlichen, dann Schul-, Bau-, Gewerbs-, Landeskultur- und Bergwesens- und Steuerreferenten wird bei der definitiven Organisierung der betreffenden Ministerien Rücksicht genommen werden.

Im allgemeinen, meinte der Minister, wäre mit möglichster Schonung vorzugehen. Jeder Beamte, der in dem neuen Dienstverhältnisse beibehalten wird, hätte die frühere Besoldung und, wenn sie höher als jene des neuen Dienstes ist, das Plus ad personam zu genießen. Die Beamten, die nicht bleibend verwendet werden können, treten von dem Tage ihres Austrittes aus dem Dienste in den Genuß des Begünstigungsjahres und nach Ablauf desselben, wenn sie im Laufe dieses Jahres keine Wiederanstellung erlangen, in die normalmäßige Behandlung. Funktionszulagen, wenn sie nicht mit dem dem Beamten zuteil gewordenen Posten verbunden sind, hören auf, wie auch die Quartiergelder, wenn die Beamten von hier wegkommen.

Was das Kanzleipersonale anbelangt, das künftig auf das den Ministern zu gewährende Pauschale angewiesen sein wird, wären jene Individuen desselben, welche schon Gehalte haben, auf Rechnung dieses Pauschales mit ihren Gehalten in Verwendung zu nehmen, die zugebrachten Dienstjahre werden ihnen eingerechnet werden. Den Kanzleipraktikanten (welche künftig entfallen) wäre, insofern sie über drei Jahre gut dienen, die Aussicht offenzuhalten, auf Rechnung des Pauschales in Verwendung genommen zu werden, die anderen wären nach Maßgabe ihrer Dienstjahre mit 100–300 fr. abzufertigen.

Gegen diese Anträge des Ministers des Inneren ergab sich keine Erinnerung15.

Ah.E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Wien, den 12. Dezember 1849.