Nr. 102 Ministerrat, Wien, 10. Juni 1916
P. Ehrhart; VS.Vorsitz Stürgkh; anw.anwesend Hohenlohe-Schillingsfürst, Georgi, Hochenburger, Forster, Hussarek, Trnka, Zenker, Leth, Spitzmüller; abw.abwesend Morawski.
- I. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über den Aufschub und die Unterbrechung von Freiheitsstrafen, deren Dauer sechs Monate, aber nicht zwei Jahre übersteigt.
- II. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über die Entmündigung.
- III. Erklärung der Ausgestaltung mehrerer Stationen der Eisenbahnlinie Gramatneusiedl–Wampersdorf–Wiener Neustadt sowie des Baus eines Rangierbahnhofes in Wiener Neustadt als begünstigte Bauten.
- IV. Ernennung des Hofrates Johann Kosina zum Statthaltereivizepräsidenten bei der Statthalterei in Prag.
- V. Erwirkung des Komturkreuzes des Franz-Joseph-Ordens mit dem Sterne für den Hofrat bei der Statthalterei in Prag Dr. Heinrich Ritter Geitler v. Armingen und des Ritterkreuzes des Leopoldordens für den Hofrat bei dieser Statthalterei Karl Spora.
- VI. Erwirkung des Ritterkreuzes des Franz-Joseph-Ordens für den provisorischen Bezirkshauptmann in Niederösterreich Dr. Hugo v. Jankowski.
I. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über den Verlust öffentlicher Befugnisse, Stellungen und Rechte wegen des Verlassens des Staatsgebietes zur Kriegszeit
|| || I. Der Minister des Innern erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung auf Grund § 14 Staatsgrundgesetz über den Verlust öffentlicher Befugnisse, Stellungen und Rechte wegen Verlassens des Staatsgebietes zur Kriegszeit.
Mit der kaiserlichen Verordnung vom 24. Dezember 1915, Nr. 394 RGBl., über den Verlust der Advokatur wegen Verlassens des Staatsgebietes zur Kriegszeit, sei verfügt worden, dass Advokaten und Advokaturskandidaten, die vor Ausbruch oder während des Krieges ihren Wohnsitz verlassen haben und sich seither außerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie aufhalten, bis 31. Jänner 1916 nach Österreich zurückzukehren, ihren inländischen Aufenthalt sofort dem Justizministerium anzuzeigen und gleichzeitig ihre Abwesenheit zurechtfertigen haben.
Gegen Advokaten oder Advokaturskandidaten, die nicht rechtzeitig nach Österreich zurückgekehrt sind oder ihre Abwesenheit nicht zu rechtfertigen vermögen, sei auf Antrag des Generalpr[oku]ratore vom Obersten Gerichtshofe auf Streichung von der Liste [der] Advokaten oder Advokaturskandidaten zu erkennen.
Es habe sich nun das Bedürfnis ergeben, ähnliche Maßnahmen auch für Personen, die andere Befugnisse und Stellungen ausüben, vorzusehen, welchem Bedürfnisse der vorliegende Entwurf Rechnung trage. Er halte sich im Allgemeinen an sein Vorbild, nämlich die oberwähnte kaiserliche Verordnung vom 24. Dezember 1915, Nr. 394 RGB1., über den Verlust der Advokatur, von dem er nur dort abweicht, wo es durch die Sache unbedingt geboten ist.
|| || Insbesondere verhalte er ex lege zur Rückkehr nach Österreich nur Personen, die im Allgemeinen öffentlich-rechtliche Stellungen bekleiden. Alle anderen Personen, die nur zur Ausübung irgend einer öffentlich-rechtlichen Befugnis im Inlande berechtigt sind oder ale Angestellte in leitender Stellung wie technische und kommerzielle Direktoren oder als Mitglieder des Vorstandes, Aufsichts- oder Verwaltungsrates (Generalrat, Administrationsrat, Kuratorium oder dergleichen), einer Aktiengesellschaft etc. fungieren, oder einen Anspruch auf Pensionen, Provisionen, Erziehungsbeiträge oder sonstige inländische Renten aus öffentlichen Mitteln haben, können von der politischen Landesbehörde zur Rückkehr aufgefordert werden. Diese Unterscheidung sei durch die Ausdehnung des Personenkreises, den die neue Maßregel treffen soll, geboten, weil der ausländische Aufenthalt vieler Angehöriger der in Betracht kommenden Berufe in staatspolizeilicher und militärischer Hinsicht keinem Anstande begegne und die Aufforderung solcher Personen zur Rückkehr nach Österreich vermieden werden müsse.
Eine weitere Abweichung bestehe darin, daß der Entwurf auch auf ungarische Staatsbürger und bosnisch-herzegowinische Landesangehörige Anwendung finden soll. Während nämlich das Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft beziehungsweise des Heimatsrechtes in einer österreichischen Gemeinde die Voraussetzung zur Ausübung der Advokatur bilde, sei die Erlangung und Ausübung der in der geplanten kaiserlichen Verordnung angeführten Befugnisse und Stellungen im Allgemeinen an den Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht geknüpft. Es müsse daher vorgesorgt werden, daß ungarische Staatsbürger und bosnisch-herzegowinische Landesangehörige, die eich einer Verletzung der Treuepflicht gegen ihre Monarchie während des gegenwärtigen Krieges schuldig machen, die in Betracht kommenden Befugnisse und Rechte nicht weiterhin ausüben können.