Gemeinsamer Ministerrat, 22. 3. 1917
I. Zur Friedensfrage
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z24.pdf.
Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde nicht auf dem Mantelbogen, sondern auf der Präsenzliste bestätigt. Das Protokoll wurde von sämtlichen Teilneh¬ mern des Ministerrates unterzeichnet. Auf dem unterschriebenen Präsenzbogen oben mit Bleistift geschrieben: »Gesehen K(arl)«. (Handschrift des Herrschers.) Darunter Anmerkung eines Kanzleibeamten mit Bleistift: »Laxenburg, 25. April 1917.« In der rechten oberen Ecke mit Bleistift geschrieben: »f(ertig)«. Darunter ebenfalls mit Bleistift geschrieben die Nummer des Protokolls: »Nr. 534«. -- Auf dem letzten Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Laxenburg, am 25. April 1917.« Unter dem Text rechts die Unterschrift von Czernin, links die von Joannovics. -- Ebd. das maschinengeschriebene Konzept des Protokolls. Am Rubrum die Unterschrift Czernins, am Ende die von Joannovics. 24. Wien, 22. März 1917 Die Friedensziele der Monarchie. Was betrachtet Tisza als siegreichen Frieden? Deutschland muß die territoriale Integrität der Monarchie garantieren. Wie sollen die österreichischen und die ungarischen Annexionsbestrebungen in Einklang gebracht werden ? Bereits im gemeinsamen Ministerrat vom 12. Januar hatten sich die Konturen jener Politik abgezeichnet, welche es der Monarchie ermöglichen sollte, ihre Friedens¬ ziele gegenüber den Expansionsansprüchen Deutschlands, das die Hoffnung auf jeglichen Gebietszuwachs im Westen aufgeben mußte und sich nun im Osten entschädi¬ gen wollte, zu sichern, oder wie sie sich -- die nackte Wirklichkeit umgehend -- aus¬ drückten, mit den Ansprüchen Deutschlands in ein rechtes und billiges Verhältnis zu bringen. Gerade in den Tagen vor dem Kronrat hatte die deutsche Heeresleitung ihre Truppen in die vorbereitete Hindenburg-Linie zurückgenommen (in die sog. »Siegfried¬ stellung«). Diese Konferenz, die in einem der kritischsten Augenblicke des seinem Ende zusteuernden Habsburger-Reiches zusammengetreten war (fast zu derselben Stunde verhandelte Karls Schwager, Prinz Sixtus, über die Möglichkeiten eines Separatfriedens der Monarchie!) kam daher notgedrungen zu der Schlußfolgerung, die Monarchie müsse dem sich nach Polen ausbreitenden Deutschland ausweichen und sein Gebiet auf Kosten Serbiens, Montenegros und Rumäniens vergrößern. In ihren Darlegungen war diese Konferenz schärfer, entschiedener als der gemeinsame Ministerrat vom 7. Januar 1916, der zum erstenmal versucht hatte, die Kriegsziele Österreich-Ungarns zu definieren. Aus dem Vergleich des zur Debatte stehenden Materials, besonders aber der Reden Tiszas, der seine Ansichten am detailliertesten zum Ausdruck brachte, geht klar hervor, daß man den Verlust der Großmachtstellüng der Monarchie sehr wohl erkannt hatte, aber bestrebt war, diese Erkenntnis zu verschleiern. Protokoll des zu Wien am 22. März 1917 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten, unter dem Allerhöchsten Vorsitze Seiner Majestät des Kaisers und Königs. K.Z. 23. - G.M.K.P.Z. 535. Gegenwärtige: der k.u.k. Minister des kaiserl. und königl. Hauses und des Äussern Graf Czernin, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza, 482 <pb/>der k.k. Ministerpräsident Graf Clam-Martinic, der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Baron B u r i ä n, der k.u.k. Kriegsminister GO. Freiherr von K r o b a t i n, der k.u.k. Chef des Generalstabes G.d.I. von A r z, der General¬ adjutant und Vorstand der Militärkanzlei Seiner Majestät des Kaisers und Königs FML. Ritter von Marterer. Protokollführer: Legationsrat Graf Colloredo-Mannsfeld. Gegenstand: Zur Friedensfrage. Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen den gemeinsamen Ministerrat mit den Worten zu eröffnen, dass eine äusserst wichtige Frage zur Diskussion gebracht werden solle. Es handelt sich um eventuelle Gebietserwerbungen durch die Monarchie in Rumänien sowie am Balkan und dies im Zusammenhänge mit der deutscherseits zu Tage getretenen Geneigtheit, Frankreich gegenüber auf jeden Landerwerb zu verzichten, hiefür aber im Osten territorialen Regress zu suchen. Zur näheren Erörterung dieses Fragenkomplexes geruhen Seine k.u.k. Aposto¬ lische Majestät dem k.u.k. Minister des Äusseren das Wort zu erteilen. Graf C z e r n i n führt aus, dass die Ereignisse in Russland sowie die Anzei¬ chen einer wachsenden Kriegsmüdigkeit in anderen Feindesländern, namentlich Frankreich und Italien, die Möglichkeit eines baldigen Friedensschlusses nicht ausgeschlossen erscheinen lassen. Es handle sich demnach unter den Verbündeten darum, über die Bedingungen dieses Friedensschlusses vollste Klarheit zu schaffen. Die jüngste Anwesenheit des deutschen Reichskanzlers hätte hiezu einen will¬ kommenen Anlass gegeben und hätten die bei dieser Gelegenheit stattgehabten Besprechungen" auch teilweise zu greifbaren, befriedigenden Resultaten geführt. Graf Czernin habe den deutschen Staatsmännern gegenüber folgendes Aktions¬ programm in Vorschlag gebracht und vertreten: 1. Vorerst müssten zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland die Friedens¬ bedingungen in grossen Zügen, sozusagen ein Rahmenprogramm festgelegt werden. Sind die beiden Zentralmächte einmal unter einander einig, dann müsste an Bulgarien und die Türkei herangetreten und deren Forderungen mit den unsri- gen in Einklang gebracht werden. 2. Die von den österreichisch-ungarischen und deutschen Truppen besetzt gehaltenen Gebiete sollen nicht geräumt werden, bevor die territoriale Integrität der Monarchie nicht festgelegt ist und 3. die aus dem Kriege resultierenden territorialen und wirtschaftlichen Vorteile sollen zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn in eine gewisse billige Rela¬ tion gebracht und jede weitgehende diesbezügliche Diskrepanz vermieden werden. Was nun die Richtung anbelange, nach welcher ein territorialer Neuerwerb realisierbar wäre, so habe sich Herr von Bethmann Hollweg auf seine (des Grafen Czernin) Instigation bereit erklärt, einen Ausgleich mit Frankreich unter Verzicht auf einseitigen Landerwerb auf der Basis eines Austausches anzustreben, wohin¬ gegen der Osten für Deutschland als Regressobjekt reserviert bliebe. Dies müsste a) Den Text der Besprechung s. im Anschluß an das Protokoll. 3t* 483 <pb/>seitens der Monarchie folgerichtig zu einem Verzicht auf polnische Aspirationen führen, wofür sie in Rumänien und am Balkan kompensiert werden müsste. Diese letzte Forderung habe der k.u.k. Minister des Äusseren aus dem Grunde aufstellen zu müssen geglaubt, weil er eine Politik nicht verantworten könnte, welche zu einer namhaften Vergrösserung der Bundesgenossen Deutschland und Bulgarien führen würde, die Österreichisch-Ungarische Monarchie jedoch leer ausgehen Hesse. Weiters habe er die Abtretung des östlich des Sereth liegenden Teiles der Moldau an Russland in Anregung gebracht von dem Gedanken aus¬ gehend, dass ein derartiges Arrangement die Friedensgeneigtheit dieses Landes stärken könnte. Der Reichskanzler habe diesem Programme unter dem Vor¬ behalte zugestimmt, seinem kaiserUchen Herrn hierüber referieren und dessen Willensmeinung vor einer definitiven Festlegung einholen zu müssen. Nur bezüg- Hch des schwächsten Punktes unserer Position, nämlich unseres Verhältnisses gegenüber Italien, habe sich Herr von Bethmann Hollweg entschieden geweigert, auf irgendeine Garantie oder ein Engagement einzugehen, nachdem es in Anbe¬ tracht der momentanen miütärischen Lage derzeit ausgeschlossen erscheine, die Italiener zur Herausgabe der von denselben besetzten Landesteile Österreichs oder Albaniens zu zwingen. Es ergibt sich sohin folgendes Bild: Österreich-Ungarn ist bereit, dem Deutschen Reiche in Kongress-Polen und den übrigen gemeinsamen besetzten Teilen Russlands unter der Bedingung freie Hand zu lassen, dass es seinerseits am Balkan und in Rumänien das freie Ver¬ fügungsrecht erlangt und zwar schweben dem k.u.k. Minister des Äusseren hin- sichtHch Österreich-Ungarns folgende territoriale und wirtschaftspoHtische Neu¬ gestaltungen vor: »1. AngHederung des Lovcen. 2. Einbeziehung des durch die bulgarischen Annexionen verkleinerten Serbien in das Zollgebiet der Monarchie. 3. Annexion der Walachei sowie der westHchen Moldau. Graf Czemin verHest sodann folgenden Beschlussantrag, welchen er der Annahme des gemeinsamen Ministerrates empfiehlt: Der unter Vorsitz Seiner Majestät des Kaisers und Königs tagende gemeinsame Ministerrat beschHesst: 1. Die äussere PoHtik ist so zu leiten, dass soweit als mögHch Deutschland eine gewisse Haftung für die Integrität der Monarchie übernehme, 2. dass eine territoriale Vergrösserung Deutschlands in ein bilHges Verhältnis zu einen österreichich-ungarischen Landerwerb gebracht werde. Bei letzterem käme vor allem eine territoriale Erwerbung am Balkan (Rumänien, Montenegro und Serbien) in Betracht.« Hiezu bemerkt der Herr Minister des Äusseren, dass er Montenegro und Ser¬ bien in obigem Antrag aus dem Grunde aufgenommen habe, weil er es für rich¬ tiger hielte, die PoHtik der Monarchie nicht auf die eine Karte: Rumänien fest¬ zulegen. Es könnte nämHch der Fall eintreten, dass die besetzten rumänischen Gebiete vorzeitig geräumt werden müssten, wodurch wir den Deutschen gegen¬ über unseres Kompensationsobjektes verlustig gehen könnten. 484 <pb/> Hierauf ergreift mit Allerhöchster Genehmigung der kgl. ung. Minister¬ präsident das Wort, um in längerer Rede zu dem vom Minister des Äusseren entwickelten Aktionsprogramme Stellung zu nehmen. Bevor er auf das Meritum der Sache eingehe, wolle Graf Tisza vorerst zwei Punkte berühren, deren Erörterung ihm unerlässlich erscheine. Der erste Punkt betreffe die derzeitige Situation und diesbezüglich möchte Graf Tisza trotz der zweifellos grossen Schwierigkeiten auf wirtschaftlichem, militärischem und finanziellem Gebiete vor einer allzu pessimistischen Auffassung warnen. Er sei überzeugt, dass die Monarchie auch die letzten grossen Schwierig¬ keiten zu überwinden im Stande sein werde und wäre es daher verfehlt, heute, wo die Sicherungen der Monarchie noch nicht erreicht seien, einen Frieden um jeden Preis anzustreben und einer Desperado-Politik das Wort zu reden. Wir hätten keine Ursache kleinmütig zu sein. Der zweite Punkt betreffe das vom Grafen Czernin den Teilnehmern des heuti¬ gen Ministerrates vorgelegte Memorandum. Wenn Italien derzeit zur Herausgabe der besetzten Gebiete nicht veranlasst werden kann, so müsse man, so hart dies auch sei, sich mit dem Gedanken von der Notwendigkeit von Gebietsabtretungen in dieser Richtung vertraut machen. Auf keinen Fall dürfe aus pohtischen Motiven eine Offensive gegen Itahen unternommen werden; die Möglichkeit und Zweck¬ dienlichkeit einer solchen dürfe ausschhesslich nur von mihtär-strategischen Gesichtspunkten aus beurteilt werden. Im übrigen wolle er hoffen, dass unsere Lage gegenüber Italien sich zu unseren Gunsten ändere, wozu ja zweifelsohne gewisse Symptome und Ansätze vorhanden seien. Auf das Meritum des Programmes des Grafen Czernin übergehend, zollt Graf Tisza der Vorgangsweise des Ministers des Äusseren, welcher es verstanden habe, den deutschen Aspirationen den Weg nach Osten zu weisen, vollste Anerkennung und gibt dem Wunsche Ausdruck, dass diesbezüglich eine schriftliche Festlegung zustande gebracht werden möge. Eine Entspannung zwischen Deutschland und Frankreich, welche durch den Verzicht Deutschlands auf Gebietserwerb im Westen in den Bereich der Möglichkeit gerückt sei, liege im Interesse der ganzen Welt und sei ein höchst erstrebenswertes Ziel. Aus dem Verzichte Deutschlands auf westlichen Territorialerwerb ergeben sich naturgemäss Regressansprüche in öst¬ licher Richtung und dies müsse auch unsererseits zu einer Neuorientierung in der polnischen Frage führen, denn ein rein negatives Verhalten gegenüber dem dies¬ bezüglichen deutschen Petit wäre eine falsche Politik. Wenn auch Graf Tisza der austro-polnischen Losung vor allen anderen den Vorzug gebe, so verschhesse er sich nicht dem Bewusstsein, dass dieses Ziel rebus sic stantibus nicht erreicht werden kann. Man müsse sich daher mit den gegebenen Verhältnissen abfinden und würde er jene Taktik für die beste halten, welche sich in das triviale Wort »Abkaufen unserer polnischen Position« zusammenfassen lässt. Was die Rück¬ wirkung einer derartigen Vorgangsweise auf Galizien anbelange, so könne Graf Tisza in dieser Hinsicht die vielfach geäusserten pessimistischen Prognosen nicht teilen. Deutschland sei in Polen sehr unpopulär und es stehe zu erwarten, dass es auch in der Zukunft nicht verstehen werde, sich dort Sympathien zu schaffen. Nur soll bei den Polen nicht die Überzeugung geweckt werden, dass wir sie leichten 485 <pb/>Herzens den Deutschen ausgeliefert haben. Unsere Taktik muss ihnen den Beweis führen, dass wir unter dem Gebote der Notwendigkeit gehandelt haben. Selbst unter diesen Umständen verhehle er sich keinesfalls, dass wir eine recht unangenehme Übergangsperiode zu durchschreiten haben werden, glaube jedoch die Ansicht vertreten zu können, dass mit der Zeit" die Galizianer die Vorzüge des österreichischen Regimes richtig einschätzen und ein Verbleiben im Rahmen der Monarchie der Vereinigung mit Kongresspolen unter deutscher Herrschaft vorziehen werden. Graf Tisza halte also ein langsames schrittweises Aufgeben unserer polnischen Position für die richtigste Politik. Nun stelle sich aber für die Monarchie die Frage, ob anderwärts Kompensationen für dieses Aufgeben gesucht oder aber die Monarchie sich mit dem Status quo ante bellum zu begnügen hätte. Ein Friede auf dieser letzteren Basis könnte, so meinte der kgl. ung. Ministerpräsident, nicht als ein unvorteilhafter Friede gebrandmarkt werden. Die Monarchie sei zweifels¬ ohne der angegriffene Teil. Die Zerschlagung Österreich-Ungarns sei ein Haupt¬ programmpunkt unserer Gegner gewesen. Wenn nun einmal diese Angriffe abgeschlagen und die feindlichen Aufteilungspläne vereitelt sind, wenn wir in die Lage kommen, die Gestaltung der Dinge am Balkan nach unseren Wünschen zu regeln, wenn wir ferner circa 15 Millionen Polen zu unserem Konzern herüber¬ gezogen haben werden, was eo ipso eine Schwächung Russlands bedeuten würde, dann können wir erhobenen Hauptes sagen: Wir haben gesiegt und können getrost auf territoriale Neuerwerbungen verzichten. Zu seinem lebhaften Bedauern sehe er aber, dass diese seine Ansicht sich nicht mit den Anschauungen der anderen massgebenden Faktoren decke, es müssen also Mittel und Wege gefunden werden, um zu einem billigen Ausgleich zu gelangen. Rumänien könne die Grundlage zu einem derartigen Ausgleich bilden, obwohl diese Lösung nicht nur für Ungarn, sondern auch für die ganze Monarchie grosse Gefahren und Schwierigkeiten im Gefolge haben kann. Graf Tisza habe stets auf die innere Konsolidierung der Monarchie das grösste Gewicht gelegt, auf eine innere Kräftigung im Hinblicke auf die zentrifugalen Tendenzen, die an dem Marke der Monarchie nagten. Im Hinblicke hierauf sei die Eingliederung von 3 -- 4 Millionen Rumänen, deren denkende Elemente uns spinnefeind gesinnt seien, eine sehr schwere Belastungs¬ probe. Gegenüber diesen Schattenseiten gebe es allerdings auch manche Licht¬ blicke. In Erwägung aller pro und contra und in Berücksichtigung der vielseits geäusserten Ansicht, dass die Monarchie nicht mit leeren Händen aus diesem Titanenkampf herauskommen könne, sei Graf Tisza daher geneigt, obwohl er von sich aus die Frage nicht in Anregung gebracht hätte, dem Problem näher¬ zutreten und dasselbe einer gründlichen Erörterung zu unterziehen. Die Abtre¬ tung der östlichen Moldau an Russland halte auch der ungarische Ministerpräsi¬ dent für eine fruchtbare politische Idee. Gegen die Aufrichtung eines neutrali¬ sierten Staates an der Unteren Donau, gleichsam als Wächter der Mündungen a) Der mit »Nur soll« beginnende und mit »mit der Zeit« endende Teil nachträglich mit Maschinenschrift in den Abzug eingefügt, um den ursprünglichen Text »Unter diesen Umstän¬ den verstehe er die Ansicht, dass« zu ersetzen. (Wie in einigen anderen Fällen, wurde auch dieses Protokoll vervielfältigt.) 486 <pb/>dieses Flusses, hätte er gleichfalls keine Bedenken, doch müsste dieser Staat ein hinreichendes Ausmass erhalten, um lebensfähig zu sein und seinen Aufgaben gerecht werden zu können; anderenfalls würde er bei nächster Gelegenheit seinem beutegierigen und aufstrebenden Nachbarn, Bulgarien, zum Opfer fallen. Vom Standpunkte der Monarchie aus betrachtet, würde die Vorschiebung unserer Grenze zu weit nach Osten ebenfalls Gefahren, vornehmlich militärischer Natur in sich bergen, denn die keilförmige Konfiguration unserer Grenze zwischen Russland und Bulgarien wäre nicht zu verteidigen. Er schlage daher vor, dass die neue Grenze von der Ostecke Siebenbürgens in südlicher Richtung zur Donau gezogen werde und zwar kämen hiebei zwei Varianten in Betracht. Die erste würde die Donau bei Giurgevo erreichen, Bukarest ausserhalb der Monarchie belassen und circa 3 Millionen Einwohner inkorporieren, während die zweite Bukarest mit einbeziehen würde. Bei dieser zweiten Variante kämen circa 3 V2 Millionen Einwohner zur Inkorporierung. Der übrig bleibende Teil könnte dem neu zu schaffenden neutralen Pufferstaat zugesprochen werden, welcher auf diese Weise eine Einwohnerzahl von 2-21/2 Millionen Seelen bekommen würde. Wie immer aber die Grenzen gezogen werden mögen, conditio sine qua non einer jeden Annektierung rumänischen Bodens durch die Monarchie -- und dies könne er nicht nachdrücklich genug betonen -- sei jedoch, dass das zu inkorporierende Gebiet und zwar sofort dem Königreich Ungarn überwiesen werde, welches diese Länder vorerst autokratisch regieren und nach und nach zum Konstitutionalismus hinüberleiten würde. Jede andere Angliederungsmodalität müsse als ausgeschlossen schon jetzt von der Hand gewiesen werden. Eine Annektierung durch Österreich könne nicht in -Betracht kommen und was die Schaffung eines »Reichslandes« anbelangt, so widerspreche dies erstens im Grunde der staatsrechtlichen Struktur der Monarchie und zweitens sei das Beispiel des Bosnischen Kondominiums keines¬ wegs ermutigend. Die Geschichte Bosniens und der Herzegowina seit der Okku¬ pation sei eine Kette von Friktionen und sterilen Streitigkeiten zwischen beiden Staaten der Monarchie, sodass eine Neuauflage dieses unerquickhchen Kapitels unserer Geschichte entschieden zu vermeiden wäre. Endlich wäre es für die richtige Behandlung der ungarländischen Rumänen und die Sicherheit des unga¬ rischen Staates gerade so eine Lebensfrage, dass die neuerworbenen rumänischen Gebiete sofort in die Gravitationssphäre des ungarischen Staates gelangen und die Orientierung der dortigen Regierungstätigkeit der ungarischen Regierung zufalle, als wie die unversehrte Aufrechterhaltung des festen Gefüges des ungari¬ schen Nationalstaates eine Lebensfrage für die Grossmachtstellung der Monar¬ chie ist.6 Es bleibe also nur die ungarische Lösung des Problems übrig. Er wisse wohl, dass ihm der Vorwurf einer einseitigen Vergrösserung Ungarns nicht erspart werden würde, hier müsse er aber sagen, dass er sich nicht schuldig fühle, denn die Vergrösserung der Monarchie werde an einem Punkte vollzogen, an dem nur die ungarische Lösung in Betracht kommen könne. Solange die polnische Frage noch die Möglichkeit eines territorialen Landerwerbes offen liess, sei Graf Tisza b) Der mit »Endlich wäre« beginnende und mit »der Monarchie ist« endende Teil wurde nachträglich in den Abzug eingetragen. 487 <pb/>stets für die Realisierung der austro-polnischen Formel eingetreten, aus welcher Österreich allein Vorteil gezogen hätte, in gleicher Weise müsse er jetzt die Über¬ lassung der Walachei an Ungarn beanspruchen. Im übrigen dürfe man nicht übersehen, dass eine Vergrösserung Ungarns auch Österreich zugute komme, indem die Monarchie als Ganzes einen bedeutenden Machtzuwachs in wirtschaft¬ licher, politischer und mihtärischer Hinsicht einheimst. Hiebei sei es selbstver¬ ständlich, dass dasjenige Land, welches einen Gebietszuwachs erhält -- im vor¬ liegenden Falle also Ungarn -- auch die entsprechenden Lasten auf sich zu nehmen haben werde. In dieser Hinsicht käme nicht nur eine Erhöhung der Quote zu den gemeinsamen Ausgaben, sondern auch eine Steigerung der Beteiligung Ungarns an den"1 Kriegskosten selbst in Betracht. Im Zusammenhänge mit den vorstehenden Fragen wolle der kgl. ung. Minister¬ präsident noch ein anderes Problem zur Sprache bringen, welches dringend einer definitiven Lösung bedürfe. Es handle sich um das bosnische Problem. Sollte das Königreich Ungarn in den uneingeschränkten Besitz der Walachei gelangen, dann würde sich Graf Tisza dafür einsetzen, dass Ungarn auf seine Rechte auf Bosnien und die Herzegowina verzichte, welche Provinzen sodann an Österreich allein angeghedert werden könnten. Auf den vom k.u.k. Minister des Äusseren vorgelegten Beschlussantrag zurück¬ kommend, gibt Graf Tisza zu Punkt 1 desselben seine volle Zustimmung, während ihm die Fassung des Punktes 2 einerseits zu straff, andererseits wieder zu elastisch erscheine; er würde es daher vorziehen, wenn der Kompensationsanspruch gegen¬ über Deutschland nicht so präzise zum Ausdrucke gelange, hingegen dieser Anspruch gegebenenfalls auf Rumänien beschränkt bliebe und sich nicht auf Montenegro und Serbien erstreckte. Zur Begründung dieser Ansicht führt Graf Tisza aus, dass er seit langem in der deutschen Politik die Tendenz beobachten konnte, die Monarchie aus Polen zu verdrängen und dieselbe bezüglich der sich hieraus ergebenden Kompensationsansprüche nach dem Balkan, das ist Serbien und Montenegro, nicht aber auf Rumänien zu verweisen, in welch letzterem Lande Deutschland eine gewisse wirtschaftliche Suprematie anzustreben scheine. Wenn wir also in unseren Gesprächen mit den deutschen Staatsmännern neben Rumänien auch Serbien und Montenegro als Kompensationsobjekt anführen, würde es Deutschland leichter fallen, uns die Walachei abzuhandeln und auf Serbien und Montenegro festzulegen. Dieser Gefahr müsste dadurch ein Riegel vorgeschoben werden, dass in den bezüglichen Verhandlungen Serbien und Montenegro als Kompensationsobjekt nicht erwähnt werde. Mit Rücksicht auf die vorstehenden Erwägungen beantrage Graf Tisza demnach folgende Fassung des Punktes 2 des Beschlussantrages: »Falls sich bei Kriegsende ein bedeutender Gebietszuwachs für Deutschland ergeben sollte, müsste Österreich-Ungarn in der Walachei freie Hand bekom¬ men.« c) Der Teil »Beteiligung Ungarns an den« wurde nachträglich in Maschinenschrift in den Abzug eingefügt. In der Reinschrift wurde »zu« statt der von Tisza richtig gebrauchten Präposition »an« geschrieben. Tisza hat dann das richtige »an« auch in die Reinschrift einge¬ tragen. 488 <pb/> Diese Fassung involviere selbstredend einen Verzicht auf das Militärgeneral¬ gouvernement Lublin. Sollte indessen eine Kompensierung der Monarchie in Rumänien -- aus was immer für Gründen -- nicht realisierbar sein, dann fällt ipso facto auch das Aufgeben des vorerwähnten Militärgeneralgouvernements weg. Zum Schlüsse kam der kgl. ung. Ministerpräsident auf seine zuvor erhobene Forderung zurück, dass die sofortige Überlassung der zu annektierenden Gebiete an Ungarn die conditio sine qua non zu seiner Zustimmung hinsichtlich einer Annexionspolitik in südöstlicher Richtung bilde und dass diese Überlassung mit der Zedierung aller Ansprüche Ungarns auf Bosnien und die Herzegowina an Österreich in ein Junktim gebracht werden könnte. Hierauf erteilt Seine Majestät dem k.k. Ministerpräsidenten das Wort, welcher zunächst zu dem Memorandum des k.u.k. Ministers des Äusseren Stellung nimmt. Graf Clam führt aus, dass er dem vom Grafen Czernin formulier¬ ten Gedankengange im grossen und ganzen zustimme, obwohl er gegen den Verzicht auf die austro-polnische Lösung der polnischen Frage schwere Bedenken hege, vornehmlich wegen der Rückwirkung auf die Stimmung der Galizianer. Auch vermöge er sich der Auffassung des Grafen Czernin hinsichtlich der Zukunft der irredentistischen Bewegung nicht anzubequemen, indem er in dieser Frage schwere Besorgnisse für die Zukunft nicht unterdrücken könne. Der Krieg werde eine Reihe von Problemen ungelöst lassen, von denen das polnische und das südslavische die dornenvollsten seien. Österreich wird seine Stellung in Polen räumen, vielleicht auf Teile seines südwestlichen Besitzes verzichten, Valona in den Händen der Italiener belassen müssen, was eine wesentliche Gefährdung der Stadt Triest, sowie der maritimen Interessen der Monarchie zur Folge haben müsste. Und worin würde die Kompensation bestehen? In einer Angliederung der Walachei an Ungarn, das ohnedies schon territorial intakt aus dem Kriege hervorgehen würde. Die Zedierung der ungarischen Rechte auf Bosnien und die Herzegowina an Österreich könne hiefür kein Äquivalent bilden. Es wäre unmöglich, eine derartige Lösung der öffentlichen Meinung Österreichs mund¬ gerecht zu machen. Graf Clam sehe sich daher ausserstande, den vom kgl. ung. Ministerpräsidenten formulierten Bedingungen seine Zustimmung zu erteilen, obwohl er sich nicht verhehle, dass Rumänien in die Interessensphäre Ungarns gehört. Um diese Übervorteilung Österreichs zu korrigieren, müssten für dieses letztere noch andere Vorteile gesucht werden, welche in einer Zuteilung nord¬ serbischen Gebietes erblickt werden könnten. Eine derartige Abrundung des unter die Herrschaft Österreichs gelangenden bosnisch-herzegowinischen Besitzes würde ausserdem eine gesunde auf sichere Basis gestellte Politik in den südslavischen Landesteilen ermöglichen. Im übrigen gibt Graf Clam seiner Meinung dahin Ausdruck, dass es später nicht allzu schwer fallen werde, mit der ungarischen Regierung handelseinig zu werden, er müsse aber wiederholen, dass es für ihn ausgeschlossen sei, der vom Grafen Tisza aufgestellten Formel schon jetzt seine Zustimmung zu erteilen. In seiner Replik auf die Ausführungen des Grafen Clam gibt der kgl. ung. Ministerpräsident seinem Bedauern darüber Ausdruck, auf seinem Standpunkt unbedingt verharren zu müssen. Der Abschluss eines Arrangements 489 <pb/>zwischen beiden Staaten der Monarchie werde sich in einem späteren Zeitpunkte noch schwieriger gestalten, eine sofortige Bindung sei daher in jeder Hinsicht für alle Beteiligten von Vorteil. Abgesehen hievon würde die Konfiguration des öster¬ reichischen Staates, welcher aus der Angliederung derart exzentrisch liegender Landesteile wie Serbien keinen Nutzen ziehen würde, geradezu ein Ding der Unmöglichkeit. Abgesehen hievon würde die vom Grafen Clam vorgeschlagene Lösungsmodahtät eine Umklammerung des von Serben bewohnten ungarischen Gebietes durch die an Österreich angegliederten südslawischen Territorien bedeu¬ ten und einen Zustand schaffen, auf dessen Gefahren er schon jetzt aufmerksam machen müsste. Das von den Leitern der Geschicke der Monarchie wiederholt gebrauchte Wort, dass dieselbe territorial saturiert sei, sollte nicht als reines Schlagwort angesehen werden. Eine Einghederung zuvieler zentrifugaler Kräfte wäre die waghalsigste Politik, vor der der kgl. ung. Ministerpräsident nicht nach¬ drücklich genug warnen könne. Worin bestehe die Macht und Kraft eines Reiches ? Nicht nur ind der Einwohnerzahl und ine dem Flächenausmass, sondern auch, und zwar in hervorragender Weise^ in der inneren Einigkeit und Geschlossenheit. Graf Tisza bittet,8 von einer Politik abzusehen, die für Ungarn die grössten Gefah- renft involvieren würde. Hierauf ergreift der k.k. Ministerpräsident das Wort und führt aus: Wenn Graf Tisza auf die Schwierigkeiten seiner Lage hingewiesen habe, so dürfe nicht übersehen werden, dass auch seine (des Grafen Clam) Stellungnahme in der vorliegenden Frage keineswegs leicht sei. Einer eventuellen Angliederung rumänischen Gebietes an Ungarn wolle er sich keineswegs widersetzen, nur sei er nicht in der Lage, sich schon heute die Hände zu binden, bevor die Kompen¬ sationsobjekte für Österreich nicht näher konkretisiert und festgesetzt wären, umsomehr als er die ganze Angelegenheit vorerst mit seinen Ministerkollegen durchsprechen müsste. Auf eine andere Äusserung des Grafen Tisza reflektierend, meint Graf Clam, die Monarchie werde erst dann tatsächlich saturiert sein, wenn sie auch national saturiert sein werde. Hierauf geruhen Seine k.u.k. Apostolische Majestät in die Debatte einzugreifen und darauf hinzuweisen, dass es sich vorerst nicht darum handeln könne, die Frage des Gebietszuwachses intern zwischen Österreich und Ungarn zu regeln, sondern darum, dem Minister des Äusseren für seine bevor¬ stehenden Verhandlungen mit den deutschen Staatsmännern eine Basis, eine Richt¬ schnur zu geben. Dass letzten Endes keiner der beiden Staaten zu Ungunsten des anderen übervorteilt werden werde, dafür wolle Seine Majestät gewiss Sorge tragen. Im gegenwärtigen Augenblicke erscheine es zunächst notwendig, dem Grafen Czernin die im Sinne seines Beschlussantrages erbetene Ermächtigung zu erteilen. d) Das Wort »nur« nachträglich mit Maschinenschrift eingetragen. e) »und« an Stelle von »nicht« nachträglich mit Maschinenschrift eingefügt. f) Der Teil »sondern auch, und zwar in hervorragender Weise« nachträglich an Stelle von »wohl aber« mit Maschinenschrift eingefügt. g) Der nach den Wörtern »Graf Tisza« stehende Teil: »verweist auf die Schwierigkeit seiner Lage und« mit Tinte durchgestrichen. Anstatt »Schwierigkeiten« nachträglich »Gefahren« mit Maschinenschrift eingesetzt. 490 <pb/> Was die vom Grafen Tisza aufgestellte Forderung anbelangt, dass der Minister des Äusseren in die Besprechungen mit den deutschen Staatsmännern etwaige Ansprüche auf serbisches und montenegrinisches Gebiet nicht einzubeziehen hätte, so sei es wohl nach Allerhöchster Ansicht nicht angängig, dass diesem Petit in vollem Umfange entsprochen werde. Die Erwerbung des Lovcen, Antivaris und gewisser serbischer Brückenköpfe, wie beispielsweise Belgrads, sei aus mili¬ tärischen Rücksichten unbedingt anzustreben und wäre es verfehlt, diesen Stand¬ punkt Deutschland gegenüber nicht schon jetzt zu vertreten. Nach einer kurzen Diskussion, in welcher der Minister des Äusseren sowie die beiden Herren Ministerpräsidenten ihre respektiven bereits dargelegten Stand¬ punkte nochmals präzisieren, und in welchem Graf Tisza betont, dass er seine Bedenken bezüglich des Balkans auf die Behaltung militärisch wichtiger kleiner Gebiete nicht bezogen hatte,' geruhen Seine k.u.k. Apostolische Majestät das Ergebnis des Kronrates, welches dem Grafen Czerninals Richtschnur zu dienen hätte, folgendermassen zu resümieren: »Der unter Vorsitz Seiner Majestät des Kaisers und Königs tagende gemeinsame Ministerrat beschliesst: 1. Die äussere Politik ist so zu leiten, dass soweit als möglich Deutschland eine gewisse Haftung für die Integrität der Monarchie übernehme, 2. dass eine territoriale Vergrösserung Deutschlands in ein billiges Verhältnis zu einem österreichisch-ungarischen Landerwerb gebracht werde. Bei letzterem käme vor allem eine territoriale Erwerbung am Balkan (Rumänien, Montenegro und Serbien) in Betracht. 3. Was die Erwerbungen in Montenegro und Serbien anbelangt, so hat sich der k.u.k. Minister des Äusseren in seinen demnächst stattfindenden Besprechun¬ gen mit der deutschen Regierung darauf zu beschränken, ausschliesslich gewisse militärische Grenzrektifikationen (Lovcen, Antivari, Rektifikationen an der montenegrinischen und Sandjak-Grenze, serbische Brückenköpfe) zur Sprache zu bringen. Die Entscheidung über weitere Ansprüche auf serbisches oder monte¬ negrinisches Gebiet bleibt einem demnächst einzuberufenden Ministerrate Vor¬ behalten.« Sämtliche Anwesende stimmen der vorstehenden Fassung des Antrages zu, welcher somit zum Beschluss erhoben und angenommen erscheint. Der kgl. ung. Ministerpräsident erklärt nochmals, dass er an seiner mehrerwähnten Forderung bezüglich sofortiger Übergabe etwaiger rumänischer Neuerwerbungen an Ungarn bei gleichzeitiger Zession der ungarischen Ansprüche und Rechte auf Bosnien und die Herzegowina an Österreich festhalte. Seine k.u.k. Apostolische Majestät beauftragt hierauf die beiden Herren Ministerpräsidenten, hinsichtlich der Festsetzung der Details sowie der näheren Durchführungsmodalitäten dieser eventuellen Transaktion ehestens in Verbindung zu treten, worauf Allerhöchstderselbe den gemeinsamen Ministerrat als geschlos¬ sen erklärt. i) Der mit »und in« beginnende und mit »bezogen hatte« endende Teil wurde nachträglich mit Maschinenschrift eingefügt. 491 <pb/>") Besprechung unter Vorsitz des k.u.k. Ministers des Äussern Graf C z e r- n i n am 16. März 1917. Anwesende: Reichskanzler Bethmann Hollweg, deutscher Gesandte Graf Wedel, deutscher Staatssekretär Stumm, öst.-ung. Gesandte M e r e y, öst.-ung. Gesandte Prinz Hohenlohe. Protokoll¬ führer : Legationsrat Graf Colloredo-Mannsfeld. Der k.u.k. Minister des Äussern, welcher die Besprechung eröffnet, rekapituliert zunächst die mit dem deutschen Reichskanzler an demselben Tage bereits statt¬ gehabten Gespräche und führt aus, dass er es für seine heilige Pflicht gehalten habe, Herrn von Bethmann Hollweg gegenüber die Lage der Österreichisch- Ungarischen Monarchie so zu schildern, wie sie ist, ohne in Schwarzseherei oder Schönfärberei zu verfallen. Leider sei er nicht in der Lage gewesen, ein rosiges Bild zu entwerfen, denn die Monarchie stehe am Ende ihrer Kraft. Die grösste Sorge bilde vorerst die Ernährungsfrage, welche als äusserst kritisch bezeichnet werden müsse. Aus dem böhmischen Erzgebirge seien kürzlich Mel¬ dungen eingetroffen, denen zufolge in diesen Gegenden der Hungertyphus gras¬ siere, ebenso schlechte Nachrichten treffen aus anderen Teilen des Reiches, z. B. Dalmatien, ein. Hiezu komme, dass man mit einer progressiven Verschlech¬ terung der Ernte rechnen müsse. Der Mangel an Vieh, natürlichen und künstlichen Dungmitteln sowie Saatgut, endlich die durch die noch lagernden Schneemassen erhöhten Schwierigkeiten beim Frühjahrsanbau müssten jeden Politiker in ver¬ antwortungsvoller Stellung nachdenklich stimmen. Und hiebei dürfe nicht ver¬ gessen werden, dass es eine Remedur, um aus dieser fatalen Situation heraus¬ zukommen, nicht gebe, denn die Hoffnungen, die man in dieser Beziehung an Rumänien geknüpft habe, seien nicht in Erfüllung gegangen. Es stehe heute schon fest, dass die kommende rumänische Ernte nicht mehr als 30--40% des normalen Ertrages geben und daher für die Versorgung der Zentralmächte nicht in Betracht kommen werde. Nicht besser stehe es mit den zur Kriegsführung unerlässlichen Rohmaterialen. Nach genauer Erwägung aller Eventuahtäten sei man zur Überzeugung gekom¬ men, dass man mit dem vorhandenen und noch zu gewinnenden Rohmaterial wohl bis zum Herbste des Jahres das Auslangen finden könne, dass aber über diesen Zeitpunkt hinaus in Anbetracht des geschilderten Mangels ein weiteres Fortführen des Krieges ausgeschlossen sei. Was endlich das Menschenmaterial betrifft, so stehe die Monarchie im Begriffe, ihre allerletzten Reserven heranzuziehen, ohne auf ihre Tauglichkeit viel Rück¬ sicht zu nehmen. Unter diesen Umständen könne man sich der Tatsache nicht verschhessen, dass die Monarchie am Ende ihrer Kräfte angelangt sei, und müsse man mit allen Mitteln darauf hinarbeiten, aus dieser traurigen Lage die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Stehe man einmal auf dem Standpunkt, dass die Monarchie nicht mehr weiter könne, dann müsse jeder Faden, der zu einem akzeptablen Frieden führen kann, aufgegriffen werden. Eine solche Möglichkeit scheine sich jetzt mit Frank¬ reich zu bieten, welches bereits wiederholt Friedensfühler ausgestreckt habe und einer Aussprache nicht abgeneigt zu sein scheine. Graf Czernin gibt der Meinung Ausdruck, dass die seitens Frankreichs dargebotene Hand, soferne das dies- 492 <pb/>bezügliche Herantreten sich tatsächlich als seriös herausstellen sollte, nicht abgewiesen werden sollte. Falls die vorerwähnte Voraussetzung zutreffe, beab¬ sichtige Graf Czernin den k.u.k. Botschafter i. D., Grafen Albert Mensdorff, zu diesem Zwecke nach der Schweiz zu entsenden. Der Vorwand zu einem unauf¬ fälligen Aufenthalte Mensdorffs in der Schweiz sei leicht zu finden. Er würde die Reise dorthin zum ostensiblen Zwecke des Studiums der Hospitalisierungs- einrichtungen unternehmen und könnte eine zufällige Begegnung mit dem fran¬ zösischen Vertrauensmann, den zu empfangen sich der offizielle Vertreter der Monarchie in der Schweiz, der k.u.k. Gesandte in Bern, bisher geweigert hat, leicht herbeigeführt werden. Nun handle es sich aber darum, dem Grafen Mens¬ dorff Instruktionen zu erteilen, welche demselben als Richtschnur zu dienen hätten. Hiezu sei es wünschenswert, hinsichtlich der Friedensbedingungen, welche dem Reichskanzler vorschweben, womöglich ein Minimal-und Maximal-Programm aufzustellen, und bitte Graf Czernin daher den Herrn Reichskanzler, sich zu diesem Punkte gütigst äussern zu wollen. Herr von Bethmann Hollweg, welcher sodann das Wort ergreift, gibt vorerst seiner Skepsis Ausdruck, dass Frankreich dermalen durch Konzessionen gewonnen werden könnte. Eine Abtretung Elsass-Lothringens, welche seitens Frankreichs jetzt noch zweifelsohne als conditio sine qua non einer Verständigung mit Deutsch¬ land gefordert werden würde, könne der Reichskanzler weder bei seinem kaiser¬ lichen Herrn befürworten, noch auch vor dem deutschen Volke rechtfertigen. Deutschland müsse darauf bedacht sein, seinen grösstenteils verlorenen Kolonial¬ besitz wiederzugewinnen. Als Faustpfand hiefür müsse Deutschland die besetzten Teile Frankreichs und Belgiens in der Hand behalten. Lasse man diese Pfänder aus der Hand, dann sei, selbst wenn Frankreich die Entente im Stiche lassen sollte, keine Möglichkeit vorhanden, England zur Herausgabe der Kolonien zu veranlassen, ausser der U-Bootkrieg führe zur völligen Niederzwingung des Inselreiches. Abgesehen von diesem Nachteile würde sich die militärische Lage Deutschlands in Belgien gegenüber England äusserst schwierig gestalten. Der Kanzler wolle einem Gespräche mit Frankreich keineswegs aus dem Wege gehen und begrüsse es, dass die Fühlungnahme durch Österreich-Ungarn entriert werde; er müsse indessen darauf bestehen, dass sich der österreichisch-ungarischer- seits designierte Vertrauensmann bei dieser Gelegenheit absolut rezeptiv verhalte und der Zukunft in keiner Weise präjudiziere. Die Entwicklung der russischen Krise lasse sich heute nicht voraussehen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die russischen Wirren verbunden mit den Erfolgen des U-Bootkrieges die Entente derart schwächen oder erschrecken, dass unsere Gegner von selbst den Friedens¬ pfad betreten und unter dem Drucke der Verhältnisse mit konkreten Vorschlägen an die Zentralmächte herantreten. Würde man sich Frankreich gegenüber schon jetzt die Hände binden und den Ereignissen vorgreifen, könnte man leicht mögli¬ cher Vorteile verlustig gehen, die der Gang der Ereignisse naturgemäss mit sich bringen könnte. Was nun die Minimalforderungen Deutschlands gegenüber Frankreich betreffe, so sei es schwer, sich diesbezüglich präzise zu äussern. Über einen Austausch der Erzlager von Briey--Longwy gegen Teile Lothringens oder des Eisass Hesse sich 493 <pb/>allenfalls reden und könnte ein derartiger Tausch als Minimalbasis festgelegt werden, während der Erwerb von Briey --Longwy ohne eigene Gebietabtretungen als Maximalbasis gegenüber Frankreich in Betracht gezogen werden könnte. Unterstaatssekretär von Stumm, welcher hierauf in die Debatte eingreift, mahnt zu grosser Vorsicht gegenüber den französischen Anbiederungsversuchen, namentlich wenn es sich herausstellen sollte, dass dieselben auf Herrn J. Cambon zurückzuführen seien. Herr von Stumm befürchte, dass etwaige Pourparlers mit Frankreich ebenso mit einem Misserfolg enden würden, wie die seinerzeitigen Stockholmer Besprechungen mit Japan. Dieses letztere hatte nichts eiligeres zu tun, als die Sache in Petersburg auszuplaudern, und um den unsicheren asiatischen Bundesbruder an der Stange zu halten, kam hernach der russisch--japanische Vertrag zustande, welcher die Stellung Japans derart stärkte, dass es keine Lust zum Abspringen mehr zeigte. Ähnliches könne jetzt mit Frankreich passieren, von dem man wisse, dass es unablässig bestrebt sei, England zu einer intensiveren Kriegsführung zu veranlassen. Nichtsdestoweniger sei aber auch Herr von Stumm der Ansicht, dass der Faden aufgegriffen werden sollte und zwar durch einen ganz inoffiziellen Privatmann als Vermittler, der jederzeit desavouiert werden könnte. Er bitte, aber nicht zu vergessen, dass die deutschen Militärs die Lage derzeit sehr optimistisch auffassen in der Anhoffnung eines baldigen Niederzwingens Englands und dass man daher heute nicht darauf rechnen könne, dort massvolle Bedingungen durchzusetzen. Als nächster Redner kommt hierauf Botschafter von Merey zum Wort und weist darauf hin, dass schon bei der Vorbereitung unseres vorjährigen Friedensange¬ botes viel Zeit verloren worden sei und man sich daher tunlichst vor der Even- tuahtät hüten sollte, dass auch heuer die Besprechung von Friedensmöglichkeiten sich derart in die Länge ziehe, dass wir eventuell vor einer vierten Winterkampagne stünden. Im Gegensätze zu seinen bisherigen Beobachtungen, auf Grund deren ihm die Möglichkeit eines Separatfriedens ausgeschlossen erschien, habe er in allerletzter Zeit den starken Eindruck, dass wohl an ein Ausspringen einer der Ententemächte vom Londoner Protokoll1 nicht zu denken sei, dass er aber ein Gespräch eines Ententemitgliedes mit einem ihrer Gegner und zwar unter Mit¬ wissenschaft, vielleicht sogar auf Instigation Englands nicht für ausgeschlossen halte. Der letzte seitens Frankreichs ausgestreckte Fühler erschiene ihm ernster und berücksichtigungswürdiger als die bisherigen -- denn es sei ja nicht das erste Mal, dass sich Frankreich an uns heranmache -- und müsse er sich daher gleich seinen Vorrednern dafür aussprechen, dass die Sache nicht fallen gelassen werde. Über die Modahtäten, unter welchen sich eine derartige erste Konversation zu vollziehen hätte, müsse er sich den Ausführungen des Grafen Czernin anschliessen, welcher gesagt habe, dass Deutschland und Österreich-Ungarn vor allem über die grossen Richtlinien ihrer Friedensbedingungen ins Reine kommen müssten und den Succus ihrer diesbezüglichen Konversation dem nach der Schweiz zu ent- 1 In dem am 5. September 1914 abgeschlossenen Londoner Abkommen haben sich England» Frankreich und Rußland verpflichtet, keinen Sonderfrieden abzuschließen. 494 <pb/>sendenden Vertrauensmanne mitteilen sollten, nicht etwa damit ihn derselbe tel quel der Gegenseite bekannt gebe, sondern um denselben in die Lage zu versetzen, seine sehr vorsichtig zu führende Konversation, gegebenenfalls seine Fragenstellung auf der Basis eines fixen Ausgangspunktes führen und seinen französischen Mit¬ redner auf ein Gebiet hinleiten zu können, auf das wir ihn eben bringen wollen. Sind die Forderungen des Franzosen inakzeptabel, dann müsse unser Vertrauens¬ mann auf die vollständige Nutzlosigkeit einer weiteren Erörterung hinweisen, erscheinen aber die Forderungen nicht direkt indiskutabel, dann könnte eben unser Vertrauensmann seinen Mitredner in Anlehnung an das zwischen Deutsch¬ land und der Monarchie aufgestellte Minimalprogramm auf ein Terrain hinüber¬ leiten, auf welchem eine Diskussion nach unseren Gesichtspunkten zweckent¬ sprechend erscheint. Eine Konversation im obangedeuteten Sinne könnte wohl nach und nach beiderseits zu der Erkenntnis führen, dass zwischen Deutschland und Frankreich ein Ausgleich der Gegensätze nicht unmöglich sei; und dies wäre entschieden ein Schritt nach vorwärts. Reichskanzler von Bethmann Hollweg stimmt schliesslich der Entsendung eines Vertrauensmannes nach der Schweiz unter den nachfolgenden Bedin¬ gungen zu: 1. Derselbe hat sich rezeptiv zu verhalten. 2. Er könnte in sehr vorsichtiger Weise durchleuchten lassen, dass eine Ver¬ ständigung zwischen Frankreich und Deutschland auf Basis a) eines territorialen Austausches in Europa, b) eines allgemeinen kolonialen Abkommens und c) wirt¬ schaftlicher Kompensationen ihm im Bereiche der Möglichkeit zu liegen scheine. 3. Müsste der Vertrauensmann die Frage stellen: Wie wird sich England zu einem derartigen Arrangement stellen? Selbstredend müsse vermieden werden, dass unser Minimalprogramm enthüllt werde, der Vertrauensmann müsste im Gegenteil bestrebt sein, bei seinem Mit¬ redner den Eindruck zu erwecken, dass unser letztes Wort weit weniger entgegen¬ kommend klingt, als tatsächlich vereinbart. Bezüglich der Person des zu wählenden Vertrauensmannes entspinnt sich hierauf eine kurze Diskussion, während welcher deutscherseits mehrfache Bedenken gegen die Entsendung des Grafen Mensdorff geltend gemacht werden. Graf Czernin hebt hiegegen hervor, dass die Geschäftskenntnis, der Takt, die Diskre¬ tion und Verlässlichkeit Mensdorffs die Nachteile, die seiner Person durch seine anglo--französische Vergangenheit anhaften, sicherlich aufwiegen. Weiters führt Graf Czernin aus, dass uns keine andere Wahl übrig bleibe, indem eine routi¬ nierte Persönlichkeit wie Graf Mensdorff einem in auswärtigen Fragen unkundigen und der nötigen Gewandtheit im Umgänge entbehrenden Pohtiker -- und nur solche könnten gegebenenfalls in Betracht kommen -- zweifelsohne vorzu¬ ziehen sei. Schliesslich erklärt Herr von Bethmann Hollweg, dass er seinen Widerstand gegen die Entsendung des Grafen Mensdorff unter strikter Einhaltung der vor¬ angedeuteten Bedingungen nicht aufrecht erhalten wolle. Der Betrauung des Grafen Mensdorff mit der in Rede stehenden Mission steht sohin nichts mehr im Wege. 495 <pb/> Nach Erledigung dieses Punktes weist der k.u.k. Minister des Äussern auf die Notwendigkeit hin, dass zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn unter Ausschluss der zwei anderen Verbündeten eine Verständigung hinsichtlich der allgemeinen Friedensbedingungen, sowie der weiteren zwecks Friedensanbahnung zu befolgenden Taktik ehestens Platz greife. Sind Deutschland und die Monarchie diesbezüglich im reinen, dann müsste gemeinsam an die Türkei und Bulgarien herangetreten werden. Es würde sich also zunächst um rein interne deutsch- österreichisch-ungarische Besprechungen handeln. Hinsichtlich Frankreichs habe die vorangehende Diskussion bereits zu greifbaren Resultaten geführt; wie steht es nun -- so fragt Graf Czernin -- mit dem Osten. Der deutsche Reichskanzler erklärt vorerst, dass er in den von Grafen Czernin in Anregung gebrachten Gedankenaustausch gerne eintreten wolle und führt, was die Gestaltung der Dinge im Osten anbelangt, nachstehendes aus. Während er sich im Westen auf einen Gebietsaustausch, also ein partielles Geben einlassen wolle, könne im Osten, solange Deutschland nicht geschlagen sei, nur vom Ausmasse des Nehmens, von einem »Was behalten wir«, schlimmsten Falles von einer Rückkehr zum Status quo ante bellum die Rede sein. Bezüglich Kongresspolens halte der Kanzler an der Ansicht fest, dass die Aufrichtung eines polnischen Königreiches, d. h. das Hinausschieben der Grenze gegen Russland für die Zentralmächte grosse Vorteile beinhalte. Daher wolle er von den polni¬ schen Gebietsteilen für Deutschland nichts beanspruchen und sich auf vornehm¬ lich militärischen Konsiderationen Rechnung tragenden Landerwerb in Kurland und Lithauen beschränken. Das Ausmass dieser Neuerwerbungen (Einbeziehung der Gouvernements Grodno und Wilna) würde sich selbstredend nach der militä¬ rischen Situation bei Friedensschluss richten. Sollten wir gezwungen sein, Kon¬ gresspolen an Russland zurückzugeben, dann kämen für Deutschland bloss Grenzrektifikationen an der schlesischen und ostpreussischen Grenze in Be¬ tracht. Hierauf ergreift Graf Czernin abermals das Wort und sagt, dass sich die Öster¬ reichisch-Ungarische Monarchie gegenüber Deutschland, das mit seinen Armeen sozusagen überall im Feindeslande stehe, in einer wesentlich schlechteren Lage befinde. Für die Monarchie müsse daher das erste und nächstliegendste Ziel in der Erhaltung ihrer territorialen Integrität bestehen. Die Rückerlangung der derzeit vom Feinde besetzten Landesteile Galiziens und der Bukowina stehe uns unendlich viel näher, als die Errichtung eines polnischen Königreiches. Solange daher der Feind diese Gebiete nicht geräumt habe, könne von einer Herausgabe des Generalgouvernements Lublin nicht die Rede sein. Deutschland dürfe die unendlichen Opfer nicht übersehen, welche die Monarchie in diesem Kriege gebracht habe und nicht vergessen, dass ein grosser Teil der österreichischen und ungarischen Bevölkerung gegen ihre Interessen kämpfe -- mögen diese Interessen nun tatsächliche oder imaginäre sein. Unter diesen Umständen wäre es daher ein Ding der Unmöglichkeit, dass der Krieg beendet werde in der Weise, dass Bulga¬ rien, der schwächste Kompasziszent, einen sehr bedeutenden und Deutschland, wie zu erhoffen, einen namhaften Territorialgewinn davontrage, während die aus hundert Wunden blutende Monarchie mit leeren Händen, ja sogar verkleinert 496 <pb/>aus dem Völkerringen heimkehren sollte. Ein derartiges Missverhältnis könnte kein Herrscher, geschweige denn eine Regierung hinnehmen, ohne sich den ärgsten Gefahren auszusetzen. Graf Czernin schlägt daher vor, dass die bei Kriegsende seitens der einzelnen Mitglieder des Vierbundes zu erhoffenden territorialen und wirtschaftlichen Vorteile in eine gewisse Übereinstimmung gebracht werden. Um eine derartige Konkordanz herbeizuführen, schwebt dem k.u.k. Minister des Äussern eine Aufteilung des Königreiches Rumänien in dem Sinne vor, dass die Monarchie die Walachei sowie den zwischen den Karpathen und dem Sereth gelegenen Teil der Moldau, Bulgarien die im Jahre 1912 zedierten Teile der Dobrudscha erhielte, während aus dem restlichen Teile der Dobrudscha ein unter internationaler Kontrolle stehendes Staatswesen gebildet würde. Die östlich des Sereth gelegenen Gebiete der Moldau könnten Russland angetragen werden, um dieses für einen baldigen Frieden geneigter zu stimmen. Herr von Bethmann Hollweg sowie Herr von Stumm weisen in ihrer Replik auf die Ausführungen des Grafen Czernin zunächst darauf hin, dass sie die Mög¬ lichkeit grossen territorialen Landgewinnes vorerst nicht erhoffen zu dürfen glau¬ ben und dass demnach die Erwerbung so reicher Gebiete durch Österreich- Ungarn, wie dies das Programm des k.u.k. Ministers des Äussern beinhalte, im Deutschen Reiche einen sehr schlechten Eindruck machen würde. Eine der¬ artige Disproportion in den Kriegserrungenschaften könnte dem deutschen Volke nicht plausibel gemacht werden. Abgesehen hievon sehe der Kanzler in der Zuteilung der ganzen Moldau an Russland eine gewisse Gefahr und würde es vorziehen, wenn Russland bloss den nördlichen Teil der Moldau erhielte. Österreich-Ungarn sollte sich mit der Westwalachei begnügen, während die übri¬ gen Teile dem Königreich Rumänien zu verbleiben hätten. Was das Deutsche Reich betreffe, so strebe es in diesen Gebieten ausschliesslich wirtschaftliche Vor¬ teile an. Wie dem auch sei, so könne sich Herr von Bethmann Hollweg heute zu dem vom Grafen Czernin vorgebrachten Aufteilungsmodus, welcher in Berlin einem gründlichen Studium unterzogen werden müsste, bloss akademisch äussern. Über Aufforderung des k.u.k. Ministers des Äussern gibt sodann Botschafter von Merey seiner Ansicht zum Gegenstände Ausdruck. Der Herr Botschafter verkenne nicht die Vorteile, welche für die Monarchie in einem weiteren Vor¬ rücken nach dem Gebiete der unteren Donau liegen. Auch würde er einer Anghe- derung rumänischen Gebietes in Anbetracht der assimilierbareren weicheren Bevölkerung einer Annexion serbischer Landesteile den Vorzug geben. Gegen eine Besitzergreifung der östlichen Moldau durch Russland hingegen hege Herr von Merey in militärischer Hinsicht, sowie im Hinblicke auf den Eindruck, den ein derartiges Vordringen Russlands auf die Psyche der Slaven in der Monar¬ chie und der Balkanvölker ausüben müsste, schwere Bedenken. Mihtärisch würde diese Lösung eine erweiterte Umklammerung der Monarchie durch das russische Reich bedeuten und die Balkanvölker würde das Näherrücken Russlands zu dem ersehnten Ziele Konstantinopel zweifellos stark impressionieren. Das russische Schreckgespenst würde wieder wie ein Alpdruck auf diesen Völkerschaften lasten und könnte ihrer politischen Orientierung leicht wieder eine andere Richtung geben. Sollte jedoch zu einer Annexion rumänischer Landesteile durch die Monar- 32 Komjäthy: Protokolle 497 <pb/>chie trotzdem geschritten werden, dann müsse er sich entschieden für die Anglie¬ derung eines grösseren Gebietes aussprechen, denn nur so könnte den Gefahren irredentistischer Umtriebe mit Aussicht auf Erfolg entgegengetreten werden. Was den schlechten Eindruck anbelange, den eine derartige Angliederung im Deutschen Reiche auslösen würde, so müsse Herr von Merey auf die voraus¬ sichtlich sehr bedeutenden und mit seinen faktischen Leistungen nicht im Ein¬ klänge stehenden Akquisitionen eines anderen Bundesgenossen, nämlich Bulga¬ riens hinweisen, die doch sicherlich keinerlei Erregung in Deutschland hervor- rufen würden. Der k.u.k. Minister des Äussern reflektiert sonach auf die letzten Ausführungen des Reichskanzlers, indem er seinen (des Grafen Czernin) Standpunkt, wie folgt, präzisiert. 1. Bevor es nicht fest steht, dass die derzeit von den Feinden besetzten Landes¬ teile an die Monarchie zurückerstattet werden, dürfe eine Herausgabe russischen oder Balkan-Gebietes nicht stattfinden. 2. Die Neuerwerbungen Deutschlands* und Österreich-Ungarns sollen in territorialer und wirtschaftlicher Hinsicht in eine gewisse billige Relation gebracht werden. Werde der Friede derart geschlossen, dass sich Deutschland mit dem Status quo begnügen müsste, dann würde sich auch die Monarchie mit der vollen Integrität zufrieden geben. Sollte jedoch Deutschland Landerwerb einheimsen, dann müsse die Monarchie auf der Zuteilung der Walachei bestehen. Herr von Bethmann erklärt sich mit diesem prinzipiellen Standpunkt des Grafen Czernin einverstanden und sagt zu, in dem vorgeschlagenen Sinne Vor¬ gehen zu wollen. Im weiteren Verlaufe der Besprechung bringt der k.u.k. Minister des Äussern die türkische Frage zur Diskussion, indem er auf die Gefahr eines Ausspringens der Türkei hinweist und die Frage aufwirft, welche Massregeln hiegegen ergriffen werden könnten. Unterstaatssekretär von Stumm meint, dass durch den Allianzvertrag mit der Türkei gegen besagte Gefahr hinreichende Vorsorge getroffen sei. Zudem seien die Zentralmächte, welche immer auf die Gefährdung Konstantinopels und die Aufteilungspläne der Entente hinweisen können, in der Lage, der Türkei weit mehr zu bieten, respektive zu versprechen als unsere Gegner. Botschafter Prinz Hohenlohe plaidiert für eine finanzielle Gewinnung Djavid Beys, der im innersten Innern zweifelsohne auf eine Aussöhnung der Türkei mit den Ententemächten hinarbeitet. Graf Czernin dringt darauf, die Türkei fester an uns zu ketten, bevor es der Entente gelingt, das osmanische Reich durch eventuelle tentante Anbote zu ködern, beziehungsweise in seiner Haltung schwankend zu machen. Endlich bringt Minister des Äussern Graf Czernin noch den von der Gegen¬ seite und Amerika ventilierten Gedanken einer allgemeinen oder partiellen Abrüstung zur Sprache und gibt der Meinung Ausdruck, dass die Zentralmächte k) Bei Punkt 2 am Rand von Czernin die Bemerkung: »Dies war nicht ganz so gesagt, doch hoffe ich diese Fassung schriftlich durchzusetzen«. 498 <pb/>aus ideellen Gründen gegen dieses Petit pro forma keinen schroff ablehnenden Standpunkt einnehmen sollten. Herr von Bethmann Hollweg erwidert, dass dieser Frage wohl sehr wenig praktischer Wert zukomme, dass er aber nicht abgeneigt ist, dem Vorschläge des Grafen Czernin Rechnung zu tragen, wenn derselbe geeignet wäre, einen baldigen Friedensschluss herbeizuführen oder zu erleichtern, zumal als aus materiellen Gründen an eine Fortsetzung des Wettrüstens nach dem Kriege nicht mehr zu denken sei. Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. In der rechten obe¬ ren Ecke desselben mit Bleistift geschrieben: »All[er]h[ochst] eingesehen.« Darunter »f(ertig)«. Auf der linken Seite des Präsenzbogens oben das Handzeichen des Herr¬ schers: »gelesen K[arl]«. Von einer anderen Hand stammend: »Laxenburg, 25. IV. 1917.« -- Auf dem letzten Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Reichenau, am 20. Juli 1917.« Unter dem Text rechts die Unterschrift von Czernin, links die von Colloredo. -- Ebd. das handschriftliche Konzept des Protokolls mit unzähligen Kor¬ rekturen und kurzen, mit der Maschine geschriebenen Einschaltungen. -- Ebd. zwei maschinengeschriebene Kopien des Protokolls (mit der Aufschrift »Kopie«). Auf dem Rubrum der einen, in deren Text seitwärts von Tisza mehrere Sätze eingeschoben wurden, folgende zwei Sätze: »von S. Ex. Hm. K. ung. Ministerpräsidenten Gfn. Tisza zurückgelegt. 30. 4. 1917.« »Korrekturen und Zusätze in das Original über¬ tragen. 1. 5. 17.« -- Unlösbares Handzeichen. 25. Wien, 6. Mai 1917 Die Probleme der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Deutschland. Die Frage einer Wirtschaftsunion. Der Umstand, daß Österreich-Ungarn militärisch, politisch und nicht zuletzt auch wirtschaftlich auf Deutschland angewiesen war, wurde von den führenden Politikern der Monarchie derart beklemmend empfunden, daß sie in einer Zeit, wo sie die wirtschaftliche Zusammenarbeit notgedrungen auf noch breitere Grundlagen stellen müssen, hauptsächlich darauf bedacht sind, möglichst weitgehend den Schein der Unabhängigkeit zu wahren. (Über diese Zusammenhänge ist in der Einleitung aus¬ führlicher die Rede.) Über die Getreide- und im allgemeinen über die Lebensmittel¬ versorgung der Monarchie siehe den Kommentar zum Protokoll vom 9. September 1916. Über das wirtschaftliche Verhältnis Österreich-Ungarns zum Deutschen Reich siehe die Protokolle vom 9. September, 16. Oktober 1916, 24. Februar, 22. März (Ministerrat), 5. Juli und 6--15. September 1917 bzw. die entsprechenden Kommentare. Protokoll des zu Wien am 6. Mai 1917 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten, unter dem Vorsitze des k.u.k. Ministers des k.u.k. Hauses und des Äußern Grafen Czernin. 32* 499 <pb/>