VORWORT
Mit dem vorliegenden Teilband 1 des Bandes IV der Editionsreihe „Die Protokolle des cisleithanischen Ministerrates 1867–1918“ legt das Institute for Habsburg and Balkan Studies die Protokolle des cisleithanischen Ministerrates vom 17. Februar 1879 bis zum 28. Dezember 1882 vor. Enthalten sind die Protokolle der 40 Sitzungen (219 Tagesordnungspunkte) der Übergangsregierung Stremayr und die Protokolle der ersten 405 Sitzungen (1.946 Tagesordnungspunkte) der Regierung Taaffe.
Der behandelte Zeitraum umfasst eine für Cisleithanien bewegte Epoche. In diese Zeit fiel die politische, wirtschaftliche und verkehrstechnische Eingliederung der gerade okkupierten osmanischen Provinzen Bosnien und Herzegowina in Österreich-Ungarn. Innenpolitisch war es die Zeit des Übergangs von einer zentralistischen und liberalen zu einer föderalen und konservativen Politik. Dieser Umschwung manifestierte sich 1879 im Einzug der tschechischen Abgeordneten aus Böhmen in den Wiener Reichsrat gepaart mit einer Wahlniederlage der Deutschliberalen und ihrer anschließenden Weigerung, die Regierung Taaffe mitzutragen. Folge war, dass die neue Regierung sich ausschließlich auf die föderalen und konservativen Kräfte des Reichsrates stützen und ihre Politik daher nach deren Zielen ausrichten musste. Neue Sprachregelungen in Verwaltung und Justiz – besonders die Taaffe-Stremayr’schen Sprachenverordnungen – stellten in Böhmen und Mähren als äußere Verwaltungssprache das Tschechische neben das Deutsche. 1882 kam es zur Teilung der Prager Universität in eine deutsche und eine tschechische Hochschule. Das Reichsvolksschulgesetz von 1869 wurde novelliert mit einer stärkeren Trennung der Volksschulbildung für Mädchen und Knaben, einer Verkürzung der Schulpflicht besonders auf dem Land, einer Verstärkung des kirchlichen und der regionalen Einflüsse. Auch in der Wirtschaftspolitik kam es zu einem Kurswechsel. Mit der Reform der Gewerbeordnung von 1859 wurden kleinere Gewerbebetriebe gegen die Konkurrenz der Fabriken gestärkt und Ende des Jahres 1882 begannen im Ministerrat die Diskussionen über die Sozialgesetzgebung konkretere Formen anzunehmen. Dass dies nicht schon früher der Fall war, lag am Reichsrat, der die Behandlung der von der Regierung bereits 1879 in den Reichsrat eingebrachten Gesetzentwürfe auf später verschob. Schließlich fand auch ein Umdenken in der Infrastrukturpolitik statt, indem nun einerseits das Hauptnetz der Eisenbahnen sukzessive verstaatlicht, andererseits der Ausbau der Lokalbahnen durch private Betreiber gefördert wurde.Von den insgesamt 2.165 Tagesordnungspunkten dieses Bandes haben 385 (17,7%) den Justizpalastbrand 1927 überstanden, 379 als Brandakten, sechs in Form von Abschriften. Von den sechs Abschriften behandelt ein Tagesordnungspunkt (1880) den Ankauf der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn durch den Staat und fünf (1881) die sogenannte „Kuchelbader Schlacht“ bei Prag, eine Episode im Nationalitätenkonflikt zwischen Deutschen und Tschechen. Die Protokolle, die als Brandakten vorliegen, beginnen mit Tagesordnungspunkt IX des Ministerratsprotokolls vom 14. April 1882 und enden mit dem letzten Protokoll des Bandes, der Sitzung vom 28. Dezember 1882.
Institutionelle Heimat dieser Edition ist die Österreichische Akademie der Wissenschaften, die auch die Finanzierung dieses Projektes sicherstellt. Ihr sei daher gedankt für den langen Atem, der bei Langzeitvorhaben dieser Art notwendig ist. Von ebenfalls zentraler Bedeutung für die Edition ist die aktive Förderung durch die Archive, besonders das Österreichische Staatsarchiv, ebenso hervorgehoben seien aber auch das Národní archiv in Prag und das Arhiv Bosne i Hercegovine in Sarajevo. Den Mitarbeitenden dieser Häuser wie auch jenen der anderen Archive, deren Bestände genutzt wurden, danken wir für ihr ausgesprochen hilfreiches Entgegenkommen bei den Recherchen. Schließlich gilt unser Dank den Bibliothekar:innen der Österreichischen Nationalbibliothek, die es ermöglichten, auch Zeitungsbestände einzusehen, die wegen der laufenden Digitalisierung für den virtuellen Zeitungslesesaal ANNO sonst nicht zur Verfügung gestanden wären.
Wien, im Oktober 2023 Franz Adlgasser, Anatol Schmied-Kowarzik