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Nr. 12 Ministerrat, Wien, 12. August 1914

RS; P. Ehrhart; VS. Stürgkh; BdE. und anw. (Stürgkh 12. 8.), Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel, Morawski.

KZ. 59 – MRZ. 41

Protokoll des zu Wien am 12. August 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.

I. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung betreffend die Stundung privatrechtlicher Geldforderungen

[I.] ℹ️ Der Justizminister erinnert daran, dass aufgrund der Beschlussfassung des Ministerrates vom 31. Juli d. J. eine kaiserliche Verordnung betreffend ein 14-tägiges Moratorium erwirkt und publiziert worden sei1.

Während man damals mit der Möglichkeit rechnen durfte, mit einer kurz befristeten Stundung das Auslangen zu finden, habe sich angesichts der Ausdehnung der kriegerischen Verwicklungen und aufgrund der zwischenzeitig gemachten Erfahrungen die Notwendigkeit ergeben, die Stundungsanordnungen auch weiterhin in Kraft zu lassen. Der sprechende Minister beabsichtige daher eine neue kaiserliche Verordnung zu erwirken, mit welcher die Anordnung für die Stundung privatrechtlicher Geldforderungen, wie sie durch die vorerwähnte kaiserliche Verordnung ausgesprochen wurde, bis zum 30. September 1914 und für Forderungen, die vor dem 1. August d. J. entstanden sind, aber zwischen dem 1. August und 30. September fällig werden, um 61 Tage verlängert wird. Der Entwurf übernehme im Wesentlichen die Bestimmungen der oberwähnten Verordnung, habe jedoch den Kreis der von der Stundung ausgenommenen Forderungen bedeutend erweitert2, so hinsichtlich der Ansprüche der Hypothekarinstitute auf Zahlung von Zinsen und Annuitäten, aus Hypotheken, hinsichtlich der Forderungen der Gesellschaft vom Roten Kreuze, des Fonds zur Unterstützung von Angehörigen von Mobilisierten und dergleichen, hinsichtlich der Ansprüche auf Versicherungsleistungen, endlich der Ansprüche aus Pfandbriefen und sonstigen als mündelsicher erklärten Schuldverschreibungen. Was insbesondere die Forderungen aus laufender Rechnung anbelangt, so seien die neuen Bestimmungen etwas anders und wesentlich detaillierter, als dies in der kaiserlichen Verordnung vom 31. Juli 1914 der Fall war. Es werde hiebei ungefähr in jenem Rahmen, innerhalb dessen die Banken auch jetzt schon freiwillig über ihre Verpflichtung hinausgegangen sind, im Allgemeinen der von diesen Instituten zurückzuzahlende Mindestbetrag erhöht und überdies auch perzentuell abgestuft; darüber hinaus aber wurden erhöhte Rückzahlungspflichten in einzelnen Belangen und insbesondere für solche Fälle statuiert, wo mit der Rückzahlung öffentliche Interessen verknüpft sind, so z. B. hinsichtlich der zur Aufrechterhaltung eines Betriebes notwendige Summen und so weiter. Dagegen seien die von den Kreditgenossenschaften, speziell den Raiffeisenkassen, zurückzuzahlenden Mindestbeträge aufgrund der zwischenzeitig gemachten genauen Erhebungen herabgesetzt worden.

Die neue kaiserliche Verordnung enthalte ferner eine Ermächtigung der Regierung, im Verordnungswege den Kreis der von der Stundung ausgenommenen Forderungen zu erweitern oder einzuengen. Hervorzuheben sei endlich auch die Bestimmung, wonach ausländische Gläubiger weitergehenden Beschränkungen insoweit unterworfen werden, als in dem betreffenden ausländischen Staate österreichische Gläubiger ihre Rechte nur in beschränkterem Maße geltend machen können. Der sprechende Minister erbitte sohin die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung der in Rede stehenden kaiserlichen Verordnung.

An diesen Antrag knüpft sich eine längere Debatte, an welcher sich sämtliche Mitglieder des Kabinetts beteiligen und in welcher insbesondere zwei Punkte eine eingehende Erörterung finden, nämlich

1. der Zeitraum, für den das Moratorium erlassen werden soll, und

2. die Frage der Höhe der Mindestbeträge, zu deren Rückzahlung die Banken im Kontokorrent verpflichtet werden.

Was die Dauer des Moratoriums anbelangt, so wurde der Wunsch geäußert, es auf einen längeren Zeitraum, eventuell bis Ende Oktober, auszudehnen. Obwohl die Annahme, dass bis zu jenem Zeitpunkte vielleicht noch keine volle Beruhigung des Wirtschaftslebens eingetreten sein dürfte und sich daher die Notwendigkeit zu einer weiteren Verlängerung des Moratoriums ergeben könnte, im Allgemeinen als zutreffend angesehen wurde, ging doch die überwiegende Meinung dahin, es sei nicht opportun, nach dem ersten auf 14 Tage abgesteckten und von der Öffentlichkeit zunächst als eine provisorische Maßnahme aufgefassten Moratorium nun gleich mit einer so langfristigen Stundungsmaßnahme hervorzutreten. Was die Erhöhung der den Banken aus dem Kontokorrent zur Rückzahlung obliegenden Mindestbeträge betrifft, so wird in Erwägung gezogen, ob im Interesse des Fortganges des allgemeinen wirtschaftlichen Lebens diese Beträge nicht sehr wesentlich höher angesetzt werden könnten. Wie jedoch der Ministerpräsident und der Leiter des Finanzministeriums hervorheben, erscheine aufgrund sehr eingehender Verhandlungen mit den Banken festgestellt, dass diese Institute, welche heute den Hochdruck der wirtschaftlichen Spannung auszuhalten haben, nicht überlastet werden dürfen. Speziell der Ministerpräsident weist darauf hin, dass nach der ganzen Struktur des Kreditwesens die einzelnen Unternehmungen, kleinen Institute etc. zur Abwicklung ihrer Geschäfte die Mittel der großen Banken in Anspruch nehmen. Auf diese letzteren richte sich daher in schwierigen Zeiten ein konzentrischer Ansturm von allen Seiten, der speziell in Anbetracht des Umstandes, dass sich die österreichischen Großbanken in der letzten Zeit durch industrielle Unternehmungen im hohen Maße immobilisiert haben, gefährlich werden könnte. Sollte aber auch nur eine der Großbanken in ernste Schwierigkeiten geraten, so würde dies bedenkliche Rückwirkungen auf das gesamte wirtschaftliche Leben und infolgedessen auch auf die politische und militärische Stoßkraft der Monarchie auslösen. An sich genommen wäre es gewiss wünschenswert, den einzelnen Unternehmungen und kleinen Instituten eine möglichst freie Gebarung mit den von ihnen bei den Banken angelegten Geldern zu ermöglichen. Wenn man aber diesem Bedürfnisse einseitig Rechnung tragen wollte, so würde sich ein ganz ungesunder Zustand ergeben. Die Banken müssten nämlich Rückzahlungen über jene Grenzen hinaus leisten, innerhalb derer sie Geldmittel flüssig machen können. Nun betrifft dies aber nur die eine Seite ihrer Aufgabe. Ein großer Teil der heimischen Produktion ist nämlich nicht in der Lage, den Geldbedarf durch Kündigung von Einlagen zu decken. Viele Unternehmungen sind zur Fortführung ihrer Betriebe darauf angewiesen, bei den Banken als Kreditnehmer aufzutreten. Es wäre nun für die großen Institute eine platte Unmöglichkeit, gleichzeitig weitgehenden Anforderungen hinsichtlich der Rückzahlungen nachzukommen und den kreditbedürftigen Unternehmungen durch Darlehen zu helfen. Man dürfe daher nicht ausschließlich die Interessen der Einleger wahren und diese gewissermaßen von allen Schwierigkeiten der Situation befreien. Es sei vielmehr notwendig, die Beschränkungen, welche die gegenwärtige Lage den wirtschaftlichen Kreisen auferlege, möglichst zu verteilen, statt sie durch einen allzu hohen Ansatz des den Banken obliegenden Rückzahlungsbetrages einseitig diesen Instituten fühlbar zu machen.

Durch eine solche justitia distributiva werde man das Wirtschaftsleben am besten an die bestehende Spannung gewöhnen und es dazu befähigen, innerhalb des durch die Verhältnisse aufgezwungenen ungewohnten Rahmens eine halbwegs normale Weiterentwicklung zu finden. Den Anschauungen des Leiters des Finanzministeriums beziehungsweise des Ministerpräsidenten, wird schließlich von allen Seiten zugestimmt und demgemäß von einer Verschärfung der Bestimmungen zuungunsten der Banken abgesehen. Schließlich wird noch konstatiert, dass in allen wesentlich meritorischen Punkten der Angelegenheit volles Einvernehmen mit Ungarn bestehe, sodass die Moratorien im Wesentlichen ganz parallel und auch gleichzeitig in Kraft treten können.

Der Ministerrat stimmt sohin der Fassung der kaiserlichen Verordnung im Sinne des anverwahrten Textesa zu und erteilt dem Justizminister die erbetene Ermächtigung3.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 19. Oktober 1914. Franz Joseph.