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Nr. 85 Ministerrat, Wien, 14. Juli 1868 – Protokoll I - (PDF)

RS. fehlt. Abschrift, Hhsta., Admin. Reg., F 1, Ktn. 129, Fasz. „Akten 1867–1873“, fol. 79–84. Wortlaut und Datum der Ah. Entschließung Hhsta., Kab. Kanzlei, Protokoll 1868.

P. Hueber; VS. Auersperg; anw. Taaffe, Plener, Hasner, Giskra, Brestel; außerdem anw. Beust, Gagern; abw. Potocki, Herbst, Berger.

KZ. 2064 – MRZ. 85

I. Frage über die Ah. Titel Sr. Majestät und die zu gebrauchende territoriale Bezeichnung insbesondere bei Staatsverträgen - (PDF)

[I.] ℹ️ Der Reichskanzler bezeichnete es als wünschenswert, über die Frage des Titels Sr. Majestät, welche vom ungarischen Ministerpräsidenten Grafen Andrássy demnächst bei Sr. Majestät zur Sprache gebracht werden wird1, sich mit dem k. k. Ministerrate in Fühlung zu setzen, um insbesondere von dessen Ansichten über den zu gebrauchenden Titel Sr. Majestät und die zu gebrauchende Territorialbezeichnung bei Staatsverträgen in Kenntnis zu sein, um durch die zu treffende Vereinbarung nachträglichen Schwierigkeiten und Modifikationen bereits paraphierter Staatsverträge, wie sich solche z. B. bei dem Handelsvertrage mit Preußen über ungarische Anforderungen ergaben, vorzubeugen2.

Die Ausarbeitungen hiezu seien von der Archivsdirektion erfolgt, und es soll der große Titel Sr. Majestät in der mit dem Ah. Patente vom Jahre 1804 bestimmten Fassung unverändert bleiben3. Der mittlere Titel soll nur dahin geändert werden, dass im Kontexte anstatt „König von Ungarn“ gesagt wird „Apostolischer König von Ungarn“, wogegen kein Bedenken obwaltet. Der kleine Titel dermal lautend: „Franz Joseph der Erste von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, König von Galizien, Lodomerien und Illyrien; Erzherzog von Österreich etc. etc.“, soll nach ungarischem Wunsche in Hinkunft lauten:„Franz Joseph der Erste von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich und Apostolischer König von Ungarn“. Hier erscheine nicht nur das Bindewort „und“ bedenklich, sondern es verderbe auch die Eliminierung von Böhmen sehr viel.

Der Finanzminister hielt für Staatsverträge die ungarischerseits proponierte Fassung den staatsrechtlichen Verhältnissen, wie sie tatsächlich geworden sind, für entsprechend, indem bei der dermaligen dualistischen Regierungsform Se. Majestät in Ah. Ihrer Person nur die zwei Kontrahenten in Sich begreifen.

Der Minister des Innern meinte, dass zu sagen wäre „Kaiser von Österreich, Apostolischer König von Ungarn, König von Böhmen und Galizien etc. etc.“, wodurch den Wünschen der Ungarn entsprochen und der Titel noch mehr gekürzt wäre, weil dann Lodomerien und Illyrien nicht mehr dabei ist.

Der Minister für Kultus und Unterricht meinte, es könne kein Land verletzen und auch kein staatsrechtliches Präjudiz schaffen, wenn bei Staatsverträgen im Préambule der kleine Titel Sr. Majestät „Kaiser von Österreich, Apostolischer König von Ungarn, König von Böhmen usw.“ und im Kontexte des Vertrages der Ausdruck „Se. k. k. Apostolische Majestät“ gebraucht wird.

Der Finanzminister hielt es für genügend, wenn im Préambule des Vertrages gesagt wird „Kaiser von Österreich und Apostolischer König von Ungarn“, weil hiebei der Titel auch die Territorien bezeichnet. Die Eliminierung von Böhmen und Galizien werde nicht auffallen und könne auch nicht verletzen, in politischer Beziehung aber wäre sie gleichgültig. Der Titel sei nur eine Konsequenz des gewordenen Zustandes und insoweit es sich um Zoll- und Handelsverträge handelt, könne man nur die Kontrahenten, die eben dieser Titel bezeichnet, nennen.

Der Ministerpräsidentstellvertreter meinte, dass die Ansicht des Finanzministers richtig wäre, wenn früher Böhmen im kleinen Titel nicht genannt gewesen wäre, so aber würde dessen Eliminierung einen großen Sturm im Lande hervorrufen.

Der Ministerpräsident glaubte, dass dabei zu berücksichtigen sei, dass in der Regierungsform der Dualismus wohl politisch eingeführt, diplomatisch aber noch nicht vollzogen ist. Ungarn wolle dies nun in klarster Weise dargestellt wissen. Wenn nun auch das Ministerium die dualistische Regierungsform nicht ignorieren könne, so frage es sich doch, ob dasselbe dies diplomatisch vor dem Auslande dokumentieren wolle, und da müsse man die möglichen Konsequenzen näher ins Auge fassen.

Graf Taaffe erwähnte, dass, wenn es sich um einen Friedensvertrag handeln sollte, diesen Se. Majestät doch nur als Kaiser von Österreich abschließen würden.

Die Konferenz einigte sich sohin in dem Einraten, dass bei Zoll- und Handelsverträgen im Préambule der Titel „Kaiser von Österreich und Apostolischer König von Ungarn“ und im Kontexte der Ausdruck „Se. k. k. Apostolische Majestät“, bei allen anderen Staatsverträgen aber der kleine Titel „Kaiser von Österreich, Apostolischer König von Ungarn, König von Böhmen und Galizien usw.“ und im Kontexte der Ausdruck „Se. k. k. Apostolische Majestät“ in Anwendung zu kommen habe.

Der Reichskanzler setzte die Konferenz weiters in Kenntnis, dass ungarischerseits für die Kollektivbezeichnung von Österreich, die bisher durch „Kaisertum Österreich“ oder „Österreichischer Kaiserstaat“ ausgedrückt wurde, alternativ der Ausdruck „Österreichisch-Ungarische Monarchie“ oder „Österreichisch-Ungarisches Reich“ vorgeschlagen worden sei. Letztere Bezeichnung akzentuiere ganz besonders den Begriff der Zusammengehörigkeit und dürfte sich aus diesem Grunde zur Annahme umso mehr empfehlen, als nach der allgemeinen Auffassung des Dualismus im Auslande die proponierte Bezeichnung als ein Ausdruck des Zusammenhanges erscheinen wird.

Der Finanzminister glaubte, dass der Ausdruck „Österreichische Monarchie“ auch vom ungarischen Gesichtspunkte genügend wäre, weil er den einheitlichen Standpunkt bezeichnet. Indessen sei es nicht zu leugnen, dass zwei verschiedene Dinge auch zwei verschieden Namen brauchen, es könne sich dem wohl niemand widersetzen. Wir haben sogar drei verschiedene Körper, für welche die Namen erst gefunden werden müssen, und es bedarf in dieser Beziehung auch einer Norm für die diesseitigen Länder.

Der Ministerialrat Freiherr v. Gagern klärte auf, dass Graf Andrássy in seiner diesfälligen Denkschrift nicht vorgeschlagen habe, dass die Länder der Westhälfte „Österreich“ genannt werden, dass er vielmehr geglaubt habe, dass dieselben „die deutsch-slawischen Länder“ zu nennen seien4.

Der Finanzminister meinte, dass, wenn nach dem Antrage die Gesamtheit der Monarchie mit „Österreichisch−Ungarisches Reich“ bezeichnet wird, es sich wohl von selbst so machen werde, dass der Ausdruck „Kaisertum Österreich“ nur auf die diesseitigen Länder bezogen wird.

Der Minister für Kultus und Unterricht widersprach dieser Behauptung, indem er der Ansicht war, dass unter der Kollektivbezeichnung „Kaisertum Österreich“ kein Mensch sich nur die diesseitigen Länder denken werde. Staatsrechtlich gebe es eine Einheit für sämtliche Länder der Monarchie, und so locker dieselben nun auch sein mögen, könne man, ohne nach außen das Selbstgefühl auf das Empfindlichste zu verletzen, diese Einheit, solange sie besteht, nach außen nicht aufgeben, daher auch nicht zugeben, dass der den Inbegriff aller Länder Sr. Majestät bezeichnende Name „Österreich“ aus der Geschichte gestrichen werde.

Der Ministerpräsident bemerkt, dass niemand beim Ausgleich mit Ungarn glauben konnte, dass Ungarn, welches keine diplomatische Vertretung hat, nach außen als ein eigener Staat erscheinen soll, was es durch die Anforderung der proponierten Titulatur zu erreichen bestrebt ist.

Der Minister des Innern und der Handelsminister schlossen sich der Ansicht des Finanzministers, dass für die Gesamtheit die Kollektivbezeichnung „Österreichisch-Ungarisches Reich“ zugestanden werden könnte, der Handelsminister jedoch nur in der Voraussetzung an, dass von dieser Bezeichnung vorkommenden Falls wohl in Staatsverträgen Gebrauch gemacht, dass aber nicht ein eigenes Publikandum hierüber erlassen werde, was sehr bedenklich wäre.

Der Ministerialrat Freiherr v. Gagern gab hierüber die Auskunft, dass nach dem Antrage des ungarischen Ministerpräsidenten hierüber den Kabinetten im diplomatischen Wege eine Notifikation gemacht werden soll.

Der Minister des Innern besorgte, dass eine solche Maßregel, da die Vertretung nach außen doch dieselbe bleiben muss, im Reichsrate große Unannehmlichkeiten bereiten würde.

Der Ministerpräsidentstellvertreter erkannte in der ungarischerseits beabsichtigten Titeländerung einen sehr weit gehenden Schritt, welche Konzession auf das österreichische Bewusstsein einschneidend zu wirken geeignet ist und welche sich Ungarn erst durch eine angemessene Erledigung des Wehrgesetzes verdienen sollte. Er behaupte überhaupt, dass die Ungarn auf die Lösung der Titelfrage nur deshalb so sehr drängen, weil sie von derselben beim Wehrgesetze eine ihren Absichten entsprechende Anwendung machen und dieselbe zur Schaffung einer ungarischen Armee ausnützen wollen5. Es sei daher doppelt geraten, seitens dieses Ministeriums umgekehrt auf den Standpunkt sich zu stellen, mit der Lösung der Titelfrage zu warten, bis das Wehrgesetz in Ungarn erledigt sein wird.

Der Ministerpräsident meinte, dass es heute zu einem Beschlusse im Ministerrate über die angeregte Frage nicht zu kommen brauche, welcher Beschluss schon dadurch sehr erschwert wäre, weil drei Minister abwesend sind und wegen Vertagung des Reichsrates sich nicht mit den Fraktionen der Häuser diesfalls vertraulich in Kontakt gesetzt werden könne. Dass aber das Verschwindenmachen des bisherigen Gesamtbegriffes für Österreich dem Reichsrate sehr schmerzlich fallen und das Ministerium dem gegenüber im Reichsrate einen sehr schweren Stand haben würde, sei augenscheinlich. Die Fühlung, die der Reichskanzler in dieser Frage mit diesem Ministerium pflegen wollte, habe stattgefunden, in der Diskussion im Ministerrate haben sich drei Stimmen für und drei Stimmen gegen den Antrag ausgesprochen, es werde nun Sache des Reichskanzlers sein, von den ausgesprochenen Ansichten bei der Verhandlung mit dem Grafen Andrássy den ihm zweckdienlich erscheinenden Gebrauch zu machen, ohne sich, was gefährlich wäre, darauf berufen zu können, dass der Ministerrat hierüber bereits einen Beschluss gefasst habe.

Der Minister des Innern trat sohin zu der Ansicht des Grafen Taaffe über, dass mit der Lösung der Titelfrage bis zur Erledigung des Wehrgesetzes im ungarischen Reichstage zuzuwarten sei.

Der Handelsminister machte auf die Bedenken in staatsrechtlicher Beziehung aufmerksam, die bei einer im absoluten Wege erfolgenden Änderung der bisherigen Bezeichnungen, die für diese Länder doch auch ein historisches Recht bilden, sich ergeben würden. Zugleich gab er sein Vorhaben kund, mit Rücksicht auf die bei der heutigen Diskussion zur Sprache gebrachten Verhältnisse mit der Wiederaufnahme der Verhandlungen mit dem ungarischen Ministerium in Bezug auf die Vereinbarung einer gemeinsamen Flagge noch etwas zuwarten zu wollen6.

Der Reichskanzler erachtete in dem Worte „Reich“ einen Fortschritt und eine Verbesserung des einheitlichen Begriffes erkennen und es nur bedauern zu können, wenn es in vorliegender Frage nicht zu einem Abschlusse käme, da eine bestimmte Feststellung vielleicht gerade angesichts der Verhandlung über die Wehrfrage erwünscht wäre und dadurch auch Unannehmlichkeiten bei neuen Staatsverträgen von vornherein beseitigt wären. Im Reichsrate scheine ihm übrigens in der fraglichen Beziehung eher die Ansicht des Finanzministers vorzuwalten, und man könne überhaupt nicht übersehen, dass durch den Dualismus Verhältnisse gegeben sind, die sich nicht mehr wegleugnen lassen. Schließlich erbat sich der Reichskanzler eine Abschrift des Konferenzprotokolls über diese Beratung7.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 28. Juni 1868. [Franz Joseph].