Nr. 401 Ministerrat, Wien, 27. Juni 1882 – Protokoll I
RS.; P. Jaeger; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Taaffe 27. 6.), Ziemiałkowski, Falkenhayn, Pražák, Conrad, Welsersheimb, Dunajewski, Pino.
KZ. 71 – MRZ. 57
Protokoll des zu Wien am 27. Juni 1882 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Über die zu erlassende Verordnung wegen der sprachlichen Anforderungen bei den Staatsprüfungen in Prag
[I.] ℹ️Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen als den Gegenstand der Verhandlung zu bezeichnen die zu er[lassende Verordnung wegen der sprachlichen Anforderungen] bei [den Staatsprüfungen] in Prag1. []keit des Gegenstan[des wünschen] Se. Majestät noch die Minister darüber hören, auch haben Se. Majestät zu dem vorliegenden Verordnungsentwurfe einige Bemerkungen zu machen. In dem bezüglichen Vortrage des Ministers für Kultus und Unterricht2 werde betont, dass das Ziel der vollen Sicherung der Kenntnis der deutschen Sprache bei den Staatsdienstaspiranten nur dann zu erreichen sein werde, wenn man dem deutschen Sprachunterrichte an den böhmischen Gymnasien eine größere Beachtung zugewendet haben werde. Se. Majestät haben es schon bei einer früheren Gelegenheit als dringend geboten bezeichnet, dass Vorsorge getroffen werde, damit die [] [Sch]ule die vollkommene Kenntnis der deutschen Sprache aneignen, sodass sie mit dieser Kenntnis bereits ausgerüstet an die Universität treten3. Se. Majestät erachten es für notwendig, dass sich die Regierung mit dieser Frage noch speziell beschäftige.
Der Minister für Kultus und Unterricht bemerkt, dass es heuer wohl kaum möglich sein würde, mit einem solchen Regelungsversuche zu kommen und dass man hiefür eine etwas günstigere Zeit werde abwarten müssen. Es würde übrigens für den Zweck nicht genügen, wenn die deutsche Sprache an den böhmischen Gymnasien bloß als obligater Lehrgegenstand eingeführt würde, es müssten auch andere Lehrgegenstände [] wer[de die vollko]mmene Erler[nung der] deutschen Sprache [kaum] anders als auf diese Weise zu erreichen sei, dann werde der Boden geebnet sein, um auch die Schwierigkeit zu überbrücken, welche sich jetzt mit Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger darbietet4. Die endlich allen einleuchtenden Konsequenzen dieser Bestimmung werden sodann den Eltern Anlass geben, gegen dieselbe anzukämpfen.
Der Ministerpräsident bemerkt, dass in Böhmen auch auf nationaler Seite eingesehen werde, dass schon in der Mittelschule das Entsprechende geschehen müsse und dass die Vorsorge bei den Staatsprü[fungen] [] [Unterr]icht die Schüler schon mit der [K]enntnis der deutschen Sprache an die Universität kommen. In diesem Sinne habe sich auch Professor Gindely dem Ministerpräsidenten gegenüber ausgesprochen5. Der Ministerpräsident teilt die Anschauung des Ministers für Kultus und Unterricht, dass die Leute endlich dazu kommen werden. Denn schon jetzt melden sich in Böhmen Leute zur Konzeptspraxis, welche eine ungenügende Kenntnis der deutschen Sprache mitbringen.
Se. Majestät geruhen zu bemerken, dass bei den Realschulen wohl die Regelung im Wege der Landesgesetzgebung gehe, während dies bei den Gymnasien nicht der Fall sei. Jedenfalls werde sich die Re[gierung] [] [Se. Majestät geruhe]n, auf [den vorliegenden Ver]ordnungs[entwurf] übergehend, zu be[m]erken, dass sich der Vorschlage des Ministeriums wesentlich in der Mitte zwischen den Vorschlägen der Majorität und der Minorität des Prager Professorenkollegiums halte. Se. Majestät geruhen aus dem Majoritätsgutachten die Vorschläge hervorzuheben, dass bei der judiziellen Staatsprüfung die Prüfung mindestens aus zwei Gegenständen in deutscher Sprache abgelegt werden solle, und dass bei jeder der Staatsprüfungen zur Erprobung der deutschen Sprachkenntnisse auch eine schriftliche Prüfung erfolgen soll.
Der Minister für Kultus und Unterricht bemerkt, dass [] schriftlichen Prüfung deshal[b] habe absehen zu sollen geglaubt, weil sich die von ihm betreffenden Fachmänner übereinstimmend gegen eine solche Einrichtung, welche bei theoretischen Staatsprüfungen ein Unikum wäre, ausgesprochen haben. Erstlich würde es einen unangenehmen Eindruck machen, die Kandidaten in Prag anders zu behandeln als an den übrigen Universitäten. Sodann würde es schwierig sein, eine Klausur in solcher Weise durchzuführen, wie sie wohl bei der praktischen Staatsprüfung entsprechend gehandhabt werden könne. Endlich haben die Fachleute erklärt, dass die Anfertigung eines Aufsatzes in einer Sprache noch keine Gewähr für die Handhabung der Sprache im Verkehre gebe und dass der, wel[cher] [] der [das Können im Gespräch] zeige, die [Sprache eben]falls auch im Schrei[ben be]meistere. Was den Vorschlag der deutschen Prüfung aus zwei Gegenständen der judiziellen Staatsprüfung anbelange, so komme die Anordnung des Verordnungsentwurfes ziemlich auf dasselbe hinaus, indem damit ausgesprochen werde, dass Handels- und Wechselrecht, Zivilprozess und Verfahren außer Streitsachen, dann Strafrecht und Strafprozess als je einfach zu betrachten seien.
Se. Majestät geruhen auf die Bestimmung des Punktes 4 des Verordnungsentwurfes betreffend die Wirkung der ungenügenden Kenntnis der deutschen Sprache auf den Prüfungserfolg zu kommen und zu fragen, [] Minoritätsgutachten des Professorenkollegiums sich annähernden Anordnung, dass in diesem Falle die Prüfung nur aus dem in deutscher Sprache geprüften Fache zu wiederholen sei, das Auslangen zu finden glaube. Der Minister für Kultus und Unterricht bemerkt, dass er anfänglich allerdings weiter gehen und noch die Bestimmung hinzufügen wollte, dass bei der Wiederholungsprüfung auch aus anderen Fächern Fragen zur Beantwortung in deutscher Sprache gestellt werden können. Er habe sich jedoch der Anschauung der übrigen Minister auf die Streichung dieser weitergehenden Forderung unterworfen, weil er den praktischen Nutzen doch nicht so hoch anschlagen konnte [] wiederho[lt, und zwar in] dem einen [Fach in] Gegenwart der gan[zen Prüf]ungskommission abgelegt werden müsse.
Se. Majestät geruhen ferner die Differenz hervorzuheben, welche zwischen den Gutachten der Majorität und der Minorität des Professorenkollegiums auch hinsichtlich des an der böhmischen Universität zu erlangenden Doktorgrades bestehe. Während die Majorität diesfalls besondere Kautelen außerhalb der Doktoratsprüfungen geschaffen wissen wolle, gehe das Gutachten der Minorität dahin, dass die bestehende gleiche Wirkung des Doktorats mit den Staatsprüfungen aufrecht erhalten bleibe.
Der Minister für [Kultus] und Unterricht bemerkt, dass er an der Bestimmung, wornach die zweite und dritte Staatsprüfung durch die Rigorosen ersetzt werden könne, bloß rücksichtlich der böhmischen Universität nicht habe rütteln wollen, dass er aber bei diesem Anlasse die diesfällige Trennung der Staatsprüfungen von den Rigorosen im Allgemeinen ins Auge gefasst und darüber auch bereits Erhebungen eingeleitet habe. Wenn auch die schon eingelangten Äußerungen der Professorenkollegien aller anderen Universitäten sich gegen diese Trennung erklären, möchte er sich dieselbe für die Zukunft doch vorbehalten. Damit aber inzwischen die vorliegenden Anordnungen über die Ablegung der Staatsprüfungen in Prag nicht illusorisch ge[]n, dass [bei der böhmi]schen Universi[tät das] Doktorat der Rech[te nur] dann gleiche Wirkungen mit den Staatsprüfungen habe, wenn jedes der Rigorosen mindestens aus einem Prüfungsfache in deutscher Sprache abgelegt worden ist.
Se. Majestät geruhen zu betonen, dass in dem Verordnungsentwurfe keine Bestimmung über die Wirkung der ungenügenden Kenntnis der deutschen Sprache bei den Rigorosen enthalten sei. Wenn die Rigorosen an die Stelle der Staatsprüfungen treten können, so müsse bei denselben folgerecht doch für die gleichen Garantien vorgesorgt sein wie bei den Staatsprüfungen. Der Minister für Kultus und Unterricht g[laubt, dass] man wohl werde zu verstehen haben, dass die Prüfung auch aus dem bezüglich deutsch zu prüfenden Fache mit gutem Erfolge abgelegt sein müsse.
Se. Majestät erachten, dass es jedoch notwendig sei, hierüber volle Klarheit zu schaffen, damit nicht im Wege des Doktorats Leute qualifiziert werden, welche die allgemeine Bedingung hinsichtlich der Kenntnis der deutschen Sprache nicht erfüllen. Se. Majestät glauben daher, dass die Bestimmung des Punktes 5 des Verordnungsentwurfes etwa dahin zu amendieren wäre, dass nach den Worten: „aus einem Prüfungsfache in deutscher Sprache“ die Worte: „mit gutem Erfolge“ eingefügt würden. Se. Majestät geruhen mit[] Wahl, [was in deutscher Sp]rache zu prüf[en sei,] dem Kandidaten [überla]ssen werde, notwendig und entsprechend erscheine? Der Minister für Kultus und Unterricht bemerkt, dass dieser Punkt wohl erwogen worden sei. Man habe aber erkannt, dass es eine zu weit gehende Härte wäre, wenn man der Prüfungskommission die Wahl überließe. Eine Garantie sei auch damit gegeben, dass alle Mitglieder der Prüfungskommission über den Erfolg der Prüfung aus diesem einen Gegenstand zu urteilen haben.
Se. Majestät geben endlich zu erwägen, ob es notwendig sei, den Schlussabsatz des Verordnungsent[wurfes, in] welchem gesagt werde, da[ss] die in diesem Erlasse zur Erprobung der Kenntnis der deutschen Sprache festgestellten Modalitäten derzeit als das „Minimum“ anzusehen seien, um das Ziel zu erreichen. Es sehe so aus, als wollte man sich damit gleichsam entschuldigen, dass man nicht mehr tue. Se. Majestät erachten daher, dass es angemessen sein dürfte, diesen Schlussabsatz zu streichen. Die Minister einschließlich des Ministers für Kultus und Unterricht neigen sich übereinstimmend der Ansicht zu, dass der Schlussabsatz als überflüssig zu streichen sei. Der Minister Dr. Pražák glaubt, dass sich die Sache jedenfalls so gestalten dürfte, dass [] Sprache [] auch die [böhmische]n Kollegien an der deutschen Universitätsabteilung hören werden.
Se. Majestät erachten das Hören der Fächer auf beiden Universitätsabteilungen für absolut notwendig und wünschen, dass dahin gewirkt werde, sowie dass auch die Professoren keine Schwierigkeiten machen. Der Finanzminister glaubt, dass schon das pekuniäre Interesse die Professoren abhalten dürfte, Schwierigkeiten zu machen. Der Ministerpräsident glaubt, dass insbesondere zu wünschen wäre, wenn von den Studierenden der böhmischen Universität so viel als [mög]lich Kollegien an der deutschen Universität besucht würden. Der Minister für Kultus und Unterricht bemerkt, auch die Regelung der Lokalitätenfrage, wornach jetzt in beiden Universitätsgebäuden Vorlesungen beider Universitätsabteilungen stattfinden sollen, werde die Annäherung erleichtern.
Se. Majestät geruhen zu bemerken, dass die zu erlassende Verordnung allerdings das Minimum bedeute und dass dies mit Festigkeit durchgeführt werden müsse. Es werden jedoch alle Anordnungen Illusion bleiben, wenn nicht schon an den Mittelschulen für die vollkommene Erler[nung der deutschen Sprache Vorsorge getroffen werde.]
[Daraufhin geru]hen Se. [Majestät di]e Konferenz zu schließen6.
Wien, am 27. Juni 1882. Taaffe.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 21. Juli 1882. Franz Joseph.