Nr. 38 Ministerrat, Wien, 15. Mai 1848 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend: Sommaruga, Krauß, Latour, Doblhoff, Baumgartner, Lebzeltern interimistischer Leiter des Außenministeriums
- RS.Reinschrift; RdA. Pipitz; VS.Vorsitz Pillersdorf; anw.anwesend Sommaruga, Krauß, Latour, Doblhoff, Baumgartner, Lebzeltern (interimistischer Leiter des Außenministeriums); außerdem anw.anwesend Lerch, Giskra, Hoyos; BdE.Bestätigung der Einsicht Pillersdorf (17. 5.). Franz Karl (22. 5.).
MRZ. 802 et 803 – KZ. –
Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 15. Mai 1848 unter dem Vorsitze des interimistisch mit dem Präsidium des Ministerrates beauftragten Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.
I. Unruhen in Wien
Der Minister des Inneren eröffnete die Sitzung mit der Mitteilung, daß die gestern schon bemerkte, aber noch beschwichtigte Aufregung sich heute heftiger zeige, daß man als Ursache derselben Unzufriedenheit im allgemeinen, insbesondere aber mit dem Wahlgesetze1, endlich mit dem infolge Ministerratsbeschlusses vom 12. d. [M.] erlassenen Tagesbefehls des Oberkommandos der Nationalgarde2 bezeichne, daß insbesondere von den Studenten und Arbeitern Demonstrationen beabsichtigt werden. Der Minister habe daher wegen Maßregeln zur Aufrechthaltung der Ruhe mit dem Oberkommandanten der Nationalgarde Graf Hoyos, mit GM. Baron Sardagna, mit dem Grafen Montecuccoli und dem Polizeidirektor eine Beratung gepflogen, als deren Resultat die Mission des Grafen Montecuccoli zur Besänftigung der Arbeiter, das Aufgebot der Nationalgarde und des Militärs, die Bewachung und nötigenfalls die Sperrung der Tore verabredet und bis nachmittags auch ausgeführt wurde.
Die zum Schutze der Hofburg notwendigen Maßregeln waren vom Kriegsminister angeordnet worden3.
Graf Montecuccoli hatte gegen den Minister des Inneren die Ansicht ausgesprochen, daß das Verbot der Nationalgarde, sich ein politisches Zentralkomitee zu wählen4 etc., und durch ein förmliches Gesetz auszusprechen wäre. Allein der Ministerrat nahm Anstand, dieser Ansicht beizustimmen, weil, wie Baron Doblhoff bemerkte, die Nationalgarde selbst noch keinen direkten Schritt gegen das Verbot getan hat.
Inzwischen wurde der Minister des Inneren durch eine Deputation abgerufen. Dieselbe, größtenteils aus Studenten und einigen Nationalgarden bestehend, wurde von ihm angewiesen, ihr Anliegen in einer förmlichen Petition schriftlich anzubringen5.
|| S. 229 PDF || Sie tat dies und brachte sofort folgende Bitten vor: 1. um Zurücknahme des Tagesbefehls vom 13. d. [M.]6; 2. um Besetzung der Tore, wichtigere Wachposten, insbesondere der k. k. Hofburg, durch die Nationalgarde, akademische Legion, uniformierten Bürgern gemeinschaftlich mit dem Militär; 3. um Entfernung des heute aufgebotenen Militärs und um die Anordnung, daß solches nur bei Ruhestörungen auf Verlangen der Nationalgarde selbst herbei[ge]zogen werde. Endlich berief man sich in dieser Eingabe auf eine schon früher gegen das Wahlgesetz überreichte, dem Ministerio aber nicht zugekommene Vorstellung.
Die Petition ward von dem später, während der Beratung herbeigekommenen und vor den Ministerrat gelassenen Dekan Dr. Lerch unterstützt, indem er anführte: ad 1., daß die Zurücknahme des Tagesbefehls zur Beruhigung der höchst aufgeregten Gemüter notwendig sei, er übrigens die Überzeugung aussprechen müsse, daß die Nationalgarde und akademische Legion in der Folge selbst zur Auflösung des Zentralkomitees schreiten werden, wenn sich in ihnen die Überzeugung von der Unvereinbarlichkeit ihrer Bestimmung als bewaffneter Macht mit der Teilnahme an politischen und gesetzgebenden Beratungen würde befestigt haben; daß ad 2. die Beziehung der Wachen den Akademikern mehr Beschäftigung und einen Beweis des Vertrauens geben würde, der geeignet wäre, sehr beruhigend zu wirken, und daß ad 3. auch dieses Begehren keinem wesentlichen Bedenken unterliegen dürfte, wenn man bedenkt, wie zahlreich die Nationalgarde ist. Würde die Petition abgeschlagen, so wäre eine Aufregung zu befürchten, deren Folgen sich nicht vorhersehen ließen.
Der Ministerrat glaubte anfangs, daß für den Augenblick mit einer Belehrung und Aufklärung der Begriffe über die Bestimmung der Nationalgarde ausgelangt werden könnte. Allein, die inzwischen gemeldete Überhandnahme der Gärung und ein fruchtloser Versuch, in dieser Art auf die Deputation einzuwirken, überzeugte ihn bald von der Unzulänglichkeit dieser Maßregel. Es mußte sich daher für eine kategorische Beantwortung der Petitionspunkte entschieden werden. Hierbei boten sich die drei Fragen dar: 1. ob unbedingt auf der Aufrechthaltung des Tagesbefehls zu bestehen sei, 2. ob auf derselben zu bestehen und dabei zugleich die Abdankung der Minister auszusprechen, oder 3. ob der Petition Folge zu geben und dabei die Entlassung einzureichen sei.
In der Erwägung, daß der Tagesbefehl und der ihm zum Grunde liegende Ministerratsbeschluß vom 12. auf durchaus unangreifbaren Gründen, auf der Natur und Bestimmung der Nationalgarde, beruht und daß nach einer abermals mit der Deputation gepflogenen Unterredung unter ihr selbst ein Zwiespalt sich offenbarte, indem die Mitglieder der Nationalgarde versicherten, daß ein Antrag auf Zurücknahme des Tagesbefehls im Komitee selbst noch nicht beraten, daher auch von dem Komitee selbst noch keine Petition diesfalls ausgegangen sei, bestimmten sich sämtliche Mitglieder des Ministerrats, mit Ausnahme des Baron Sommaruga, der mit Rücksicht auf die gefährdete Sicherheit der Ah. Personen sogleich für die Zurücknahme des Tagesbefehls stimmte, sich für die Aufrechthaltung des Tagesbefehls und gegen die Zusicherung der unmittelbaren Bewilligung der zwei fernern Punkte auszusprechen, und zwar Freiherr || S. 230 PDF || v. Krauß und Graf Latour für die unbedingte Aufrechthaltung des Befehls, weil stetes Nachgeben nur zu noch ungemesseneren Forderungen führt und hinlänglich Militär vorhanden ist, den Ah. Thron zu schützen. Freiherr v. Doblhoff aber, der Minister v. Baumgartner, der Minister des Inneren und, stante concluso für dies Beharren, auch Freiherr v. Sommaruga mit dem gleichzeitigen Antrage, daß der Ministerrat seine Stellen in die Hände Ew. Majestät niederlege, da er in der Richtung der überreichten Petition den Beweis zu finden glaubt, daß er das Vertrauen der Nationalgarde nicht besitzt und der bestehenden Aufregung ehemöglichst ein Ziel zu setzten wünscht.
Die hiernach entworfene, in der Beilage ersichtliche Ausfertigung wurde der nochmals vorgelassenen Deputation vorgelesen. Sie fand sich nicht befriedigt und drückte das Bedauern aus, daß die Minister in einem so kritischen Augenblicke ihre Stellen niederlegen wollten.
Inzwischen wurden die Meldungen über stetes Wachsen der Gärung immer dringender. Man begnüge sich, hieß es, nicht bloß mit den Punkten der besprochenen Petition, sondern man fordere auch die Zurücknahme des Wahlgesetzes und verlange, daß der erste Reichstag ein konstituierender sein solle. Ein Mitglied der Universität, Dr. Giskra7, der sich zu der vor dem Ministerrat versammelten Deputation gesellt hatte, sprach diese Begehren laut aus und ward darin von andern unterstützt. Er bemerkte, daß eine Verweigerung dieser Begehren nicht nur die Erbitterung aufs höchste steigern, sondern unvermeidlich zu einem förmlichen Bürgerkriege führen würde. Als nun endlich auch Graf Hoyos erschien und erklärte, auf die Nationalgarde nicht rechnen zu können, da ein großer Teil derselben mit den Studenten sympathisiere und einige uniformierte Bürgerkorps bereits förmlich zu den Studenten übergegangen seien, als die Meldungen, daß die Studenten scharf geladen haben, daß Arbeiter mit Werkzeug aller Art versehen in Masse vorhanden seien und man sich anschicke, Barrikaden zu errichten, glaubten die Minister mit Rücksicht auf die nun ernsthaft bedrohte Ruhe und Sicherheit der Ah. Personen und auf die möglichen Folgen einer so hoch gesteigerten Gärung die Verantwortung dafür nicht auf sich nehmen zu können und beschlossen, als einziges Mittel zur augenblicklichen und unblutigen Lösung der gegenwärtigen Verwicklung, die sofortige Zugestehung der verlangten Punkte, welche sie in den zwei nacheinander ausgefertigten, hier beigeschlossenen Erledigungen erklärten, mit dem Vorbehalte, hieran die Einreichung ihrer Entlassung zu knüpfen, worüber morgen am 16. Mai der weitere Beschluß gefaßt werden wird8.
II. Anwendung des Strafgesetzes bei Ruhestörung
Über eine Mitteilung des Ministers der Justiz , daß die bestehenden Strafgesetze bei Ruhestörungen den Behörden ein wirksames Einschreiten gestatten, gedenkt der Minister des Inneren die Polizeidirektionen auf die Bestimmungen der Strafgesetze unter namentlicher Bezeichnung der Paragraphen aufmerksam zu machen und sie zum || S. 231 PDF || kräftigen, aber umsichtigen Einschreiten in solchen Fällen aufzufordern. Gleichzeitig wird er das Oberkommando und den Kriegsminister, um sich für diese Zwecke des Beistands der bewaffneten Macht zu versichern, dann den Justizminister um Anweisung der Justizbehörden zur gehörigen Pflichterfüllung angehen und einen diesem entsprechenden Artikel der Zeitung einschalten lassen, wobei nur auf den Wunsch des Baron Doblhoff eine Modifikation in der Textierung vorgenommen wurde, um einer von der Nationalgarde immer zurückgewiesenen Zumutung ihrer etwaigen Mitwirkung mit den Organen der Polizei zu begegnen9.
III. Brünner Dankadresse
Der Minister des Inneren übergab eine Dankadresse der Slawen in Brünn für die Ah. verliehenen Konzessionen10, worüber ihnen das Ah. Wohlgefallen zu erkennen gegeben werden dürfte, was der Minister in einem Schreiben an den Gouverneur unter einem in Ausführung bringt11.
IV. Vorschuß für Freiherrn v. Jellačić
Kam der Vortrag des Kriegsministers vom 9. Mai, KZ. 1734, MR. 675, wegen Erteilung eines weitern Gehaltsvorschusses von 5000 fr. für den Banus von Kroatien vor, welcher A[g]. zu bewilligen sein dürfte, umso mehr, als der Banus dieser Tage in Wien eintreffen soll12.
V. Aufstellung halber Landesbataillone bei den Grenzregimentern
Brachte der Kriegsminister seinen Vortrag vom 14. Mai, KZ. 174313, mit wegen Aufstellung der halben Landesbataillons bei den 8 Grenzinfanterieregimentern, wozu mit Rücksicht auf den Ministerratsbeschluß vom 10. Mai 1848 14 und da das Kriegsministerium noch über die Militärgrenze zu befehlen hat, die Ah. Genehmigung in einem an Se. k. k. Hoheit den Herrn Erzherzog Palatin zu erlassenden Kabinettschreiben zu erteilen wäre, wenn sich nicht vielleicht auf die bloße vorläufige Vernehmung Höchstdesselben beschränkt werden wollte15.
VI. Militärische Räumung von Pest
Der Kriegsminister teilte bei diesem Anlasse eine Nachricht aus Ungern mit, wornach Pest wahrscheinlich wird geräumt werden müssen16. Sollte dies der Fall sein, so gedenkt FZM. Graf Latour die Festung Ofen behaupten und die vom ungrischen Ministerio verlangte Einrückung der drei Regimenter nach Ungern sistieren zu lassen17.
VII. Militärische Auszeichnungen
Übergab derselbe seinen Vortrag vom 12. Mai, KZ. 190718, wegen Auszeichnungen für die Generale, Offiziere etc. bei der k. k. Armee in Italien, dann für den Feldwebel Steigerl wegen seines besonders belobten Benehmens in Krakau19.
In Ansehung des letzern erhob nur Baron Krauß das Bedenken, ob ihm, da er nicht gegen den Feind gedient hat, die Tapferkeitsmedaille zu verleihen sei.
Gegen die angetragenen Auszeichnungen bei der italienischen Armee ergab sich kein Anstand, nur sollte nach dem Erachten des Ministerrates die Ausfertigung der Ah. Beschlüsse einstweilen und bis zum Einlangen der Nachricht einer weitern größeren Waffentat sistiert werden. aBei der am 17. Mai abgehaltenen Beratung wurde vom interimistischen Ministerpräsidenten auf das Verhältnis zu Ungarn in betreff der angetragenen Verleihung des Stephansordens aufmerksam gemacht, indem für ungrische Gnadenbezeugungen auch die Kontrasignatur eines ungrischen Ministers erforderlich erscheint, daher an die Stelle des Stephansordens der Leopoldorden zu setzen sein dürfte.a,20
VIII. Militärische Gratifikationen
Schließlich beantragte der Kriegsminister unter Beistimmung des Finanzministers die Ah. Genehmigung des Antrags des Hofkriegsrates vom 15. April 1848, KZ. 146321, um nachträgliche Bewilligung von Gratifikationen für die k. k. Kadetten, Trompeter und Ärzte und Fouriere jener Truppen, welche für die Märzereignisse Gratifikationen erhielten.
Da diese Leute beim ersten Antrage vergessen worden sind, so ergab sich hiergegen keine Einwendung22.
Wien, am 17. Mai 1848. Pillersdorf.
Ges. 22. Mai. Franz Karl. Vidi. Ferdinand. Innsbruck, am 22. Mai 1848.