Nr. 286 Ministerrat, Wien, 2. Juli 1881 – Protokoll I
RS.Reinschrift fehlt; Abschrift, Ava., Ministerratsprotokolle, Karton 17 (neu), 37 (alt) (Abschriften ČSR); Wortlaut und Datum der Ah. Entschließung, Hhsta., Kabinettskanzlei, Protokoll 1881.
P. Jaeger; VS.Vorsitz Taaffe; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Taaffe 2. 7.), Ziemiałkowski, Falkenhayn, Pražák, Dunajewski, Pino; abw.abwesend Conrad, Welsersheimb.
KZ. 69 – MRZ. 66
Protokoll des zu Wien am 2. Juli 1881 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Taaffe.
I. In Angelegenheit der Prager Exzesse
[I.] ℹ️Der Ministerpräsident macht weitere Mitteilungen in Bezug auf die Prager Ereignisse1. Vom Statthaltereipräsidium in Prag werde berichtet, dass vom akademischen Senate der Prager Universität kein Beschluss wegen einer Immediateingabe an Se. Majestät gefasst worden sei2. Der Ministerpräsident teilt mit, dass er, nachdem er gestern von dem Inhalte der die Prager Ereignisse betreffenden Resolution der äußersten Linken des Wiener Gemeinderates3 Kenntnis erlangt hatte, sich sogleich mit dem Statthalter und dem Leiter der Polizeidirektion in Verbindung gesetzt habe. Die Verhandlung des Statthalters mit dem Bürgermeister sei fruchtlos gewesen, da der Bürgermeister nicht den Mut hatte, dem Ansinnen der äußersten Linken entgegenzutreten4. Der Ministerialpräsident habe sonach abends noch dem Staatsanwalte die Weisung zugehen lassen, diejenigen der heutigen Morgenblätter zu konfiszieren, welche etwa den Wortlaut der fraglichen Resolution brächten. Die Konfiskation sei allerdings nicht vollständig und durchgreifend nur hinsichtlich der Postexemplare bewerkstelligt worden5.
ℹ️Minister Dr. Pražák betont, dass leider das Pressgesetz selbst einem wirksamen Konfiszierungsvorgehen im Wege stehe, indem § 17 des Gesetzes nur anordne, dass zugleich mit dem Beginne der Austeilung oder Versendung des Journals ein Exemplar bei der Behörde zu hinterlegen sei6. Man könne daher selbst beim raschesten Vorgehen eines durchgreifenden Erfolges nicht sicher sein. Der Minister gedenke daher, eine Novelle zum Pressgesetze zu proponieren, wornach bestimmt würde, dass die Hinterlegung des Blattes bei der Sicherheitsbehörde eine bestimmte Zeit (etwa eine Stunde) vor der Ausgabe der übrigen Exemplare zu geschehen habe7.
ℹ️Der Handelsminister bemerkt, dass jetzt nur durch ein schon vorbereitetes Verfahren mittelst vorläufiger Ausfertigung des Konfiskationsblanketts und Zurückhaltung der Ausgabe aufgrund desselben, also durch ein nur in außerordentlichen Fällen mögliches Verfahren, mit welchem dem Pressgesetze gleichsam Gewalt angetan werde, erfolgreich vorgegangen werden könne.
Der Ministerpräsident bemerkt, ein Zeichen dafür, dass die fragliche Resolutionsangelegenheit eine gemachte Sache war, sei der Umstand, dass darüber im Gemeinderate keinerlei Diskussion stattfand. ℹ️In Gemeinderatskreisen sei übrigens bei diesem Anlasse die Frage der eventuellen Auflösung des Gemeinderates besprochen worden und sei die Anschauung darüber die, dass ein solcher Akt nur erwünscht wäre, weil man dann bei den Neuwahlen Gelegenheit hätte, in den Wahlreden gegen die Regierung loszudonnern. Es schiene dem Ministerpräsidenten in der Tat nicht geraten, mit der Auflösung des Wiener Gemeinderates vorzugehen, erstlich wegen des eben erwähnten Umstandes, zumal man bei dem Wahlrummel das Moment ausbeuten dürfte, dass die Regierung wohl den deutschen Wiener Gemeinderat maßregle, während sie den tschechischen Prager Gemeinderat ungeschoren lasse, andererseits aber auch aus dem Grunde, weil bei einer Auflösung im jetzigen Momente nicht einmal der Bürgermeister, da dessen Funktionsdauer auch eben jetzt ablaufe8, fortfunktionieren könnte und daher für die Verwaltung ein kaiserlicher Kommissär bestellt werden müsste, was eine besondere Unzukömmlichkeit wäre und wie eine verschärfte Maßregel aussehen würde. Der Ministerpräsident werde übrigens auf den Punkt der Behandlung des fraglichen Gemeinderatsbeschlusses noch zurückkommen. Dass es sich bei der ganzen Angelegenheit um eine kombinierte Sache handle, gehe ferner aus folgenden Umständen hervor:
Der Ministerpräsident habe die Mitteilung erhalten, dass man auch in Steiermark durch Provozierung der Slawen eine nationale Aufhetzung zu machen beabsichtige. Infolgedessen habe er an den Statthalter in Steiermark einen Erlass gerichtet, worin derselbe auf die Sache aufmerksam gemacht und aufgefordert wird, zunächst tendenziösen nationalen Provokationen vorzubeugen und eventuelle Bewegungen mit allem Nachdruck niederzuhalten9.
Noch bezeichnender sei ein heute im „Pester Lloyd“ erscheinender, in der allerheftigsten Weise und mit dem allerschärfsten Ausdrücken gegen die Politik der jetzigen Regierung losziehender Artikel, dessen Inhalt bereits in einer an die „Deutsche Zeitung“ gerichteten Depesche vorliege. Der Ministerpräsident bringt den Artikel nach der Depesche zur Verlesung und hebt als besonders bezeichnend den Schlusspassus desselben hervor, welcher lautet:
„Dieser Artikel ist deshalb von größter Wichtigkeit, weil er die Ansicht der hiesigen Regierung wiedergibt, welche nicht nur an dem Treiben der Tschechen Missfallen findet, sondern auch der ganzen Versöhnungspolitik über kurz oder lang entgegentreten wird, falls nicht, wie in bestunterrichteten Kreisen verlautet, sehr wesentliche Änderungen im österreichischen Kabinette schon in nächster Zeit vor sich gehen werden.“ 10
Selbstverständlich habe der Ministerpräsident Anordnung getroffen, dass eine allfällige Reproduktion dieses Artikels konfisziert werde11. Der Ministerpräsident macht Mitteilung von dem Ah. Befehle Sr. Majestät, dass eine Vorkehrung getroffen werde, damit anstelle des durchlauchtigsten Kronprinzen ein anderer General den Befehl über die Truppen in Prag übernehme. Nach nunmehriger Eröffnung des Reichskriegsministers wurde bereits FML. Baron Dumoulin hiezu beordert und reise derselbe heute Abend nach Prag ab12.
Zufolge Ah. Auftrages Sr. Majestät habe der Ministerpräsident ferner an den beurlaubten Statthalter Baron Weber die Aufforderung gerichtet, nach Prag zurückzukehren und vorläufig die Amtsleitung wieder zu übernehmen. Die Antwort des Baron Weber laute aber dahin, dass die Ärzte die Fortsetzung seiner Kur für notwendig erachten und dass er selbst wegen seines dermaligen Gesundheitszustandes sich nicht fähig fühle, die Amtsleitung wieder aufzunehmen13. Bei dieser Lage der Dinge und nachdem der Statthaltereivizepräsident Grüner sich als nicht entsprechend erweise14, müsse der Ministerpräsident sich eine andere Verfügung hinsichtlich der Leitung der Statthalterei vorbehalten, zumal auch die vonseiten der Verfassungspartei für Prag beabsichtigten Zusammenkünfte irgendein entsprechendes Einschreiten erheischen dürften. Bei der über diese Frage gepflogenen Diskussion wird von den Ministern übereinstimmend die Anschauung zum Ausdruck gebracht, dass es notwendig sei, sogleich eine feste Hand für die Leitung der Statthalterei zu gewinnen und dass diese Aufgabe jedenfalls einem Beamten übertragen werden müsstea . Der Ministerpräsident teilt endlich mit, dass Se. Majestät anzuordnen geruht haben, dass gegen die arretierten Exzedenten schnellstens die Strafverhandlung eingeleitet werde15. Minister Dr. Pražák als Leiter des Justizministeriums teilt mit, dass er heute bereits die diesbezügliche Anordnung erlassen habeb,16.
Der Ministerpräsident behält sich vor, die entsprechenden Meldungen an Se. Majestät zu machen. Er eröffnet ferner dem Ministerrate seine Absicht, der Statthalterei die Weisung zu erteilen, mit aller Energie und eventuell mit Militärgewalt gegen weiter vorkommende Exzesse einzuschreiten.
Der Ministerrat nimmt die Mitteilungen des Ministerpräsidenten genehmigend zur Kenntnis17.
Wien, 2. Juli 1881. Taaffe.
Ah. E.Allerhöchste Entschließung [Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph.] Wien, 24. Juli 1881.