Gemeinsamer Ministerrat, 3. 11. 1917
I. Vorlagen für die nächsten Delegationen
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z32.pdf.
8000 Tonnen Kohle nach Ungarn nicht mehr abzugeben, nicht weil man dies nicht tun wolle, sondern weil man es nicht mehr leisten könne. Die Menschenkraft werde nicht geschaffen werden können, wenn man nicht über die nötige Menge von Lebensmitteln verfüge. Über Ersuchen der Vorsitzenden wird hierauf das ungarische Futter¬ mittel-Präliminare in den Einzelheiten besprochen. Der kgl. ung. Minister für Volksernährung erklärt sich jedoch mit Rücksicht auf den katastrophalen Mangel an Rauhfutter und angesichts der sonst auf Brotgetreide allein beschränkten Ernährung der Bevölkerung ausser Stande, ohne genaueste Überprüfung der eingestellten Daten und vor Abschluss der Tätigkeit der Übernahms-Kommissionen die Verantwortung für irgendwelche Kürzung an dem Wirtschaftsplane, sei es bei der Viehfütterung, sei es bei der Schweinemästung, zu übernehmen. Er verweist auf die Gefahren, welche eine derartige Massregel durch Beunruhigung der Bevölkerung gerade im gegenwärti¬ gen Augenblicke, wo der Herbstanbau im vollen Gange sei, hervorrufen könnte und wiederholt seinen bereits früher gestellten Antrag. Da der Leiter des k. k. Amtes für Volksernährung er¬ klärt, diesem Anträge nicht zustimmen zu können, weil er rechtzeitig wissen müsse, wie man stehe, und nicht ins Ungewisse von einem Monat auf den anderen wirt¬ schaften könne, ergab sich nicht die Möglichkeit eines endgiltigen Beschlusses. Die beiderseitigen Minister für Ackerbau und Volksernährung, der Vorsitzende des gemeinsamen Ernährungsausschusses und der Referent für die Heeresverpflegung wurden ersucht, im Wege neuerlicher Besprechung der Materie in einer für den nächsten Tag anberaumten Comiteberatung eine Verständigung vorzubereiten, de¬ ren endgiltige Genehmigung den beiden Ministerpräsidenten vorzubehalten wäre. Der Vorsitzende schliesst somit die Sitzung um 9 Uhr abends. Die Original-Reinschrift ist nicht vorhanden. Die Veröffentlichung erfolgte auf Grund des teils handschriftlich, teils mit Maschine geschriebenen Konzepts. Das Konzept wurde vom ungarischen Ministerpräsidenten Wekerle, dem Vorsitzenden des Ministerrates, unmittelbar unter dem Titel, vor der Liste der Anwesenden unterfertigt. Im Text einige, vom Protokollführer stammende Korrekturen und Einschübe. Am Ende des Konzepts die Unterschrift von Joannovics mit Datum (1. XL). Vor dem Mantelbogen auf einem Blatt unter anderem folgende Bemerkung: »Von derselben wurde die Reinschrift hergestellt, und diese am 21. 9. 18. an Dr. Wekerle gesendet; ist seither nicht zurückgelegt. 26. 11. 18. Item 9. 3. 1920.« 32. Wien, 3. November 1917 Debatte über das gemeinsame Budget der Monarchie. Der gemeinsame Ministerrat nimmt für die Verlängerung des seit 1914 bestehenden Provisoriums bis\ Ende Juni 1918 Stellung, und zwar in der Weise, daß dadurch die Budgetrechte der Delegationen nicht geschmälert werden. <pb/> Das österreichische Parlement war noch vor Kriegsausbruch, im März 1914 vertagt worden. Da das Parlament nicht zusammentrat, ergab sich für die Regierung die Notwendigkeit, die durch die außerordentlichen Verhältnisse erforderlichen Verordnun¬ gen auf Grund des § 14 der Verfassung zu erlassen. (Über die Einschränkungen im Parlamentarismus hinaus wurden am 25. Juli 1914 die staatsbürgerlichen Rechte weiter beschränkt.) In Ungarn trat in dem auf der Mehrheit der Nationalen Arbeitspartei fußenden verfassungsmäßigen Leben keine Unterbrechung ein. Durch diesen Unter¬ schied in den parlamentarischen Verhältnissen wurde die Führung der gemeinsamen Angelegenheiten des Habsburgerreiches auf parlamentarischer Ebene während des Krieges erschwert, ja fast unmöglich gemacht. Die Kriegskosten bildeten eine gemein¬ same Last, deren Veranschlagung Aufgabe der Delegationen gewesen wäre. Die Delega¬ tionen konnten jedoch nicht einberufen werden, weil das Parlament der einen Partei, das österreichische, nicht tagte. In Österreich verfügte auf Grund des § 14 der Konstitu¬ tion die Regierung in eigenem Wirkungsbereich über die Beschaffung der auf Österreich entfallenden Kriegskosten. In Ungarn, wo die nicht mit der Kriegsführung zusammen¬ hängenden Ausgaben mit dem Budget für das Jahr 1914--15 im Einklang standen, hat die Regierung für die Beschaffung der hierzu nötigen Gelder auf Grund der vom Reichstag von Zeit zu Zeit erbrachten Ermächtigungsgesetze, also auf parlamentari¬ schem Wege gesorgt. Die Deckung der über die üblichen Ausgaben hinausgehenden, in erster Reihe also der Kriegsausgaben erfolgte auf Grund des § 17 des Ges. Art. LXIII vom Jahre 1912. Dieses Gesetz enthielt die Bestimmungen über die im Kriegsfall notwendigen außerordentlichen Verfügungen; es bestimmte unter anderem, daß die zur Deckung der Kosten der Kriegführung notwendigen Summen -- solange das Parlament diesbezüglich noch keine Entscheidung getroffen hat, -- von der Regierung bereitgestellt werden können. Durch den Ausgleich vom Jahre 1867 wurde die Regelung der Handels-, Verkehrs¬ und Zollverbindungen zwischen Österreich und Ungarn an alle zehn Jahre statt¬ findende Verhandlungen bzw. an ein in diesen Verhandlungen zustandekommendes Übereinkommen gebunden. Das letzte derartige Übereinkommen wurde im Jahre 1907 geschlossen, wäre daher Ende 1917 abgelaufen. Die Verlängerung desselben war um so dringlicher, weil Deutschland sein Verhältnis zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie noch vor Kriegsende zu regeln wünschte, und zwar -- worüber bereits in der Einleitung eingehender die Rede war -- derart, daß zwischen den beiden Staaten am 24. Februar 1917 eine weitestgehende wirtschaftliche Annäherung Zustandekom¬ men sollte. Da für den 30. Mai 1917 auch der seit 1914 vertagte Reichsrat einberufen wurde, ergab sich die Möglichkeit zur Wahl und Einberufung der Delegationen. Aufgabe der Delegationen wäre es gewesen, das seit Kriegsausbruch bestehende Finanz- und Wirtschaftsprovisorium zu legalisieren. (Über den Ausgleich siehe; G. Gratz--R. Schüler: Die äußere Wirtschaftspolitik Österreich-Ungarns. Mittel¬ europäische Pläne. Wien. 1925, S. 14 f.) Der gemeinsame Ministerrat vom 3. November behandelte die sich aus der skizzier¬ ten Lage ergebenden Probleme. Protokoll des zu Wien am 3. November 1917 abgehaltenen Ministerratesfür gemein¬ same Angelegenheiten, unter dem Vorsitze Seiner Exzellenz des Herrn k.u.k. Mini¬ sters des k.u.k. Hauses und des Äußern Grafen Czernin. K.Z. 62. - G.M.K.P.Z. 543. Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident Dr. Wekerle, der k.k. Ministerpräsident Dr. Ritter von S e i d 1 e r, der k.u.k. gemeinsame Finanz¬ minister Baron B u r i ä n, der k.u.k. Kriegsminister G.d.I. von Stöger- Steiner, der k.k. Finanzminister Freiherr von Wimmer, Konteradmiral Rodler, in Vertretung des Marinekommandanten. 613 <pb/> Schriftführer: Generalkonsul Ritter von Günther. Gegenstand: Vorlagen für die nächsten Delegationen. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung um 5 Uhr. Er teilt zunächst zur Aufklärung mit, dass durch eine bedauerliche Indiskretion, welche Abgeordne¬ tenkreisen zur Last fällt, das zwischen ihm und dem k.k. Ministerpräsidenten besprochene Datum der Einberufung der Delegationen, noch bevor hierüber ein Konferenzbeschluss gefasst wurde, in den Zeitungen veröffentlicht werden konnte. Für die Tagung der Delegationen sei die Zeit vom 3. Dezember bis Weihnachten in Aussicht genommen in der Erwartung, dass die dieser Körperschaft obliegenden Aufgaben während dieser Periode erfüllt werden können. Es handle sich nun zunächst darum festzustellen, welche Vorlagen den Delegationen ausser den Schlussrechnungen für das Jahr 1913 und das erste Halbjahr 1914 zu unterbreiten sein werden. In der nun folgenden Beratung, zu welcher auch der Sektionschef im Ministe¬ rium des Äussern, Dr. Gratz und mehrere Fachreferenten zugezogen wurden, betont der kgl. ung. Ministerpräsident, dass im ungarischen Budget die gemeinsamen Auslagen wie für 1914--15 vorgesehen sind. Bei den gemeinsa¬ men Zivilministerien ergeben sich überhaupt nur kleine Differenzen, während das Kriegsministerium seine Friedensdotation nicht, oder doch nur in geringem Masse in Anspruch nehme. Jedenfalls müsse man den Delegationen Aufklärungen über die Kriegsauslagen erteilen. Graf C z e r n i n entwickelt die Schwierigkeiten, welche der Einbringung eines Budgets entgegenstehen, während Baron B u r i ä n darauf hinweist, dass ein Provisorium bis Ende Juni 1918 ausgedehnt werden müsse. Sektionschef Dr. Gratz glaubt darauf aufmerksam machen zu müssen, dass die Beratung und Beschlussfassung über ein Budget nach den bisherigen Erfahrun¬ gen eine Mindestdauer von 6 Wochen beanspruchen würde. Er habe seinerzeit mit dem Grafen Tisza und dr. Teleszky über die Sache gesprochen, welche beide die Ein¬ bringung eines Provisoriums für das Zweckmässigste hielten und nur hervorhoben, dass in demselben keine Bestimmung enthalten sein dürfe, welche das Recht künfti¬ ger Delegationen tangiere, nach dem Frieden die Finanzgebahrung während des Krieges zu kontrollieren. Dem habe sich auch der damalige ungarische Ministerrat angeschlossen. Graf Apponyi habe sich gleichfalls für eine einschränkende Textie¬ rung ausgesprochen, doch sei die Sache nicht weiter verfolgt worden. Der k.k. Finanzminister sagt, dass man auf Grund des österreichischen Budgets die Kriegskosten berechnen könne. Die österreichische Regierung musste sich diesbezüglich äussern, weil dies für die Kreditermächtigung notwendig war, wogegen die ungarische Regierung zur unbegrenzten Kreditaufnahme ermäch¬ tigt sei. Der kgl. ung. Ministerpräsident erklärt, dass pro praeterito eine Indemnität gesetzlich erteilt worden sei, soweit dies Ungarn anbelangt, in Öster¬ reich sei die Indemnisierung auf Grund des § 14 der Verfassung erfolgt, welche Mitteilung Baron B u r i ä n dahin ergänzt, dass das Kontrollrecht der Delega¬ tionen durch die zu genehmigenden Erfolgrechnungen unverkürzt gewährleistet 614 <pb/>sei. Er verliest nun den von den Referenten ausgearbeiteten Entwurf einer Pro¬ visoriumsvorlage, in welcher die Ermächtigung zur Bestreitung der Kriegsausla¬ gen nach Massgabe des Bedarfes enthalten ist. In den Erläuterungen wird der einschlägige Aufwand mit rund 20 Milliarden bezeichnet. Als Einschränkung gilt, dass -- falls der Krieg vor dem 30. Juni endet -- weitere Auslagen, welche mit demselben nicht unmittelbar Zusammenhängen, wie für Retablierungen, orga¬ nisatorische Massnahmen und Schiffsneubauten, ohne besondere Bewilligung nicht gemacht werden dürfen. Die beiden Ministerpräsidenten nehmen den Entwurf im allgemei¬ nen an und behalten sich ihre definitive Zustimmung, welche sie in den nächsten Tagen zu erteilen beabsichtigen, vor. Über Vorschlag des Grafen C z e r n i n wird in Aussicht genommen, an der bisherigen Gepflogenheit, die drei Ausschüsse für Äusseres, Heer und Bosnien- Herzegowina wählen zu lassen, nichts zu ändern und diesen Ausschüssen Exposes der in Betracht kommenden Ressortchefs zur Beratung zuzuweisen. Ebenso soll eine Beantwortung der in der letzten Delegation gefassten Resolution nicht erfol¬ gen, da sie unter den jetzigen Verhältnissen keine Bedeutung haben und, soweit dies erforderlich ist, in den Exposes berührt werden können. Sohin schliesst der Vorsitzende die Sitzung um 6 Uhr 15 Minuten. Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. In der linken oberen Ecke dieses Blattes mit Bleistift geschrieben: »fertig«. Auf dem letzten Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Laxenburg, am 30. November 1917.« Unter dem Text rechts die Unterschrift Czernins, links unten die Günthers. -- Ebd. das maschinengeschriebene Konzept des Protokolls mit einigen, aus der Feder des Protokollführers stammenden Verbesserungen. Auf dem letzten Blatt das Handzeichen des Protokollführers. 33. Wien, 3. Dezember 1917 Finanzielle Hindernisse für die soziale Versorgung. Verschleierung der Schwierigkeiten durch »moralische« Erwägungen. Angelegenheit eines Grundankaufs für militärische Zwecke. Zu der Debatte über das auf der Tagesordnung des gemeinsamen Ministerrates stehende »Militärversorgungsgesetz« gab vor allem der Umstand Anlaß, daß die abweichende sozial-wirtschaftliche Struktur der beiden Staaten der Monarchie und die unterschiedlichen Auswirkungen des Krieges auf diese Strukturen das wünschens¬ werte einheitliche Verfahren unmöglich machten. Zu Ungarn siehe E. Ivänyi: a.a.O. S. 77--79, 117--118 und 275--276. Im allgemei¬ nen: J. Teleszky: A magyar ällam penzügyei a häborü alatt (Die Finanzen des ungari¬ schen Staates im Kriege). Budapest 1927, S. 109 ff. 615 <pb/>