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Nr. 610 Ministerrat, Wien, 27. Oktober 1871 - (PDF)

RS. und bA.; P. Artus; VS. Kaiser; BdE. und anw. Hohenwart (27. 10.), Holzgethan 30. 10., Scholl 31. 10., Jireček 31. 10., Schäffle 8. 11., Habietinek 1. 11., Grocholski 5. 11.

KZ. 3781 – MRZ. 117

|| || Protokoll des zu Wien am 27. Oktober 1871 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Demission der Minister. Vorgehen wegen des Reskriptes an den böhmischen Landtag in Bezug auf das Zustandekommen des Reichsrates. Ah. Ansprache an die abtretenden Minister - (PDF)

[I.] ℹ️ Se. k. u. k. apost. Majestät haben gestern das Demissionsgesuch des Grafen Hohenwart und des größten Teiles der Minister entgegen|| || zunehmen geruht und auch das Protokoll erhalten, in welchem die zu diesem Entschlusse führenden Umstände erörtert erscheinen1.

Se. Majestät wollen diese doch noch einmal einer akademischen Besprechung unterziehen, weil aus dem Ministerratsprotokolle zu entnehmen sei, dass vielleicht doch noch manche Frage zu erwägen sein dürfte, woraus sich ergeben würde, ob der Entschluss nicht doch vielleicht etwas frühzeitig und übereilt gefasst worden. Namentlich würde auch die weitere Frage mit den Ministern, welchen vermöge ihrer bisherigen Aktion die genaue Kenntnis der Verhältnisse zu Gebote stehe, zu besprechen sein, wie das Vorgehen bezüglich des Reskriptes an den böhmischen Landtag sein solle. Es haben zwar diesfalls Besprechungen mit dem Grafen Clam, Dr. Rieger und Dr. Pražák stattgefunden, nach || || [] Beschickung [] nicht zu zählen [] Landtag als [] sich aber doch [] ausgesprochen. Es scheine also doch noch [nicht] konstatiert, dass die Ablehnung der Reichsratsbeschickung erfolgen würde, obwohl sie leider sehr wahrscheinlich sei.

Der Vorsitzende des Ministerrates erlaubt sich zu bemerken, dass allerdings nur mit den genannten zwei Herren aus Böhmen gesprochen wurde2. Diese Herren gehören aber den gemäßigten Parteien an, die dritte Partei, die Jungtschechen, die viel weiter gehen, seien schon mit dem nicht einverstanden gewesen, was der Landtag beschlossen habe3. Auf Günstigeres als das, was Graf Clam und Rieger in Aussicht stellten, würde also unbedingt nicht gerechnet werden können. || || Dagegen biete die Stellung in der Partei und der Einfluss dieser beiden Herren im Landtage für das, was sie aussprechen, volle Gewähr. Wenn sie also sagen, dass der Landtag auf die Beschickung des Reichsrates nicht eingehen würde, so könne daran nicht gezweifelt werden. Was das Reskript betreffe, so würde in dieser Beziehung die Frage allerdings noch offen sein, er glaube aber, dass das etwa noch weiter zu erwägen Sache des neuen Ministeriums wäre, für welches es sich dabei um den ersten Schritt auf seiner neuen Bahn handeln würde.

Se. Majestät geruhen die Frage aufzuwerfen, ob es sonach die Minister als feststehend, als fait accompli, betrachten, dass der böhmische Landtag die Wahlen in den Reichsrat nicht vornehmen werde.

Minister Ritter v. Grocholski bemerkt hierauf, dass möglicherweise || || [] Landtag eine [] wählen und vielleicht [] würde, mit [] Adresse den Faden der Verhandlungen weiter spinnen. Von einer Reichsratswahl [] unter den gegenwärtigen Verhältnissen könnte unbedingt keine Rede sein. Er habe das vorausgesehen. Wie in dieser Beziehung eine weitere Aktion dieser Regierung von Nutzen sein könnte, sei nicht wohl abzusehen. Andererseits würde die Aufregung noch vermehrt werden, und wenn heute schon die ganze Stadt davon erfüllt sei und die Journale mit dynastischen Ergießungen von der Allerhöchsteigenen Initiative Sr. Majestät in Absicht auf die eingetretene Wendung schreiben, so würde es wohl selbst vom dynastischen Standpunkte nicht angezeigt erscheinen, die Aktion zu unterbrechen, welche mit || || der Annahme des Reskriptentwurfes in der Fassung des gemeinsamen Ministeriums begonnen habe.

Der Minister für Landesverteidigung erwähnt, dass nach dem, was er mit den böhmischen Herren gesprochen, mit welchen er vorgestern zusammengekommen sei, bei dem starren Festhalten an ihrem Standpunkte, keine Hoffnung der Verständigung bestehe. Er fragte sie und namentlich Dr. Rieger, ob sie Vertrauen zur gegenwärtigen Regierung hätten oder nicht. In ersterem Falle würde ja doch der Inhalt des Reskriptes von so maßgebender Wichtigkeit für sie nicht sein. Das Ergebnis ihrer Erwiderung ging aber dahin, dass an dem vereinbarten Reskripte nicht geändert werden könnte.

Der Unterrichtsminister, welcher mit Rieger ebenfalls || || [] die von der [] den Äußerungen [] richtig stellen [] als anach der Äußerung des Dr. Rieger die Böhmen der gegenwärtigen Regierung ihr volles Vertrauen entgegenbringen und sie sich mit einem von ihr ausgehenden, in der Fassung abgeschwächtena Reskripte []en würden, wenn nur die anderen Punkte unberührt blieben. Sie wollenb übrigens auch eine Änderung der Ungarn tangierenden Punkte akzeptieren, nur die Anerkennung des Rechtsbestandes der Dezemberverfassungc könnte ihnen als von ihrem Standpunkte absolut inakzeptabel nicht zugemutet werden.

Der Handelsminister meint ebenfalls, dass zwischen jenen Stellen des Reskriptes, welche sich auf das Verhältnis zu Ungarn beziehen, und zwischen jenen, welche die Anerkennung der Rechtsbeständigkeit der Verfassung involvieren, unterschieden werden müsste. In der ersteren Beziehung dürfte die neue Fassung nicht abgelehnt werden, vorausgesetzt eine || || Gegenwahrung des böhmischen Standpunktes. Allein, wenn bezüglich des zweiten Punktes die Fassung des Reskriptes so bliebe, wie sie jetzt sei, so würden die Führer nicht nur nicht für Akzeptierung derselben eintreten, sondern sie seien geradezu entschlossen, ihren Einfluss gegen die Reichsratsbeschickung einzusetzen. Darüber könne ein Zweifel nicht bestehen.

Se. Majestät geruhen anzudeuten, dass eine weitere Frage noch wäre in Bezug auf das Nichtzustandekommen eines beschlussfähigen Reichsrates, welche Eventualität die Minister nach dem Protokolle als eine Folge ihres Verbleibens im Amte ins Auge gefasst haben.

Der Vorsitzende des Ministerrates bemerkt, dass, wenn das Ministerium bliebe, die Vertreter aus Niederösterreich, Steiermark, Kärnten || || [] Reichsrate si[]en würden. [] vielleicht auch das [] Ministerium einige []gkeiten haben sie [] Abgeordnetenhaus zu []men, insoferne sie sich [] in der Minorität befinden würden. Dem jetzigen Ministerium sei dies absolut unmöglich, demselben sei sonach die Möglichkeit des Zusammenbringens eines beschlussfähigen Abgeordnetenhauses genommen, sobald die Böhmen nicht erscheinen. Jetzt konnte auf 139 Stimmen gerechnet werden. Davon würden entfallen (die Stimmen der Deutschböhmen außer Anschlag gelassen) 40 Stimmen der Böhmen, das Abgeordnetenhaus würde sonach auf 99 Mitglieder, also unter die beschlussfähige Zahl von 100 herabsinken. Übrigens wäre auch noch zu befürchten, dass die Tiroler und vielleicht auch Angehörige noch eines oder des andern || || der südlichen Länder ausbleiben.

Se. Majestät geruhen darauf hinzuweisen, dass doch auch die Eventualität ins Auge zu fassen sein würde, wenn bei einem Vorgehen in entgegengesetzter Richtung die Vertreter aus den jetzt zur Regierung stehenden Landtagen nicht kommen würden und der Reichsrat auf diese Weise wieder beschlussunfähig bliebe.

Der Vorsitzende des Ministerrates meint, das neue Ministerium würde auf die Polen sicher und mit Rücksicht auf die Erklärung Pražáks vielleicht auch auf die Mährer rechnen können4.

Sr. Majestät schiene das Kommen der Mährer nur dann wahrscheinlich, wenn abgesehen von den Böhmen alle anderen Vertreter der homogenen Landtage kommen.

Der Vorsitzende des Ministerrates bemerkt, dass, wenn || || [], immer [] oder zur [] Landtage geschritten [] könnte, infolge [] der vorauszusehenden Abstinenz der Konservativen und Liberalen durchdringen []en, so dass der Reichsrat gesichert wäre.

Der Finanzminister führt aus, dass die wichtigste Rücksicht [] auf das baldige Zustandekommen des Reichsrates sei. Schon Mitte Oktober wäre verspätet gewesen, umso mehr dränge die Sache jetzt, da man sich am 1. Jänner 1872 in finanzieller Beziehung vor einer Aufgabe befinden werde, der man nicht leicht würde gerecht werden können, wenn auch seinerseits vorgearbeitet worden, dass nicht schon in den ersten Tagen des neuen Jahres gerade ein äußerster Zustand eintrete. Er weise hierauf nur im Hinblick auf die Andeutungen über Auflösungen hin, die die || || Reichsratseinberufung in []are Ferne rücken würde. Die Durchführung direkter Wahlen betreffend, so würde diese nach den gemachten Erfahrungen in größern Ländern jedenfalls 45 Tage in Anspruch nehmen.

Der Vorsitzende des Ministerrates bemerkt, dass, um so weit zu kommen, dass die finanzielle Lage geordnet würde, man so sehr lange Zeit doch wohl nicht brauchen würde. Er würde meinen, dass, wenn von einer Auflösung des böhmischen Landtages, von welcher er abraten möchte, abgesehen, in Böhmen zu direkten Wahlen geschritten würde, zwar auf keinen Abgeordneten aus den tschechischen Bezirken, aber auf jene der deutschen Bezirke, also auf 18 Abgeordnete zu rechnen wäre, abgesehen von einer eventuellen Wahl aus dem Großgrundbesitze. Wenn diese 18 deutschen || || []en er[]hat [] Reichsrat in be[] Zahl zusammen[]. Die Auflösung der Landtage [] übrigens auch nicht [] notwendig sein, und []te vielleicht Mähren ge[]n. Durch den Zuwachs der Abgeordneten von dort wäre die Beschlussfähigkeit jedenfalls gesichert. Die am schnellsten zum Ziele führende Modalität wäre jedenfalls, wenn die Abgeordneten aus den deutschen Ländern bewogen werden würden zu kommen und auf die provisorische Finanzfrage einzugehen. Mittlerweile könnte für die weitere Komplettierung Sorge getragen werden.

Se. Majestät geruhen zu bemerken, dass dieser Weg voraussetzen würde, dass durch den Eintritt der Deutschen ohne die Mährer die Beschlussfähigkeit erzielt wird.

|| || Der Vorsitzende des Ministerrates führt aus, dass dies allerdings der Fall wäre.

Se. Majestät geruhen sonach zu bemerken, dass aus den vorausgegangenen Besprechungen leider! konstatiert werden müsse, dass in Bezug auf das Vorgehen wegen Erlassung des Reskriptes von dem jetzigen Ministerium nichts weiter geschehen könne. Es müsste daher jedenfalls so lange gewartet werden, bis es gelungen sein werde, ein neues Ministerium zustande zu bringen. Jedenfalls würde Se. Majestät an die Minister das Ersuchen richten, so lange auszuharren, bis Se. Majestät in die Lage gekommen sein werden, einen Ersatz zu finden, da die Maschine nicht stillstehen könne. Nachdem es voraus|| || [] Majestät []rtigen Minister [] sich versam[], wollen Se. Majestät die Minister nicht [], ohne ihnen aus [] Herzen den wärmsten Dank für die treue und hingebungsvolle Dienstleistung auszusprechen, welche nicht ein Augenblick des Missklanges je getrübt habe. Das volle Ah. Vertrauen sei den Ministern bei ihrem Eingange in das Amt entgegengekommen, und mit dem vollen Ah. Vertrauen scheiden sie aus dem Ministerium. Dass der eingeschlagene Weg leider! nicht zu den gewünschten Erfolgen geführt habe, treffe niemand empfindlicher als Se. Majestät, weil Se. Majestät sehr genau wissen, mit welcher Ausdauer und Mühe sich die Minister || || unablässig der ihnen gewordenen Aufgabe gewidmet haben.

Se. Majestät geruhen daher, ihnen nochmals den tiefsten Dank auszusprechen, worauf Se. Majestät die Sitzung zu schließen geruhen5.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 11. November 1871. Franz Joseph.