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Nr. 399 Ministerrat, Wien, 24. Juni 1882

RS.; P. Jaeger; VS. Taaffe; BdE. und anw. (Taaffe 24. 6.), Ziemiałkowski, Falkenhayn, Pražák, Welsersheimb, Dunajewski, Pino; BdE. und abw. Conrad.

KZ. 66 – MRZ. 55

Protok[oll] des zu Wien am 24. Jun[i 1882] abgehaltenen Ministerrate[s] unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Taaffe.

I. Mitteilung über eine geplante Heeresorganisation

I. ℹ️Der Landesverteidigungsminister teilt mit, dass der Reichskriegsminister ihm sowie dem Vertreter des ungarischen [Landesverteidigungsministeriums] [] [Heeresorganis]ation [mitgeteilt habe,] deren Grundzü[ge und Konse]quenzen demnächst [Gegen]stand einer gemeinsamen Ministerkonferenz zu bilden haben würden1. Als Motive für die fragliche Maßnahme werden angeführt:

1. dass die Ergebnisse der letzten Volkszählung eine Veränderung der Rekrutenrepartitionsverhältnisse mit sich gebracht haben2;

2. dass das Interesse der Vereinfachung der Mobilisierung eine tunlichste Territorialisierung der Streitkräfte und Anstalten erfordern;

3. dass die Okkupation von Bosnien und der Herzegowina die Formation eines hiefür bestimmten Spezialkorps unter entsprechend geregelter Partizipation aller Länder der Monarchie angemessen erscheinen lasse3.

Die Reorganisation begreife []tlich die Neufor[mation von] 22 Infanterieregimentern [zu] vier Bataillons aus den 5. Bataillons der 80 bisherigen Regimenter und acht Jägerbataillons – eine demgemäße neue Ergänzungsbezirkseinteilung mit Berücksichtigung der veränderten Kontingentsrepartition – eine neue Militärterritorialeinteilung und -organisation, die Bildung des bosnischen Okkupationskorps aus einer Anzahl Regimenter und einzelner Bataillons sämtlicher neuer Armeekorpsbezirke, und die infolge dieser Maßnahmen durchgreifenden Dislokationsänderungen.

Der Minister enthalte sich des näheren Eingehens auf die bezüglichen Maßnahmen, welche auch ihm nur in allgemeinen Zügen mitgeteilt wurden, sowie auch ausdrücklich jedweder Erörterung der Frage, inwiefern die ange[gedachten Reformen als not]wendig [anzusehen sind] und diese Än[derungen den] Zweck zu erfül[len] mögen – es sei vorauszusetzen, dass die hiefür verantwortliche Heeresverwaltung die notwendigerweise sehr vielseitige, eingehende Studien erfordernde Frage reichlich erwogen – und von dem Überwiegen der Vorteile über die zweifellos damit verbundenen mannigfachen Komplikationen, Schwierigkeiten und Bedenken – namentlich bezüglich der Übergangsperiode bis zur vollendeten Durchführung – die Überzeugung gewonnen habe. Die Anordnung der Heeresorganisation stehe ausschließlich der Krone zu, und die Teilnahme sowie die Verantwortlichkeit der Staatsregierungen erstrecke sich lediglich auf die [Be]handlung der Frage, [inwie]fern die erforderliche Bewilligung der Mittel an Menschen, Geld und Material sowie die bestehenden Gesetze und Einrichtungen dabei tangiert werden4.

Was nun diese Punkte betrifft, so resultiere aus den Mitteilungen des Kriegsministers, dass infolge der geplanten Reorganisation ein erhöhtes Rekrutenkontingent nicht in Anspruch zu nehmen sein werde, und dass der Heeresaufwand nach durchgeführter Reorganisation wohl in einzelnen Budgettiteln, nicht aber im Ganzen des Ordinariums eine Veränderung bzw. Erhöhung der Ansprüche an die Staatsfinanzen mit sich bringen solle. Für die Durchführung der Reorganisation selbst hoffe der Kriegsminister im laufenden Jahre durch anderweitige Ersparnisse ohne Mehrkosten aufkommen zu [können5. Dag]egen wür[de die] Reorganisation []kte bedingt. Eine Änderung im Wehrgesetze6 wäre wohl speziell wünschenswert, um bei erforderlichen teilweisen Standeserhöhungen auch außerhalb eines förmlichen Kriegsfalles – wie solche heuer für die Aktion im Okkupationsgebiete und in Süddalmatien platzgegriffen – die Mannschaften der Reserve tunlichst schonen und in erster Linie auf die jüngeren Jahrgänge der Ersatzreserve greifen zu können. Eine Hauptaufgabe der Mitwirkung werde bei der Durchführung der ziemlich ausgedehnten Dislokationsänderungen und Neudislokationen an die Regie[r]ung herantreten, und diesbe[z]üglich müsse bemerkt werden, [] das leider bestehe[nde Rekru]tierungsgesetz viele Schwierigkeiten und wenig Gewähr zu bieten vermag, welch Letztere daher nur für den guten Willen, die Anforderungen der Kriegsverwaltung nach Möglichkeit zu unterstützen, geboten werden könnte.

Der Ministerrat nimmt die Mitteilung des Landesverteidigungsministers zur Kenntnis7.

II. Wegen Besetzung zweier Senatspräsidentenstellen am Obersten Gerichtshofe

II. ℹ️Der Leiter des Justizministeriums Minister Dr. Pražák referiert über die Wiederbesetzung zweier am Obersten Gerichtshofe erledigter Senatspräsidentenstellen8. Als Bewerber würden für die Stellen in Betracht genommen: von Mitgliedern des Obersten [Gerichtshofes Freiherrn v. Lapenna, Ritter v. Schubert] und Ritter [v. Patzelt], [s]odann von außer[halb] der vormalige Justizminister, geheime Rat, Vizepräsident des Reichsgerichtes Dr. Carl Habietinek und der Vizepräsident des Wiener Oberlandesgerichtes Dr. Ritter v. Keller. Der Präsident des Obersten Gerichtshofes mache für die beiden Stellen folgenden Vorschlag: 1. Freiherrn v. Lapenna, 2. Ritter v. Schubert, 3. Ritter v. Patzelt, wornach also die rangältesten Mitglieder des Obersten Gerichtshofes proponiert werden.

Hinsichtlich Habietinek zieht der Präsident bei demselben unter Hinweisung auf frühere bezügliche Äußerungen jene besondere Eignung in Zweifel, die sich nur aus einer länge[ren] praktischen Aus[übung des] Richteramtes ergebe, anerkennt jedoch, das Habietinek umfassende juristische Kenntnisse besitze und dass der Ernst, die Würde und die Mäßigung desselben Bürgschaft für eine unparteiische Ausübung des Richteramtes bieten dürften. Während auf diese Weise die Bewerbung Habietineks in den Berücksichtungskreis gestellt werde, hebe der Präsident andererseits hervor, dass eine Berücksichtigung Popelkas oder Kellers gegenüber den rangälteren Mitgliedern des Obersten Gerichtshofes für diese letzteren kränkend wäre.

Bei dieser Lage der Dinge und nachdem andererseits die vorgeschlagenen rangältesten Hofräte Schubert und Patzelt beide bereits das 70. Lebensjahr weit überschritten und eine Dienstzeit von schon a50 Jahrena []nstellen [] [Senats]präsidenten [den Hofrat] Lapenna und für die andere Stelle den geheimen Rat Dr. Habietinek au. vorzuschlagen. Zugleich beabsichtige er für den Fall der Ag. Ernennung Habietineks für denselben, wenn er sich keinen höheren Pensionsanspruch erwerben sollte, die Ah. Gnade der eventuellen Wiederzuwendung der jetzigen Pension von 6.000 fl. sowie weiters die Ah. Ermächtigung zu erwirken, dass Habietinek mit Rücksicht auf seinen Rang als quieszierter Minister an erster Stelle der Senatspräsidenten rangiert werde.

Der Ministerrat erklärt seine Zustimmung9.

III. Wegen Übernahme der Vorarlberger Bahn in den Staatsbetrieb

[III.] ℹ️Der Handel[sminister] erbittet sich die Zustimmung des Ministerrates zu dem Vorhaben der Betriebsübernahme der Vorarlberger Bahn, nachdem bei dem Umstande der fortlaufenden Inanspruchnahme der Staatsgarantie und bei einem jährlichen Betriebsdefizite von 61.000 fl. die Voraussetzungen des Gesetzes vom 14. Dezember 187710 gegeben seien und nachdem jetzt wegen des Bestandes der Direktion für den Staatseisenbahn-Betrieb11 und angesichts der baldigen Vollendung der Arlbergbahn12 der geeignete Zeitpunkt für die Übernahme der Bahn in den Staatsbetrieb gekommen sei.

Der Ministerrat erklärt seine Zustimmung unter der Voraussetzung, dass von Seite des Finanzministeriums, an welches der []13

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 21. Juli 1882. Franz Joseph.