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Nr. 21 Ministerrat, Wien, 5., 6. und 7. Oktober 1914

RS.; P. Ehrhart; VS. Stürgkh; BdE. und anw. (Stürgkh 7. 10.), Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel, Morawski.

KZ. 77 – MRZ. 50

Protokoll des zu Wien am 5., 6. und 7. Oktober 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.

I. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über Wucher

I. ℹ️ Der Justizminister erbittet die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über Wucher. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes und des Strafrechtes gegen den Wucher1 seien schon immer unzureichend gewesen, hätten sich aber gerade gegenwärtig als ganz ungenügend erwiesen. Der Entwurf vereinige die auf diese Materie Bezug habenden Vorschriften der vom Herrenhause schon angenommenen Novelle zum bürgerlichen Gesetze und des gleichfalls vom Herrenhause angenommenen Entwurfes eines neuen Strafgesetzbuches und seines Einführungsgesetzes2. Die wesentlichen Unterschiede gegenüber dem geltenden Rechte seien folgende: Das bürgerliche Recht und das Strafrecht fassen gegenwärtig nur den Kreditwucher ins Auge, der Entwurf dagegen erkläre jeden wucherischen Vertrag als nichtig; er ergreife daher auch den Sachwucher (§ 1). Der Kreditwucher und der Sachwucher wurden als strafbar erklärt (§§ 2 bis 4), letzterer allerdings mit zwei Beschränkungen.

a) Der Tatbestand erstrecke sich nur auf die Sachumsatz- und Rechtsveräußerungsgeschäfte („wer bei Abschluss, Abänderung oder Vermittlung eines Rechtsgeschäftes, das den Erwerb oder die Veräußerung einer Sache oder eines Rechtes zum Gegenstande hat“). Der Lohnwucher werde daher nicht getroffen. Der Grund dieser Beschränkung liege darin: Während bei den Sachumsatz- und Rechtsveräußerungsgeschäften ein zuverlässiges Urteil über das Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung verhältnismäßig leicht gewonnen werden könne, bereite die Abschätzung persönlicher Leistungen erhebliche Schwierigkeiten, sodass eine Strafdrohung nicht angebracht wäre. Dagegen solle ein solches Geschäft bürgerlich-rechtlich anfechtbar sein.

b) Nur der gewerbsmäßig begangene Sachwucher solle strafbar sein. Der Begriff der Gewerbemäßigkeit verlange nicht, dass die strafbare Handlung wiederholt wurde. Es genüge die Verübung einer strafbaren Handlung, wenn die Absicht des Täters klar zutage trete, sich durch öftere Wiederholung eine Einnahmsquelle zu schaffen, von dem Verbrechen ganz oder teilweise zu leben. Die Beschränkung der Bestrafung des Sachwuchers auf die gewerbemäßige Verübung, wie im deutschen Strafgesetzbuche3, erkläre sich aus der Neuheit der Strafdrohung und auch daraus, dass der Sachwucher im einzelnen Geschäfte schwerer zu erfassen sei als der Kreditwucher. Der Begriff des Wuchers werde sowohl für das Zivilrecht als das Strafrecht erweitert. Die „Notlage“ des geltenden Rechtes sei durch „Zwangslage“ ersetzt worden. Im Unterschiede zum geltenden Rechte verlange der Entwurf nicht, dass die versprochenen oder gewährten Vermögensvorteile derart maßlos sein müssen, um das wirtschaftliche Verderben des Bewucherten herbeiführen oder befördern zu können. Zum Tatbestande solle genügen, wenn Leistung und Gegenleistung im auffallenden Missverhältnisse stehen. Die bisherige zweifelhafte Begünstigung des kaufmännischen Verkehres, die Handelsgeschäfte, bei denen beide Vertragsteile Kaufleute sind, von der bürgerlichen Ungiltigkeit und von der Strafbarkeit ausnehme, sei gefallen. Endlich würden die Strafdrohungen sehr erheblich verschärft. Während gegenwärtig als strengste Strafe zwei Jahre strenger Arrest angedroht sind, solle künftig der Wucherer, der gewerbsmäßig handelt und eine größere Zahl von Personen schwer geschädigt hat, als Verbrecher mit Kerker von einem bis zu fünf Jahren bestraft werden. In einer längeren Diskussion, an welcher sich außer dem sprechenden Minister insbesondere auch der Eisenbahnminister und der Ackerbauminister beteiligen, finden die Vorschläge des Justizministers allseitige Zustimmung. Auch wird der Entwurf im Sinne des anverwahrten Textes angenommena .

Der Ministerrat erteilt sohin dem Justizminister die erbetene Ermächtigung4.

II. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über eine Teilnovelle zum ABGB

II. ℹ️ Der Justizminister erbittet die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über eine Teilnovelle zum ABGB.

Die kriegerischen Ereignisse machen es notwendig, einen Teil der vom Herrenhause angenommenen Novelle zum ABGB. möglichst bald in Kraft zu setzen5. Es seien Bestimmungen aus dem Gebiete des Personen-, Familien- und des gesetzlichen Erbrechtes, die infolge des Krieges besondere Bedeutung erlangen und dringlich wurden. Dabei hätten aber aus redaktionellen und Zweckmäßigkeitsgründen, um den Zusammenhang des Gesetzes nicht gewaltsam zu stören, einige Bestimmungen mit übernommen werden müssen, die an sich nicht als im gleichen Maße dringend zu bezeichnen wären. Die Notwendigkeit, die Bestimmungen über die Fristen für die Todeserklärung insbesondere bei Verschollenheit zur See oder im Kriege zu verbessern, liege zutage. Die Gleichstellung der Frauen hinsichtlich der Verwendung als Zeugen bei Rechtsgeschäften solle den Rechtsverkehr erleichtern und überdies eine billige Gegenleistung für die Last der Vormundschaftsführung sein. Die Bestimmungen der Novelle über Familien- und Vormundschaftsrecht seien nahezu vollständig übernommen, weil sie sich nicht gut scheiden lassen und weil ein zeitgemäßer Ausbau des Vormundschaftswesens jetzt besonders dringend erscheine. Als mit dem Kriegszustande nicht unmittelbar zusammenhängend könnten wohl nur die zwei ersten Titel des zweiten Abschnittes (Fürsorge für die unter väterlicher Gewalt stehenden Minderjährigen sowie für die Kinder im Falle der Scheidung oder Trennung der Ehe) bezeichnet werden. Auch bei diesen sei aber die Erwägung entscheidend, dass infolge der großen Verluste an Menschenleben eine geregelte Erziehung der Nachkommenschaft erhöhte Bedeutung erlange, dass daher keine einschlägige Vorkehrung hinausgeschoben werden dürfe. Dies rechtfertige die Besserstellung der unehelichen Kinder, die Erleichterung der Annahme an Kindesstatt, die Heranziehung der Frauen und geeigneter Organisationen zur Vormundschaft, die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für den Vormundschaftsrat. Die neuen Bestimmungen über die gesetzliche Erbfolge zwischen unehelichen Kindern und Eltern hängen mit der Änderung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes zusammen. Die Reform des gesetzlichen Erbrechtes der Verwandten und des Ehegatten sei gleichfalls durch den Krieg unaufschiebbar geworden. Die Bestimmung über den Heimfall erbloser Verlassenschaften habe wegen des redaktionellen Zusammenhanges mit den vorhergehenden geänderten Paragrafen des ABGB. neu gefasst werden müssen. Der Justizminister erläutert hierauf die einzelnen Bestimmungen des Entwurfes.

An diesen Vortrag knüpft sich eine längere Erörterung, an welcher sich außer dem sprechenden Minister insbesondere auch der Ministerpräsident, der Handelsminister und der Leiter des Finanzministeriums beteiligen. Hiebei wird die grundsätzliche Frage erwogen, inwieweit sich das bürgerliche Recht zur Regelung aufgrund des § 14 eigne, wobei festgestellt wird, dass irgendein formellrechtliches Hindernis hingegen nicht obwalte. Ferner wird hervorgehoben, dass, wenn auch vielleicht unter anderen Umständen eine Neuregelung privatrechtlicher Verhältnisse aufgrund des Notverordnungsrechtes nicht wünschenswert erscheinen könnte, ein derartiges Bedenken unter den gegebenen Verhältnissen nicht bestehe. Es sei nämlich nicht abzusehen, wann die ordentliche Gesetzgebung wieder in ihre Rechte eintreten werde, und es ergebe sich somit für die provisorische Gesetzgebung die Pflicht, von den ihr staatsgrundgesetzlich eingeräumten Befugnissen in einem ausgedehnteren Maße Gebrauch zu machen als etwa in früheren Fällen, wo die provisorische Gesetzgebung lediglich berufen war, kürzere und in ihrer Dauer absehbare Zwischenpausen der parlamentarischen Tätigkeit auszufüllen. Was nun den Gegenstand selbst anbelangt, so sei bei dem überwiegenden Teile der zur Neuregelung vorgeschlagenen Stoffgebiete die Voraussetzung der Dringlichkeit in hohem Grade gegeben, weil die infolge des Krieges sich häufenden Ablebensfälle die geplanten Verbesserungen auf personen-, familien- und erbrechtlichem Gebiete in weit ausgedehnterem Maße als sonst praktisch werden lassen. Die Bevölkerung erwarte mit Recht, dass ihr diese Verbesserungen gerade jetzt nicht vorenthalten werden und dass die Regierung zu diesem Zwecke den ihr offenstehenden Weg beschreite. Im Zusammenhang der geplanten Neuregelung seien zwar auch einzelne Belange in Betracht gezogen, bei denen, an sich genommen, das Erfordernis der Dringlichkeit nicht im gleichen Grade bestehe. Diese Belange aber stünden mit den hervorragend dringlichen Hauptpunkten in so inniger Verbindung, dass ihre Ausscheidung nicht gut möglich sei. Was die Vorschläge im Einzelnen anbelangt, so werden im Laufe der Debatte einige geringfügige Änderungen des Entwurfes, nämlich die Streichung des 1. Absatzes des § 47, die Streichung des § 73 und eine kürzere Fassung des Artikels II, Abs. 2 als wünschenswert bezeichnet. Der Justizminister erklärt sich zu diesen Änderungen bereit. Schließlich wird der Entwurf in der angeschlossenen Fassung allseitig angenommenb .

Der Ministerrat erteilt sohin dem Justizminister die erbetene Ermächtigung6.

III. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung, mit welcher die Regierung ermächtigt wird, aus Anlass der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen

III. ℹ️ Der Minister des Innern erbittet die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung aufgrund des § 14 des Staatsgrundgesetzes, mit welcher die Regierung ermächtigt wird, aus Anlass der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen7. Die Regierung soll die Befugnis erhalten, durch Verordnung die notwendigen Verfügungen zur Förderung des wirtschaftlichen Lebens, insbesondere der Landwirtschaft, der Industrie, des Handels und Gewerbes, ferner zur Approvisionierung der Bevölkerung zu treffen, wobei die Gemeinden zur Durchführung der bezüglichen Maßnahmen verpflichtet werden können. Diese Maßnahmen sollen ferner durch eine entsprechende Strafsanktion Unterstützung finden. In der sich an diesen Vortrag knüpfenden Diskussion wird der Entwurf der bezüglichen kaiserlichen Verordnung im Sinne des anverwahrten Textes angenommenc .

Der Ministerrat erteilt sohin dem Minister des Innern die erbetene Ermächtigung8.

IV. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung betreffend Vergeltungsmaßregeln auf rechtlichem und wirtschaftlichem Gebiete anlässlich der kriegerischen Ereignisse sowie Erlassung zweier Verordnungen des Gesamtministeriums betreffend Vergeltungsmaßregeln bei Guthaben und Forderungen, die Angehörigen feindlicher Staaten zustehen, und betreffend die Überwachung ausländischer Unternehmungen

IV. ℹ️ Der Minister des Innern lenkt die Aufmerksamkeit des Ministerrates auf den Umstand, dass seitens des Feindes von dem bisherigen völkerrechtlichen Grundsatze, den Krieg nur gegen die bewaffnete Macht, nicht aber gegen das Eigentum der friedlichen Bevölkerung des gegnerischen Staates zu führen, abgewichen werde und dass speziell die englische Regierung eine Reihe von Maßnahmen getroffen habe, die sich gegen die Privatinteressen der Bürger Österreich-Ungarns richten9. Es sei daher notwendig, derartigen Schritten durch Handhabung des Vergeltungsrechtes wirksam zu begegnen. Der sprechende Minister beabsichtige daher, eine kaiserliche Verordnung aufgrund des § 14 betreffend Vergeltungsmaßregeln auf rechtlichem und wirtschaftlichem Gebiete anlässlich der kriegerischen Ereignisse zu erwirken. Die Regierung soll die Befugnis erhalten, kraft des Vergeltungsrechtes Verordnungen oder Verfügungen rechtlicher oder wirtschaftlicher Art über die Behandlung von Ausländern und ausländischen Unternehmungen zu erlassen und Maßregeln zu treffen, die geeignet sind, die unmittelbare oder mittelbare Vollziehung von Leistungen in das feindliche Ausland zu verhindern. Für die zuverlässige Einhaltung der aufgrund der erwähnten Befugnis zu erlassenden Vorschriften soll durch eine entsprechende Strafsanktion gesorgt werden. Für den Fall des Erfließens einer solchen kaiserlichen Verordnung beantragt der sprechende Minister sohin die Erlassung zweier Verordnungen des Gesamtministeriums, wovon die eine Vergeltungsmaßregeln bei Guthaben und Forderungen, die Angehörigen feindlicher Staaten zustehen, die andere aber die Überwachung ausländischer Unternehmungen zum Gegenstande hat. Er erbittet die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung der besprochenen kaiserlichen Verordnung beziehungsweise zur Erlassung der beiden Verordnungen des Gesamtministeriums. In der sich an diesen Vortrag schließenden Erörterung wird den Intentionen des sprechenden Ministers und insbesondere auch den von ihm vorgeschlagenen Entwürfen im Sinne des anverwahrten Textes zugestimmtd . Der Leiter des Finanzministeriums macht speziell darauf aufmerksam, dass bei den aufgrund der in Aussicht genommenen normativen Bestimmungen zu treffenden konkreten Maßnahmen mit der äußersten Vorsicht vorgegangen werden müsse, weil solche Maßnahmen, die unmittelbar bestimmt sind, die Interessen der Bevölkerung des feindlichen Staates zu treffen, unter Umständen auf die der eigenen Staatsbürger in nachteiliger Weise zurückwirken können. Er bitte daher bei allen einschlägigen Maßnahmen dem Finanzministerium rechtzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme zu bieten. Die Berechtigung des vom Leiter des Finanzministeriums eingenommenen Standpunktes wird allseitig anerkannt und es wird ferner beschlossen, zur Vorberatung konkreter Maßnahmen ein Komitee aus den beteiligten Ressorts einzusetzen.

Der Ministerrat erteilt sohin die Zustimmung zu den vom Minister des Innern vorgeschlagenen Schritten10.

V. Finanzielle Maßnahmen anlässlich des Krieges (neuerliches Übereinkommen mit der Oesterreichisch-ungarischen Bank, Subskriptionsanleihe, Kriegssteuer)

V. ℹ️ Der Leiter des Finanzministeriums erinnert daran, dass die aufgrund der Beschlussfassung des Ministerrates vom 3. August 1914 eingeleiteten finanziellen Transaktionen den Zweck hatten, die Mittel für die Kriegführung in den ersten drei Monaten, also bis Ende Oktober, sicherzustellen11. Dermals habe es sich für beide Reichshälften einerseits um ein Anlehen im Gesamtbetrage vom 950 Millionen Kronen gehandelt, welches von den Banken übernommen und im Wege des Lombards bei der Oesterreichisch-ungarischen Bank zu 85% des Nominales realisiert wurde, anderseits um die Sicherstellung eines Betrages von zwei Milliarden Kronen, welchen die Oesterreichisch-ungarische Bank dem Staate gegen Verpfändung von bis zu 75% des Nominalwertes zu belehnenden Staatsschuldverschreibungen zur Verfügung stellte. Während, wie bereits gesagt, der den beiden Staatsverwaltungen auf diesem Wege zukommende Gesamtbetrag die Kosten der Kriegsführung bis etwa Ende Oktober zu decken bestimmt war, hat sich gezeigt, dass mit diesen Mitteln nicht so lange das Auslangen gefunden werden wird. Die für diese Zeit ursprünglich mit 2.809 Millionen präliminierten Auslagen für das Heer seien infolge verschiedener, insbesondere durch Neuformationen bedingter Mehrauslagen jetzt mit 2.927 Millionen Kronen anzusetzen, wobei noch einige unvermeidliche Aufwendungen der Kriegsverwaltung, so unter anderem für gewisse Montur- und Rüstungserfordernisse und für die weitere Ergänzung der Wehrmacht nicht in Betracht gezogen seien. Dazu komme das für zwei Monate mit 94,8 Millionen präliminierte Erfordernis der Marine. Speziell vom österreichischen Standpunkte sei hinzuzufügen, dass auch die innere Gebarung Mindereinnahmen und Mehrauslagen aufweise, die zu einer Schmälerung der verfügbaren Geldbestände geführt haben. Von dem quotenmäßig auf Österreich entfallenden, aus den vorerwähnten Transaktionen resultierenden Betrage per 1.921,9 Millionen Kronen seien bisher für militärische Zwecke 1.458 Millionen Kronen flüssig gemacht worden und demgemäß noch 463 Millionen Kronen anzuweisen. Aus den in Rede stehenden Geldbeständen erübrige aber nur mehr ein Betrag von 158 Millionen Kronen, sodass sich bis Ende Oktober ein Defizit von 305,9 Millionen Kronen ergebe. Die kgl. ung. Regierung sei hinsichtlich der Barbestände noch beengter und es erscheine daher im beiderseitigen Interesse unbedingt notwendig, schon jetzt durch eine neuerliche Transaktion weitere Geldmittel zu beschaffen. Der sprechende Minister plane allerdings ebenso wie sein ungarischer Kollege für den geeigneten Zeitpunkt ein Subskriptionsanlehen, welches bereits in analoger Weise wie in Deutschland in Aussicht genommen war12. Hiefür sei aber die Situation noch nicht reif, da in der Bevölkerung noch mannigfache Momente der Beunruhigung wirken, die den Erfolg der Anlehensemission sehr beeinträchtigen würden. Durch ein solches Subskriptionsanlehen müsste für beide Staaten der Monarchie doch etwa eine Milliarde Kronen beschafft werden können. Sollte der Erfolg wesentlich hinter dieser Ziffer zurückbleiben, so würde dies nicht nur dem eigentlichen Zwecke nicht entsprechen, sondern auch einer etwaigen Wiederholung der Aktion in der ungünstigsten Weise präjudizieren und gewiss im Auslande, wo man bisher gar keine Anhaltspunkte hat, die Liquidität österreichischer Geldmittel infrage zu ziehen, einen höchst schädlichen Eindruck hervorrufen. Die Subskriptionsanleihe müsse demgemäß auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden, in welchem zu erhoffende militärische Erfolge auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen dem Staatskredite erheblich zu Hilfe kommen. Einstweilen bleibe aber kein anderer Weg übrig als der neuerliche Appell an die Oesterreichisch-ungarische Bank. Der Leiter des Finanzministeriums und der ungarische Finanzminister hätten daher mit dieser letzteren ein neuerliches Übereinkommen vorbereitet, welches dem Staate zwei Milliarden Kronen bringen solle, hievon nach dem Quotenschlüssel 1.272 Millionen für Österreich und 728 Millionen Kronen für Ungarn13. Die Oesterreichisch-ungarische Bank würde diesen Betrag gegen Einreichung von Solawechseln der beiden Finanzverwaltungen und 1%ige Verzinsung zur Verfügung stellen. Für die Rückzahlung wurde eine ratenweise Abstattung innerhalb eines zehnjährigen Zeitraumes vom 30. Juni 1918 bis zum 31. Dezember 1927 von der Oesterreichisch ungarischen Bank zugestanden. Da das Bankprivilegium mit 31. Dezember 1917 abläuft, die Rückzahlungsfrist aber grundsätzlich bis zum 31. Dezember 1927 währt, hätten die beiden Regierungen in ihrem Übereinkommen die Bereitwilligkeit auszusprechen, ihren Gesetzgebungen die Verlängerung des Privilegiums bis Ende 1927 vorzuschlagen und sich für die unveränderte Annahme dieses Vorschlages einzusetzen, jedoch nur für den Fall, als diese Verlängerung sich in den Rahmen der sonstigen in jenem Zeitpunkte getroffenen Dispositionen über den wirtschaftlichen Ausgleich einfügt. Weiterhin würde das Übereinkommen Bestimmungen für die Eventualität enthalten, dass weder das Privilegium verlängert würde, noch die beiden Regierungen von ihrem statutarischen Rechte, das den Gegenstand des Privilegiums bildende Bankgeschäft selbst zu übernehmen, Gebrauch machen sollten. Endlich würden gewisse, der Bank schon bei der ersten Transaktion gewährte Begünstigungen, so insbesondere die Befreiung von der Notensteuer hinsichtlich des dem Anlehen entsprechenden Banknotenumlaufes auch für das jetzige Geschäft gewährt. Der Leiter des Finanzministeriums könne nicht übersehen, dass die in Rede stehende Transaktion die Beständigkeit unserer Valuta auf eine gewisse Probe stelle. Dermalen betrage der Banknotenumlauf 4,3 Milliarden Kronen gegenüber einer metallischen Deckung von etwa 1,3 Milliarden Kronen, würde sich aber durch das neue Anlehen bis zu 6,3 Milliarden Kronen erhöhen, also das Verhältnis der metallischen Deckung von dem statutarischen ⅖-Schlüssel einer bloßen ⅕-Deckung sehr nahe bringen. Dass man sich damit der Gefahr einer erheblichen Entwertung unserer Valuta in bedenklicher Weise nähere und jedenfalls an die Grenze dessen gehe, was verantwortet werden könne, sei klar.

Doch stehe gegenwärtig ein anderer Weg nicht offen. Der sprechende Minister hoffe aber, dass mit den jetzt zu sichernden zwei Milliarden und dem Erlös des späterhin zu versuchenden Subskriptionsanlehens mit etwa einer Milliarde bis Ende d. J. das Auslangen gefunden werden könnte, bis zu welchem Zeitpunkte vielleicht im Falle eines günstigen Verlaufes der kriegerischen Operationen eine Beendigung des Krieges zu erhoffen stehe. In diesem Zusammenhange möchte sich der Leiter des Finanzministeriums auch noch mit einer Frage beschäftigen, die für das Gelingen des späteren Subskriptionsanlehens sehr wichtig sei. Er meine nämlich die in der Öffentlichkeit vielfach propagierte Idee einer besonderen ℹ️Kriegssteuer, sei es für militärische Zwecke, sei es für kriegshumanitäre Vorsorgen. Eine solche Kriegssteuer würde ein überaus ungünstiges Präjudiz für den seinerzeitigen Erfolg des Subskriptionsanlehens bilden. Er denke daher nicht an eine solche Maßnahme und beabsichtige die Öffentlichkeit von dieser Intention zu informieren. Kriegshumanitäre Zwecke, insoweit sie sich auf das Maß des wirklich Notwendigen beschränken, seien nach seiner Meinung allen übrigen Kriegserfordernissen vollkommen gleichzuhalten. Im Bedarfsfalle wären die Mittel hiefür daher bei den Staatsverwaltungen in gleicher Weise in Anspruch zu nehmen wie für andere militärische Auslagen, neben deren Höhe sie ja keine ausschlaggebende Bedeutung besitzen. Hier den Weg einer abgesonderten Geldbeschaffung zu betreten und dadurch einer späteren großzügigen Anlehensaktion in der nachteiligsten Weise vorzugreifen, sei durchaus irrationell. Auf den Gegenstand seines Vortrages zurückkommend, bitte er um die Zustimmung zum Abschlusse des vorerwähnten Übereinkommens. In einer längeren Debatte, an der sich insbesonders auch der Ministerpräsident, der Justizminister und der Eisenbahnminister beteiligen, werden die Intentionen des Leiters des Finanzministeriums gebilligt und speziell auch über Initiative des Ministerpräsidenten konstatiert, dass die ausgesprochene Bereitwilligkeit der Regierung, für eine zehnjährige Verlängerung des Bankprivilegiums einzutreten, der im Auge zu behaltenden Eventualität des Abschlusses eines langfristigeren Ausgleiches vom Jahre 1917 an keinerlei Abbruch tue.

Der Ministerrat erteilt sohin dem Leiter des Finanzministeriums die erbetene Zustimmung14.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 18. Dezember 1914. Franz Joseph.