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Nr. 67 Ministerrat, Wien, 10. September 1915

RS. fehlt; Abschrift von Tagesordnungspunkt I; Wortlaut der Ah. Entschließung: Hhsta., Kabinettskanzlei, Protokoll 1915 .

P. Ehrhart; VS. Stürgkh; anw. Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel, Morawski.

[Tagesordnungspunkte]
KZ. 50 – MRZ. 36

I. Regelung der Wappenfrage

[I.] ℹ️ Quelle: Abschrift in Ava.,Ministerratsprotokolle, Karton 44 (Aus dem Nachlasse Alexy).

Der Ministerpräsident erinnert daran, dass die Frage des Wappens, der Fahnen und sonstigen Embleme der Monarchie bis nun der Lösung harre.

Der Ausgangspunkt der einschlägigen Differenzen sei in der Stellung Ungarns zu der mit dem Ah. Patente vom 11. August 1804 vollzogenen Errichtung des Kaisertums Österreich und der damit in Zusammenhang stehenden Regelung von Fragen der Staatssymbole zu suchen1, insoferne nämlich auf ungarischer Seite konsequent der Standpunkt eingenommen worden sei, dass diese Staatsakte die ungarische Staatlichkeit nicht berühren. Als dann mit dem Hofkanzleidekrete vom 22. August 18362 eine neue Regelung der kaiserlichen Titel und Wappen getroffen wurde, habe auch dies vom ungarischen Standpunkte aus ein Gravamen gebildet. In der Folge wurde dann nach Schaffung der dualistischen Staatsreform im Jahre 1873 in Ungarn ein eigenes Staatswappen eingeführt3. Von diesem Zeitpunkte an habe zwar die Frage der Embleme, insoweit die autonome Staatlichkeit Ungarns in Betracht kommt, keinen strittigen Gegenstand mehr gebildet, die der Embleme für die Gemeinsamkeit aber sei auch weiterhin ungelöst geblieben. In der Praxis gestaltete sich die Sache so, dass beim gemeinsamen Heere die alten von ungarischer Seite in ihrer rechtlichen Zulässigkeit bestrittenen Embleme tatsächlich weiter verwendet wurden4, während man bei den Missionen im Auslande mangels einer unbestrittenen Rechtsbasis die Schwierigkeit möglichst umging, die Anbringung eines Wappens vermied und die österreichische und ungarische Fahne nebeneinander gebrauchte. Dass ein solcher Zustand der Unklarheit vom Standpunkte der Wahrung des Ansehens der Monarchie keineswegs günstig war, sei allgemein anerkannt worden.

In der Tat habe es auch an Bemühungen nicht gefehlt, hier Abhilfe zu schaffen, und es seien, speziell seitdem im Wege der Ah. Genehmhaltung des Neunerprogrammes der Liberalen Partei in Ungarn die Regelung der Frage angekündigt worden war5, die einschlägigen Verhandlungen allerdings mit Unterbrechungen bis zum heutigen Tage fortgeführt worden6. Diese Verhandlungen hätten aber angesichts des auf beiden Seiten eingenommenen Standpunktes zu einem positiven Ergebnisse überhaupt nicht führen können. Von ungarischer Seite stützte man sich nämlich darauf, dass die Anwendung jener Embleme, wie sie vor der im Dualismus gegebenen Anerkennung der ungarischen Staatlichkeit gegolten hatten, für die gemeinsamen Institutionen der staatsrechtlichen Begründung entbehre, österreichischerseits aber bemühte man sich, diese Embleme möglichst aufrechtzuhalten, ein Bestreben, das von dem Wunsche nach Wahrung der gemeinsamen Interessen auch in den Äußerlichkeiten diktiert war, mit dem tatsächlichen Bestande der dualistischen Konstruktion aber nicht im Einklange stand.

Eine gewisse Verschärfung hätten die beiderseitigen Standpunkte noch insbesondere in jener Periode erfahren, wo in Ungarn die Unabhängigkeitspartei auch in der Regierung eine sehr prominente Stellung einnahm. Angesichts des Bestrebens dieser Partei, aus jeder Frage für den Unabhängigkeitsgedanken Kapital zu schlagen, sei auf österreichischer Seite selbst das geringste Entgegenkommen auf dem Gebiete der staatlichen Symbole als bedenklich angesehen worden. Der Stand der Auffassungen in jener Periode sei ungefähr folgender gewesen: Die gemäßigten Elemente in Ungarn waren zu einer gemeinsamen Regelung der Wappenfrage bereit, wünschten jedoch im Rahmen dieser Regelung eine sehr weitgehende Berücksichtigung der ungarischen Staatlichkeit. Die radikaleren Strömungen wollten eine einheitliche Regelung überhaupt nicht akzeptieren, sondern verlangten für den einen integrierenden Bestandteil des gemeinsamen Heeres bildenden exercitus hungaricus eigene Embleme. Auf österreichischer Seite dagegen hielt man an den traditionellen Emblemen fest und wollte deren möglichst unveränderte Anwendung oder Beibehaltung für die gemeinsamen Institutionen durchsetzen. Dieses vollkommen hoffnungslose Stadium der Verhandlungen sei allerdings gewichen, als die Unabhängigkeitspartei in Ungarn zurückgedrängt wurde und die Nationale Arbeitspartei zur Regierung kam7, die sich grundsätzlich auf den Standpunkt des Dualismus stellte.

Nun hatte man es auf ungarischer Seite doch nicht mehr mit Faktoren zu tun, die die Frage der Embleme ausnützen wollten, um in der Richtung des Unabhängigkeitsstandpunktes hinter den Dualismus zurückzugehen, sondern nur mit solchen, die die Regelung der Frage den tatsächlich bestehenden staatsrechtlichen Verhältnissen anzupassen wünschten. Immerhin habe es insolange zu einer Einigung nicht kommen können, als man in Österreich die alten Symbole möglichst unverändert aufrechterhalten wollte und damit einen Standpunkt einnahm, der, zwar vom Geiste der Gemeinsamkeit getragen, mit der Form, in welche dieser Geist durch den Dualismus gegossen war, nicht im Einklange stand. Als nun unter dem Vorwalten von noch näher zu erörternden Gesichtspunkten in allerjüngster Zeit die einschlägigen Verhandlungen mit besonderem Nachdrucke wieder aufgenommen wurden, sei sich der sprechende Minister im Klaren darüber gewesen, dass wenn er die Aktion nicht bloß hinziehen, sondern zu einem positiven Ergebnisse fördern wollte, er sich von vorneherein nicht auf den Standpunkt der starren Negation gegenüber den im Dualismus grundsätzlich fundierten Forderungen der ungarischen Seite festlegen dürfe. Er habe also seine Aufgabe dahin aufgefasst, sich gegenüber dem ungarischen Petit auf den Boden der grundsätzlichen Anerkennung seiner Berechtigung zu begeben, auf diesem Boden aber eine Regelung möglichst im Sinne der Gemeinsamkeit anzustreben.

In der Tat sei es nun gelungen, die Verhandlungen zu einem positiven Ergebnisse zu führen. Es liege heute der Entwurf einer Vereinbarung vor, die den ganzen Komplex der einschlägigen Probleme löse, als deren Kernpunkt sich natürlich die eigentliche Wappenfrage darstelle. Das künftige Wappen der Monarchie würde aus den beiden Staatswappen Österreichs und Ungarns bestehen, die aber nicht nur im Sinne einer bloßen Allianz nebeneinander stehen, sondern durch das Hauswappen des Ah. Erzhauses zu einer organischen Einheit verbunden sein würden. Als weitere Elemente der Gemeinsamkeit würden die beiden Wappenträger des kombinierten Wappens, deren einer dem österreichischen, der andere dem ungarischen Wappen entsprechen, die Collanen des Ordens vom Goldenen Vliese, des militärischen Maria-Theresien-Kreuzes, des Stephans- und des Leopoldordens sowie die gemeinsame Devise mit den der pragmatischen Sanktion entnommenen Worten „Inseparabiliter ac indivisibiliter“8 erscheinen. Neben dieser dem bisherigen sogenannten mittleren Wappen entsprechenden Konstruktion solle auch noch ein kleines Wappen in vereinfachter Form errichtet werden.

Das neue Wappen würde in Hinkunft auf den Fahnen des gemeinsamen Heeres und überhaupt bei den Emblemen gemeinsamer Institutionen zur Anwendung zu kommen haben, jedoch mit der Maßgabe, dass es bei den Fahnen des Heeres nicht unter einem, sondern nur sukzessive eingeführt werden soll, insoweit nämlich die alten Fahnen jeweils ihre materielle Gebrauchsfähigkeit verlieren und durch neue ersetzt werden müssen. Eine besondere Unterfrage habe die Berücksichtigung Bosniens und der Herzegowina gebildet. Das Wappen dieser Länder in den durch das Ah. Hauswappen hergestellten organischen Verband der beiden Staatswappen als selbstständiges Element aufzunehmen, war untunlich, da eine derartige Regelung speziell auf ungarischer Seite auf unüberwindliche Schwierigkeit gestoßen wäre. Der ungarische Standpunkt gehe nämlich dahin, dass durch die beiden in dualistischer Form vereinigten Staatsgebiete die staatlichen Elemente der Monarchie restlos erschöpft seien und dass daneben ein dritter gleichwertiger Faktor nicht bestehe und auch nicht bestehen könne.

Es sei daher der Ausweg gewählt worden, das bosnische Wappen gleichzeitig in beide Staatswappen aufzunehmen, wodurch ihm der Platz im Wappen der Monarchie gesichert, zugleich aber die Parität der Ansprüche beider Staatsgebiete auf die Annexionsländer zum Ausdrucke gebracht würde. Die Schaffung eines Wappens der Monarchie im angedeuteten Sinne setze also auf der einen Seite eine Korrektur des bestehenden ungarischen, auf der anderen Seite aber die Schaffung eines österreichischen Staatswappens voraus, wie ein solches rechtlich heute nicht bestehe. Technisch biete die Schaffung des letzteren keine Schwierigkeiten, da seine Elemente einesteils in den Wappen der einzelnen Königreiche und Länder, andernteils in den Attributen der bisher tatsächlich gebrauchten Embleme zu finden seien. Der formale Vorgang würde sich in der Weise gestalten, dass zunächst der ungarische Ministerpräsident die erforderliche Korrektur des ungarischen, der österreichische aber die Schaffung des österreichischen Staatswappens erwirkt.

In parenthesi wolle der sprechende Minister erwähnen, dass es sich bei diesem Anlasse empfehlen würde, den bisher für das diesseitige Staatsgebiet regelmäßig gebrauchten, den Charakter eines dürftigen Auskunftsmittels tragenden, in der Öffentlichkeit vielfach kritisierten und angefochtenen Ausdruck „im Reichsrate vertretene Königreiche und Länder“ zu vermeiden und die Bezeichnung „österreichische Länder“ abwechselnd mit „Österreich“ zur Anwendung zu bringen. Da der erstbezeichnete Ausdruck niemals durch einen Staatsakt festgestellt, sondern nur inzidenter in die Gesetzgebung eingeführt worden sei, so könne er ebenso inzidenter außer Gebrauch gesetzt werden9.

Nach Schaffung dieser Voraussetzungen hätte der Minister des k. u. k. Hauses und des Äußern die Ah. Errichtung des Wappens der Monarchie zu erwirken, gleichzeitig aber au. in Vorschlag zu bringen, dass die Anwendung dieses Wappens bei den Emblemen der Wehrmacht im Wege eines Ah. Armee- und Flottenbefehles angeordnet werde.

Der sprechende Minister möchte noch kurz jener Umstände gedenken, welche für den beschleunigten Abschluss der Verhandlungen besonders maßgebend waren. Es könnte nämlich auf den ersten Blick scheinen, als ob es nicht unbedingt notwendig sei, eine bereits seit so langer Zeit offene Frage gerade jetzt zu bereinigen, ja als ob dies vielleicht nicht einmal ganz opportun wäre, zumal ja denkbare staatsrechtliche Veränderung im Friedensschlusse eine Revision der Wappenfrage bedingen könnten10. Nach reiflicher Erwägung aller Zusammenhänge hätten sich jedoch die drei an der Verhandlung beteiligten Regierungen dafür entschieden, gerade dem gegenwärtigen Zeitpunkte eine besondere Eignung zuzuerkennen. Angesichts der großen Erfolge, welche die Monarchie und speziell der Gemeinsamkeitsgedanke auf militärischem Gebiete errungen hätte11, werde es gewiss dem öffentlichen Bewusstsein besonders entsprechen, wenn eine das Äußerliche der Gemeinsamkeit berührende und seit Langem strittige Frage nunmehr ihre einvernehmliche Lösung finde. Darin werde zweifellos eine Anerkennung des Gemeinsamkeitsgedankens erblickt werden. Dazu komme, dass jene Strömungen in beiden Staaten der Monarchie, die ihre extremen Standpunkte in dem gefundenen Kompromiss nicht voll berücksichtigt sehen, gerade unter den gegenwärtigen Verhältnissen weder besonders dazu gestimmt, noch auch in der Lage sein werden, eine sehr laute Kritik zu entfalten, ein Moment, das weniger Österreich, wo es sich höchstens um eine Einbuße an hergebrachten Traditionen handle, als für Ungarn in Betracht komme, wo das Kompromiss zweifellos den Verzicht auf radikalere Betonung des Gedankens der Selbstständigkeit, und zwar auf einem besonders markanten Gebiete bedeute. Der sprechende Minister erbittet sohin die Zustimmung des Ministerrates, den au. Antrag bezüglich Errichtung des österreichischen Staatswappens stellen und dem au. Vorschlage des Ministers des Äußern wegen Errichtung des gemeinsamen Staatswappens sowie hinsichtlich der sich aus diesem Akte für die Fahnen und Embleme der Wehrmacht ergebenden Konsequenzen beitreten zu dürfen.

Nach einer längeren Erörterung, an der sich sämtliche Mitglieder des Kabinetts beteiligen, finden die in Verhandlung stehenden Projekte einmütige Billigung. Der Ministerrat erteilt dem Ministerpräsidenten die erbetene Zustimmung12.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. [Franz Joseph.] 7. Dezember 1915.