Nr. 424 Ministerrat, Wien, 23. Oktober 1882
RS.Reinschrift; P. Jaeger; VS.Vorsitz Ziemiałkowski; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Ziemiałkowski 23. 10.), Falkenhayn, Pražák, Conrad, Welsersheimb, Dunajewski, Pino; außerdem anw.anwesend Weigelsperg, David; BdE.Bestätigung der Einsicht und abw.abwesend Taaffe
- I. Bezüglich der verfügten Auflösung der Handelskammer in Spalato. Fortführung der laufenden Geschäfte der Kammer durch das Präsidium derselben.
- II. In Angelegenheit der Abhaltung der naturhistorischen Vorprüfungen der Mediziner vor den Professoren der böhmischen philosophischen Fakultät in Prag.
KZ. 100 – MRZ. 80
Protokoll des zu Wien am 23. Oktober 1882 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministers Freiherrn v. Ziemiałkowski.
I. Bezüglich der verfügten Auflösung der Handelskammer in Spalato. Fortführung der laufenden Geschäfte der Kammer durch das Präsidium derselben
I. ℹ️Der Handelsminister sieht sich veranlasst, die Angelegenheit der Auflösung der [Handelskammer in S]palato zur Sprache zu bringen. Die Auflösung der Kammer wurde vom Handelsminister im Sommer d. J. aus administrativen Gründen vorgenommen1 und zwar musste, nachdem infolge der Auflösung der Gemeindevertretung von Spalato hinsichtlich des Ersatzes des aus der Gemeindevertretung gewählten Kammermitgliedes sich Schwierigkeiten ergeben hatten2, worüber längere Zeit verging, mit der Auflösungsmaßregel vorgegangen werden, weil mittlerweile die gesetzliche Mandatsdauer der Mehrzahl der Kammermitglieder abgelaufen war. Gleichzeitig mit der Auflösungsverfügung wurde ein Regierungskommissär für die Leitung der Wahlangelegenheiten in der Person des Bezirkshauptmannes in Spalato ernannt. Der Bezirkshauptmann [handelt]e über die vom Han[dels]ministerium getroffene Ver[fü]gung hinaus und zog auch [di]e laufende Geschäftsführung der Kammer an sich.
Gegen diesen Vorgang wurde beim Handelsminister Beschwerde geführt3. Mit § 13 des Handelskammergesetzes vom 29. Juni 18684 sei angeordnet, dass die Vorsteher der Kammer (der Präsident und Vizepräsident) solange fungieren, bis die Bestätigung der Neuwahl oder Wiederwahl von Seite des Handelsministers erfolgt ist. Darnach erscheine die Verfügung des Bezirkshauptmannes ungehörig und müsse der Handelsminister die Anordnung treffen, dass diese Verfügung zurückgenommen und die Fortführung der Geschäfte wieder dem Präsidium der Handelskammer übertragen werde. In einem früheren Falle der Auf[lösung] im [Ja]hre 18775 sei gleichfalls nach der Vorschrift des § 13 vorgegangen worden. Allerdings seien andere Auflösungsfälle vorgekommen, in welchen die Fortführung der Geschäfte von dem zur Leitung der Wahlen bestellten Regierungskommissär übernommen wurde. Doch geschah dies in diesen Fällen über besondere Anordnung der Regierung, während im vorliegenden Falle eine solche Anordnung nicht erfloss.
Sektionsrat Freiherr v. Weigelsperg bemerkt, dass einschließlich des vorliegenden Falles seit 20 Jahren vier Fälle von Handelskammerauflösungen vorgekommen sein. Zwei Fälle (1877 und 1882) betrafen die Kammer in Spalato und je ein Fall die Kammern in Linz und Rovereto. In den beiden letzterwähnten Fällen wurde [] die Fortführung der lau[fende]n Geschäfte vom Wahlkommis[sär] übernommen, doch sei hier [di]e bezügliche Verfügung deshalb notwendig gewesen, weil die berufenen Funktionäre selbst nicht weiter fungieren wollten.
Der Handelsminister bemerkt, dass in Spalato bezüglich der Handelskammer und wegen der Wahlen für dieselbe eine große Aufregung herrsche und dass man die Auflösung dahin kritisiere, dass dieselbe nicht aus administrativen Gründen, sondern zugunsten der kroatischen Partei erfolgt sei. Nachdem nun die Verhältnisse dort solche seien, dass jede Maßregel der Regierung als entweder zugunsten der einen oder der anderen Partei erflossen angesehen werde, so sei zu besorgen, dass wenn er jetzt die Herstellung des dem § 13 gemäßen Zustandes verfügt, diese Maßregel wieder als eine [] getroffe[ne] ausgelegt werde. Wegen des bei diesen Umständen der Sache anklebenden politischen Beigeschmackes bringe er dieselbe vor den Ministerrat.
Von Einfluss auf die Wahlen könne die beabsichtigte Verfügung nicht sein, weil dem Handelskammerpräsidium diesfalls keine Ingerenz zustehe und übrigens bereits die Wahlkommission ernannt sei, in welche der Statthalter durchwegs Mitglieder der slawischen Partei – welches zu weit gehende Zugeständnis gegen diese Partei dem Minister jedoch nicht ganz entsprechend scheine – berufen habe. Der Handelsminister beabsichtigt mit der Verfügung hinsichtlich der Herstellung des dem § 13 gemäßen Zustandes zugleich die Zusammensetzung der Wahlkommission zu genehmigen.
Der Minister für Kultus [und Unter]richt erklärt, dass er [mi]t der proponierten Verfü[gu]ng umso mehr einverstanden sei, als [di]e betreffende Bestimmung des Handelskammergesetzes in Übereinstimmung stehe mit den diesseitigen gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der anderen autonomen Körperschaftena, indem auch bei Auflösung von Gemeindevertretungen, Landtagen, der Gemeinde- und Landesausschuss in Funktion bleibt bis zur Neukonstituierung des Vertretungskörpersa .
Vom Ministerrate wird mit Rücksicht darauf, dass der Gegenstand in den Kreis der selbständigen Ressortverfügung falle, das vom Handelsminister beabsichtigte Vorgehen genehmigend zur Kenntnis6 genommen.
II. In Angelegenheit der Abhaltung der naturhistorischen Vorprüfungen der Mediziner vor den Professoren der böhmischen philosophischen Fakultät in Prag
II. ℹ️Der Minister für Kultus und Unterricht referiert in Angelegenheit der Abhaltung der naturhistorischen Vorprüfungen der Mediziner an der [böhmischen philosophischen Fakultät in Pr]ag. Der Minister habe über die von ihm beabsichtigte diesfällige Regelung an Se. Majestät au. Vortrag erstattet. Der Vortrag sei aber mit dem Ah. Auftrage zurück herabgelangt, die Angelegenheit vorerst im Ministerrate vorzutragen7.
Die fraglichen naturhistorischen Vorprüfungen werden von den Professoren der betreffenden Fächer der philosophischen Fakultät unter der Aufsicht des Dekans der medizinischen Fakultät abgehalten. Mit Rücksicht auf die Errichtung der philosophischen Fakultät an der böhmischen Universität in Prag8 habe sich der Minister schon mit einem Erlasse vom 18. August l. J. dahin erklärt, dass die fraglichen Vorprüfungen in Hinkunft auch von den Professoren der betreffenden Fächer an der böhmischen philosophischen Fakultät [abgehalt]en werden können9. Dagegen wurde vom Deka[na]te der medizinischen Fakultät [e]ine Vorstellung erhoben, mit welcher die fraglichen Prüfungen für die medizinische Fakultät reklamiert werden und dargelegt werde, dass an der böhmischen Universität diese Vorprüfungen solange nicht abgehalten werden könnten, bis an derselben nicht auch eine böhmische medizinische Fakultät bestehen werde10. Der Standpunkt dieser Vorstellung habe keine Begründung, zumal der Minister ursprünglich wollte, dass die bezüglichen Prüfungen auch vor den Professoren der böhmischen philosophischen Fakultät bis zur Errichtung einer böhmischen medizinischen Fakultät in deutscher Sprache abzulegen seien.
Der über die Sache einvernommene Statthalter erkläre es als unvermeidlich, dass die Ab[haltung der Prüfun]gen [durch] die Professoren der böhmischen Fakultät in böhmischer Sprache zugelassen werde und proponiere der Statthalter deshalb die Vornahme einer Änderung der Bestimmungen über die Aufsicht bei diesen Prüfungen, wenn sie von den Professoren der böhmischen philosophischen Fakultät vorgenommen werden, dahin, dass, falls weder der Dekan noch der Prodekan der medizinischen Fakultät die zur Bildung eines Urteiles über die Prüfung erforderliche Kenntnis der böhmischen Sprache besitzen, ein dieser Sprache kundiges Mitglied der medizinischen Fakultät zur Ausübung der Aufsichtsfunktion zu wählen sei11. Der Minister glaubt jedoch, dass anstatt dieses Modus es entsprechender wäre, die erforderliche Änderung dahin zu statuieren, dass der Vorsitz bei diesen Prüfungen ausnahmsweise bis zur Akti[vierung de]r böhmischen medizini[schen] Fakultät dem Dekan der [böhm]ischen philosophischen Fakultät [üb]erlassen werde. Eine Änderung in dieser Weise sei zugleich eine geringere Alterierung der Ordnung des Rigorosenwesens und dürfte auch beide Fakultäten mehr befriedigen. Der Minister glaubt schließlich, bemerken zu sollen, dass er in dem au. Vortrage an Se. Majestät zur Begründung seines Standpunktes auch angeführt habe, „dass es nicht ratsam erscheint, den Utraquismus an der medizinischen Fakultät weitere Fortschritte machen zu lassen“. Dieses Argument sei von ihm eben in Hinblick darauf gebraucht worden, dass die baldige Errichtung einer böhmischen medizinischen Fakultät wohl unvermeidlich erscheine. Wäre eine solche Kre[ierung] [] so würde er die Pflege des Utraquismus vielmehr ganz entsprechend finden.
Der Finanzminister bemerkt, dass die Funktion des Dekans bei diesen Vorprüfungen nur aus disziplinären Gründen wegen der Aufrechterhaltung der Ordnung bestehe und der medizinische Dekan in der Regel auch nicht imstande sein werde, selbst ein Urteil über die naturwissenschaftlichen Kenntnisse des Kandidaten zu fällen. Deshalb sei es gleichgiltig, ob der Dekan der medizinischen oder der der philosophischen Fakultät interveniere.
Der Ministerrat erklärt sich mit der vom Minister für Kultus und Unterricht [formulie]rten Modalität einver[stan]den12.
Wien, am 23. Oktober 1882. Ziemiałkowski.
Gesehen. Taaffe.
Ah. E.Allerhöchste Entschließung Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 11. Dezember 1882. Franz Joseph.