Nr. 129 Ministerrat, Schönbrunn, 28. Juli 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser; anw.anwesend Schwarzenberg, Krauß, Bach, Gyulai, Thinnfeld, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 30. 7.), Krauß 31. 7., Bach 31. 7., Gyulai 31. 7., Thinnfeld, Kulmer 31. 7.; abw.abwesend Stadion, Bruck.
MRZ. 2350 – KZ. 2058 –
Protokoll der zu Schönbrunn am 28. Juli 1849 in Ah. Anwesenheit Sr. Majestät abgehaltenen Ministerratssitzung.
I. Friedensschluß mit Sardinien, Amnestie
Die Sitzung wurde mit der Beratung über die durch Baron Metzburg überbrachten letzten Friedensvorschläge der sardinischen Regierung eröffnet1. Der Ministerpräsident las alle darauf Bezug habenden Papiere vor, namentlich den Bericht des Ritters v. Bruck2, den sardinischerseits beigebrachten Entwurf des Vertrages3 samt seiner Additionalakte4 und ein Schreiben des jenseitigen Bevollmächtigten Grafen Pralormo an Fürst Schwarzenberg5. Es ergibt sich hieraus, daß das Turiner Kabinett sich schließlich in alle österreichischerseits gesetzten Bedingungen, Zahlung einer Entschädigung von 75,000.000 Francs, Einbeziehung von Modena und Parma in den Traktat, Erneuerung der Konvention gegen den Schleichhandel, Festsetzung des Gravellonetalwegs als Grenze und Erbauung einer Brücke über denselben auf gemeinschaftliche Kosten ohne Brückenzoll, gefügt hat, sich mit den diesseitigen Zugeständnissen, Widerruf des Salzhandeltraktats vom Jahre 17516 und Reduktion des Zolles auf piemontesische Weine bei der Einfuhr nach Österreich, zufriedenstellt und nur von dem Anspruche auf Erteilung einer Amnestie für die im Aufstande kompromittierten Lombarden und Venezianer nicht abstehen will. Graf Pralormo erklärt in seinem vertraulichen Schreiben, dieser Anspruch sei nicht eine Bedingung, welche man Österreich auflegen will, sondern eine unausweichliche Notwendigkeit, welche als Ehrenschuld auf dem sardinischen Ministerium lastet, und der es sich so wenig entschlagen könne, daß der König in seinem Reiche keine Minister finden würde, welche die Verantwortlichkeit eines Friedensschlusses auf sich nähmen, in welchem die geflüchteten Lombarden und Venezianer ganz ihrem Schicksale überlassen wären. Man begehre aber sardinischerseits nicht die förmliche Stipulation der Amnestie im Vertrage, sie könne immerhin als ein spontaner Akt der kaiserlichen Regierung erfolgen und dürfte dergestalt der Ratifikation des Friedens vorausgehen.
|| S. 531 PDF || Nach dem Vorschlage des Feldmarschalls Grafen Radetzky würde der Akt der Amnestie am einfachsten und ohne Kompromittierung des Ansehens der kaiserlichen Regierung auf die Weise erteilt werden, daß der Feldmarschall in einem von ihm zu erlassenden Proklam den im letzten Kriege kompromittierten Lombarden und Venezianern die bereits infolge Ah. Beschlusses im September 18487 bewilligte straflose Rückkehr in die kaiserlichen Staaten noch durch eine bestimmte Zeitfrist offenläßt, ohne das Wort Amnestie auszusprechen. Von diesem Gnadenakte wären jedoch die gefährlichsten Individuen, etwa 150 an der Zahl, auszunehmen. Der Feldmarschall erklärt sich entschieden für die Annahme dieser Modalität, wobei der Abschluß des Friedens bewirkt und das lombardisch-venezianische Königreich doch vor der Wiederkehr der schlimmsten Agitatoren bewahrt würde8.
Über Anregung Sr. Majestät wurde der Teil des Vorschlags, welcher sich auf den Ausschluß von 150 Individuen von der Straflosigkeit und Heimkehr bezieht, in Absicht auf Recht und Billigkeit einer näheren Prüfung unterzogen und von dem Ministerrate erkannt, daß, nachdem die Amnestie ein reiner Gnadenakt ist, auf den niemand einen Rechtsanspruch hat, die kaiserliche Regierung ein unbestreitbares Recht habe, der Straflosigkeit jene Grenzen zu setzen, welche die Staatsklugheit gebietet. Andererseits könne man überzeugt sein, daß in das Verzeichnis der von der Amnestie Ausgenommenen nur solche Individuen werden aufgenommen werden, deren schlechte Gesinnung und Handelsweise notorisch ist, sodaß wohl niemand Ursache haben wird, über allzugroße Strenge oder relativ unbillige Behandlung zu klagen. Amnestien werden gewöhnlich mit einigen Ausnahmen erteilt, und Se. Majestät dürften nach der Pazifizierung Ungarns auch in den Fall kommen, eine derlei beschränkte Amnestie zu bewilligen. Endlich schließe selbst eine solche Beschränkung nicht aus, daß eines der ausgenommenen Individuen sich vor den Gerichten von jeder Schuld reinige.
Der Ministerpräsident las hierauf eine am selben Morgen eingelangte Depesche des Legationsrats Hübner in Paris, worin er berichtet, daß die Nachricht von der Übergabe des österreichischen Ultimatums im französischen Ministerium gewisse Mißstimmung erregt habe, weil man österreichischerseits nicht das Resultat der Schritte abgewartet hat, welche das französische Kabinett in Turin gemacht habe, um das Friedenswerk zu fördern. Hübner besorgt, daß, wenn die österreichischen Bedingungen sich von den französischerseits in Turin bevorworteten Stipulationen wesentlich entfernen, dies zu einer bedeutenden Abkühlung in den Beziehungen der Kabinette von Wien und Paris führen und unberechenbare Folgen nach sich ziehen könne. Herr Thierrs habe in einer vertraulichen Unterredung gegen ihn geäußert: „ne poussez poussez pas a l’extremité . . . je|| S. 532 PDF || crains nos généraux et l’esprit guerrir de notre armée . . . un instant peut ici changer toute la face des choses etc.“9
Nach reifer Erwägung aller in dieser wichtigen Angelegenheit zu berücksichtigenden Verhältnisse vereinigte sich der Ministerrat zu dem au. Antrage auf die Erteilung einer Amnestie mit einem kurzen Termin in der vom Feldmarschalle vorgeschlagenen Weise und mit dem nötigen Vorbehalt gegen die Wiederanstellung treubrüchiger Offiziers und Beamten. Die dermal in Venedig befindlichen Aufrührer wären auch jedenfalls von dem Gnadenakte auszuschließen.
Nachdem Se. Majestät der Kaiser diesen Antrag sofort Ag. zu genehmigen geruhten, übernahm es der gefertigte Ministerpräsident, dem Ritter v. Bruck und dem Feldmarschall die entsprechenden Instruktionen ohne Verzug zu erteilen10.
II. Übergabe von Rastatt
Der Kriegsminister las einen ihm zugekommenen dienstlichen Bericht über die erfolgte Übergabe Rastatts11.
III. Mission des Alexander v. Münchhausen
Der Minister des Äußern zeigte Sr. Majestät ehrerbietigst an, daß der König von Hannover den Freiherrn v. Münchhausen in geheimer Mission nach Wien gesendet habe, um sich über die Behandlung der deutsche Frage zu verständigen12.
IV. Umbesetzung des Ministeriums
Schließlich geruhten Se. Majestät der Kaiser die Ah. Handschreiben zu fertigen, womit die Allerhöchstenorts beschlossenen Modifikationen des Kabinetts angeordnet werden, nämlich a) die definitive Enthebung des Ministers Grafen Franz Stadion von den Ministerien des Inneren und des Unterrichts unter gleichzeitiger Ernennung zum Minister ohne Portefeuille, b) Ernennung des Dr. Alexander Bach zum Minister des Inneren unter gleichzeitiger Enthebung vom Ministerium der Justiz, c) Ernennung des Ritters Anton Schmerling zum Justizminister, d) Ernennung des Grafen Leo Thun zum Minister des Kultus und Unterrichts unter gleichzeitiger Enthebung des Ritters v. Thinnfeld von der provisorischen Führung des Unterrichtsministeriums13.
|| S. 533 PDF || Wien, 30. Julius 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 3. August 1849.