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Nr. 31 Ministerrat, Wien, 23. Jänner 1872

RS. und W.; P. Artus; VS. Franz Joseph; BdE. und anw. Auersperg (23.1.); Auersperg, Lasser (28. 1.), Banhans (29. 1.), Stremayr, Glaser 1. 2., Unger 31. 1., Chlumecký 2. 2.; abw. Pretis.

KZ. 97 – MRZ. 16

|| || Protokoll des zu Wien am 23. Jänner 1872 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Interpretation des § 7 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung mit Rücksicht auf dessen Ergänzung durch ein Notwahlgesetz – diesfällige Vorlage

[I.] ℹ️ Sr. k. u. k. apost. Majestät liegt der vom Minister des Innern wegen des Notwahlgesetzes || || erstattete au. Vortrag vor, welchen Se. Majestät wegen der großen Wichtigkeit der Sache noch mit den Ministern zu besprechen geruhen wollen, um über die Ansichten der Minister vollkommen in Klarem zu sein in Absicht auf die Ah. Genehmigung des wegen des formulierten Gesetzentwurfes noch zu erstattenden weiteren au. Vortrages, welcher voraussichtlich während der bevorstehenden kurzen Abwesenheit Sr. k. u. k. apostol. Majestät von Wien in die Ah. Hände gelangen dürfte.1

Se. Majestät wollen geruhen in der Reihenfolge des au. Vortrages diejenigen Punkte zu besprechen, welche darin als durch den § 7 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung2 bereits gelöset bezeichnet werden, welche aber Sr. Majestät noch näherer || || [] bedürftig zu sein [] [Zu]nächst trete die Frage [auf], ob, wenn eine nur teil[weise] Nichtbeschickung des [Reichs]rates seitens eines [Land]tages stattfinde, insoferne in den Gruppen, in welchen gewählt werden soll, entweder niemand vorhanden sei oder niemand die Wahl annehme, im Grund des § 7 eine teilweise direkte Wahl stattfinden, oder ob für die Gesamtzahl der von dem Landtage zu Entsendenden direkt gewählt werden könne. Der Minister des Innern glaube, dass eine teilweise direkte Wahl Platz zu greifen habe, wornach es also aus [einem] Lande zwei verschiedene Kategorien Gewählter geben würde. Es scheine nun nicht ganz klar, ob nach § 7 nicht die ganzen Wahlen eines solchen Landtages zu annullieren wären. || || Der Minister des Innern erlaubt sich zu bemerken, dass nach seiner Ansicht dies ohne ein neues Gesetz nicht anginge. Der ganze Charakter der im § 7 vorgesehenen Maßregel der direkten Wahlen sei suppletorisch, das Prinzip könne daher nicht weiter ausgedehnt werden als das Bedürfnis reicht, wie ein solches sich z. B. in Tirol herausstelle, wo es sich darum handle, die durch die Abstinenz der Gruppe der wälschen Städte vorhandene Lücke auszufüllen. Dass ein Teil der Abgeordneten direkt gewählt und der andere vom Landtage entsendet werde, sei durch das Gesetz nicht ausgeschlossen und würde keinen Anstand bilden, sowenig, wie dass (was eben jetzt der Fall) direkt und landtäglich Gewählte im Abgeordnetenhause zugleich versammelt seien.

Der Justizminister be|| || [] weiterer Aus[] dass das Gewicht [] auf das „zum Voll[] kommen lassen“ falle. [Sow]eit derselbe nicht ein ständiger sei, trete die []orische Maßregel ein.

Der Ministerpräsident weiset auf die Gefahr hin, dass Einzelne austreten würden, um den übrigen Gewählten die Ausübung des Mandates unmöglich zu machen, während doch die Tendenz der Vorlage dahin gehe, den Missbrauch des Wahlmandates zu verhindern. Dem Minister Dr. Unger [] entscheidend, dass, was vom Ganzen gelte, auch vom Teile gelten müsse. Da nun, wenn die Wahlen aus dem Landtage in der Totalität nicht zum Vollzuge kommen, direkte Wahlen stattfinden können, müsse das auch gelten, wenn die Wahlen aus dem Landtage nur zum Teile || || zustande kommen. Die entgegengesetzte Auffassung würde dahin führen, dass eine einzige Wahlgruppe den ganzen Landtag um sein Wahlrecht bringen würde. Anknüpfend daran erlaubt sich der Ackerbauminister auf das tatsächlich in Mähren bestehende Verhältnis aufmerksam zu machen, wo der Landtag ordnungsmäßig gewählt habe und wo also, weil drei tschechische Gewählte im Abgeordnetenhause nicht erschienen seien, die übrigen 19 ihres Mandates verlustig werden müssten, wenn von der Auffassung ausgegangen werden wollte, dass der teilweise Nichtvollzug die Annullierung aller Wahlen eines Landtages zur Folge habe. Andererseits sei aber nicht in Abrede zu stellen, dass weil diese drei Abgeordneten nicht gekommen seien, die Beschickung durch den || || [] nicht ganz zum Vollzug [] gelangt sei, daher eine [] durch Anordnung der [direk]ten Wahl für die tatsächlich nicht vertretenen Gruppen notwendig erscheine, [zu] der § 7 die Handhabe [biete].3 Der Minister für Kultus und Unterricht führt aus, dass, da nach den bezüglich des Hervorgehens der Reichsvertretung aus den Landtagen leitenden Grundsätzen nicht bloß das Land sondern die einzelnen Landesteile und die einzelnen Gruppen im Reichsrate vertreten zu sein haben, diese Teile und Gruppen dieses Rechtes [nicht] beraubt werden können, wenn ausnahmsweise Verhältnisse eintreten, infolge deren ihre Vertretung durch den Landtag nicht zustande komme.

Se. Majestät geruhen anzudeuten, dass Ah. Dieselben nur das Bedenken || || hatten, ob das aus der jetztigen Fassung des § 7 gefolgert werden könne. Die tatsächliche Auffassung sei jedenfalls eine viel mildere. Bezüglich des die nicht verfassungsmäßige Vornahme der Wahlen durch einen Landtag betreffenden Punktes geruhen Se. Majestät zu bemerken, dass der erste in diesem Punkte erwähnte Fall die Umgehung der Gruppen bisher noch nicht vorgekommen sein dürfte. Der zweite Fall – eine der Verfassung zuwiderlaufende Beschränkung des Wahlmandates – sei zwar tatsächlich vorgekommen, der Reichsrat sei aber darüber hinausgegangen. Se. Majestät wollen hiebei nur aufmerksam machen, dass die Ungiltigkeitserklärung von Wahlen Sache des Reichsrates und nicht der Regierung sei. Der Minister des Innern erlaubt sich zu bemerken, || || [] Regierung das Recht [in] solchen Fällen einen [] vor dem Zusammentreten des Reichsrates aufzu[] Wenn aber der Reichs[rat] versammelt sei, stehe [das] Recht der Prüfung der Wahlen allerdings nur dem [Ab]geordnetenhause zu, und [sollte] dann die Ungiltigkeitserklärung der Wahlen seitens des Abgeordnetenhauses der Anordnung der direkten Wahlen jedenfalls vorangehen. Bezüglich des unter den § 7 subsumierten Punktes, wenn die von einem Landtage Gewählten in den Reichsrat ent[weder] gar nicht eintreten [und] ihr Mandat ausdrücklich niederlegen oder wenn sie im Reichsrate erscheinen, die Angelobung aber verweigern oder mit Vorbehalt leisten, geruhen Se. Majestät anzudeuten, dass es nicht klar sei ob dieser Punkt nicht derselbe sei, wie der unter 6) des betreffenden Ministerrats|| || protokolles erwähnte des Weggehens ohne ausdrückliche Mandatsniederlegung dessen Subsumtion unter § 7 als zweifelhaft erkannt wurde.4 In dem ersten Falle sei die vom Landtage vorgenommene Wahl gar nicht, im zweiten nur vorübergehend zum Vollzuge gekommen. Der Landtag sei in beiden Fällen theoretisch gleich unschuldig. Der Minister für Kultus und Unterricht bemerkt, dass beide Fälle wesentlich Unterscheidende liege darin, dass, wenn die von einem Landtage Gewählten nicht eintreten, oder nicht das Gelöbnis ablegen, der Landtag zwar die Beschickung vorgenommen habe, die Beschickung aber nicht zum Vollzuge gelangt, somit jene Voraussetzung eingetreten sei, unter welcher nach § 7 direkte Wahlen angeordnet werden können. Anders sei es in dem letzteren Falle, wenn die Gewählten || || [] seien, das Gelöbnis abgelegt hätten, und [] ohne Mandatsnieder[legung] weggehen. Dann könne man nicht sagen, dass die Beschickung [nicht] zum Vollzug gelangt [sei]. Sie sei zum Vollzug gelangt und erst späterhin außer Vollzug gesetzt worden.

In Bezug auf Punkt 6) (Streik) geruhen Se. Majestät den Ah. Wunsch kund zu geben, dass sich die Minister aussprechen, ob die Ansicht bestehe, dass diesfalls eine eigene Gesetzvorlage zu machen wäre. Der Handelsminister und Minister Dr. Unger betonen die Notwendigkeit einer solchen Vorlage gegenüber der immer vorhandenen Gefahr, dass die ganze Tätigkeit des Reichsrates durch Streik lahmgelegt werde.

Der Minister des Innern || || bemerkt, er habe die Vorlage noch nicht formuliert, weil die Frage, ob die Novelle an § 7 oder an § 18 anzureihen wäre, noch eine offene sei. Mit Rücksicht auf den Umstand, dass die im Jahre 1870 bereits eingebrachte Vorlage5 gleichfalls eine Erweiterung des § 7 bezweckte, ein ähnlicher Vorgang daher nicht überraschen würde, sondern dass es sich sonach nur darum handeln würde, aus der früheren Vorlage das auszuscheiden, was als durch die dermalige Fassung des § 7 bereits als gelöst betrachtet wird, würde er die Novelle als Schlusssatz zu § 7 vorläufig so formulieren: „Ebenso kann der Kaiser die Vornahme solcher unmittelbarer Wahlen anordnen, wenn in den Reichsrat eingetretene Landtagsabgeordnete während einer Reichsratssession ihr Mandat zurücklegen oder in Folge dauernder Verhinderung als ausgetreten zu betrachten sind.“ Bei dieser Formulierung sei || || []ung maßgebend, [] Streikenden nach frucht[loser] Durchführung der ge[schäfts]ordnungsmäßigen Be[stim]mungen im Sinne der [] als dauernd verhindert [zu] betrachten wären, und sonach nach § 18 des Mandats verlustig würden. Deswegen könnte es auch zweckmäßig befunden werden, an § 18 anzuknüpfen.

Se. Majestät geruhen zu bemerken, dass es nach dieser Formulierung in die Hand der Regierung gelegt würde, für alle mögliche, mit Streiks nicht in Verbindung stehende Fälle, wie Todesfälle, direkte Wahlen anzuordnen. Der Minister des Innern bemerkt, dass es der Regierung nicht beifallen werde, diese Maßregel in derlei außerhalb der Willenstätigkeit der Betreffenden gelegenen Fällen in Anwendung zu bringen. Der Ministerpräsident || || erlaubt sich aufmerksam zu machen, dass für kleine Länder mit wenig Abgeordneten, wie z. B. Vorarlberg, auch bei natürlichen Abgängen ein möglichst rascher Ersatz sehr wünschenswert erscheine. Insbesondere unter gewissen Verhältnissen, wie bei dem unmittelbaren Bevorstehen der Delegationen, in welchen vertreten zu sein, die Länder ein großes Interesse haben. Tatsächlich haben sich diesfalls wegen inkompletter Zahl der Reichsratsabgeordneten für solche kleine Länder Schwierigkeiten ergeben. Se. Majestät geruhen anzudeuten, dass es fraglich scheine, ob es in solchen Fällen nicht vorteilhafter wäre, den betreffenden Landtag einzuberufen, als durch die direkten Wahlen das ganze Land in Bewegung zu bringen.

Der Minister des Innern erlaubt sich aufmerksam zu machen, dass nur in Fällen vor|| || [] Notwendigkeit zu [] Mittel gegriffen wer[den] würde, zumal dasselbe [] während der Reichsrats[session] in Anwendung kommen [könnte]. Minister Dr. Unger bemerkt, dass die Vorlage selbst im Ministerrate noch nicht beraten worden sei. Er für seine Person würde es vorziehen, an § 18 anzuknüpfen, und zu sagen, dass wenn sich die in der zweiten Alinea dieses Paragrafen vorgesehenen Fälle von Vakanzen ergeben, die Regierung berechtigt sein solle, während der Reichsratssession die vorgeschriebenen neuen Wahlen unmittelbar durch die [Ge]biete, Städte und Körperschaften vollziehen zu lassen. Die Verschiedenheit seiner und der Ansicht des Ministers des Innern sei keineswegs eine prinzipielle. Er würde nur glauben, dass die Sache weniger hostil wäre, die Fälle des Streiks [a]ber dennoch getroffen würden. || || Se. Majestät geruhen anzudeuten, dass die Formulierung heute nicht in Frage stehe, welche jedenfalls genau zu beraten sein werde. Se. Majestät wollten nur Ah. Sich vergewissern, dass die Minister darin sämtlich übereinstimmen, dass in dieser Beziehung eine Vorlage zu machen wäre. Dabei werde die Regierung aber jedenfalls in die Lage kommen, über die Auffassung des § 7 eine Erklärung abzugeben, zumal schon früher eine von der neuen verschiedene Vorlage gemacht worden sei. Der Handelsminister hält eine solche Erklärung für unerlässlich, weil der Gesetzentwurf sehr kurz sein werde. Der Standpunkt der Regierung werde deswegen und namentlich wegen der früheren Vorlage klar darzulegen sein. Über die Andeutung || || []ministers, dass es sich [] empfehlen würde, [] Wahrung der Rechte der [] auf die Bestreitbarkeit [] Auslegung hinsichtlich der [Streik]fälle hinzuweisen, bemerkt der Minister des Innern, dass damit nur den Gegnern [die] schon bei der Vorlage [vom] Jahre 1870 gebrauchte Waffe in die Hand gegeben würde. Wie er glaube, sollte sich auf die Darlegung der Sachlage beschränkt werden. Tatsache sei übrigens, dass wenn die Regierung mit einem solchen Gesetze nicht hervortrete, das Abgeordnetenhaus die Initiative ergreifen würde.

In der weiteren Besprechung weiset der Minister des Innern darauf hin, dass es nicht tunlich sein dürfte, dieses Gesetz mit dem anderen die Sicherstellung des Erfolges der unmittelbaren (Not-)Wahlen bezweckenden Notwahlgesetze in Verbindung zu bringen || || und dass eigentlich noch ein drittes Gesetz zur Erweiterung des Ausführungsgesetzes bezüglich der Notwahlen vom Jahre 18686 erforderlich sein dürfte, was dem Minister Dr. Unger von vorneherein nicht außer Zweifel gestellt erscheint.

Nachdem im Verlaufe der weiteren Diskussion konstatiert worden, dass das zweite Notwahlgesetz ebenfalls Zweidrittelmajorität zur Annahme erfordern werde, geruhen Se. Majestät die Sitzung zu schließen.7

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 10. Februar [1872]. Franz Joseph.