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VORWORT

Mit dem ersten Teilband von Band VIII der Editionsserie „Die Protokolle des cisleithanischen Ministerrates 1867–1918“ legt das Institute for Habsburg and Balkan Studies die Protokolle für die Zeit der ersten Hälfte des Ersten Weltkrieges vor. Der Band beginnt mit dem Ministerrat vom 23. Juli 1914, dem Tag der Übergabe des österreichisch-ungarischen Ultimatums an Serbien, und endet mit dem Ministerrat I vom 22. November 1916, der nur einen Tagesordnungspunkt hatte: „Trauerkundgebung des Ministerrates anlässlich des Hinscheidens Sr. Majestät Kaiser Franz Joseph I.“ Zur Edition im Allgemeinen und zu den Editionsrichtlinien verweisen wir auf den Beitrag „Zur Edition der cisleithanischen Ministerratsprotokolle 1867–1918“ im ersten Band dieser Serie.

Die Zäsuren dieses Bandes ergeben sich geradezu von selbst. Der Ministerrat vom 23. Juli 1914, zu dem die Minister aus ihrem Urlaub zurückgerufen worden waren, stand ganz im Zeichen des nun folgenden Krieges. Ebenso stellt der Tod des 86-jährigen Franz Joseph am 21. November 1916 eine Zäsur dar. Somit ist der zweite Teilband der Regierungszeit Karls als Kaiser von Österreich vorbehalten, in Ungarn regierte er als König Karl IV. Doch dieser Thronwechsel, so bedeutend er zu anderen Zeiten gewesen wäre, kann nur oberflächlich als das maßgebliche Ereignis angesehen werden, um hier den ersten Teilband enden zu lassen. Dieser Thronwechsel ereignete sich während tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen, die sich von 1916 zu 1917 vollzogen. Nur einen Monat zuvor, am 21. Oktober 1916, war Ministerpräsident Karl Reichsgraf Stürgkh von Friedrich Adler erschossen worden, der damit ein Zeichen gegen Krieg und Kriegsabsolutismus setzen wollte. Dieses Ereignis seinerseits fand während einer Phase zunehmender Probleme in Cisleithanien statt, Schwierigkeiten in der Nahrungs- und Kohleversorgung, in der Rüstungsproduktion und durch sich mehrende soziale Proteste, wie etwa die ab Ende 1916 sich verstärkende Streikbewegung. Insofern bietet sich der Tod Franz Josephs als Endpunkt dieses Bandes nicht nur wegen des Ereignisses selbst an, sondern auch als Symbol für diesen gesamten tiefgreifenden Wandel in der Gesellschaft.

Von den 120 Ministerratssitzungen dieses Zeitraums sind nur die 31 Sitzungen des Jahres 1914 erhalten. Die Originale der Protokolle der Jahre 1915 und 1916 wurden hingegen vollständig ein Raub der Flammen des Justizpalastbrandes. Nur 48 der insgesamt 585 Tagesordnungspunkte dieser beiden Jahre (bis Bandende) sind in Form von Abschriften oder als Redetexte des Finanzministers im Ministerrat erhalten geblieben. Besser ist der Erhaltungszustand der 30 Sitzungen des „Ministerrates mit erweitertem Wirkungskreis“, von denen 24 vorhanden sind, 16 davon allerdings sehr stark beschädigt.

In den in diesem Band edierten Protokollen und Tagesordnungspunkten kommt folgerichtig der Übergang von der Friedens- zur Kriegsverwaltung zur Sprache, ebenso wie die ersten Probleme der Zivilversorgung. Gerade auf diesen letzten Punkt soll bereits hier das Interesse der Leserinnen und Leser gelenkt werden, da in ihm die Gegensätze der Minister in den Protokollen deutlich sichtbar sind. Ein weiteres zentrales Thema ist die Kriegsfinanzierung, die aufgrund der erhaltenen Vorträge des Finanzministers im Ministerrat neben dem Jahr 1914 auch das Jahr 1916 umfasst – der Band mit den Ministerratsvorträgen 1915 fehlt leider auch hier. Dank der Abschriften des Sektionschefs im Ministerium des Innern Ludwig v. Alexy sind Themen zu Staatsbediensteten für den gesamten Zeitraum vorhanden (im Angesicht des Krieges die Themen Urlaube, Beförderungen, Auszeichnungen und Teuerungszulagen). Außerdem sind durch seine Abschriften auch das hochinteressante Protokoll des Ministerrates vom 10. September 1915 mit dem einzigen Tagesordnungspunkt „Regelung der Wappenfrage“ und das Protokoll des Ministerrates vom 16. Mai 1916/I „Einsetzung einer interministeriellen Kommission für die Approvisionierungsangelegenheiten“ erhalten geblieben.

Bandbearbeiter ist Wladimir Fischer-Nebmaier, der auch die für die Digitalisierung notwendigen Arbeiten durchgeführt hat. Die Einleitung hat er gemeinsam mit Anatol Schmied-Kowarzik verfasst. Aus der Hand von Stephan Kurz stammen der Drucksatz der Printversion und die digitale Version dieses Bandes, die unter https://mrp.oeaw.ac.at online publiziert und so in hybrider Erscheinungsweise aus einer einzigen frei lizensierten XML-Datenquelle erstellt wurden.

An dieser Stelle sei dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung für die finanzielle Sicherstellung dieses Editionsprojektes gedankt, ebenso der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, bei der das Projekt sein sicheres Dach hat. Unser Dank gilt auch dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der diesen Band durch ein Einzelprojekt gefördert hat. Ohne das freundliche Entgegenkommen, das uns von allen Abteilungen des Österreichischen Staatsarchivs und all seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entgegengebracht wurde und wird, könnte dieser Band gerade angesichts der COVID 19-Beschränkungen der letzten Jahre noch nicht vorliegen. Ihnen allen, dem Archiv in seiner Gesamtheit, seinen Abteilungen und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sei daher an dieser Stelle ganz besonders gedankt.

Wien, im Juni 2022

Franz Adlgasser

Wladimir Fischer-Nebmaier

Anatol Schmied-Kowarzik