Gemeinsamer Ministerrat, 22. 1. 1917
I. Zur Frage des rücksichtslosen U-Bootkrieges
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z21.pdf.
Schliesslich hält sich der k.k. Ministerpräsident für verpflichtet, auf die seinen Nachrichten zufolge in allen Teilen Österreichs rapid zunehmende Kriegsmüdigkeit hinzuweisen. Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. Neben der Unter¬ schrift Conrads mit Bleistift geschrieben: »Bleistiftl(iche) Correcturen beigefügt«. -- Auf dem letzten Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Baden, 2. Februar 1917.« T inks unten die Unterschrift Colloredos. Die Unterschrift des Ministers des Äußern fehlt. -- Ebd. das handschriftliche Konzept des Protokollführers mit vielen, von ihm vorgenommenen Korrekturen. Ohne Unterschrift und Handzeichen. Auf dem Mantelbogen seitwärts rechts mit Bleistift, mit der Handschrift Czernins: »3 Rein¬ schriften für S.M. pro actis und das pol. Tagebuch Cz.« -- Ebd. auch eine einfache maschinengeschriebene Kopie (mit der Aufschrift »Abschrift«). 21. Wien, 22. Januar 1917 Debatte über den uneingeschränkten Unterseebootkrieg. Der Kronrat nimmt für denselben Stellung. Die Chancen für eine siegreiche Beendigung des Krieges durch die Mittelmächte werden selbst in den Augen der optimistischen führenden Politiker immer geringer. Da entschloß sich die Deutsche Oberste Heeresleitung, ihren letzten Trumpf auszuspie¬ len. Am 9. Januar 1918 wurde im deutschen Hauptquartier der Beschluß gefaßt, zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg überzugehen. Obwohl Reichskanzler Bethman- Hollweg gegen diesen verhängnisvollen Schritt war, weil er mit Recht den Kriegsein¬ tritt der Vereinigten Staaten von Amerika befürchtete, gab Kaiser Wilhelm dem Drängen der Deutschen Obersten Heeresleitung nach. Er stellte nur die eine, kaum mehr als formelle Bedingung, den Herrscher der Österreichisch-Ungarischen Monar¬ chie und seine Regierung vorher davon zu unterrichten und ihre Zustimmung ein¬ zuholen. Aus den Memoiren Ottokar Czernins (Im Weltkriege, S. 161 ff., besonders S. 167) wissen wir, daß der Befragung Karls und seiner Mitarbeiter keinerlei prak¬ tische Bedeutung zukam. Ihre Gegenargumente wurden auch nicht im gemeinsamen Kronrat, sondern in zwei vorangegangenen, am 20. Januar abgehaltenen vertraulichen Besprechungen in Anwesenheit der Vertreter des Deutschen Reiches, Admiral Holtzen- dorffs, und des Staatssekretärs für Auswärtiges, Zimmermann, vorgebracht. Der Kronrat vom 22. Januar 1917 nahm einstimmig für den uneingeschränkten Unter¬ seebootkrieg Stellung. Die deutsche Reichsregierung teilte am 31. Januar den Ver¬ einigten Staaten in einer Note mit, daß sie vom nächsten Tage, dem 1. Februar an ihre Unterseeboote uneingeschränkt einsetzen werde. Protokoll des zu Wien am 22. Jänner 1917 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten, unter dem Allerhöchsten Vorsitze Seiner Majestät des Kai¬ sers und Königs. 452 <pb/> K.Z. 5. - G.M.K.P.Z. 532. Gegenwärtige: der Minister des k.u.k. Hauses und des Äußern Graf C z e r n i n, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf T i s z a, der k.k. Ministerpräsident Graf C1 a m - M a r t i n i c, der k.u.k. Chef des Generalstabes FM. Freiherr von Conrad, der k.u.k. Kriegsminister G. O. Freiherr von K r o b a t i n, der Vorstand der Militärkanzlei Seiner Majestät des Kaisers und Königs, FML. Ritter von Marterer. Protokollführer: Legationsrat Graf Colloredo. Gegenstand: Zur Frage des rücksichtslosen U-Bootkrieges. Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen, den Ministerrat zu eröffnen, indem Allerhöchstderselbe bemerkt, dass Seine Majestät der Deutsche Kaiser Allerhöchstihm die Entscheidung über das Einsetzen des verschärften U-Bootkrieges überlassen habe. Seine Majestät lege Wert darauf, die gegen¬ ständliche Ansicht der Anwesenden zu hören, bevor Er diesbezüglich einen Entschluss fasse. Seine Majestät geruhen sodann dem Minister des Äussern das Wort zu erteilen. Graf C z e r n i n führt zunächst aus, dass nichts unversucht bleiben dürfe, um ein baldiges Ende des Krieges herbeizuführen. Deshalb habe er auch bei Übernahme seines Amtes sich dafür entschieden, die von seinem Amtsvorgänger begonnene Friedensaktion weiterzuführen,1 obwohl er -- angesichts der dama¬ ligen Sachlage -- deren Einsetzen für verfrüht ansah und es vorgezogen hätte, wenn dieselbe erst dann initiiert worden wäre, wenn die zu erwartende General- offensive unserer Gegner zu einem Misserfolge geführt haben würde. Der Auf¬ nahme des rücksichtslosen U-Bootkrieges gegenüber habe er sich bisher ablehnend verhalten. Die Gründe, welche ihn zu dieser Auffassung veranlasst hätten, basierten zunächst auf der zuversichtlichen Darstellung, welche vornehmlich * deutscherseits über die militärische Lage des Vierbundes gegeben wurde. Auch sei er stets der Ansicht gewesen, dass die Chancen, England auf die Knie bringen zu können, sehr geringe seien. Weiters habe er die Perspektive eines Eingreifens Amerikas und des hieraus resultierenden Eindruckes auf die übrigen Neutralen als eine höchst bedenkliche angesehen. Dies sei bis vor kurzem seine Ansicht gewe¬ sen. Nun werden aber von den Deutschen seit einiger Zeit die Dinge in einem ganz anderen Lichte dargestellt. Es heisse nunmehr, dass die kommende Entente- Offensive für die Westfront so manche Gefahrmomente in sich berge, falls nicht durch rücksichtslose Ausnützung der U-Bootwaffe die Zufuhr an Rohstoffen und fertiger Munition unterbunden und auf diese Weise die Wucht des gegneri¬ schen Angriffes abgeschwächt werden kann. Aber selbst wenn es gelingen sollte, den Anprall unserer Gegner aufzuhalten, müsse -- so argumentiere man jetzt in Deutschland -- unbedingt gegen Ende des Jahres 1917 für den Vierbund eine höchst kritische Situation eintreten. Wir würden sozusagen automatisch in ein Stadium der Agonie verfallen und infolge von Entkräftung schhesslich zusammen¬ brechen. Falls dieses pessimistische Bild zutreffen sollte, dann müssten selbstre- 1 St. Buriän a.a.O., S. 154 ff. 453 <pb/>dend auch die deutscherseits vorgeschlagenen Konsequenzen gezogen und der rücksichtslose U-Bootkrieg als einziges zu Gebote stehendes Korrektivmittel herangezogen werden. Der zu fassende Entschluss müsse also vor allem auf das Fachurteil der militärischen Organe basiert werden, weshalb es notwendig er¬ scheine, die Ansicht dieser Faktoren über die Richtigkeit der deutschen Besorg¬ nisse zu hören. Mit Allerhöchster Ermächtigung ergreift sodann der k.u.k. Chef des Generalstabes das Wort. Baron Conrad erklärt zunächst, dass die deutsche Darstellung der Lage vollkommen den Tatsachen entspreche und dass infolge¬ dessen die deutscherseits präkonisierten Konsequenzen aus derselben abgeleitet werden müssen. Es bestehe wohl die Möglichkeit, den Anprall der Gegner auf¬ zuhalten, von einer diesbezüglichen Sicherheit könne aber nicht die Rede sein. Mit aleatorischen Momenten müsse im Kriege immer gerechnet werden, wofür die Lucker Ereignisse2 den besten Beweis böten. Es müsse daher alles aufgeboten werden, um unsere gefährdeten Fronten tunlichst zu entlasten und hiezu gebe es kein anderes Mittel, als das Einsetzen des rücksichtslosen U-Boot- krieges. Der k.u.k. Kriegsminister, welcher hierauf zu Worte gelangt, erklärt sich gleichfalls aus militärischen Rücksichten für die Verschärfung des U-Boot- krieges. Bezüglich der Möglichkeit einer Aushungerung Englands sei der Minister zwar skeptisch, aber der oberste Grundsatz in der Kriegführung sei die Schädi¬ gung des Gegners und dieser Grundsatz müsse unbedingt befolgt werden. England sei der Träger des Gedankens der Fortsetzung des Krieges -- es müsse daher das Übel an der Wurzel gefasst und die Schädigung des Hauptgegners, d. i. Englands, unverzüglich und wirksamst in Angriff genommen werden. Zudem dürfe nicht vergessen werden, dass die Lage am Balkan keine Mehrbelastung vertrage; wir können dorthin keine wesentlichen Verstärkungen schicken, daher müsse eine Stärkung der gegnerischen Balkanarmeen unbedingt verhindert werden. Das einzige Mittel hiezu erblicke er im verschärften U-Bootkriege. Ferners müsse man bedenken, dass unser Menschenmaterial nach und nach versiegt, dass wir in einigen Monaten Mangel an den zur Munitionserzeugung notwendigen Metallen leiden werden und dass endlich auch die Ernährungsfrage in Anbetracht der sich progressiv verschlechternden Ernteerträgnisse sich immer schwieriger gestalten müsse. Zusammenfassend gibt Baron Krobatin seiner Ansicht dahin Ausdruck, dass im Winter 1917--18 sozusagen automatisch eine äusserst kritische Situation ein- treten müsse, wenn nicht vorher mittels Anwendung des rücksichtslosen U-Boot- krieges unsere Gegner zur Raison gebracht werden können. Der kgl. ung. Ministerpräsident, welcher mit Allerhöchster Geneh¬ migung sodann in die Debatte eingreift, führt zunächst aus, er sei bis vor kurzem ein entschiedener Gegner des U-Bootkrieges gewesen und hätte stets dafür plä¬ diert, dass der U-Bootkrieg im bisher ausgebüten Massstabe (Versenkung von zirka 400.000 Tonnen per Monat) fortgeführt werden sollte. Erst in einem späteren 2 Durchbruch der Russen unter General Brussilow bei Luck am 8. Juni 1916. 454 <pb/>Zeitpunkte -- wenn einmal England eine bedeutende Menge von Schilfsraum eingebüsst haben werde, hätte man dem Gedanken einer Verschärfung näher treten können. Zu dieser seiner bisherigen Stellungnahme habe sich Graf Tisza vor allem durch die Erwägung veranlasst gesehen, dass er die Illusionen, respek¬ tive unbestimmten Hoffnungen, welche an die Aushungerung Englands die weit¬ gehendsten Erwartungen knüpfen, nicht teilen könne. An der Hand der statisti¬ schen Daten führt der Minister sodann aus, wie wenig Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass diese Träume in Erfüllung gehen. Auch habe er stets der Ansicht gehuldigt, dass Amerika ein keineswegs zu unterschätzender Gegner sei. Dem vom k.u.k. Kriegsminister aufgestellten Grundsätze, wonach der Gegner wo und wie immer geschädigt werden müsse, pflichte er sicherlich bei, falls man sich durch ein derartiges Vorgehen nicht neue Gegner auf den Hals schaffe, denn dann würde dieses im Grunde gewiss unanfechtbare Prinzip ad absurdum geführt. Nun aber stehe man angesichts der deutschen Besorgnisse bezüglich der weiteren Ent¬ wicklung der Kriegslage vor einer ganz neuen Situation. Während bisher die militärische Lage zuversichtlich betrachtet wurde, halte man namentlich die Westfront für gefährdet, falls keine Entlastung durch den U-Bootkrieg geschaffen wird. In Anbetracht dieser nunmehr geänderten Situation sehe sich Graf Tisza ver¬ anlasst, an den Chef des Generalstabes nachfolgende Fragen zu richten: 1. Sind seitens des Vierbundes in absehbarer Zeit irgendwelche offensive Aktionen in Aussicht genommen oder haben sich die Heeresleitungen für rein defensive Massnahmen entschieden? 2. Wie schätzten die Heeresleitungen die Stosskraft der zu erwartenden Offen¬ sive, namentlich Russlands ein? 3. Wie beurteilt der Chef des Generalstabes die Situation an der deutschen Westfront und wird die an dieser Front zu erwartende anglo-französische Offen¬ sive -- nach Ansicht der kompetenten Faktoren -- mit erheblich grösseren Kräf¬ ten einsetzen als denjenigen, welche zur Zeit der Somme-Offensive dem Gegner zur Verfügung standen? Entscheide man sich für den rücksichtslosen U-Bootkrieg, dann dürfe man nicht vergessen, dass die zweifelsohne in allen Ländern bestehenden Friedensstimmungen mit einem Schlage verschwinden und dass wir fortan alles aufbieten müssten, um den Gegner tatsächlich auf die Knie zu bringen. Resümierend gibt Graf Tisza ebenfalls seiner Ansicht dahin Ausdruck, dass die Entscheidung von der Beurteilung der militärischen Lage und deren voraus¬ sichtlicher Entwicklung in der Zukunft abhängig gemacht werden müsse. Der k.u.k. Chef des Generalstabes, welcher sodann das Wort erhält, bemerkt zu Beginn seiner Ausführungen, dass eine präzise Beantwortung der an ihn gestellten Fragen kaum möglich sei, da man sich im Kriege, wie er bereits hervorgehoben habe, nicht auf Prophezeiungen einlassen könne. Was zunächst den ersten der von Grafen Tisza aufgestellten Fragepunkte anbe¬ langt, erklärt Baron Conrad, dass mangels verfügbarer Kräfte die Offensive in 455 <pb/>Rumänien abgestoppt werden müsse, sobald die Serethlinie erreicht sei. Man habe zwar einen Offensivstoss in Ostgalizien in Betracht gezogen, habe aber diesen Plan fallen lassen müssen, weil eben nicht die genügenden Kräfte zur Verfügung standen. In zwei Monaten werde man klar sehen und beurteilen können, ob eine Offensivaktion möglich oder aber ein bloss defensives Verhalten angezeigter sei. Hinsichtlich des zweiten und dritten Punktes erwarten die Heeresleitungen sowohl an der Westfront wie auch wahrscheinlich am Isonzo gegnerische Angriffe grössten Stiles mit einem kolossalen Aufgebote von Artillerie und Munition und mit der vornehmlichen Tendenz der Vernichtung unseres Menschenmateriales. Hier könne Baron Conrad seine Besorgnisse nicht unterdrücken. Man dürfe nicht vergessen, dass die Deutschen im Monate Dezember bei Vaux, wo sie 200 Geschütze, dar¬ unter 100 schwere, einbüssten, eine empfindliche Niederlage erlitten haben. Der¬ artige Fälle könnten sich leicht wiederholen und grössere Dimensionen annehmen, was dann auf die Gesamtlage einen bedenklichen Einfluss ausüben könnte. Daher müsse zu dem Auskunftsmittel der Unterbindung des Nachschubes an Munition und Rohmaterial aus Amerika gegriffen werden, was eben nur durch eine Verschärfung des U-Bootkrieges erreicht werden könne. Was die Schlagkraft der russischen Armee anbelangt, so fasst der Chef des Generalstabes seine Meinung dahin zusammen, dass das russische Heer zweifels¬ ohne qualitativ schlechter sei als vor einem oder eineinhalb Jahren; es kämen zahlreiche Fälle von Desertion und Gehorsamsverweigerung vor; verfehlt wäre es indessen, von einer Dekomposition der russischen Armee zu sprechen, denn Menschen werden derselben auch in Zukunft hinreichend zur Verfügung stehen und an Kriegsmitteln werde sie auch keinen Mangel leiden. Die Armee Sarail habe infolge von Krankheiten und anderer Umstände bisher noch nicht viel geleistet, immerhin sei der Erfolg bei Monastir nicht zu unter¬ schätzen. Bezüglich der künftigen Entwicklung der Dinge an dieser Front sei es schwer, irgend etwas zu sagen. An der italienischen Front sei das Zahlenverhältnis wie 2 : 1 zu unseren Ungun¬ sten. Zudem geniesse Italien die Vorteile des engen Raumes sowie einer vorzüg¬ lichen Ausrüstung zumal in Artillerie und Minenwerfern. Wie immer aber die Lage angesehen werden mag, eines steht fest: die zu erwar¬ tenden Kämpfe werden eine Kraftprobe allerersten Ranges bedeuten, wobei zu bedenken sei, dass die gegnerischen Angriffe nicht nach einigen Tagen ablaufen, sondern, wie bei der Somme-Offensive, Wochen andauern werden. Gelingt es, die Tonnage Englands in kurzer Zeit erheblich zu verringern, dann, so meint Baron Conrad, werde das Inselreich einlenken in der Erwägung, dass eine weitere Schädigung seiner Handelsflotte nur Amerika und Japan zugute kommen könne und dass diese Staaten bei Fortsetzung des Krieges ihm leicht den Rang der ersten seefahrenden Nation der Welt ablaufen könnten. Schliesslich spricht der Chef des Generalstabes noch den Wunsch aus, dass die Verschärfung des U-Bootkrieges nicht auf den atlantischen Ozean beschränkt bleibe, sondern auch auf das Mittelmeer ausgedehnt werde. Der kgl. ung. Ministerpräsident, welchem Seine Majestät sodann das Wort zu erteilen geruht, nimmt zu den Ausführungen des Chefs des General- 456 <pb/>Stabes Stellung, welche er dahin auslegen zu können glaube, dass sich die Heeres¬ leitung für die nächsten zwei Monate für eine zuwartende Haltung entschieden habe und dass sich die Heeresleitung vom Einsetzen des U-Bootkrieges eine wesentliche Beeinflussung des Gelingens der gegnerischen Offensivabsichten ver¬ spreche. (Baron Conrad erwidert, dass diese Auffassung seiner Worte die richtige sei.) In Anbetracht der von Baron Conrad und Baron Krobatin hinsichtlich der militärischen Lage gegebenen Aufschlüsse erklärt Graf T i s z a, dass nichts anderes übrig bleibe, als gewisse, von ihm früher berührte Friedensmöglichkeiten vorderhand aufzugeben und sich für die rücksichtslose Verwendung der U-Boot- wafle auszusprechen. Graf Tisza gibt hiebei der Erwartung Ausdruck, dass Deutschland nochmals auf die Gefahren aufmerksam gemacht werden möge, welche die Aufnahme der in Rede stehenden Aktion in politischer Hinsicht nach sich ziehen könnte, sowie dass die k.u.k. Regierung die deutschen Illusionen bezüglich einer baldigen Aushungerung Englands nicht teilen könne. Sollte aber der rücksichtslose U-Bootkrieg beschlossen werden, dann möge man Deutschland erklären, dass wir mit ganzer Kraft und ohne Hintergedanken mittun wollen. Sei die Aktion einmal eingeleitet, dann müsse sie ohne Schwanken durchgeführt werden. Man dürfe keinesfalls in den Fehler verfallen, halbenwegs stehen zu blei¬ ben. Auch dies müsste Deutschland gelegentlich der Zustimmungserklärung klipp und klar gesagt werden. Endlich müsste einverständlich mit Deutschland ein Modus gefunden werden, um der Schweiz gegebenenfalls mit Nahrungsmitteln auszuhelfen und auf diese Weise ein notgedrungenes Abschwenken dieses Landes ins Ententelager zu verhindern. In Übereinstimmung mit den Vorrednern spricht sich auch der klg. ung. Ministerpräsident für die Ausdehnung des rücksichtslosen U-Bootkrieges auf das Mittelländische Meer aus, indem er darauf hinweist, dass in keinem anderen Lande das Volk so impressionabel sei, wie in Italien, und dass daher ein wirksames Eingreifen der U-Bootwafie vor allem in diesem Lande weitgehende Folgen zeitigen könnte. Hierauf erhält der k.k. Ministerpräsident das Wort und führt aus, dass man bezüglich der Möglichkeit des Gelingens der geplanten Aktion voll¬ ständig auf die Auskünfte und Daten der maritimen Fachleute angewiesen sei, da der Laie in die technischen Details keinerlei Einblick haben und sich über die ganze Frage schwer ein zuverlässiges Urteil bilden könne. Im Vertrauen auf die seitens der kompetenten Faktoren gegebenen Auskünfte, weiters in Anbetracht der militärischen Besorgnisse und schhesslich in Ansehung unserer wirtschaft¬ lichen Schwierigkeiten, sowie der herrschenden Volksstimmung müsse auch er sein Wort zu Gunsten des Einsetzens des verschärften U-Bootkrieges in die Wagschale werfen, einfach aus dem Gefühle heraus, dass uns nichts anderes übrig bleibt. Sollte indessen sich im Verlaufe der weiteren Begebenheiten die Möglichkeit des Abschlusses eines billigen Friedens ergeben, so bitte Graf Clam, dass diese Gelegenheit nicht -- etwa in der Anhoffhung unsicherer fernerer Erfolge -- versäumt, sondern entschieden die dargebotene Hand er¬ griffen werde. 457 <pb/> Über Aufforderung Seiner Majestät gibt hierauf der Chef des General¬ stabes über die Stärke der Armeen der neutralen Staaten folgende Auf¬ schlüsse : Schweden: 9 Infanterie-Divisionen, 1 Kavallerie-Division; Norwegen: 4--6 Infanterie-Divisionen; Dänemark: 4 Infanterie-Divisionen; Holland: y24 -- 5 starke Infanteriedivisionen (ä 18 Bataillons); Spanien: 20 Infanterie-Divisionen, 2 Kavallerie-Divisionen; Nord-Amerika: Stehendes Heer: 3 Infanterie-Divisionen, 1 Kavallerie-Division (7107 Offiziere, 125.000 Mann), Miliz im Frieden nur en cadre: 8900 Offiziere Schweiz: 119.000 Mann; y6 Infanterie-Divisionen, davon 3 2 mobilisiert, 1 Kavallerie-Division. Seine Majestät geruhen sodann die vorstehenden Ausführungen dahin zu resümieren, dass Allerhöchstihm von allen an dem gemeinsamen Ministerrate beteiligten Herren geraten werde, den deutschen Vorschlag auf rücksichtsloses Einsetzen des U-Bootkrieges anzunehmen, worauf der Kronrat geschlossen wird. Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. Auf demselben Bogen unten links mit Bleistift geschrieben: »Gelesen K(arl)«. -- Auf dem letzten Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Baden, 2. Februar 1917.« Links unten die Unterschrift von Colloredo-Mansfeld. Die Unterschrift des Ministers des Äußern fehlt. -- Ebd. das handschriftliche Konzept des Protokolls aus der Feder des Protokollführers. Mit ebenfalls von ihm stammenden Korrekturen. 22. Wien, 24. Februar 1917 Die Probleme der Kriegsmaterial- und Geschützproduktion sowie der militärischen Investitionen. Arbeitermangel in den Fabriken. Transportschwierigkeiten. Inter¬ essengegensätze zwischen dem österreichischen und dem ungarischen Finanzkapital. Ende August 1916 kamen Hinderiburg und Ludendorff an die Spitze der Deutschen Obersten Heeresleitung. Die Berufung Hindenburgs und mehr die Ludendorffs auf den höchsten militärischen Posten war mit der höchsten Anspannung der militärischen Kräfte gleichbedeutend. Der Name Hindenburgs drückte auch dem Programm den Stempel auf, das das gesamte deutsche Wirtschaftsleben und die Arbeitskraft der ganzen deutschen Gesellschaft in den Dienst der Kriegführung stellen wollte. (Das Programm, das den im zweiten Weltkrieg aufgekommeüen Begriff »totaler Krieg« fast 45» <pb/>