Nr. 244 Ministerrat, Wien, 22. Juli 1869 - (PDF)
RS.Reinschrift und bA.; P. Artus; VS.Vorsitz Taaffe; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Taaffe 22. 7.), Plener 29. 7., Potocki 30. 7., Giskra 30. 7., Brestel (BdE.Bestätigung der Einsicht fehlt); außerdem anw.anwesend Waser, Rohrau; abw.abwesend Hasner, Herbst, Berger.
- I. Termin für die Einberufung der Landtage.
- II. Zulassung der projektierten Genossenschaft „Hort“ als nicht politischer Verein.
- III. Übergang der Agenden in Militärstiftungssachen und Angelegenheiten der Militärstiftungsplätze vom Ministerium des Innern und der Militärstiftungsfondssachen vom Unterrichtsministerium an das Ministerium für Landesverteidigung und öffentliche Sicherheit.
- IV. Genehmigung der Geschäftsordnung für das Reichsgericht.
- I. Termin für die Einberufung der Landtage
- II. Zulassung der projektierten Genossenschaft „Hort“ als nicht politischer Verein
- III. Übergang der Agenden in Militärstiftungssachen und Angelegenheiten der Militärstiftungsplätze vom Ministerium des Innern und der Militärstiftungsfondssachen vom Unterrichtsministerium an das Ministerium für Landesverteidigung und öffentliche Sicherheit
- IV. Genehmigung der Geschäftsordnung für das Reichsgericht
|| || Protokoll des zu Wien am 22. Juli 1869 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn k. k. Ministerpräsidenten Grafen Taaffe.
I. Termin für die Einberufung der Landtage - (PDF)
I. ℹ️ Der Minister des Innern bringt die Frage zur Sprache, zu welchem Zeitpunkte die Landtage einzuberufen wären. In Gemäßheit früherer Konferenzbeschlüsse wäre hiefür der Anfang || || des Monates September in das Auge zu fassen1.
Es machen sich aber in einigen Ländern Stimmen geltend, welche einer späteren Einberufung der Landtage das Wort führen. Namentlich sei in Böhmen und Mähren auf die Großgrundbesitzer Rücksicht zu nehmen, welchen die Jagdzeit die Absentierung vom Hause zu Anfang September im hohen Grade unerwünscht kommen würde. Unter diesen Umständen wäre kaum Aussicht vorhanden, dass die Landtage in Böhmen und Mähren vor dem 20. September beschlussfähig sein würden, und würden ebendort Lücken im Großgrundbesitze sich unliebsam fühlbar machen. In Dalmatien sei es wegen der Weinlese geradezu unmöglich, den Landtag vor dem 1. Oktober einzuberufen. Bei dieser Sachlage schiene es sich dem Minister des Innern zu empfehlen, die Landtage nach Maßgabe der Verhältnisse zu verschiedenen Zeitpunkten einzuberufen. Festgehalten müsste jedoch daran werden, dass die Session der Landtage sich keinesfalls über das letzte Viertel des Monates Oktober hinaus[], [] der Reichsrat zu Anfang November zusammentreten müsse, um das Budget noch vor Eintritt || || des neuen Jahres erledigen zu können. Es sei dies unbedingt notwendig, um aus den provisorischen Steuerbewilligungen endlich herauszukommen und zu erzielen, dass das Finanzgesetz schon zu Beginn des betreffenden Verwaltungsjahres votiert sei.
Mit Rücksicht hierauf würde er sonach glauben, dass die langen Landtage, das ist, diejenigen, welche ein größeres Material aufzuarbeiten haben, wie der galizische und niederösterreichische, schon zum 9. September, die kurzen Landtage, das ist solche, für welche die Veranlassung zu einem längeren Tagen nicht vorliegt oder deren frühere Einberufung besonderer Verhältnisse wegen nicht gewünscht wird, zum 20. September einberufen würden. Eine Ausnahme hätte nur bezüglich des dalmatinischen Landtages einzutreten, welcher erst zu Anfang Oktober zu eröffnen wäre. Der Schluss würde zum 20. Oktober für alle zu erfolgen haben, unbeschadet einer Verlängerung der Session um einige Tage für einen oder den anderen der Landtage, welcher dies aus rücksichtswür|| || digen Gründen etwa wünschen sollte. In dieser Weise würde auch ein angemessener Zwischenraum gegeben sein zwischen dem Schluss der Landtage und der Wiedereröffnung des Reichsrates, die zwischen dem 10. und 12. Oktober [sic!] ??? erfolgen würde. Er würde sonach, so weit nicht bereits zureichende Anhaltspunkte für die Terminsbestimmung vorliegen, wie dies für Böhmen, Mähren und Dalmatien der Fall ist, mit den Landesausschüssen das Einvernehmen pflegen, welcher der beiden Einberufungstermine für den betreffenden Landtag mehr konvenieren würde. Die Publikation würde nach der bisherigen Gepflogenheit zwar gleichzeitig, jedoch in der Weise zu geschehen haben, dass mehrere Ah. Patente und zwar je eines für die Landtage mit dem gleichen Einberufungstermine verlautbart werden.
Der Ministerpräsident erklärt sich vollkommen einverstanden damit, dass hinsichtlich der Einberufung der Landtage nach Maßgabe der besonderen Verhältnisse vorgegangen werde. || || Es würde auch sicherlich gut aufgenommen werden, wenn von der schablonenhaften Behandlung dieser Frage abgesehen würde. Die Unterscheidung zwischen langen und kurzen Landtagen scheine daher auch ihm ganz zweckmäßig zu sein. In Bezug auf die endgiltige Fixierung des Einberufungstermines hält der Ministerpräsident für angezeigt, die Äußerung der Landeshauptmänner einzuholen, welche hiezu zunächst berufen erscheinen. Denselben wäre seines Erachtens zu sagen, dass ihnen freistehe, den Schluss der Landtagssession zum letzten Drittel des Monates Oktober als feststehend angenommen, den Einberufungstermin zu bezeichnen, welcher sich innerhalb des Zeitraumes vom 9. September bis 20. Oktober unter den gegebenen Verhältnissen als für den betreffenden Landtag als der geeignetste darstellt.
Der Minister des Innern stimmt dem bei. Ebenso der Handelsminister und der Finanzminister, welcher in Bezug auf die vom Minister des Innern betonte, auch von || || ihm (Finanzminister) anerkannte Notwendigkeit der rechtzeitigen reichsrätlichen Feststellung des Finanzgesetzes bemerkt, dass dies jedenfalls voraussetze, dass das Budget sogleich bei Beginn der Reichsratssession eingebracht und mit anderen Regierungsvorlagen zugewartet werde, damit sich der Reichsrate den Budgetverhandlungen sofort mit der entsprechenden Intensivität widmen könne.
Der Ackerbauminister ist gleichfalls mit dem proponierten Vorgange einverstanden, zumal dem galizischen Landtage hiedurch die Möglichkeit einer längeren Session gewahrt ist, welche zur Erledigung der vielen und wichtigen, namentlich inneren Angelegenheiten, mit welchen er sich zu beschäftigen haben wird, unbedingt notwendig erscheint2.
II. Zulassung der projektierten Genossenschaft „Hort“ als nicht politischer Verein - (PDF)
II. ℹ️ Der Minister des Innern referiert über die Angelegenheit der Bildung einer Genossenschaft unter dem Namen „Hort“ in Wien, nachdem sich in Hinsicht über die Frage, ob diese Genossenschaft als ein politischer Verein || || anzusehen sei, eine Meinungsdifferenz zwischen der niederösterreichischen Statthalterei und dem Ministerium des Innern ergeben habe3.
Laut § 1 des Statutenentwurfes soll die Genossenschaft „Hort“ den Zweck haben, „auf Grundlage einer leitenden und gestaltenden Idee die großen Lebensfragen, welche unsere Zeit bewegen, vor allem die religiösen, sittlichen und sozialen Fragen wissenschaftlich zu erörtern und die so erkannte und festgestellte Wahrheit gleich praktisch auf das Leben anzuwenden und dasselbe darnach zu gestalten, um auf diesem Wege nicht allein das allgemeine Übel, an welchem die Menschheit leidet und welches allgemein Verderben droht, zu bekämpfen und das Heil der Zeit herbeizuführen, sondern damit auch zugleich einen festen Punkt bieten, um welchen alle miteinander streitenden Richtungen und Parteien sich vereinigen und an welchem alle Rat- und Hilfesuchenden sich anschließen können“. Der Leiter der niederösterreichischen Statthalterei hat in diesem Programme die Merkmale eines politischen Vereines gefunden, infolgedessen die Projektanten desselben noch || || den Beisatz aufnahmen, dass die Tagespolitik gänzlich ausgeschlossen zu bleiben habe4. Allein auch dieser Beisatz schien der niederösterreichischen Statthalterei als nicht genügend, um von der früheren Erklärung dieser Genossenschaft als politischer Verein abzusehen. Infolgedessen wurde an das Ministerium des Innern rekurriert, dessen Gremium sich im gegenteiligen Sinne dahin ausgesprochen habe, dass der Verein als ein politischer nicht angesehen werden könne. Der Minister des Innern sei nun hiemit nicht einverstanden, indem er der Ansicht des Leiters der niederösterreichischen Statthalterei aus dem Grunde beistimmen müsse, weil, wenn auch in dem Programme die wissenschaftliche Behandlung der bezeichneten Fragen als Zweck der Genossenschaft hingestellt werde, die Behandlung der sozialen Frage unter allen Umständen das Gebiet der Politik notwendig berühren müsse. Zudem finde dieser Programmpunkt in dem weiteren Satze, „wornach die festgestellte Wahrheit sogleich praktisch auf das Leben angewendet und dasselbe || || darnach gestaltet werden soll“, eine Ergänzung, welche keinem Zweifel darüber Raum gebe, dass es sich um politische Zwecke handle. Er gedenke daher die Entscheidung des Statthaltereileiters aufrecht zu erhalten und die Genossenschaft als politischen Verein zu erklären.
Der Ministerrat ist hiemit einhellig einverstanden5.
III. Übergang der Agenden in Militärstiftungssachen und Angelegenheiten der Militärstiftungsplätze vom Ministerium des Innern und der Militärstiftungsfondssachen vom Unterrichtsministerium an das Ministerium für Landesverteidigung und öffentliche Sicherheit - (PDF)
III. ℹ️ Sektionsrat v. Rohrau referiert im Auftrage des Ministerpräsidenten über den Übergang jener Angelegenheiten in den Wirkungskreis des Ministeriums für Landesverteidigung und öffentliche Sicherheit, welche sich auf Stiftungsplätze in den Militärbildungsanstalten beziehen und bisher im Ministerium des Innern als oberster Stiftungsbehörde und soweit es die Fonds für die Staatsstiftungsplätze in den Militärbildungsanstalten betrifft, im Ministerium für Kultus und Unterricht behandelt worden sind6.
Der Minister des Innern || || habe sich damit einverstanden erklärt, dass die betreffenden Agenden des Ministeriums des Innern an das Ministerium für Landesverteidigung sofort übergehen, nachdem sie ihrer Natur nach in den Wirkungskreis des letztgenannten Ministeriums gehören und kein Grund vorhanden ist, die definitive Feststellung des Wirkungskreises des Ministeriums für Landesverteidigung abzuwarten, mit welcher die Lösung dieser Frage in Verbindung gebracht werden sollte, nachdem der Feststellung dieses Wirkungskreises noch länger dauernde Erfahrungen über den wesentlich von der Durchführung des Wehrgesetzes bedingten Umfang seiner Aktion vorauszugehen haben werde. Was die Frage der Fonds für die Staatsstiftungsplätze beziehungsweise das Erfordernis für diese letzteren betreffe, habe der Minister für Kultus und Unterricht, in dessen Budget die betreffenden Summen bisher eingestellt waren, die Ausscheidung derselben aus seinem Budget bereits im vorigen Jahre im Ministerrate []. || || Mit Rücksicht auf die mit dem Minister des Innern damals noch nicht erzielt gewesene Einigung in Hinsicht auf die künftige Behandlung der auf diese Militärstiftplätze bezüglichen Agenden habe der Ministerrat unterm 28. Juli 1868 beschlossen, dass pro 1869 noch der Status quo aufrecht zu erhalten wäre7. Nachdem jedoch gegenwärtig hinsichtlich des Überganges dieser Agenden in das Ressort des Landesverteidigungsministeriums die Zustimmung des Ministers des Innern vorliege, erscheine es konsequent, auch das betreffende Erfordernis in das Budget des Ministeriums für Landesverteidigung und öffentliche Sicherheit zu übernehmen. Nachdem sich hiemit sowohl der Reichskriegsminister als der Minister für Kultus und Unterricht einverstanden erklärten, handle es sich mit Rücksicht auf den oben erwähnten Ministerratsbeschluss zunächst noch um die Zustimmung des Ministerrates, welche der Erstattung des diesfälligen au. Vortrages vorauszugehen hätte und welche der Ministerpräsident sich erbitte.
|| || Der Ministerrat erklärte sich einhellig einverstanden, dass die oben angedeuteten Agenden sofort vom Ministerium des Innern in den Wirkungskreis des Ministeriums für Landesverteidigung und öffentliche Sicherheit übergehen und dass im Voranschlage pro 1870 das bisher im Budget des Ministeriums für Kultus und Unterricht bedeckte einschlägige Erfordernis im Präliminare des Ministeriums für Landesverteidigung und öffentliche Sicherheit eingestellt werde8.
IV. Genehmigung der Geschäftsordnung für das Reichsgericht - (PDF)
IV. ℹ️ Sektionschef Ritter v. Waser referiert im Auftrage des Justizministers über die Geschäftsordnung für das Reichsgericht, welches diese in Gemäßheit des § 10 des Gesetzes vom 18. April 1869 (RGBl. Nr. 44) beschlossen und mit dem Ersuchen um die Erwirkung der Ah. Genehmigung und sohinigen Verlautbarung derselben im Reichsgesetzblatte mittelst einer an dem Publikationstage in Kraft tretenden Verordnung des Gesamtministeriums an den Ministerpräsident geleitet habe9.
|| || Diese Publikation der Geschäftsordnung im Reichsgesetzblatte wurde sich vom Reichsgerichte unter Hinweisung auf die Notwendigkeit der Kenntnis mehrerer Bestimmungen derselben für das Publikum und für die Behörden und zwar mit tunlichster Beschleunigung erbeten, weil die erste Quartalssitzung des Reichsgerichtes für den 1. Oktober d. J. in Aussicht genommen sei. Der Ministerpräsident habe die Vorlage des Reichsgerichtes dem Justizminister mitgeteilt, welcher ihm (Sektionschef v. Waser) seine Ansichten hierüber behufs der Vortragserstattung im Ministerrate bekannt gegeben habe10. Was die Publikation der (Ah. genehmigten) Geschäftsordnung mittelst einer Verordnung des Gesamtministeriums im Reichsgesetzblatte betreffe, so fände der Justizminister keinen Anstand dagegen, nachdem das Gesamtministerium mit dem Vollzuge des Gesetzes vom 18. April 1869 über die Organisation des Reichsgerichtes, das Verfahren vor demselben und die Vollziehung seiner Erkenntnisse beauftragt sei (§ 42 eben dieses Gesetzes) und weil in der Tat mehrere Bestimmungen der Geschäftsordnung für das Publikum beziehungsweise || || für die die Aktion des Reichsgerichtes in Anspruch nehmenden Parteien und Behörden von Wichtigkeit seien, die Verlautbarung derselben daher im Interesse des Publikums selbst gelegen erscheine. Dahin gehören die Bestimmungen des § 9 (Beibringung einer Abschrift der Eingabe um ein Erkenntnis), § 10 (Zufertigung der Abschrift der Eingabe an die Gegenpartei behufs der Einbringung der Gegenschrift binnen 14 Tagen), § 14 (Wiederaufnahme des Verfahrens) usf.
Der Minister des Innern bemerkt, dass ihm gegen die Publikation einer zu kontrasignierenden Verordnung mit Rücksicht auf das Gesetz vom 10. Juni 1869 (RGBl. Nr. 113) über die Einrichtung des Reichsgesetzblattes Bedenken obzuwalten scheinen, zumal die Geschäftsordnung des Reichsgerichtes mit Rücksicht auf die diesem letzteren gesetzlich zugestandene Autonomie seines Erachtens überhaupt den Gegenstand einer []ung nicht bilden könne, für welche das Ministerium die Verantwortung zu übernehmen []. || || Jedenfalls müsste das Meritorische der betreffenden Bestimmungen eindringlich zuvor erwogen werden.
Der Finanzminister würde gegen die Kundmachung der Geschäftsordnung nach erfolgter Ah. Genehmigung gar keinen Anstand haben. Die betreffende Verordnung des Ministeriums würde einfach zu sagen haben, dass Se. k. u. k. apost. Majestät die nachstehende Geschäftsordnung zu genehmigen geruht haben. Diese Form würde er für ebenso korrekt als unbedenklich halten. Auch der Handelsminister hätte gegen eine in dieser Form erlassene Verordnung keine Bedenken.
Sektionschef v. Waser macht aufmerksam, dass Einwendungen gegen die Zulässigkeit einer solchen Ministerialverordnung wohl nur vom Standpunkte der Autonomie des Reichsgerichtes berechtigt erhoben werden könnten. Diese Rücksicht auf die Autonomie des Reichsgerichtes entfalle aber, nachdem dieses selbst ersucht habe, dass || || die Verordnung des Gesamtministeriums die Ah. genehmigte Geschäftsordnung publizieren werde.
Der Ministerpräsident bemerkt, dass es ihm notwendig erscheine, vor der weiteren Diskussion der Frage über die Art und Weise der Publikation der fraglichen Geschäftsordnung den Inhalt derselben meritorisch zu würdigen, nachdem das von dem Minister des Innern betonte Bedenken dagegen, dass durch die Publikation mittelst einer Verordnung gleichsam die Übereinstimmung des Ministeriums mit dem Operate des Reichsgerichtes manifestiert würde, wesentlich durch das Meritum der betreffenden Bestimmungen bedingt sei.
Über Einladung des Ministerpräsidenten bringt daher Sektionschef v. Waser die vorgelegte abschriftlich beiliegende Geschäftsordnunga vollinhaltlich zur Verlesung. Die Ansichten des Justizministers darüber betreffend, bemerkt Sektionschef v. Waser, dass, nachdem [] des Gesetzes vom 18. April 1869 dem Reichgerichte das Recht einräume, sich seine Geschäftsord|| || nung selbst zu entwerfen und dieselbe durch den Ministerrat Sr. Majestät zur Ah. Genehmigung vorzulegen 11, der Standpunkt der Regierung in Absicht auf die Prüfung der vorgelegten Geschäftsordnung nur der sein könne, zu untersuchen, ob und inwieferne die Bestimmungen der Geschäftsordnung dem Staatsgrundgesetze über das Reichsgericht und dem Gesetze vom 18. April d. J. widerstreiten und ob von diesem Gesichtspunkte aus dem Antrage auf Ah. Genehmigung Hindernisse entgegenstehen. Diesen prinzipiellen Standpunkt festgehalten, glaube der Justizminister, dass der § 16 der fraglichen Geschäftsordnung Bedenken zu erregen geeignet erscheine, weil nach diesem Paragrafe der Referent berechtigt werden soll, eine Eingabe wegen Formgebrechen insbesondere wegen Mangels der Unterschrift eines Advokaten zum Zwecke der Verbesserung zurückzustellen. Nach § 20 des oben zitierten Gesetzes über das Verfahren vor dem Reichsgerichte habe nun über die Vorfrage, ob ein Antrag wegen Abganges der formellen gesetzlichen Erfordernisse als zur Behandlung nicht geeignet zurückzuweisen sei, das Reichsgericht in nicht öffentlicher Sitzung zu entscheiden. || || Das Reichsgericht mochte bei Abfassung des § 16 der Geschäftsordnung auf den Unterschied der Worte „zurückstellen“ und „zurückweisen“ Bedacht genommen haben. Allein, wenn jede formwidrige Eingabe ohne Unterschied der Beschaffenheit des Formgebrechens vom Referenten zur Verbesserung zurückgestellt werden dürfe, so werde hiedurch im Falle der wirklich erfolgten Verbesserung die Kompetenz des Reichsgerichtes und dessen Recht, gewisse Eingaben a limine zurückzuweisen, umgangen. Dies könne umso weniger zulässig sein, als das Gesetz den Unterschied zwischen vorläufiger Zurückstellung (zum Zwecke der Verbesserung) und Zurückweisung nicht kenne.
Der § 16 der Geschäftsordnung widerstreite in seiner gegenwärtigen Fassung aber auch in einer anderen Richtung dem Gesetze vom 18. April l. J. Würde nämlich eine formwidrige Eingabe in tempore bei dem Reichsgerichte eingebracht und würde dieselbe vom Referenten im Namen des Reichsgerichtes (§ 15 der Geschäftsordnung) zur Verbesserung des gerügten Gebrechens zurückgestellt werden dürfen, würde diese Weisung in vielen Fällen zur Erweiterung der in §§ 12 und 17 des || || Gesetzes normierten Fristen führen, obgleich der § 18 dieses Gesetzes die in den §§ 12 und 17 festgesetzten Fristen als unerstreckbare erklärt und die Wiedereinsetzung wegen Versäumung einer dieser Fristen ausschließt. Wahrscheinlich habe man bei Abfassung des § 16 der Geschäftsordnung die zwei Fälle im Auge gehabt, wenn a) der Eingabe die durch die Geschäftsordnung geforderte Abschrift und b) wenn der Eingabe die durch das Gesetz geforderte Fertigung von Seite eines Advokaten mangle. Für diese Fälle wollte man offenbar durch die Zurückstellung verhindern, dass die Partei nicht genötigt werde, eine wegen eines Formgebrechens zurückgewiesene Eingabe zu erneuern. Allein, diese beiden Fälle können insoferne nicht gleichgestellt werden, als es sich im Falle ad a) um den Nachtrag eines durch die Geschäftsordnung vorgezeichneten Erfordernisses handle, wogegen im Falle ad b) ein durch das Gesetz vorgeschriebenes Erfordernis fehle. Es dürfte sich nun kaum rechtfertigen lassen, den § 16 nur durch jene Fälle zu beschränken, in welchen der eingebrachte Antrag sich offenbar (§ 11 der Geschäftsordnung) zur Zurückweisung eigne, weil || || gerade hierüber nicht der Referent, sondern nur das Gericht zu entscheiden nach dem Gesetze berufen sei.
Ein weiteres, jedoch minder wesentliches Bedenken ergebe sich gegen die Zitation des § 5 der Geschäftsordnung im § 23 derselben, welcher das Erfordernis der nach § 29 des Gesetzes vom 18. April 1869 für die Erkenntnisse des Reichsgerichtes notwendigen absoluten Stimmenmehrheit auf alle Beschlüsse des Reichsgerichtes ausdehne. Wenn nun in diesem Paragrafe der § 5 der Geschäftsordnung zitiert werde, so wollte damit wahrscheinlich auf das dort normierte Stimmenerfordernis bei der Wahl der Referenten als auf eine zulässige Ausnahme von der allgemeinen Regel des § 23 hingewiesen werden, was jedoch durch diese Zitation insoferne nicht ganz klar sei, als der zitierte § 5 eben nur von der Wahl der Referenten handle und der Akt der Wahl an sich kein Beschluss des Reichsgerichtes in der Sphäre seiner Wirksamkeit sei.
Außer diesen beiden Punkten hätte der Justizminister keine Bedenken, daher er der Meinung wäre, dass die Geschäftsordnung zunächst dem Reichsgerichte []dierung dieser beiden || || Punkte zurückzustellen wäre.
Was die Frage betrifft, von welchem Standpunkte aus die Prüfung und Würdigung der vorliegenden Geschäftsordnung zu geschehen hätte, meint der Minister des Innern, dass es sich nicht bloß nach dem vom Sektionschef v. Waser vertretenen Antrage des Justizministers um die Beanständung der in dem Vortrage des Sektionschefs v. Waser bezeichneten Bestimmungen handeln könne, welche mit den organischen Gesetzen für das Reichsgericht nicht im Einklange stehen. Seiner Ansicht nach müsste noch eine Reihe anderer Bestimmungen dieses im ganzen nichts weniger als gelungenen Operates beanständet werden, welche in Folge einer sichtlichen Verkennung des Geistes jener Gesetze, auf Grund welcher das Reichsgericht in das Leben gerufen wurde, teils den Charakter des Reichsgerichtes als einer vorwiegend politischen Institution wesentlich alterieren, teils den Anforderungen der juristischen Wissenschaft und Praxis so wenig entsprechen, dass die Frage voll berechtigt erscheine, ob die Regierung || || ein höheres Interesse an der strikten Aufrechthaltung der Autonomie des Reichsgerichtes als daran habe, dass die von ihr geschaffene Institution nicht unter Umständen in Aktion trete, welche geeignet wären, ihren Kredit und ihre Bedeutung in den fachmännisch-juristischen und in weiteren Kreisen von vorneherein auf das empfindlichste zu schmälern. Er für seine Person wenigstens würde vermöge seiner Erfahrungen auf dem Gebiete der praktischen Rechtspflege die Solidarität bezüglich des Zustandekommens einer Reihe von Bestimmungen dieser Geschäftsordnung auf das entschiedenste ablehnen müssen. Der Minister des Innern weiset in dieser Beziehung auf den § 13 hin, welcher die Einbringung einer Replik und Duplik zulasse und damit über die Grenzen des im mündlichen Verfahren behufs der Information gestattlichen Schriftenwechsels hinaus [] das mit dem Gesetze vom 18. April vorgeschriebene mündliche Verfahren auf indirektem Wege [] und im offenbaren Widerspruche mit dem Geiste des Gesetzes eine langwierige [] Prozedur anbahne. In einer anderen Richtung || || schiene ihm die Bestimmung der zweiten Alinea des § 14, wornach der Referent auch von Amts wegen die Trennung des Verfahrens über die Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens mit der Hauptfrage anordnen könne, zunächst wegen der ungerechtfertigten Erweiterung der Befugnisse des Referenten bedenklich. Ein weiteres wesentliches Bedenken würde er gegen den § 19 finden, wornach eine anberaumte Verhandlung nur auf übereinstimmendes Ansuchen beider Parteien auf eine andere Sitzungsperiode verschoben werden könne, zumal dadurch geradezu von einer Partei ein Recht gegen das Reichsgericht erlangt werden würde, welches nach dieser Fassung des § 19 die Verhandlung infolge eigenen Beschlusses zu prorogieren nicht berechtiget erscheine.
In der hierauf folgenden Diskussion wird von allen Stimmführern zugestanden, dass die vorliegende Geschäftsordnung vom Standpunkte der Zweckmäßigkeit in der Tat sehr viel zu wünschen übrig lasse. Der Utilitätsstandpunkt sei || || aber nicht der entscheidende für die Regierung. Nachdem das Reichsgericht innerhalb der ihm gesetzlich eingeräumten Autonomie vorgegangen sei, habe die Regierung nur daran Interesse, dass die autonom gefassten Beschlüsse des Reichsgerichtes dem Gesetze nicht widersprechen. Zu erwägen, ob und inwieweit mit der Geschäftsordnung den Anforderungen der Zweckmäßigkeit genügt werde, sei Sache des Reichsgerichtes, welches der Öffentlichkeit gegenüber hiefür die Verantwortung auch allein auf sich zu nehmen haben werde. Die Majorität der Konferenz (vier Stimmen gegen eine Stimme des Ministers des Innern) einigte sich sonach in der Ansicht, dass von dem von Seite des Justizministers angedeuteten prinzipiellen Gesichtspunkte ausgegangen werde, wofür auch die von Sektionschef v. Waser angedeutete Rücksicht zu sprechen scheine, dass das Ministerium darauf gefasst sein müsste, vom Reichsgericht auf das Gesetz gewiesen zu werden, wenn es über die ihm [] dasselbe gezogenen Grenzen [] in die Beschlüsse des [] aus Zweckmäßigkeits|| || rücksichten amendierend eingreifen wollte.
Der Ministerpräsident bemerkt, dass es übrigens innerhalb dieses Prinzipes einen Ausweg gebe, um dem Reichsgerichte auch die neuerliche Erwägung der Bedenken des Ministers des Innern, welche ihm vom Opportunitätsstandpunkte sehr begründet erscheinen, nahe zu legen. Seines Erachtens wären dem Reichsgerichte in Gemäßheit des gefassten Beschlusses in geeigneter Form zu eröffnen, dass das Ministerium, ausgehend von dem angenommenen prinzipiellen Standpunkte aus den von dem Sektionschef v. Waser geltend gemachten Gründen Bedenken tragen müsse, den § 16 in seiner dermaligen Fassung zur Ah. Genehmigung vorzulegen, wornach eine Änderung desselben im Sinne des Gesetzes als conditio sine qua non hingestellt erscheinen würde. Hieran aber könnte – eine vorsichtige Formulierung vorausgesetzt, welche infolge des Dissenses mit dem Reichsgerichte anlässlich der Personalfragen und der hiedurch herbeigeführten Verstimmung in diesem Gremium sich sehr empfehlen würde – angefügt werden, dass der Ministerrat nach erfolgter || || Änderung des § 16 für die Geschäftsordnung die Ah. Genehmigung einzuholen bereit sei, obwohl er sich nicht verhehlen könne, dass auch noch bezüglich anderer Punkte derselben eine Änderung ihm wünschenswert zu sein schiene, worauf das Reichsgericht behufs der geeigneten Erwägung aufmerksam zu machen der Ministerrat nicht unterlassen zu sollen erachte.
Der Minister des Innern konformiert sich diesem Antrage, welchem auch alle übrigen Stimmführer beitreten. In Betreff der Frage, welche Punkte in dieser Weise der neuerlichen Erwägung des Reichsgerichtes anheim zu geben wären, wird sich nach längerer Diskussion über die vom Minister des Innern angeregten Bedenken infolge der diesfälligen Aufklärungen des Sektionschefs v. Waser dahin geeinigt, dass sich in dieser Beziehung auf den vom Sektionschef v. Waser angedeuteten formellen Anstand [] und nach dem Antrage des Ministers des Innern auf [] Bedenken wegen Erweiterung der Machtsphäre des Referenten [], dann auf das || || Bedenken gegen die vorliegende die Vertagung der Versammlung durch das Reichsgericht ausschließenden Fassung des § 19 zu beschränken wäre.
In Beziehung auf den letzteren Punkt glaubt Sektionschef v. Waser noch bemerken zu sollen, dass, nachdem das Gesetz vom 18. April (§ 26) dem Reichsgerichte zur Pflicht mache, von Amts wegen für die vollständige Erörterung des Sachverhaltes zu sorgen, aus dieser Geschäftsordnung kein Recht der Parteien abgeleitet werden könne, auf die Fortsetzung der Verhandlung gegen den Willen des Gerichtes dringen zu können. Sektionschef v. Waser bemerkt weiters, dass das Reichsgericht im § 29 der Geschäftsordnung beschlossen habe, dass hinsichtlich der Vorladung der Zeugen und Sachverständigen die für die k. k. Gerichte bestehenden gesetzlichen Anordnungen Anwendung zu finden haben. Infolgedessen sei die Bitte gestellt worden, den Zeugen und Sachverständigen auf Rechnung des allgemeinen Kredites, der für das Reichsgericht angewiesen werde, Gebühren zahlbar anweisen zu dürfen. Wenn es nun auch im Allgemeinen wünschenswert wäre, dass das Reichsgericht sich weniger || || mit den Gerichten parifizieren und sich mehr in den Formen einer politischen Körperschaft bewegen würde, so könne doch, da einmal der diesfällige Beschluss des Reichsgerichtes vorliege, gegen die sich daraus ergebende Konsequenz hinsichtlich der Gebühren für Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher ein Anstand füglich nicht erhoben werden. Er würde daher glauben, dass die betreffenden Gebühren vom Reichsgerichte auf Rechnung des nach Maßgabe des diesfälligen Erfordernisses zu erhöhenden Amtspauschales zu erfolgen wären.
Nachdem der Ministerpräsident und der Minister des Innern gegen diesen Modus aus dem Grunde Bedenken erhoben hatten, weil es sich im Interesse der Sparsamkeit nicht beanzeige, derart variable Auslagen auf das Amtspauschale zu übernehmen, wurde beschlossen, dass das Ministerialzahlamt beauftragt werde, die diesfälligen Zahlungsanweisungen des Präsidiums des Reichsgerichtes, welchem das Anweisungs[] innerhalb bestimmter Grenzen bereits eingeräumt worden sei, auf Rechnung des dem Reichsgerichte gewährten, nach Maßgabe des [] anzusprechenden all|| || gemeinen Kredites zu entsprechen. Der Handelsminister wird in dieser Beziehung für den abwesenden Finanzminister die erforderlichen Verfügungen treffen und dem Ministerpräsident mitteilen12. Ebenso wird Sektionschef v. Waser auf Grund der heutigen Ministerratsbeschlüsse eine Zuschrift in Betreff der Geschäftsordnung an den Ministerpräsidenten richten, welche dieser an das Reichsgericht leiten werde13.
Wien, am 22. Juli 1869. Taaffe.
Ah. E.Allerhöchste Entschließung Ich habe den Inhalt dieses Vortrages [sic!] zur Kenntnis genommen. Wien, 12. August 1869. Franz Joseph.