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Nr. 27 Ministerrat, Wien, 21. November 1914

RS.; P. Ehrhart; VS. Stürgkh; BdE. und anw. (Stürgkh, 21. 11.), Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel, Morawski.

KZ. 88 – MRZ. 56

Protokoll des zu Wien am 21. November 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.

I. Retorsionsmaßnahmen

I. ℹ️ Der Ministerpräsident möchte zunächst ganz kurz einige Punkte auf dem Gebiete der Retorsionsmaßnahmen berühren.

Es sei ihm nämlich von parlamentarischer Seite nahegelegt worden, eine Vorkehrung in der Richtung zu veranlassen, dass Angehörige feindlicher Mächte, welche im Verwaltungsrate inländischer Aktiengesellschaften Stellungen innehaben, von diesen enthoben werden, ferner dafür vorzusorgen, dass die Zahlung von Kupons an das feindliche Ausland, und zwar sowohl insoferne es sich um Obligationen des Staates, als um solche von Aktienunternehmungen handelt, unter allen Umständen unterbleibe1.

Der Eisenbahnminister möchte in diesem Zusammenhange auch noch die Aufmerksamkeit speziell auf eine hervorragende ausländische Aktiengesellschaft lenken, die in Österreich einen sehr umfassenden Betrieb führe, nämlich die internationale Schlafwagengesellschaft, ein nominell belgisches Unternehmen, das aber im Wesentlichen von französischer Seite finanziert sei und hinsichtlich dessen wohl gewisse Aufsichtsmaßnahmen am Platze wären. An diese Ausführungen knüpft sich eine längere Debatte, an welcher sich insbesondere auch der Justizminister und der Finanzminister beteiligen. Was die mit Angehörigen feindlicher Staaten besetzten Verwaltungsratsstellen anbelangt, so tritt die übereinstimmende Ansicht zutage, dass in dieser Beziehung zunächst im Wege des Auswärtigen Amtes sowie der Fachberichterstatter Erhebungen gepflogen werden sollen, wie das feindliche Ausland selbst in dem betreffenden Belange vorgehe.

Hinsichtlich der Zahlung von Kupons an das feindliche Ausland konstatiert der Finanzminister, dass eine prinzipielle Grundlage für die Verhinderung solcher Zahlungen bereits in den in Geltung stehenden Retorsionsvorschriften, insbesondere durch das Zahlungsverbot gegenüber England und Frankreich, gegeben sei2. Um diese Vorschriften aber praktisch in verlässlicher Weise wirksam zu machen, sei sowohl vom Staate als auch von Privatunternehmungen, so von der Südbahn, die ja hier besonders in Betracht komme und einen sehr erheblichen Kupon im Auslande flüssig zu machen habe, eine Kautel im Wege des sogenannten Affidavit in Aussicht genommen, wodurch die Nationalität des zur Vorweisung des Kupons berechtigten Obligationsinhabers vor der Einlösung festgestellt wird. Einsichtlich der internationalen Schlafwagengesellschaft wird zunächst die Frage aufgeworfen, ob eine Maßnahme gegen das Unternehmen im Rahmen der Retorsion möglich sei, da es doch wenigstens nominell als belgisch erscheine und der belgischen Regierung bisher einschlägige Maßnahmen gegen österreichisches Privateigentum nicht nachgewiesen werden können.

Der Ministerpräsident betont demgegenüber, dass hier in erster Linie auch das tatsächliche Verhältnis, nämlich die vorwiegende Beteiligung französischen Kapitals, ins Gewicht falle. Ferner sei nicht zu übersehen, dass die belgische Regierung infolge der kriegerischen Ereignisse gar nicht recht in der Lage sei, mit irgendwelchen Maßnahmen gegen österreichisches Privateigentum vorzugehen und dass die belgische Staatlichkeit im gegenwärtigen Zeitpunkte eigentlich in Frankreich aufgegangen erscheine, sodass belgisches Eigentum gewiss im Wege der Retorsion für die feindseligen Akte Frankreichs mit haftbar gemacht werden könne. Überdies möchte der Ministerpräsident dem Gedanken der Retorsion wohl die Auslegung geben, dass im Allgemeinen auf das Privateigentum feindlicher Staaten nur im Wege der Repression und nicht initiativ gegriffen werden solle. Man dürfe aber nicht so weit gehen, für die Anwendung der Retorsion das reine Talionsprinzip aufzustellen, sodass etwa im Wege der Repression ausschließlich qualitativ und quantitativ ganz gleichwertige Akte gesetzt werden könnten, wie seitens des feindlichen Auslandes. Er glaube daher, dass kein Bedenken bestehen würde, mit geeigneten Maßnahmen gegen die Schlafwagengesellschaft vorzugehen.

Diese Anschauung des Ministerpräsidenten findet allgemein Zustimmung3.

II. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung betreffend die Ermächtigung der öffentlich-rechtlichen Versicherungsinstitute zur Aufwendung von Mitteln für außerordentliche Zwecke während des Kriegszustandes

II. ℹ️ Der Minister des Innern erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung aufgrund des § 14 Staatsgrundgesetz betreffend die Ermächtigung der öffentlich-rechtlichen Versicherungsinstitute zur Aufwendung von Mitteln für außerordentliche Zwecke während des Kriegszustandes.

Die öffentlich-rechtlichen Versicherungsinstitute sollen für die Dauer der durch den Kriegszustand hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse ermächtigt werden, mit Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde ihrer Leistungsfähigkeit angemessene Beträge zur Durchführung oder Förderung von Maßnahmen aufzuwenden, die geeignet sind, die durch den Krieg und dessen Folgeerscheinungen herbeigeführten besonderen Gefahren für die Gesundheit oder Erwerbsfähigkeit der Versicherten abzuwehren. Es erscheine nämlich wünschenswert, unter den gegebenen Verhältnissen diesen Instituten, welche bisher auf ganz bestimmte, statutarisch vorgesehene Leistungen beschränkt sind, im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt einen etwas größeren Spielraum zu geben, so beispielsweise zur Vornahme von prophylaktischen Impfungen, Beteiligung an Kälteschutzaktionen etc.4

III. Erwirkung der Ah. Sanktion für den vom galizischen Landtage beschlossenen Gesetzentwurf betreffend die Ausscheidung der Attinenzen Łęki mit Bulina aus dem Verbande der Gemeinde Trzemeśnia Bezirk Mýslenice und Konstituierung derselben als selbstständige Administrativgemeinde unter dem Namen Łęki und Buline

III. ℹ️ Der Minister des Innern erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung der Ah. Sanktion für den vom galizischen Landtage beschlossenen Entwurf eines Gesetzes betreffend die Ausscheidung der Attinenzen Łęki und Bulina aus dem Verbande der Gemeinde Trzemeśnia im Bezirke Mýslenice und Konstituierung derselben als selbstständige Administrativgemeinde unter dem Namen Łęki mit Bulina5.

IV. Erwirkung der Ah. Sanktion für den vom oberösterreichischen Landtage beschlossenen Gesetzentwurf, womit einige Bestimmungen des Gesetzes vom 21. Februar 1870, LGBl. Nr. 9, betreffend die Schulaufsicht fallweise außer Wirksamkeit gesetzt werden

IV. ℹ️ Der Minister für Kultus und Unterricht erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung der Ah. Sanktion für den vom oberösterreichischen Landtage beschlossenen Gesetzentwurf, womit einige Bestimmungen des Gesetzes vom 21. Februar 1870, LGBl. Nr. 9, betreffend die Schulaufsicht fallweise außer Wirksamkeit gesetzt werden. Durch den betreffenden Gesetzentwurf soll die Bestimmung im zweiten Absatze des § 25 des Schulaufsichtsgesetzes, wonach die Ernennung von Bezirksschulinspektoren für die Dauer von drei Jahren erfolgt sowie die Bestimmungen des § 26 dieses Gesetzes, wonach Volksschuldirektoren und Lehrer, die den Unterricht in einer Schulklasse zu erteilen haben, zum Amte eines Bezirksschulinspektors nur mit Zustimmung derjenigen berufen werden können, welche die betreffende Schule dotieren, hinsichtlich derjenigen Bezirksschulinspektoren, die als Staatsbeamte angestellt werden, außer Kraft gesetzt werden6.

V. Erklärung des Umbaues einer Reichsstraßenbrücke für die Regulierung der Rivina Jaruga bei Scardona in Dalmatien als begünstigten Bau

V. ℹ️ Der Ackerbauminister erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates, den Umbau einer Reichsstraßenbrücke für die Regulierung der Rivina Jaruga bei Scardona in Dalmatien als begünstigten Bau zu erklären. Im Rahmen der aus den Mitteln des Ackerbauministeriums und des Ministeriums des Innern geförderten Regulierung der Rivina Jaruga bei Scardona in Dalmatien erweist sich der Umbau einer Reichsstraßenbrücke als notwendig7. Diese Brückenherstellung, welche im eminenten öffentlichen Interesse gelegen ist und einen Aufwand von 11.000 K erfordert, stellt sich als sehr dringlich dar, weshalb von der Statthalterei in Zara der Antrag gestellt wurde, sie als begünstigten Bau gemäß der kaiserlicher Verordnung vom 16. Oktober 1914, RGBl. Nr. 284, zu erklären. Das Projekt wurde einvernehmlich mit dem Ministerium für öffentliche Arbeiten geprüft und im Allgemeinen als zutreffend befunden. Die in der genannten kaiserlichen Verordnung aufgestellten Voraussetzungen sind gegeben8.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 30. Jänner 1915. Franz Joseph.