Nr. 91 Ministerrat, Wien, 6. März 1916
RS.Reinschrift fehlt; Ministerratsvortrag zu Tagesordnungspunkt II; Wortlaut der Ah. Entschließung: Hhsta., Kabinettskanzlei, Protokoll 1916.
P. Ehrhart; VS.Vorsitz Stürgkh; anw.anwesend Hohenlohe-Schillingsfürst, Georgi, Hochenburger, Forster, Hussarek, Trnka, Zenker, Morawski, Leth, Spitzmüller.
- I. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über die Regelung der Grundbesitzverhältnisse in der Umgebung befestigter Plätze.
- II. Zulassung eines beschränkten Börseverkehrs.
[I. fehlt.]
Zu II. Zulassung eines beschränkten Börseverkehrs
Zu II. ℹ️ Quelle: Ministerratsvortrag Finanzminister in Fa., FM., Präs. Bd. a.Nr. 66 (Vorträge des Herrn Finanzministers im Ministerrat 1916) a .
Das Präsidium der Wiener Börsenkammer, welches sich bereits seit Herbst 1915 mit dem Plane der Wiederaufnahme des beschränkten Börseverkehres befasst1, hat im Dezember 1915 ein Promemoria vorgelegt, in welchem es die Beschränkungen ausführte, unter welchen ein Effektenverkehr an der Wiener Börse einzuführen wäre2. Der Finanzminister hat seine Zustimmung von der Erfüllung besonderer Kautelen abhängig gemacht. Diesbezügliche Maßregeln würden im Schoße des von der Wiener Börsekammer eingesetzten sogenannten „Zwölferkomitees“ in eingehender Weise beraten. Während im Anfang für die Regelung des Effektenmarktes nur das Losungswort „auf Berliner Art“3 gegeben wurde, hat sich in den maßgebenden Börsekreisen bald die Tendenz nach einer offiziellen, wenn auch beschränkten Wiedereröffnung des Effektenverkehres geltend gemacht. Unter diesem Einflusse wurden auch die im „Zwölferkomitee“ und sodann in dem für staatliche Kreditoperationen eingesetzten Konsortialausschuss gepflogenen langwierigen Verhandlungen geführt. Um eine Klärung in die ganze Frage der Wiederaufnahme des Börseverkehres zu bringen, hat der Finanzminister mit den in Betracht kommenden Börse- und Bankfaktoren Besprechungen abgehalten. Hiebei wurde seitens des Finanzministeriums eine offizielle Wiedereröffnung des Börsenverkehres vom Standpunkte des Renten- und Kriegsanleihemarktes abgelehnt und nur die Zulassung eines Privatverkehres an der Wiener Börse unter gewissen Beschränkungen für möglich erklärt, dies umso mehr, als ein gleicher Modus in Berlin beobachtet wird und auch dort an eine offizielle Wiedereröffnung des Börseverkehres für absehbare Zeit nicht gedacht wird. Eine gleiche Haltung nimmt in dieser prinzipiellen Frage auch der ungarische Finanzminister bezüglich der Budapester Börse ein4.
Die Verhandlungen sind nunmehr abgeschlossen und ist beabsichtigt, demnächst den privaten Geschäftsverkehr im Effektensaale der Wiener Börse unter Beschränkungen zuzulassen, welche Kautelen gegen eine ungesunde Spekulation und gegen eine den Interessen des Staates zuwiderlaufende Kursgestaltung der Staatspapiere schaffen. Als solche Kautelen wurden von der Finanzverwaltung insbesondere vorgeschrieben:
1.) die Festsetzung der Geschäftsstunden auf die Zeit von ½ 12–1 Uhr;
2.) die Beschränkung des Verkehres auf Kassageschäfte mit Ausschluss jedes Terminhandels und das Verbot des lauten Anbietens;
3.) die Untersagung des Handels mit Pfandbriefen;
4.) die Vorschrift, dass Geschäfte in Staatsrenten und Kriegsanleihen nur durch Vermittlung eines beeideten Effektensensales abgeschlossen werden dürfen. Hiebei darf die Festsetzung des Kurses nicht willkürlich, sondern nur nach den Weisungen eines vom Konsortium für staatliche Kreditoperationen gewählten Komitees erfolgen. Sogenannte „Bestensordres“5 für Verkäufe, welche im früheren Börseverkehre auf den Kurs häufig drückend wirkten, sind untersagt;
5.) weitgehende Maßnahmen gegen das Einströmen von Effekten aus dem Auslande;
6.) eine amtliche Notierung der vorgefallenen Preise findet nicht statt, zahlenmäßige Angaben über dieselben dürfen weder in öffentlichen Verlautbarungen noch in Mitteilungen, welche für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, gemacht werden. Es ist beabsichtigt, dieses letztere Verbot mittels einer auf der kaiserlichen Verordnung vom 10. Oktober 1914, RGBl. Nr. 274, basierenden Ministerialverordnung allgemein – nicht nur für Börsebesucher – zu erlassen.
Diese Vorkehrungen bieten weitgehende Sicherheit für eine klaglose Abwicklung des Effektenverkehres. Sollten trotzdem wider Erwarten Übertreibungen in der Spekulation wahrgenommen werden, so wird die Finanzverwaltung nicht zögern, dagegen aufzutreten. Der Finanzminister hat nicht unterlassen, die Börseverwaltung und die Interessentenkreise hierauf und auf die sie treffende Verantwortung aufmerksam zu machen6.