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Nr. 23 Ministerrat, Wien, 13. Oktober 1914

RS; P. Ehrhart; VS. Stürgkh; BdE. und anw. (Stürgkh 13. 10.), Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel, Morawski.

KZ. 80 – MRZ. 52

Protokoll des zu Wien am 13. Oktober 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.

I. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung betreffend Ausnahmsbestimmungen für begünstigte Bauten während der Dauer der durch den Krieg hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse

I. ℹ️ Der Minister für öffentliche Arbeiten erbittet die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung aufgrund des § 14 des Staatsgrundgesetzes betreffend Ausnahmsbestimmungen für begünstigte Bauten während der Dauer der durch den Krieg hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse1. Infolge der kriegerischen Ereignisse und der durch die letzteren geschaffenen besonderen Verhältnisse ergebe sich vielfach die Notwendigkeit, die Errichtung von Bauten und Betriebsanlagen verschiedenster Art in beschleunigter Weise durchzuführen. Dies gelte insbesondere von Hoch-, Straßen-, Wasser-, Eisenbahnbauten, welche öffentlichen und gemeinnützigen Zwecken zu dienen bestimmt sind. Ein besonders in die Augen fallendes Beispiel der Notwendigkeit einer überaus beschleunigten Bauführung bilde die Errichtung von Baracken speziell für Epidemiekranke. Neben dem sachlichen Momente spiele bei solchen Bauten auch der sozialpolitische Gesichtspunkt mit, durch Bauführungen der notleidenden Bevölkerung Arbeitsgelegenheit zu bieten2. Um nun die Möglichkeit eines rascheren Vorganges zu schaffen, als er durch die geltenden Bau- und sonstigen einschlägigen Vorschriften bedingt wäre3, soll für die Dauer der gegenwärtig maßgebenden Verhältnisse ein abgekürztes Verfahren geschaffen werden, welches bestimmten, öffentlichen oder gemeinnützigen Zwecken dienenden und von der Regierung infolgedessen als begünstigt erklärten Bauten zugutekommt. Durch die geplante kaiserliche Verordnung würden für solche Bauten Normen hinsichtlich eines vereinfachten Verfahrens geschaffen und hiebei auch Bestimmungen über die vielfach eine unerlässliche Voraussetzung der Bauführung bildende Enteignungsmöglichkeit vorgesehen werden4. Während im Allgemeinen die Kompetenz des Verfahrens in die Hände der politischen Landesbehörden gelegt werden soll, würde in Streitfällen über den Anspruch auf Entschädigungen und deren Höhe bei Enteignungen eine Kommission berufen sein, deren Zusammensetzung eine Gewähr dafür biete, dass die Interessen der Parteien voll berücksichtigt werden, ohne dass dem Staatsschatze oder den sonstigen bauführenden Stellen ungerechtfertigte Lasten aufgebürdet werden. Ferner soll die Ermächtigung erbeten werden, für einzelne Kategorien von Bauten die Bestimmungen der Kaiserlichen Verordnung zu ergänzen oder abzuändern, wodurch insbesondere auch eine Anpassung der Vorschriften an die besonderen Bedürfnisse des Eisenbahnbaues im Verordnungswege ermöglicht würde.

In einer längeren Erörterung, an welcher sich neben dem sprechenden Minister insbesondere der Ministerpräsident, der Justizminister, der Minister des Innern, der Eisenbahnminister, der Ackerbauminister und der Leiter des Finanzministeriums beteiligen, findet der Vorschlag des Ministers für öffentliche Arbeiten allseitige Billigung, desgleichen der Standpunkt des Leiters des Finanzministeriums, welch letzterer dafür eintritt, dass durch die geplanten Bestimmungen der kompetenzmäßigen Ingerenz des Finanzministeriums kein Abbruch geschehe. Der Ministerrat erteilt sohin aufgrund des anverwahrten Textesa dem Minister für öffentliche Arbeiten die erbetene Zustimmung5.

II. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung betreffend die Gewährung von Steuer- und Gebührenerleichterungen für Widmungen zu Kriegsfürsorgezwecken

II. ℹ️ Der Leiter des Finanzministeriums erbittet die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung aufgrund des § 14 des Staatsgrundgesetzes in Angelegenheit der Gewährung von Steuer- und Gebührenerleichterungen für Widmungen zu Kriegsfürsorgezwecken. Zur Förderung von anlässlich der kriegerischen Ereignisse zutage tretenden wohltätigen patriotischen Bestrebungen empfehle es sich, auf dem Gebiete der direkten Steuern sowie der Stempel- und unmittelbaren Gebühren temporäre Erleichterungen für solche Abgabenpflichtige in Vorschlag zu bringen, welche sich durch Zuwendung von Spenden, Geschenken und Widmungen zu Zwecken der Kriegsfürsorge verdient gemacht haben. Derartige Steuer- und Gebührenerleichterungen seien schon wiederholt, wenn es sich um gemeinnützige und patriotische Bestrebungen handelte, zugestanden worden6. Die beabsichtigten Steuerbegünstigungen würden sich auf die Erwerbsteuer der öffentlich rechnungspflichtigen Unternehmungen beziehen, indem die dem Zwecke der Kriegsfürsorge in den Jahren 1914 und 1915 zugewendeten Beträge bei der Erwerbsteuerbemessung als anrechenbare Auslagen behandelt werden sollen. In dem vorgeschlagenen Entwurfe sei eine Fassung gewählt, welche der Regierung die Möglichkeit gewährt, die einzelnen Fälle individualisierend zu behandeln, insbesondere in der Hinsicht, dass den wirtschaftlich stärkeren Unternehmungen die Steuererleichterung nicht durchwegs in gleichem Maße gewährt werde wie den wirtschaftlich schwächeren Unternehmungen. Eine Ausdehnung der Steuerbegünstigung auf das Gebiet der Einkommensteuer könne aus Gründen prinzipieller, insbesondere steuertechnischer Natur nicht erfolgen. Dagegen sollen Erleichterungen auf dem Gebiete der Stempel- und unmittelbaren Gebühren Platz greifen und auch in dieser Beziehung eine individualisierende Behandlung ermöglicht werden. Die zu erwirkende Ah. Ermächtigung sei als zeitlich beschränkt gedacht, weshalb für die Regierung die Befugnis erbeten werde, den Zeitpunkt, bis zu welchem die gedachten Erleichterungen gewährt werden können, im Verordnungswege festzusetzen. Der Minister des Innern wirft die Frage auf, ob Stiftungen unter die begünstigten Widmungen fallen würden, wofür er eintreten möchte. Der Leiter des Finanzministeriums betont, dass dies nach der Textierung des Entwurfes ohnedies der Fall sei, dass er aber die Einbeziehung der Stiftungen auch noch in der Durchführungsvorschrift besonders zum Ausdruck bringen werde.

Der Ministerrat erteilt sohin die erbetene Zustimmung7.

III. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung betreffend die Gewährung von Gebühren- und Steuer-Erleichterungen für die niederösterreichische Kriegskreditbank

III. ℹ️ Der Leiter des Finanzministeriums erbittet die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung aufgrund des § 14 des Staatsgrundgesetzes betreffend die Gewährung von Gebühren- und Steuererleichterungen für die niederösterreichische Kriegskreditbank.

Der geplanten niederösterreichischen Kriegskreditbank sei eine wesentliche Funktion bei der wichtigen Aufgabe vorbehalten, die durch den Eintritt der kriegerischen Ereignisse gestörte Abwicklung des wirtschaftlichen Lebens wieder in normale Bahnen zurückzulenken. Mit Rücksicht darauf sowie auf den eminent gemeinnützigen Charakter der Anstalt möchte der sprechende Minister gemäß einem von der niederösterreichischen Handels- und Gewerbekammer gestellten Ansuchen dafür eintreten, dass der niederösterreichischen Kriegskreditbank weitgehende Gebühren- und Steuererleichterungen erwirkt werden. Insbesondere sei die Befreiung von den Aktienemissions- und Kuponstempelgebühren8, von sonstigen bei der Gründung der Bank oder für die Sicherstellung der Darlehen auflaufenden Gebühren sowie von den Gebühren für die Zession offener Außenstände an die Bank vorgesehen. Für den Fall, dass in anderen Ländern ähnliche Institute entstehen, solle die Regierung ermächtigt werden, ihnen gleiche Abgabenbegünstigungen einzuräumen. In einer längeren Erörterung, an welcher sich außer dem sprechenden Minister insbesondere der Justizminister und der Eisenbahnminister beteiligen, wird es als angemessen bezeichnet, mit der genannten kaiserlichen Verordnung erst in einem Zeitpunkte hervorzutreten, wo das Zustandekommen der niederösterreichischen Kriegskreditbank völlig gesichert sein wird, welchen Vorgang der Leiter des Finanzministeriums als in seinen Intentionen gelegen bezeichnet.

Der Ministerrat erteilt sohin die erbetene Zustimmung9.

IV. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung betreffend die zeitweilige Befreiung einiger Gegenstände des Wiener Linienverzehrungssteuer-Tarifes von der Verzehrungssteuer

IV. ℹ️ Der Leiter des Finanzministeriums erbittet die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung aufgrund des § 14 des Staatsgrundgesetzes betreffend die zeitweilige Befreiung einiger Gegenstände des Wiener Linienverzehrungssteuertarifes von der Verzehrungssteuer10.

Die Aufrechthaltung der Approvisionierung Wiens unter den gegenwärtigen Verhältnissen lasse es angezeigt erscheinen, für die nach Menge und Preis für breitere Volksschichten in Betracht kommenden Wildgattungen, nämlich Hasen und Hirsche beziehungsweise Hirschfleisch, die Wiener Linienverzehrungssteuer zeitweilig außer Kraft zu setzen; dasselbe gelte auch hinsichtlich der billigeren Sorten von Geflügel und Fischen, nämlich Gänsen, Karpfen, Weißfischen, Stockfischen und Schellfischen11. Der Ausfall an Staatseinnahmen würde für ein Jahr rund 530.000 K betragen, eine Summe, die gegenüber dem großen öffentlichen Interesse zurücktrete. Durch entsprechende Verkaufsorganisation müsse aber dafür gesorgt werden, dass die Steuerbefreiung wirklich dem Konsumenten und nicht etwa dem Zwischenhandel zukommt. In einer längeren Diskussion, an welcher sich außer dem sprechenden Minister insbesondere der Ministerpräsident, der Eisenbahnminister, der Minister für öffentliche Arbeiten und der Ackerbauminister beteiligen, wird anknüpfend an die Ausführungen des sprechenden Ministers es als notwendig bezeichnet dafür zu sorgen, dass die in Aussicht genommene Verkaufsorganisation möglichst rasch ins Leben trete.

Der Ministerrat erteilt sohin dem Leiter des Finanzministeriums die erbetene Zustimmung12.

V. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung betreffend die Gewährung von Nachlässen an der allgemeinen Erwerbssteuer aus Anlass der durch den Krieg eingetretenen Betriebsstörungen

V. ℹ️ Der Leiter des Finanzministeriums erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung aufgrund des § 14 des Staatsgrundgesetzes betreffend die Gewährung von Nachlässen an der allgemeinen Erwerbsteuer13 aus Anlass der durch den Krieg eingetretenen Betriebsstörungen.

Die vielfachen Schädigungen, welche Handel, Gewerbe und Industrie im Gefolge der Kriegsereignisse erleiden14, machen auf dem Gebiete der allgemeinen Erwerbsteuer die Gewährung von Erleichterungen in einem weiteren Umfange notwendig, als dies im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen möglich wäre, zumal § 73 des Personalsteuergesetzes nur auf Störungen individueller und lokal begrenzter Natur, nicht dagegen auf so allgemeine Störungsursachen wie den Weltkrieg Bedacht nehme. Überdies müssen die aufgrund des Personalsteuergesetzes bewilligten Abschreibungen zur Gänze vom Staatsschatze getragen werden, was im vorliegenden Falle nicht gerechtfertigt wäre, da eine Reihe von Industrien und Erwerbsunternehmungen gerade infolge der Kriegslage glänzende Geschäfte gemacht habe und daher aufgrund der Kontingentierung der Erwerbsteuer zur Deckung der Steuerausfälle bei den geschädigten Branchen herangezogen werden könne. Demgemäß sei die Regelung der Angelegenheit im Wege einer besonderen kaiserlichen Verordnung notwendig. Die geplanten Erleichterungen würden darin bestehen, dass den Nachlasswerbern je nach dem Grad und der Dauer der erlittenen Betriebsstörung der teilweise Nachlass einer oder mehrerer Quartalsraten von der ihnen vorgeschriebenen allgemeinen Erwerbsteuer, beziehungsweise wenn eine vollständige Betriebseinstellung durch mindestens ein Vierteljahr stattgefunden hat, auch eine gänzliche Abschreibung auf die Dauer dieser Betriebseinstellung zugebilligt werden könne. Über diese Nachlässe hätten im Rahmen der kontingentierten Erwerbsteuer in I. und II. Instanz Kommissionen zu entscheiden, welche aus dem Vorsitzenden und Mitgliedern der zuständigen Erwerbsteuerkommissionen beziehungsweise Erwerbsteuerlandeskommissionen zusammengesetzt werden. Die durch Gewährung dieser Nachlässe bewirkten Ausfälle im Kontingent wären der für die Veranlagungsperiode 1916/17 entfallenden Erwerbsteuerhauptsumme hinzuzuschlagen. Letztere Bestimmung biete den Veranlagungsorganen und insbesondere auch der Kontingentkommission in erhöhtem Maße die Möglichkeit, bei der nächsten Veranlagung der allgemeinen Erwerbsteuer eine gerechte Ausgleichung der Steuerlast zwischen den einzelnen Steuerträgern, je nachdem sie durch den Krieg gelitten oder profitiert haben, vorzunehmen15.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 19. Dezember 1914. Franz Joseph.