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Nr. 53 Ministerrat, Wien, 31. Mai und 2. Juni 1915

RS. fehlt; Abschrift von Tagesordnungspunkt I; Wortlaut und Datum der Ah. Entschließung: Hhsta., Kabinettskanzlei, Protokoll 1915 .

P. Ehrhart; VS. Stürgkh; anw. Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel, Morawski.

KZ. 33 – MRZ. 22

I. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung aufgrund des § 14 Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 141, über die Haftung für Schadenersatz bei verräterischen, in Kriegszeiten begangenen Handlungen

I. ℹ️ Quelle: Abschrift in Ava., Ministerratsprotokolle, Karton 28 (Aus dem Nachlasse Alexy).

Der Justizminister erinnert daran, dass er bereits in der Konferenz vom 20. Mai1 auf die Notwendigkeit hingewiesen habe, den Schutz des Staates gegenüber hoch- und landesverräterischen Handlungen in der Weise zu erhöhen, dass an derartige Handlungen besonders schwerwiegende Vermögensfolgen geknüpft werden. Bei diesem Anlasse habe er dargelegt, dass hiefür verschiedene Konstruktionen möglich seien, nämlich im Sinne einer auf die sogenannte Verwirkungstheorie aufgebauten Vermögenseinziehung, im Sinne einer Vermögensstrafe und im Sinne einer besonderen Schadenersatzpflicht. Der Ministerrat habe damals die Notwendigkeit einschlägiger gesetzlicher Maßnahmen grundsätzlich anerkannt, ferner betont, dass es auf das Vorsichtigste vermieden werden müsse, diesen Maßnahmen den Anschein eines Einbruches in die Unverletzlichkeit des Eigentums zu geben2, und endlich vorläufig und vorbehaltlich näherer Prüfung die Konstruktion als Vermögensstrafe für den gangbarsten Weg bezeichnet. Aufgrund der dem sprechenden Minister in diesem Sinne gegebenen Richtschnur sei er nun der Frage in ihren Einzelheiten nähergetreten und habe drei Entwürfe ausgearbeitet, die den verschiedenen vorerwähnten Konstruktionen entsprechen. Zur Erläuterung möchte er Folgendes hervorheben: Der an die Verwirkungstheorie angelehnte Aufbau der Vermögenseinziehung sei zweifellos diejenige Form, die sich mit dem staatsgrundgesetzlich aufgestellten Satze von der Unverletzlichkeit des Eigentums und mit dem ganzen geltenden Strafsystem am wenigsten leicht in Einklang bringen lasse, wie dies ja auch schon in der Beratung vom 20. Mai d. J. anerkannt worden sei. Die Konstruktion als Vermögensstrafe habe gewiss jene Vorzüge, die ihr damals zugebilligt worden seien, sie biete aber bei näherer Prüfung sehr wesentliche Schwierigkeiten. Es wäre nämlich notwendig, nicht nur das Zivilstrafgesetz, sondern auch das Militärstrafgesetz3 abzuändern. Hiebei komme in Betracht, dass es sich hier nur um eine Reform für Österreich handle, da Ungarn bereits andere Wege eingeschlagen habe, sodass eine einseitige Abänderung des Militärstrafgesetzes erfolgen würde. Nun habe man gerade österreichischerseits im Interesse der Einheitlichkeit aller wesentlichen Einrichtungen der Armee stets mit dem äußersten Nachdrucke daran festgehalten, dass das militärische Straf- und Strafprozessrecht, wenn es auch durch die Gesetzgebung beider Staatsgebiete selbstständig zu regeln sei, doch diese Regelung immer aufgrund vereinbarter und übereinstimmender Texte finde, sodass dieses ganze Rechtssystem trotz seiner Ableitung aus zwei verschiedenen Gesetzgebungen doch einen einheitlichen Inhalt besitze. Dies sei bei den Verhandlungen über die neue Militärstrafprozessordnung auch erfolgreich durchgesetzt worden4. Es wäre nun äußerst bedenklich, wenn man auf österreichischer Seite diesen Standpunkt plötzlich verlassen und selbst ein Präjudiz im Sinne der Verschiedenheit des militärischen Strafrechtes in beiden Staatsgebieten schaffen wollte. Neben diesem außerordentlich wesentlichen Gesichtspunkte kämen aber noch andere Schwierigkeiten der Konstruktion und Handhabung in Betracht. Der sprechende Minister glaube daher, dass es sich empfehlen würde, sich für den Aufbau des neuen Gesetzes auf der Grundlage der Schadenersatzleistung zu entscheiden.

In einer längeren Erörterung, an welcher sich alle Mitglieder des Kabinetts beteiligen, tritt die übereinstimmende Anschauung zutage, dass angesichts der vom Justizminister hinsichtlich der Konstruktion als Vermögenseinziehung und als Vermögensstrafe da[rgeleg]ten Bedenken der Weg der Schadenersatzleistung zu beschreit[en sei].

Der Justizminister bespricht nun die Einzelheiten des von ihm aufgrund dieser Konstruktion ausgearbeiteten Entwurfes. Darnach solle der auch im geltenden Rechte bei bestimmten verräterischen Handlungen bereits vorgesehene Anspruch des Staates auf Schadenersatz erweitert werden und eine schärfere, wirksamere Fassung erhalten. Außerdem sei zur Sicherstellung dieses Anspruches die vorläufige Vermögensbeschlagnahme fakultativ vorgesehen, eine Einrichtung, die neben ihrem eigentlichen Zweck auch jedenfalls den einer vielfach wirksamen Abschreckung erreichen werde. Was das Verfahren in der Schadenersatzfrage selbst anbelangt, so werde in jenen Fällen, wo ein Zivilstrafgericht über die verräterische Handlung erkennt, dieses in der Regel auch in der Lage sein, im Anschlussverfahren über den Schadenersatzanspruch zu entscheiden. Erfolge jedoch diese Entscheidung nicht oder erkenne über die verbrecherische Handlung selbst ein militärisches Strafgericht, welches ja ein Anschlussverfahren abzuführen nicht berufen sei, so werde der Ersatzanspruch des Staates im Klagewege beim Zivilgerichte durchzusetzen sein. Was den Kreis der verbrecherischen Handlungen anbelangt, an die sich der Schadenersatzanspruch des Staates knüpfen soll, so umfasse er die Desertion einer Militärperson zum Feinde, die rechtswidrige Führung von Waffen gegen die österreichisch-ungarische Monarchie oder eine mit ihr verbündete Macht in Kriegszeiten und die Hilfeleistung zugunsten der feindlichen Kriegsmacht durch Ausspähung oder in anderer Weise durch Rat und Tat. In einer längeren Beratung, an welcher sich die überwiegende Mehrzahl der Kabinettsmitglieder beteiligt, begegnet der Aufbau des Entwurfes einmütiger Zustimmung. Eine besonders eingehende Erörterung findet hiebei der Gedanke, dass es notwendig sei, dem Schadenersatzanspruch aufgrund verräterischer Handlungen eine größere Tragweite zu geben, als sie sonst Schadenersatzansprüchen im Allgemeinen zukommt. Der Anspruch dürfe jedenfalls nicht auf die mittelbar oder unmittelbar eintretenden materiellen Nachteile, die dem Staate aus einem solchen Handeln erwachsen, beschränkt werden, es müsse vielmehr möglich sein, auch den die staatlichen Interessen ganz allgemein und über die konkret zu ermittelnden Schadensziffern hinaus treffenden Nachteil entsprechend zu berücksichtigen. Der Justizminister erklärt sich bereit, durch eine besonders genaue Formulierung der einschlägigen Gesetzesstelle die Judikatur auf eine spezielle Würdigung dieses Gesichtspunktes hinzulenken und schlägt in diesem Sinne folgende Fassung vor: „Wer eine der vorerwähnten Handlungen begehe, habe wegen seiner verbrecherischen Handlung dem Staate Schadenersatz zu leisten. Dem Staate sei nicht nur jeder unmittelbar oder mittelbar durch die verbrecherische Handlung verursachte Schaden zu ersetzen, sondern es sei ihm überdies als Sühne für die Rechtsverletzung nach freiem, durch die Würdigung aller Umstände geleitetem Ermessen des Gerichtes eine angemessene Entschädigung zuzusprechen.“ Dieser Vorschlag findet allseitige Billigung.

Der Ministerrat erteilt sohin dem Justizminister die Zustimmung, eine gegenständliche kaiserliche Verordnung aufgrund des § 14 Staatsgrundgesetz im Sinne des anverwahrten Entwurfes zu erwirkena,5.

[II.–III. fehlt.]

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. [Franz Joseph.] Wien, 17. September 1915.