Gemeinsamer Ministerrat, 7. 1. 1916
I. Die Kriegsziele der Monarchie
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z15.pdf.
15. Wien, 7. Januar 1916 Nach einer langen Debatte über die Kriegsziele der Monarchie beschließt der gemein¬ same Ministerrat, die im Norden eroberten Gebiete Österreich, die im Süden eroberten Ungarn anzuschließen. Die unter dem Befehl des Generalobersten Mackensen stehenden deutschen und österreichisch-ungarischen Armeen haben mit Unterstützung der Bulgaren, die am 14. Oktober 1915 Serbien den Krieg erklärt hatten, bis Ende des Jahres die Serben in den südlichen Teil ihres Landes zurückgedrängt. Durch den militärischen Erfolg der Mittelmächte wurde für die Politiker der Monarchie die südslawische Frage, genauer: das Problem, in welches Verhältnis das unterworfene Serbien zur Monarchie gebracht werden sollte, aktuell. Die Debatte über diese Frage entsprach in Geist und Anschauung der Aussprache über die polnische Frage in der gemeinsamen Ministerkonferenz vom 6. Oktober 1915. Beide Fragenkomplexe wurden von den Teilnehmern der Konferenz vom Gesichts¬ punkt der Struktur des Habsburgerreiches betrachtet. Koerber berief sich hier auch auf das, was er im gemeinsamen Ministerrat vom 6. Oktober 1915 gesagt hatte, daß nämlich die Struktur der Monarchie keine neueren Annexionen vertrage. Im wesent¬ lichen war dies auch der Standpunkt Tiszas. Und zwar, im Gegensatz zu seiner in der gemeinsamen Ministerkonferenz vom 19. Juli 1914 dargelegten Stellungnahme, gegen jedwede Annexion, jetzt mit der nicht unwesentlichen Abänderung, daß er dafür war, Serbien nach einer vorübergehenden harten Besetzung auch zugunsten Bulgariens aufzuteilen. Seinen Wunsch, den Ministerratsbeschluß vom 19. Juli 1914 aufrechtzuer¬ halten, müssen wir daher als formell betrachten. Übrigens wurde das polnische Pro¬ blem, das in der besonderen, strukturellen Anschauung der österreichisch-ungarischen Politiker mit der südslawischen Frage in engem Zusammenhang stand, auch hier behandelt. Die südslawische Frage wurde früher in den gemeinsamen Ministerrats¬ sitzungen vom 6. Oktober und 12. Dezember 1915, später dann in denen vom 6. Oktober 1916, 10. und 12. Januar, 22. März 1917, 27. September und 2. Oktober 1918 behandelt bzw. wurde in diesen Sitzungen in irgendeiner Form gestreift. In seiner ganzen Breite befaßte sich der Kronrat vom 30. Mai 1918 mit den monarchie-zentri¬ schen Lösungsmodalitäten der südslawischen Frage. Über die Zukunft Polens war in den gemeinsamen Ministerkonferenzen vom 6. Oktober, 12. Dezember 1915, 12. Januar, 22. März, 6. Mai 1917 und 22. Januar 1918 die Rede. Am Ende des Jahres 1915, das den Mittelmächten zweifellos viel Anfangserfolge gebracht hatte, erstarrte die Ostfront ebenso wie vorher die Westfront. Während der Stellungskämpfe wurden neue Pläne aufgestellt. An beiden Fronten bereiteten sich alle gegenüberstehenden Parteien auf großangelegte Offensiven vor, von denen sie erhofften, den gigantischen Kampf zu ihren Gunsten zu entscheiden. Die gemein¬ same Ministerkonferenz vom 7. Januar 1916 war unter dem Eindruck der zu erwarten¬ den militärischen Entscheidung zusammengetreten; in der Atmosphäre des Suchens nach endgültigen Formen war man bestrebt, die Kriegsziele Österreich-Ungarns zu definieren. Diese Ziele konzentrierten sich im wesentlichen um die pplnische und die südslawische Frage. Die ganze Debatte hat die eigenartige imperialistische Anschauung der führenden Politiker der Monarchie schonungslos aufgezeigt, samt allen ihren Abweichungen in der Nuancierung, die ihren im wesentlichen identischen Auffassun¬ gen eine eigene Note gaben. Die extremste Variante dieser Auffassung, die wir geradezu als Konzentration der Weltanschauung der führenden Politiker des Zeitalters des Dualismus betrachten können, wurde von Istvän Tisza vertreten. Er verschloß sich 352 <pb/>selbst den geringsten Zugeständnissen, hielt starr an der Ausgleichsstruktur der Österreichisch-Ungarischen Monarchie fest, selbst wenn es zum Bruch kommen sollte. Die politische Anschauung Tiszas wurde auf diesem Ministerrat zum erstenmal formuliert, wenn auch nicht so scharf wie in den folgenden Konferenzen. (Darauf wurde schon früher verwiesen.) Protokoll des zu Wien am 7. Jänner 1916 abgehaltenen Ministerratesfür gemeinsame Angelegenheiten, unter dem Vorsitze des Ministers des k.u.k. Hauses und des Äußern Baron Buriän. K.Z. 4 - G.M.K.P.Z. 526. Gegenwärtige: der k.k. Ministerpräsident Graf S t ü r g k h, der kgl. ung- Ministerpräsident Graf T i s z a, der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Dr. von K o e r b e r, der k.u.k. Kriegsminister FZM. Freiherr von Krobatin. der k.u.k. Chef der Generalstabes Generaloberst Freiherr von Conrad, « Protokollführer: Legationsrat Graf H o y o s. Gegenstand: Die Kriegsziele der Monarchie. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und verweist darauf, der Zweck der heutigen Konferenz sei eine Aussprache über die pohtische Lage, wie sie sich jetzt darstelle und über die Ziele, welche durch den gegenwärtigen Krieg erreicht werden sollten. Der Krieg werde in erster Linie um die Integrität und Sicherheit der Monarchie geführt. Es sei die Pflicht aller verantwortlichen Fakto¬ ren, dafür zu sorgen, dass die Früchte der glänzenden Erfolge des Heeres unver¬ kürzt nutzbar gemacht werden. Hiezu sei vor allem eine ruhige kritische Erkenntnis desjenigen, was man anstreben solle, erforderlich, sowie auch eine genaue Prüfung der Rückwirkung, welche etwaige Eroberungen auf das zukünftige pohtische Leben der Monarchie ausüben können. Die Konferenz sei sich ihrer hohen Verantwort- lichkeit bewusst und werde der Wichtigkeit des Gegenstandes entsprechend ihre Stellungnahme zu den vorliegenden Problemen genau erwägen müssen. Er wolle vor allem eines feststellen, dass bei Prüfung dieser Fragen es sich weder um ein einseitig österreichisches, noch um ein einseitig ungarisches Interesse handeln könne, sondern einzig und allein um die wohlerwogenen Gesamtinteressen der dualistischen Monarchie. Was für die Monarchie nachteilig ist, wäre es in glei¬ cher Weise auch für Österreich oder Ungarn. Andererseits sei es infolge des beste¬ henden Staatsrechtes und der geographischen Lage unvermeidbar, dass bei der Lö¬ sung der einen oder anderen Frage die Rollen geteilt und jede Rolle nur dem einen oder dem anderen Staate der Monarchiezufallen könne. Bei der Prüfung der gegen¬ wärtigen Lage sei es erforderlich, die militärische Situation stets im Auge zu behal¬ ten. Wir stehen in der Mitte des Kampfes, dessen Ausgang und Resultat in erster Li¬ nie von unseren militärischen Erfolgen abhängen müsse. Wenn er unsere Politik nach den militärischen Möglichkeiten einzurichten gezwungen sei, so müsse andererseits auchverlangt werden, dass die militärischen Stellen beiWahl und Durchführung ihrer Operationen sich auch nach den politischen Zielen richten und dieselben niemals 23 Komjäthy: Protokolle 353 <pb/>ausser Acht lassen. Daraus ergebe sich die unbedingte Notwendigkeit eines ein¬ mütigen Zusammenarbeitens der Heeresleitung mit den politischen Stellen, wobei die gegenseitigen Kompetenzkreise naturgemäss gewahrt bleiben müssten, nach¬ dem die Heeresleitung einerseits für die Führung der Politik keine Verantwortung trage und zu einer Ingerenz in dieselbe nicht berufen sei ebenso wie die Zivil¬ behörde ihren Einfluss auch nicht auf die Leitung der militärischen Operationen ausüben könnte. Bei der heutigen Konferenz müsse der Versuch gemacht werden, ein Bild darüber zu gewinnen, wie weit die Kriegsziele sich bereits feststellen lassen. Die aus einer solchen Feststellung hervorgehenden Beschlüsse könnten nur konditionelle sein, denn deren Durchführung hänge naturgemäss vom Enderfolge des Krieges ab. Auch müsste man auf eventuelle Notwendigkeiten beim Friedensschluss entspre¬ chend Rücksicht nehmen. Nichts wäre schädlicher in dieser Beziehung als das Bekanntwerden schon gefasster vorgreifender Beschlüsse. Sie wären im hohen Grade geeignet, den Friedensschluss zu erschweren; man könnte sich genötigt sehen, Ziele, welche man sich vorgenommen hatte, wieder aufgeben zu müssen, um den Frieden zu erreichen und wenn diese Ziele vorher bekannt geworden wären, so würde dies einem Rückzuge gleichkommen. Bei Fassung von Beschlüssen müsse man auch auf die zukünftigen Wirkungen bedacht sein. Jede Lösung könne in einem erfolgreichen Kriege durch die Macht der Waffen erkämpft werden, im Frieden seien solche gewaltsame Lösungen aber politisch oft sehr schädlich und bildeten eine schwere Belastung für die Lebens¬ verhältnisse eines Staatswesens. Nach diesen einleitenden Worten wolle er die hauptsächlichsten Einzelprobleme in ihrer heutigen Gestalt einer kurzen Erörterung unterziehen. Uber diese Probleme liesse sich heute schon diskutieren, nachdem die Gebiete, um die es sich handle, durch einen glorreichen Krieg in die Gewalt der Zentralmächte gelangt seien. Man könne schon heute gewisse Eventuahtäten erörtern, welche für die Lösung dieser Probleme zu einem geeigneten Zeitpunkte in Frage kommen würden. Er beginne mit Serbien und müsse betonen, es sei seine alte Überzeugung, dass die südslavische Frage im Rahmen der Monarchie gelöst werden müsse. Jetzt sei hiezu der Zeitpunkt gekommen. Die ganze Masse der Südslaven sei durch diesen Krieg gleichsam in Fluss geraten, man müsse den Augenblick benützen und entsprechende Massnahmen ergreifen, um das südslavische Problem einer unseren Interessen entsprechenden Lösung zuzuführen; später, bei Erstarrung der flüssigen Masse, würde es viel schwerer sein, jetzt begangene Fehler und Unterlassungen wieder gut zu machen. Er wolle hier nicht gegen Auffassungen anderer polemi¬ sieren und werde sich darauf beschränken, das serbische Problem so darzustellen, wie dieses sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen, von jeder Parteilichkeit oder Voreingenommenheit losgelöst, präsentiere. Aus dieser Darstellung könne dann jeder die Schlüsse ziehen, die ihm ängezeigt erscheinen. Ganz Serbien befinde sich gegenwärtig in der Gewalt der Armeen, Montenegro dürfte es in Kürze sein. Ein Teil Serbiens solle nach geheimen Abmachungen an Bulgarien gelangen, wodurch die Grösse des Gebietes eine beträchtliche Reduzie¬ rung erfahre. Ferner würde man die früher zu Albanien gehörigen Gebiete wieder 354 <pb/>an dieses zurückgeben können, wodurch der Komplex noch verkleinert werde. Ausserdem bestehe bei allen massgebenden Faktoren die Absicht, unsere militäri¬ sche Situation im Südosten durch eine weitgehende Grenzregulierung und die Be¬ sitznahme zweier Brückenköpfe zu verbessern. Was von dem Königreiche Serbien noch übrig bleibe, sei ein relativ kleines Gebirgsland mit einer Einwohnerschaft von IV2 Millionen Seelen. Bei der Disponierung über diesen Rest ergeben sich 2 Alternativen, man könne dasselbe in die Monarchie einverleiben oder aber einen selbständigen serbischen Staat mit oder ohne Montenegro weiter bestehen lassen, dessen staatliche Existenz allerdings durch weitgehende Kautelen für unsere Si¬ cherheit einzuschränken wäre. Der Vorsitzende hebt hervor, dass er sich durch langjährige Tätigkeit in diesen Gegenden eine gewisse Kenntnis der dortigen Verhältnisse, der Lebenstendenzen und politischen wie wirtschaftlichen Möglichkeiten des serbischen Volkes erworben habe und daher nicht nur als verantwortlicher Ratgeber der Krone sondern bis zu einem gewissen Grade auch als Sachverständiger über diese Frage sprechen könne. Die Hauptfrage liege am statistischen Gebiete. Man müsse vor allem der Bevöl¬ kerungszahl Beachtung schenken und untersuchen, wie sich das Kräfteverhältnis ziffernmässig darstellen lasse und welche Wechselwirkung dieses Kräfteverhältnis auszuüben geeignet sei. Das südslavische Problem müsse in doppelter Hinsicht, als rein serbisches und als serbo-kroatisches, geprüft werden. Belasse man ein unabhängiges Serbien mit F/a Millionen Einwohner, so würde dies zur Folge haben, dass rund 2/s aller Serben in der Monarchie, Vs ausserhalb derselben ver¬ bleiben würden. Nehme man den serbo-kroatischen Volksstamm als ein Ganzes so würden 4/5 des serbo-kroatischen Stammes in der Monarchie sein und nur Vs ausserhalb derselben. Er verhehle sich keineswegs die Schwierigkeiten einer Inkorporation des ganzen noch erübrigenden Teiles Serbiens. Dieselben seien staatsrechtlicher, national¬ politischer und volkswirtschaftlicher Natur. Die staatsrechtlichen Schwierigkeiten dürften seiner Ansicht nach nicht als entscheidende angesehen werden. Es liege im Wesen der Monarchie seit Beginn der Vereinigung der Länder der Stefans¬ krone mit den habsburgischen Erblanden, dass sie in staatsrechtlicher Hinsicht immer eine grosse Anpassungsfähigkeit an Ereignisse bewiesen haben, welche sich ihr im Laufe der Geschichte aufgedrängt haben. Auch wirtschaftliche Beden¬ ken müssten zurücktreten, sowie es sich um höhere politische Interessen handle, übrigens würden wir in der Zukunft ohnedies eine möglichst enge wirtschaftliche Annäherung an unsere Nachbarn im Südosten anstreben müssen, welche auch uns Vorteile bringen würde. Die Hauptschwierigkeit in der serbischen Frage sei eine nationalpolitische. Die Grundvoraussetzung für jede befriedigende Lösung sei, dass diese Gebiete in der Zukunft nicht mehr den Kristallisationspunkt für eine nationale Agitation bilden, die wie bisher das Werkzeug einer grossangelegten Aktion unserer Feinde gegen uns bieten könnte. Man müsse sich darüber klar werden, welche der beiden Metho¬ den, vollständige Inkorporation oder Fortbestand eines kleinen unabhängigen Serbiens, geeigneter wäre, diesen Endzweck zu verwirklichen. Wenn wir ein verkleinertes Serbien bestehen lassen, wird die Zahl der Serben in der Monarchie 23* 355 <pb/>keine wesentliche Vermehrung erfahren, dagegen würde das verkleinerte Serbien sofort wieder zum Herde einer grosserbischen Agitation werden. Man müsste dem Königreiche jede politische Aktionsfreiheit nehmen, dasselbe in eine vollständige politische und wirtschaftliche Abhängigkeit von der Monarchie zwingen, die drakonischesten Mittel müssten angewendet werden. Wir müssten das Odium für dieselben auf uns nehmen, ihre Wirkung bliebe aber eine höchst problematische, denn trotz aller Bindungen und Kautelen würde Serbien immer noch Mittel und Wege finden können, um uns Schikanen und im Vereine mit anderen Mächten politische Verlegenheiten zu bereiten. Man müsste fast so weit gehen, wie bei einer förmlichen Angliederung, ohne sich hiedurch wirkliche Sicherheit verschaffen zu können. Andererseits sei es klar, dass auch die Angliederung des Ganzen an die Mon¬ archie uns eine Last aufbürden würde, welche wir nur in Erkenntnis der unab¬ weisbaren Notwendigkeit auf uns nehmen könnten. Die Schwierigkeiten und Gefahren, welche ein verkleinertes selbständiges Serbien uns bereiten könne, würden in hohem Masse auch bei der Angliederung fortbestehen. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass die panserbische Agitation dadurch aufhören würde. Es würde ausserdem eine grosse serbische Emigration Platz greifen, serbische Poli¬ tiker würden ins Ausland wandern und von der Schweiz, England oder Russland aus ihre Agitation fortsetzen. Man könne die grosse Anzahl der Schwierig¬ keiten, welche gegen eine Anghederung sprechen, nicht alle anführen, aber trotz deren Existenz müsse man sich die Frage stellen, was vorteilhafter wäre und welche von beiden Aufgaben leichter zu lösen sei. Sei es leichter, die serbische Frage zu lösen, wenn nur 66% aller Serben zur Monarchie gehören und 34% in einem selbständigen Staate leben, als wenn 100% Serben uns untertan werden. Dieses Problem liege vor uns, wir müssten damit fertig werden. Bei Erwägung der Frage müsse er auch auf die Bedeutung des Zentrums für die serbische Pro¬ paganda aufmerksam machen. Belasse man ein unabhängiges Staatswesen, so sei es unvermeidlich, dass die serbischen Nationalbestrebungen in der neuen serbi¬ schen Hauptstadt und wäre diese auch eine kleine Gebirgsstadt, einen Konzentra¬ tionspunkt finden. Wenn wir dagegen das ganze Serbentum aufnehmen, brauche es kein Zentrum zu geben; die neu erworbenen Gebiete würden einfach von einem schon bestehenden Regierungszentrum in der Monarchie aus verwaltet wer¬ den. Momentan sei es noch nicht an der Zeit, einen Beschluss darüber zu fassen, welche von den beiden hier erwähnten Methoden befolgt werden solle. Wir seien derzeit in der Lage, das uneingeschränkte Verfügungsrecht über die besetzten Gebiete zu behalten und würden von diesem Rechte zum geeigneten Zeitpunkte Gebrauch machen. Vorderhand genüge der tatsächliche Besitz und die militärische Verwaltung, welche ihre Aufgabe strenge objektiv und ganz apolitisch durch¬ zuführen haben werde. Von einer Wiedereinsetzung der Dynastie oder von einer Rücksichtnahme auf die serbische Regierung könne keine Rede sein. Dagegen werde es Aufgabe der Verwaltung sein, die Grundstimmung der Bevölkerung zu studieren und die verantwortlichen Kreise über dieselbe fortlaufend informiert zu erhalten. Er wolle sich bezüglich der Haltung des serbischen Volkes in keine 356 <pb/>Prophezeiungen einlassen; nach seiner Kenntnis des serbischen Nationalcharakters erscheine es ihm aber nicht ausgeschlossen, dass unsere Verwaltung befriedigende Erfahrungen machen werde. Resümierend betont der Vorsitzende, dass der Zeitpunkt für entscheidende Entschlüsse noch nicht gekommen sei. Diese Frage sei auch zu eng mit jener eines möglichen Friedensschlusses verbunden. Man müsse sich immer der Tatsache bewusst bleiben, dass Umstände eintreten könnten, bei denen ein Friedensschluss russischerseits nur unter der Bedingung der Wiederherstellung eines unabhängigen Serbiens zugegeben werden würde. Wir könnten eine solche Friedensmöglichkeit an der Frage des Fortbestandes Serbiens nicht scheitern lassen. Dieser Umstand sei ein weiterer Beleg dafür, dass man heute freie Hand behalten müsse, wobei daraufhinzuweisen sei, dass der Ministerratbeschluss vom 19. Juli 1914, in welchem ausgesprochen wurde, dass wir keine namhaften Gebietserwerbungen in Serbien anstreben, mangels eines neuerlichen Beschlusses noch zu Recht bestehe. Der Vorsitzende geht hierauf auf die Frage von Montenegro über. Er betont, dass das Montenegrinische Problem nicht mit dem serbischen gleichgestellt werden könne. Für Montenegro gelte allerdings dasselbe wie für Serbien bezüglich der Notwendigkeit sich für den Friedensschluss freie Hand vorzubehal¬ ten. Montenegro sei vielleicht noch mehr als Serbien ein Schosskind Russlands; uns könne es nie so gefährlich werden wie Serbien, die beiden Völker seien der Tradition und Abstammung nach grundverschieden, die panserbische Idee habe in Montenegro nie Wurzel fassen können. Der König von Montenegro habe es immer verstanden, bei aller Anhänglichkeit und Freundschaft für Russland zwei Eisen im Feuer zu behalten und sich mit uns gut zu stellen. Der Montenegri¬ ner fühle sich mit dem Serben durchaus nicht identisch. Für die Monarchie hätte der Fortbestand eines verkleinerten montenegrinischen Königreiches daher nicht jene Gefahren, die sie von einem unabhängigen Serbien zu erwarten hätte. Es sei selbstverständlich, dass wir mit Montenegro nicht wegen Friedensbedingungen verhandeln könnten und dass das Königreich sich uns bedingungslos unterwerfen müsste. Es würde jedenfalls den Lovcen und den Meeresstreifen bis zur albanesi- schen Küste und seine albanesischen Distrikte abtreten müssen. Beim übrig bleibenden Teile könne allein die Frage der Zweckmässigkeit entscheidend sein und da müsse man sich Vorhalten, dass ein so verkleinertes Montenegro uns vielleicht als selbständiger Staat weniger lästig fallen würde, als wenn man das Land ganz okkupieren müsste und mit fortwährender Gährung und Erhebungen des Volkes zu rechnen hätte. Wenn man die Vor- und Nachteile resümiere, so erscheine es ihm, dass ein autonomes Montenegro weniger Schwierigkeiten ver¬ ursachen würde als ein unterworfenes. Für ganz unzweckmässig halte er den Vorschlag, dass Montenegro mit den noch übrig bleibenden serbischen Gebieten vereint werden sollte. Durch die Vereinigung mit den Serben würde ein politi¬ scher Einschlag in das an sich ziemlich ungefährliche Gebirgsvolk hineingetragen werden, die Montenegriner würden alle serbischen politischen Aspirationen sich aneignen und mit der ihnen eigenen Energie betreiben. Sie würden dann erst recht die Rolle eines Piemont am Balkan spielen wollen und ein wirksames Werkzeug für alle uns feindlichen Intrigen werden. 357 <pb/> Auf die albanesische Frage übergehend, betont Baron Buriän, er halte es für durchaus notwendig, dass die einmal geschaffene Selbständigkeit Albaniens erhalten bleibe, was ganz gut möglich sei, wenn dem Lande jene albanesischen Gebiete wieder zugegeben werden, welche nach dem Balkankriege an Serbien und Montenegro kamen. Man dürfte sich nicht durch das Fehlschlagen des ersten Versuches, ein unabhängiges Albanien zu errichten, irre machen lassen. Als Volk hätten die Albanesen seit jeher ihren Willen zum Leben mit der grössten Zähigkeit bekundet und auch durchgesetzt. Dass sich ihr Volkstum trotz nationaler Zer¬ splitterung und der grössten Willkürherrschaft in allen althergebrachten volklichen Eigentümlichkeiten erhalten konnte, beweise die Fähigkeit der Albanesen, sich national auszuleben. Man dürfe nicht vergessen, dass das Land nach Fassung der Londoner Beschlüsse1 nicht einen Augenblick Zeit gehabt habe, um sich auf eigene Füsse zu stellen. Die Organisation sei damals nach ganz verfehlten, für ein europäisches Kulturland geeigneten Methoden in Angriff genommen worden, man habe dem jungen Staatswesen ganz überflüssige Institutionen gegeben und dabei das einzig Wichtige, nämlich die politische Organisierung des Volkes von unten herauf auf Grund der schon bestehenden auf alter Sitte beruhenden Insti¬ tutionen ganz vernachlässigt. Infolge unserer Abmachungen mit Italien habe sich dort ein für das Land verhängnisvolles politisches Kondominium der beiden Adriamächte entwickelt, wobei Italien vom ersten Tage an ausschliesslich seine eigenen Ziele verfolgt habe. Aus den Erfahrungen der Episode Wied dürfe man keine Schlüsse auf die Lebensfähigkeit des Landes ziehen. Bei richtiger Führung könne ganz gut ein selbständiges Staatswesen aufgezogen werden. Wir müssten diese Arbeit verrichten, indem wir ein effektives Protektorat über Albanien aus¬ üben, nicht in der Absicht, uns dieses Land anzueignen, sondern von dem Wunsche ausgehend, es auf eigene Füsse zu stellen und vor jeder Einmischung dritter Staaten zu bewahren. Der Vorsitzende zieht eine Parallele zwischen diesem Protektorate der Monarchie, wie er es sich vorstellt, und jenem, das Russland seinerzeit in Bulgarien ausgeübt hat, und verweist darauf, dass Russland in Bulga¬ rien lediglich ein Werkzeug erblickte, welches es benützen wollte, um sich den Landweg nach Konstantinopel zu bahnen, wogegen wir in Albanien etwas ganz anderes projektieren, nämlich die Begründung und Befestigung der Selbständig¬ keit eines Staatswesens, welches seinen eigenen Lebensinteressen gemäss unseren Interessen am Balkan dienen und sich an die konservative und rein defensive Po¬ litik der Zentralmächte anschliessen müsse. Unsere Politik in Albanien könne dazu beitragen, uns die definitive Vormachtstellung am Balkan zu sichern, ohne dass wir in den Fehler Russlands verfallen und das Land als Werkzeug für etwaige Expansionsgelüste benützen. Im Süden werde man den Griechen gewisse Gebiete abtreten müssen, die man ihnen für die Wahrung der Neutralität in Aussicht gestellt habe. Diese Abtretungen spielen keine sehr grosse Rolle, wenn die albanesischen Teile Serbiens und Montenegros wieder mit Albanien vereinigt werden können. Die Nachbarschaft mit Griechenland biete den Albanesen auch Vorteile, sie wären hiedurch weniger isoliert und so könnte sich mit der Zeit 1 Über die Londoner Beschlüsse s. Anm. 1 zum Protokoll vom 7. September 1914. 358 <pb/>ein engeres politisches Verhältnis zwischen beiden Ländern entwickeln. Die Ver¬ wirklichung der Unabhängigkeit Albaniens unter unserem Protektorate hänge vom Resultate des Krieges ab, Italien werde nicht freiwilhg auf seine Stellung an der Ostküste der Adria verzichten und wenn es jetzt auch auf der Harfe der albane- sischen Selbständigkeit spiele, so sei es doch ganz sicher, dass man in Italien, ebenso wie Russland dies in Bulgarien tat, die Selbständigkeit Albaniens nur als ersten Schritt für die Herstehung einer italienischen Machtsphäre an der Ostküste der Adria ansehen würde. Allerdings dürfe man nicht annehmen, dass Italien auch nach einem verlorenen Kriege auf seine albanesische Pohtik ganz verzichten und dieselbe nicht nach einiger Zeit wieder aufnehmen würde. Wir müssten auch diese Eventualität voraussehen und die Frage erwägen, was für uns besser wäre, ein unter unserem Protektorate stehendes selbständiges Albanien, oder eine Teilung des Landes. Bei einer Teilung müssten wir uns den nördlichen Teil anghedern und die schwere Last auf uns nehmen, denselben zu verwalten. Für die anderen Teile käme Griechenland und Bulgarien in Betracht. Nord-Alba¬ nien wäre für die Monarchie kein Gewinn, wir müssten das Land ganz anders organisieren und verwalten, um es den anderen Gebieten der Monarchie gleich¬ zustellen, als wenn wir dem ganzen Gebilde seine Selbständigkeit bewahrten und dasselbe nach seiner Eigenart sich fortentwickeln hessen. Wir müssten aherdings auch hiebei die Führung in der Hand behalten, einzelne Punkte mihtärisch besetzen und unser Protektorat zu einem effektiven gestalten. Griechenland werde ohnehin auf Grund der bestehenden Vereinbarungen ahe jene Gebiete besetzen, welche der griechischen Sprache und Kultur schon jetzt unterliegen. Was aber die Zulas¬ sung Bulgariens an die Adria über albanesisches Gebiet betreffe, könne er sich derzeit mit einem solchen Gedanken nicht befreunden. Er habe sich als warmer Freund und Förderer Bulgariens erwiesen und habe auch seinerzeit alles getan, um dessen Bestrebungen, sich von der russischen Vormundschaft zu befreien, zu unterstützen. Trotz aller Sympathien für die gerechtfertigten Bestrebungen des Königreiches müsse er aber davor warnen, den Bulgaren zu erlauben, ihre Fahnen am Balkan weiter westlich vorzutragen, als dies bisher geschehen sei. Die ver¬ nünftig denkenden Politiker wünschten eine solche Ausbreitung auch nicht, sie seien sich der Tatsache bewusst, dass Bulgarien in der nächsten Zukunft genügend schwierige Aufgaben vor sich habe, wenn es Mazedonien und den östlichen Teil Serbiens sich assimilieren solle. Bulgarien besitze je einen Ausgang nach dem Aegäischen und Schwarzen Meere, was für seine wirtschaftliche Entwicklung vollauf genüge. Wenn wir die Bulgaren jetzt selbst veranlassen, nach Albanien vorzudringen, würden wir uns unnötiger Weise der Vorteile begeben, die er sich von einem selbständigen Albanien für die Monarchie erwarte. Es sei jedenfalls der Mühe wert, vorerst den Versuch einer albanesischen Autonomie unter öster¬ reichisch-ungarischem Protektorate zu machen. Misshnge er, so sei nichts verloren und wir könnten noch immer auf andere Mittel greifen, wobei seiner Ansicht nach es jedenfalls günstiger wäre, die Teilung mit Griechenland allein durchzuführen. Was die Möglichkeit anbelange, italienischen Intrigen in einem selbständigen Albanien die Spitze zu bieten, halte er die uns hiefür zu Gebote stehenden Mittel nicht für ganz aussichtslose. Wir hätten durch unser Protektorat die Führung in 359 <pb/>Händen und besässen auch die Möglichkeit, unsere materielle Kraft rasch in die Wagschale zu werfen. Schon unter den heutigen sehr ungünstigen Verhältnissen habe man konstatieren können dass ein grosser Teil des albanesischen Volkes auf unserer Seite stehe. Wir müssten diese Sympathien zu stärken suchen und alles tun, um den Albanesen die Überzeugung beizubringen, dass wir gewillt sind, die Organisierung ihres Landes in ganz selbstloser Weise in die Hand zu nehmen und ihnen zu einer Unabhängigkeit zu verhelfen. Der Vorsitzende geht auf die polnische Frage über. Er verweist darauf, dass das ganze polnische Gebiet heute in der Gewalt der Zentralmächte sei und diese die Entscheidung über dessen Zukunft ebenso in Händen hätten, wie dies bei Serbien der Fall sei. Er befinde sich seit längerer Zeit in Gedankenaustausch mit der deutschen Regierung über die zukünftige Gestaltung Polens und habe auch anlässlich seiner letzten Reise nach Berlin Gelegenheit gehabt, das Thema in etwas konkreter Form zu besprechen. Hiebei habe er konstatieren müssen, dass die Deutsche Regierung die Lösung der polnischen Frage um eine Nuance anders beurteile als früher, indem ihre letzte Erklärung dahin gehe, dass sie derzeit noch nicht in der Lage sei, zu der Frage definitiv Stellung zu nehmen. Sie sei scheinbar wegen ihrer schwierigen Lage hinsichtlich Belgiens und der Ostseeprovinzen von ihrer früheren Auffassung, nach welcher Polen an die Monarchie gelangen solle, wieder etwas abgekommen; man berufe sich jetzt in Berlin darauf, dass die deutsche öffentliche Meinung für den Fall, als Belgien und Kurland zurückgegeben werden müssten, einen unwiderstehlichen Druck auf die Regierung ausüben und sie zwingen werde, sich in Polen für die Opfer des Krieges zu entschädigen. Der Reichskanzler sei persönlich auch noch heute der Ansicht, dass die einzig richtige Lösung der polnischen Frage in der Angliederung an die Monarchie bestehen würde, er fürchte aber einen Ausbruch in Deutschland, wenn das deutsche Reich diesen Krieg ohne irgendeinen nennenswerten Gebietszuwachs beschliesse und Österreich-Ungarn eine erhebliche Vergrösserung erfahre. Baron Buriän hat auf die ihm gegenüber in diesem Belange vorgebrachten Bedenken geantwortet, er könne nicht einsehen, wie die schwerwiegenden Gründe, welche auch deutscher¬ seits gegen eine Angliederung grösseren polnischen Gebietes an Deutschland geltend gemacht werden, durch die Belgische Frage alteriert werden können. Der Kanzler habe die Richtigkeit dieser Einwendung zwar zugegeben, jedoch immer wieder darauf hingewiesen, dass die Deutsche Regierung angesichts der Stimmung der öffentlichen Meinung möglicherweise nicht die Macht haben würde, die ihr richtig erscheinende Lösung durchzusetzen. Auch über die Zukunft Polens könnte man heute noch keine definitiven Be¬ schlüsse fassen. Russland würde möglicherweise den Frieden von der Rückgabe eines Teiles oder ganz Polens abhängig machen; auch eine Teilung Polens zwischen dem Deutschen Reiche und der Monarchie komme noch in Frage. In letzter Zeit sei auch deutscherseits die Angliederung Polens an das deutsche Reich in Form eines Bundesstaates oder in noch loserer Verbindung und die Einsetzung eines Fürsten aus dem österreichischen oder sächsischen Hause besprochen worden; er habe dem Reichskanzler keinen Zweifel darüber gelassen, dass wir einer solchen Lösung der Frage nur schwer zustimmen könnten, da ein ausserhalb der öster- 360 <pb/>reichisch-ungarischen Monarchie befindliches polnisches Königreich den Verlust Galiziens für uns nach sich ziehen würde. Eine Teilung Polens könnten wir nicht a limine abweisen, wir müssten aber alles tun, um diese Lösung der Frage zu mei¬ den. Die Angliederung einzelner Teile des Königreiches würde für uns ein ver- grössertes galizisches Kronland schaffen und die Nachteile, welche dieses in seiner Rückwirkung auf die innerpolitische Situation in Österreich in sich trüge, nur vergrössern. Am massgebendsten erscheine ihm aber die nachstehende Erwägung gegen eine Teilung zu sprechen. Die polnische Nation sei bisher für den Pan- slavismus nicht zu gewinnen gewesen, es zeige sich immer mehr, dass die Russo- philie einzelner Polen rein opportunistischen Motiven entsprang und dass die polnische Nation sich von den panrussischen Bestrebungen konsequent fern gehalten hat. Im Falle einer Teilung Polens zwischen dem deutschen Reich und Österreich-Ungarn würde sich dies mit einem Schlage ändern. In diesem Falle würde die ganze Nation nur mehr ein Programm kennen, nämlich die Vereinigung aller polnischen Gebiete, wenn auch unter russischer Aegide. Dann würde die Proklamation des Grossfürsten Nikolaus Nikolajewitsch, die schon jetzt sehr geschadet habe, der Leitstern für das zukünftige Verhalten der ganzen Nation werden. Es würde eine allgemeine Russophilie einsetzen und Polen wäre für Westeuropa verloren. Solange uns Deutschland nicht zu einer Teilung zwinge, müssten wir alles tun, um eine solche zu vermeiden. Unterdessen beabsichtige er, den Gedankenaustausch mit der deutschen Regierung über die Zukunft Polens mit grösserer Insistenz fortzusetzen und auf eine Lösung des Problems zu drängen, zumal eine genaue Orientierung in dieser Frage für unsere innerpolitische Ausge¬ staltung dringend not tue. Der Vorsitzende unterbricht hierauf seine Ausführungen und erklärt sich bereit, im weiteren Verlaufe der Diskussion neuerliche Aufklärun¬ gen zu erteilen und Fragen zu beantworten, falls dies gewünscht werde. Der kgl. ung. Ministerpräsident ergreift das Wort und bemerkt, bevor er von den Territorialfragen spreche, müsse er auf die grosse Wichtigkeit für die Monarchie hinweisen, sich bei Friedensschluss eine Kriegsentschädigung zu sichern. Es wäre dies für unsere zukünftige Machtstellung ausschlaggebend, da ja auch unsere militärische Stärke in der Zukunft in erster Linie von der finan¬ ziellen Leistungsfähigkeit der Monarchie abhängen werde. Je grösser die Kriegs¬ entschädigungen, die wir erhalten können, wären, desto günstiger würden sich die Verhältnisse gestalten; wir müssten aber unbedingt trachten, wenigstens so viel zu erhalten, als für die Wiederherstellung der Valuta und für die Bezahlung der notwendigsten Rohstoffe, die wir nach dem Kriege aus dem Auslande beziehen müssten, erforderlich wäre. Unsere Valutaverhältnisse gestalten sich von Tag zu Tag besorgniserregender. Deutschland sei in dieser Beziehung fast in derselben Lage, so dass wir nicht mehr darauf rechnen können, die Devisenpreise durch Sicherung entsprechender Guthaben in Berlin zu sichern. Infolge der schlechten Ernten der letzten zwei Jahre und des grossen Aufwandes, den der Krieg mit sich brachte, würden wir gezwungen sein, beim Friedensschluss grosse Mengen Rohstoffe aus dem Auslande zu beziehen, es sei dies die wichtigste Voraussetzung für die Neubelebung unseres wirtschaftlichen Lebens. Zur Bezahlung dieser Importe müssten wir unbedingt eine Kriegsentschädigung erhalten, es sei dies 361 <pb/>geradezu unerlässlich; er könne sich gar nicht vorstellen, wie unsere wirtschaftliche Fortentwickelung nach dem Kriege gesichert werden könne, wenn es uns nicht gelinge, dieses Minimum zu erhalten. Graf Tisza geht hierauf auf das eigentliche Verhandlungsthema über und betont vor allem, dass er der einleitenden Bemerkung des Vorsitzenden, dass es weder österreichische noch ungarische Gesichtspunkte bei Beurteilung der Pro¬ bleme der Zukunft geben könne, sondern dass hier lediglich die Interessen der ganzen" Monarchie in Frage kommen, vollkommen beistimme. Es sei ganz ausgeschlossen, dass irgendjemand daran denke, eine Kirchturmpolitik zu machen und Sonderinteressen dem allgemeinen Vorteil vorzustellen. Es könne keine unga¬ rischen Sonderinteressen geben, welche mit den allgemeinen Interessen der Monarchie nicht identisch seien. Von dem Standpunkte der Gesamtinteressen der Monarchie sei es andererseits notwendig, dass Ungarn, dessen hohe Bedeutung für unsere Machtstellung in diesem Kriege bewiesen worden sei, als lebendiges kraftvolles Ganzes sich fortentwickeln könne und die Lebensbedingungen des ungarischen Nationalstaates müssen berücksichtigt werden, weil sie eben Bedin¬ gungen der Grossmachtstellung der Monarchie darstellen.6 Er stimme mit dem Vorsitzenden auch darin überein, dass die geographische Lage es mit sich bringe, dass die beiden Staaten der Monarchie an dem einen oder anderen der zu lösenden Probleme mehr interessiert seien. Dies sei für Österreich bei Polen der Fall. Er habe daher auch bei Besprechung der polnischen Frage der österreichischen Regierung immer den Vorrang eingeräumt und alle von derselben aus innerpolitischen Gründen geltend gemachten Bedenken anerkannt. Er verkenne die Schwierigkei¬ ten der polnischen Frage durchaus nicht und sehe vollkommen ein, dass wir mit der Anghederung Polens eine schwere Last auf uns nehmen. Ein ebensolches Verständnis müsse er aber auch für die Schwierigkeiten des ungarischen Staates" in der serbischen Frage beanspruchen. Im grossen und ganzen sei bezüglich Polens ein Einverständnis aller massgebenden Faktoren erzielt worden und er begrüsse die Absicht des Vorsitzenden, den Gedankenaustausch mit der deutschen Regie¬ rung über dieses komplizierte Problem lebhafter zu gestalten und hier Klarheit zu schaffen. Was Albanien betreffe, sei er vielleicht hinsichtlich der zukünftigen Entwicklungs¬ möglichkeiten dieses Landes um einen Grad weniger optimistisch wie der Vor¬ sitzende. Er stimme dessen Ansicht bei, dass man nicht versuchen solle, dieses Land zu einem europäischen Kulturstaat umzubilden. Man müsse jeden nach seiner Art selig werden lassen. Daher sollte auch die Einwirkung, die wir auf die dortigen Verhältnisse beabsichtigen, sich möglichst beschränkte Ziele vorsetzen. Man dürfe vor allem nicht versuchen, Albanien in einen Musterstaat umzuwandeln. Jeder Rückschlag, den man bei einem solchen Versuch erfahren würde, würde als Schlappe der Monarchie angesehen werden. Es werde auch nicht leicht sein, a) Das Wort »Gesamtmonarchie« wurde von Tisza auf »ganzen« korrigiert. b) Der Teil »die Lebensbedingungen . .. der Monarchie darstellen« wurde von Tisza nachträglich eingefügt. Im maschinengeschriebenen Text stand: »dass seine besonderen Interes¬ sen berücksichtigt werden«, was von Tisza gestrichen wurde. c) Das Wort »Regimes« wurde von Tisza nachträglich auf »Staates« korrigiert. 362 <pb/>fremde Einflüsse von dort fernzuhalten, das Land sei in Parteien zersplittert, die Albanesen würden in ihren Parteikämpfen immer bereit sein, fremde Hilfe und wahrscheinlich auch fremdes Gold anzunehmen, besonders für italienische Intri- guen werde hier immer ein günstiges Feld der Betätigung offen bleiben. Auch er hält es jedoch für das Richtige, den Versuch mit einem selbständigen Albanien zu wiederholen und erst wenn er misslinge, an eine andere Lösung zu denken, wobei wohl in erster Linie die Vereinigung mit Griechenland in Betracht zu ziehen wäre. Was Montenegro betreffe, so möchte Graf Tisza die Möglichkeit einer Vereini¬ gung des verkleinerten Königreiches mit den noch verbleibenden Teilen Serbiens nicht so entschieden ahlehnen, wie der Vorsitzende dies getan habe. Er möchte sich auch diese Eventualität offen halten, zumal er sich vorstellen könne, dass ein Ausspielen Montenegros bei Lösung des serbischen Problemes zur Stärkung der Friedensmöglichkeiten beitragen könnte. Für ihn sei die serbische Frage das Wichtigste. Von allen nicht controversen Seiten^ losgelöst reduziere sich dieses Problem auf die Frage, ob es zweckmässig wäre, die noch verbleibenden IV2 Millionen Serben der Monarchie anzugliedern oder ihnen ihre Selbständigkeit zu belassen. Über das Ziel, welches in der serbi¬ schen Frage zu erreichen wäre, seien alle einig, nur bezüglich der Mittel hiezu herrsche noch eine Divergenz der Ansichten. Die nationalpolitische Frage der Niederkämpfung der großserbischen Propaganda sei mit der staatsrechtlichen eng verwachsen, er verweise in dieser Hinsicht auf die Notwendigkeit, den zentri¬ petalen Kräften in den Ländern der Stephanskrone, also den Ungarn und Kroaten, jene Stellung zu erhalten, welche sie im Interesse des Ganzen einnehmen müssten. Man müsse sich fragen, durch welche der beiden Alternativen es leichter wäre, dieses Ziel zu erreichen und mit der großserbischen Agitation fertig zu werden. Er erkenne die Schwierigkeiten vollkommen an, die uns feindliche Agitation in einem unabhängigen serbischen Staate durch Kautelen wirtschaftlicher und militärischer Natur niederzuhalten. Auf den ersten Blick könne es auch leichter erscheinen, dieser Agitation Herr zu werden, wenn wir 100% des serbischen Volkes beherrschen. Man dürfe aber nicht vergessen, dass nicht wir Herrscherrechte über die angeghederten Serben erwerben würden, sondern dass auch diese durch die Tatsache der Inkorporierung politische Rechte erwerben, welche sie wohl in den Anfangsstadien, solange in den besetzten Gebieten ein absolutistisches Regime bestehe, nicht in vollem Umfang geltend machen könnten, die aber in der späteren Folge im innerpolitischen Leben sehr stark fühlbar werden und die Lage der Ungarn und Kroaten sehr erschweren würden. Im Leben der Völker spiele die kurze Periode, in welcher das absolutistische Regime in Serbien aufrecht erhalten werden könne, keine Rolle, sobald man diesen Serben aber verfassungsmässige Rechte zuerkenne, würde die Wirkung sich auf alle anderen Serben fühlbar machen. Unsere Serben würden schon jetzt ihre politische Zukunft ganz anders einschätzen, wenn sie wüssten dass sie einen Zuwachs einer kompakten Masse d)lm maschinengeschriebenen Text wurde »nebensächlichen« von Tisza auf »nicht contro¬ versen Seiten« korrigiert. 363 <pb/>von l1/2 Millionen Serben erhalten sollen. Diese Masse steht uns absolut fremd¬ artig, ja feindlich gegenüber. Sie hat den eigentlichen Herd der grosserbischen Agitation, den Mittelpunkt aller gegen uns gerichteten Umtriebe gebildet, unde würde sofort ein Gravitationszentrum für die Ralliierung aller Serben bilden und auch auf die Haltung Kroatiens nicht ohne Einfluss bleiben. Man würde sich täuschen, wenn man die Anziehungskraft eines ausserhalb der Monarchie liegenden kleinen Serbiens und dessen Gefahren höher einschätzen würde, als jene, welche die Aufnahme einer so grossen geschlossenen Menge Serben in die Monarchie in sich berge. Die Attraktionskraft der von Belgrad aus verbreiteten großserbischen Idee sei eine relativ neue; sie habe erst begonnen, als Serbien ungeahnte politische und militärische Erfolge erzielte und eine grosse Zukunft vor sich sah. Diese Zukunftshoflhungen seien nunmehr zugrunde gerichtet und er könne nicht glauben, dass ein verkleinertes und sehr geschwächtes Serbien, dessen Hauptstadt eine kleine Gebirgsstadt wäre, für Dezennien hinaus irgend welchen Einfluss auf unsere Serben ausüben könnte. Im Innern müsse man bestrebt sein Ordnung zu schaffen und insbesondere in Kroatien die Stellung der Kroaten gegen die Serben zu verbessern. Dieser Krieg habe in Kroatien glück¬ licherweise die schon stark hervortretenden Einigungsbestrebungen zwischen Ser¬ ben und Kroaten vollkommen vernichtet und die reinliche Trennung der beiden Stämme zur Folge gehabt. Man dürfe aber nicht vergessen, dass die Kroaten trotz ihrer hohen militärischen Eigenschaften im alltäglichen Leben in politi¬ scher und wirtschaftlicher Hinsicht gegen den Serben unterliegen, und dass dieser sich auch in kroatischen Gegenden durch seine grössere Rührigkeit eine führende Rolle zu sichern wusste. Wenn man jetzt die Kroaten einer grossen serbischen Masse, wie sie durch die Angliederung entstehen würde, gegenüber stellen wollte, so glaube er mit Sicherheit darauf rechnen zu können, dass die nationalen Ver¬ einigungsbestrebungen wieder einsetzen und die kroatische Jugend sich wieder durch dieselben beeinflussen lassen würde. Wir würden dann dieselben Erfahrun¬ gen durchzumachen haben, wie in der Zeit vor dem Kriege. Wenn man aber das geringere Übel wählen und die okkupierten Teile Serbiens nicht an Kroatien son¬ dern an Ungarn anghedern wollte, so würde dies auch für die ungarische Nation eine schwer zu ertragende Belastung bedeuten. Ungarn sei schon genügend durch die rumänische Frage belastet, wenn man jetzt eine kompakte Masse von zwei Millionen Serben angliedern wollte, so würde dies eine neue Gefahr für das Ungarntum bedeuten. Diese serbischen Gebiete wären immer ein Erisapfel zwi¬ schen Ungarn und Kroatien, die südslavischen Aspirationen würden in Agram wieder erwachen und die Gegensätze zwischen Ungarn und Kroaten sehr ver¬ schärft werden. Diese praktischen Bedenken seien es, welche die ungarische Regierung veranlassen, so entschieden gegen die Angliederung grösserer serbischer Gebiete Stellung zu nehmen und in einer solchen Massnahme die grössten Ge¬ fahren zu erblicken. Schön jetzt sei die Lösung der serbischen Frage in Ungarn nicht leicht, wir hätten über drei Millionen Serben in der Monarchie; durch e) Der Teil »steht uns absolut fremdartig ... gebildet, und« wurde von Tisza nachträglich eingefügt. 364 <pb/>Angliederung von weiteren zwei Millionen würde die Situation so erschwert werden, dass die ungarische Regierung hiefür die Verantwortung nicht über¬ nehmen könnte. Unter solchen Umständen sehe er keine andere mögliche Lösung, als dass man die Nordwestecke Serbiens in möglichst beschränktem Ausmasse direkt an Ungarn angliedere und den Rest selbständig belasse. Er hielte es für einen Fehler, irgendwelche Teile mit Kroatien oder Bosnien zu vereinigen. In den an Ungarn angegliederten Teilen solle sobald als möglich mit einer intensiven Kolonisation zuverlässiger ungarischer und deutscher Bauern begonnen und so an der Südostgrenze der Monarchie ein Keil zwischen den Serben im Königreiche und den in der Monarchie verbleibenden errichtet werden. Belgrad würde zur ungarischen Provinzstadt und würde so jede Bedeutung als Zentrum des Serben- tumes verlieren. Die ganze Kolonisationsaktion, von der er sich sehr gute Früchte verspreche, hätte jedoch nur dann einen Sinn, wenn man Serbien nicht annektiere. Die Situation in dem noch zurückbleibenden unabhängigen Serbien könnte sei¬ ner Ansicht nach auch nicht ungünstig gestaltet werden. Das kleine Königreich wäre wirtschaftlich und politisch auf die Monarchie angewiesen, wir würden eine large und generöse wirtschaftliche Befriedigung dieser Gebiete ohne Bedenken in unser Programm aufzunehmen in der Lage sein, wir könnten in diesem Belange grosses Entgegenkommen beweisen. Serbien würde fast nur tierische Produkte zu uns ausführen, es wäre auf diesen Export angewiesen und wir hatten es immer in der Hand, scharfe Massregeln zu ergreifen, um Serbien zu einem korrekten Verhalten zu zwingen. (Im weiteren Verlaufe der Konferenz ergänzte Graf Tisza diesen Gedankengang in Beantwortung einer Einwendung des k.k. Minister¬ präsidenten, indem er ausführt, er denke nicht daran, das an die Monarchie für seine Entwicklung angewiesene Serbien durch wirtschaftliche Zwangsmassregeln zu knebeln, im Gegenteil beabsichtige er dem Königreich in ökonomischer Hin¬ sicht tunlichst entgegenzukommen. Er habe nur darauf hinweisen wollen, welche Zwangsmassregeln uns zu Gebote stehen würden, falls das politische Verhalten Serbiens in der Zukunft solche erforderlich machen sollte.) Endlich erwähnte Graf Tisza noch, dass obwohl er derzeit dem Vorsitzenden vollkommen beistimme, dass es heute noch nicht angezeigt wäre, die Bulgaren weiter gegen Westen Vordringen zu lassen, man sich in der Zukunft für den Fall, als Serbien uns wieder Schwierigkeiten bereite, sehr gut mit dem Gedanken befreunden könnte, Bulgarien zur Besetzung ganz Serbiens zu ermutigen. Dies würde seiner Ansicht nach unseren Interessen nicht schaden und eine solche Aktion dürfte wohl auch auf den Balkan beschränkt bleiben, ohne dass die Gefahr eines neuen Weltkrieges hiedurch heraufbeschworen würde. Resümierend betont Graf Tisza, er sei so sehr von der Schädlichkeit einer Annektierung ganz Serbiens überzeugt, dass er hiefür die Verantwortung nicht übernehmen könne. Wenn heute eine neue Beschlussfassung vorgeschlagen und in diesem Sinne ein Beschluss gefasst worden wäre, hätte er für seine Person die Konsequenzen daraus ziehen müssen. Wie die Sachen stehen, halte er übrigens eine Annexion Serbiens mit Rücksicht auf die Friedensmöglichkeit mit Russland für ganz ausgeschlossen, denn für Russland habe die serbische Frage eine ebensolche Wichtigkeit, wie die belgische für England. Nachdem heute kein neuer 365 <pb/>Beschluss gefasst werden solle, bestehe, wie der Vorsitzende schon betont, der eine weitgehende Annexion serbischer Gebiete ausschliessende Beschluss des gemeinsamen Ministerrates vom 19. Juli 1914 noch aufrecht. Graf Tisza spricht den Wunsch aus, dass dieser Beschluss heute in dem Sinne ergänzt werde, es möge ausgesprochen werden, dass alles Gebiet, was in Nordserbien annektiert werde, direkt mit Ungarn zu vereinigen sei und dass die k.u.k. Militärverwal¬ tung über diese Absicht informiert und angewiesen werden möge, diesem Plane so weit als tunlich in administrativer Hinsicht vorzuarbeiten, indem sie insbeson¬ dere der vorgesehenen Ansiedlung verlässlicher Elemente die Wege ebne. Hiemit schliesst der kgl. ungarische Ministerpräsident seine Ausführungen und der Vorsitzende unterbricht die Konferenz für einige Zeit. Nach Wiedereröffnung der Sitzung ergreift der k. k. Ministerpräsi¬ dent das Wort. Graf Stürgkh betont, dass die heutige Konferenz nicht den Zweck habe, bindende Entschlüsse zu fassen, es handle sich lediglich um einen Meinungsaustausch über die vorhegenden Probleme ohne definitive Bindung. Die Hauptsache sei, dass uns die Dispositionsfähigkeit über die in Frage kom¬ menden Gebiete durch eine günstige Fortentwicklung der militärischen Lage erhalten bleibe und dass wir bei den Friedensverhandlungen gewisse durch innere vitale Interessen bedingte Ziele verwirklichen können. Er sei vollständig einver¬ standen mit der Ansicht des Vorsitzenden, dass alles von dem Gange der Friedens¬ verhandlungen abhänge und dass wir auch genötigt sein können, unsere Wünsche und Ansprüche herabzusetzen, wenn es sich herausstelle, dass dies zur Herstellung des Friedens notwendig sei. Auf die Einzelfragen übergehend, bespricht Graf Stürgkh vor allem die polnische Frage. Er verweist auf ihre Schwierigkeiten und auf die grosse Last, welche Österreich durch Anghederung Polens auf sich nehmen würde. Trotzdem bleibe es ein wünschenswertes Ziel, dass das ganze Russisch- Polen an die Monarchie angegliedert werde. Die österreichischen Polen seien alle auf dieses Ziel eingeschworen und jede andere Lösung des Problems hätte den Verlust Gahziens zur Folge. Wenn die beiden Zentralmächte, welche es jetzt in ihrer Macht haben, die nationalen Aspirationen der Polen zu verwirkhchen, ohne zwingende Gründe von diesem Plane absehen sollten, so würden alle Polen sich von ihnen abkehren und Russland zuwenden. Die Teilung Polens zwischen uns und dem deutschen Reiche könne Unbeteiligten noch plausibel erscheinen, in Wirklichkeit gebe es nichts was seitens der Polen mehr perhorresziert werde, als dieser Gedanke. Ausserdem spreche für die Monarchie auch noch folgendes Bedenken dagegen. Wenn nur ein Teil Polens zu Österreich-Ungarn komme, so gebe es keine andere Möglichkeit, als ein erweitertes galizisches Kronland zu schaffen, es würden dort dieselben schwierigen politischen Verhältnisse fort- bestehen, wie bisher und was vor allem zu betonen sei, es würde der österreichi¬ schen Regierung fast unmöglich gemacht, die ruthenische Frage zu lösen. Nur wenn ganz Kongresspolen mit Westgalizien vereinigt werden könnte, würden die Polen sich, wenn auch mit Widerwillen mit dem Plane abfinden, dass Ostgalizien von Polen abgetrennt und als österreichische Provinz nach dem Muster der Bukowina organisiert werde. Die österreichische Regierung habe keineswegs die Absicht, Ostgalizien den Ruthenen zu überlassen, die Verwaltung müsse im Gegenteil 366 <pb/>eher germanisiert werden und eine ganz unparteiische sein. Die Ruthenen seien hiemit ganz einverstanden; das einzige, was sie nicht dulden würden, wäre, nach dem Kriege noch unter polnischer Oberherrschaft zu bleiben, auch wenn ihnen im vergrösserten Polen sehr weitgehende Autonomie gewährt würde. Eine österrei¬ chische Verwaltung würden sie gerne sehen, sogar in der Universitätsfrage seien sie sehr konnivent und ganz damit einverstanden, dass die in Aussicht genommene neue Universität in Lemberg einen utraquistischen deutsch-ruthenischen Charakter erhalte und dass auf vielen Lehrkanzeln deutsch vorgetragen werden solle. Die Reorganisation Ostgaliziens auf dieser Grundlage, welche er für ein ganz vitales Interesse der ganzen Monarchie, insbesondere auch Ungarns ansehe, wäre aber nur dann möglich, wenn die Polen auf anderem Gebiete, nämlich durch die Angliederung ganz Russisch-Polens befriedigt würden. Was Albanien betrilft, teilt der k.k. Ministerpräsident die Skepsis des Grafen Tisza hinsichtlich der Möglichkeit, das Land als unabhängiges Staatswesen zu organisieren und möchte dieselbe noch in verstärktem Maßstabe aussprechen. Die bisherigen Erfahrungen seien nicht ermutigend. Wenn Graf Tisza zugebe, dass die Gefahr fremder Wühlereien und Intriguen dort sehr gross bleiben werde, so teile er diese Ansicht vollkommen. Das einzige Mittel hiegegen erblickt er in einem möglichst effektiven Protektorat. Alles hänge davon ab, wie Itahen aus diesem Kriege hervorgehe. Er wisse nicht, was das Armeoberkommando gegen Italien noch vorhabe, wenn Letzteres wirklich besiegt werden könnte, wäre die Gefahr jedenfalls geringer, denn die Itahener würden sich dann wohl überlegen, wegen Albanien einen neuen Krieg mit uns anzufangen. Bezüglich Montenegros habe er keine abgeschlossene Ansicht. Die Zeit, wo man Montenegro begnadigen und ihm Entgegenkommen zeigen könnte, sei vorüber. Jetzt müsse man abwarten, wie die bevorstehende Aktion enden werde. Für jeden Fall erscheine es ihm möglich, dass ein vom Meere abgeschnittenes Gebirgsland bestehen bleiben könnte. Dagegen würde er eine Vereinigung mit Serbien sehr ungern sehen. Die Montenegriner müssten in Hinkunft in ihren Bergen zurückgehalten und ihr Land etwa wie ein amerikanischer Naturpark behandelt werden. Eine Vereinigung mit Serbien würde der Politik wieder die Tore öffnen, und alle daraus folgenden Gefahren weiterbestehen lassen. Bei Beurteilung der serbischen Frage müsse er die einleitenden Worte des Vorsitzenden ins Gedächtnis der Anwesenden zurückrufen, wonach der Zweck dieses Krieges darin bestehe, die Monarchie möglichst zu stärken und sie vor neuerlicher Bedro¬ hung zu beschützen. Es handle sich darum zu ergründen, wie dies Serbien gegenüber am besten geschehen könne. Das Problem sei in erster Linie ein nationalpolitisches und erstrecke sich auf alle von Serbien bewohnten Gebiete, also auch auf Bosnien und Dalmatien. Wenn man sich die Frage vorlege, wo die Serben gefährlicher wären, in oder ausserhalb der Monarchie, so müsse er von seinem Standpunkte die zweite Alternative als die gefahrdrohendere bezeichnen. Ein mit Prärogativen eines selbständigen Staatswesens, einem Staatsoberhaupt, internationalen Ver¬ tretungen ausgestattetes Serbien werde immer wieder zum Brennpunkt gross¬ serbischer Agitation werden. Die Lage würde für uns viel schwieriger, wenn die bei uns lebenden Serben wissen, dass jenseits der Grenze noch ein unabhängiges 367 <pb/>Serbien fortbesteht, eine serbische Skupschtina tage und dass man an ihrem Standorte eine Förderung der großserbischen Idee erwarten könne. Er leugne zwar nicht die Schwierigkeiten der Inkorporierung des ganzen serbischen Gebietes, es scheine ihm aber doch etwas paradox zu behaupten, dass sie grösser wären, als jene, die von dem Fortbestände eines selbständigen Staatswesens zu erwarten seien. Neben den grossen Schwierigkeiten des polnischen Problems erscheine ihm doch die Aufnahme von l1^ Millionen weiterer Serben in die Monarchie kinderleicht. Er lege keinen grossen Wert auf Stimmungen, müsse aber doch bemerken, dass man es weder in der Monarchie noch in Deutschland begreifen würde, wenn wir, ohne hiezu gezwungen zu sein, ein selbständiges Serbien künst¬ lich wieder aufrichten wollten. Er erinnere sich ganz wohl an den Beschluss des Ministerrates vom 19. Juli 1914, müsse aber doch darauf hinweisen, dass wir seit diesem Beschlüsse durch 17 Monate Krieg geführt und die Verhältnisse sich seither wesentlich geändert haben. Er gebe auch zu, dass der erwähnte Beschluss noch formell aufrecht bestehe, da er durch keinen neueren ersetzt worden sei, aber ein solcher Beschluss habe doch nicht die Bedeutung eines Reichsgesetzes. Wenn heute kein genereller neuer Beschluss gefasst werden solle, so müsste er sich auch dagegen aussprechen, dass die von dem kgl. ungarischen Minister¬ präsidenten gewünschten Zusätze bezüglich der Annexion der Nordwestecke an Ungarn und der Vorbereitung der Annexion durch die k.u.k. Militärverwaltung heute beschlossen werden, denn es scheine ihm, dass das ganze Problem, über welches man heute noch keine Beschlüsse fassen könne, durch solche Zusätze bis zu einem gewissen Grade präjudiziert werden könnte, indem man aus der Absicht, nur die Nordwestecke an Ungarn anzugliedern, schliessen könnte, dass man nichts anderes annektieren wolle. Er wäre dafür, dass man auch in dieser Teilfrage keine Beschlüsse fasse, welche uns bei der definitiven Lösung die Hände binden könnten. Der k.u.k. gemeinsame FinanzminLster weist darauf hin, dass er schon bei einem anderen Anlasse bemerkt habe, dass die Monarchie nach ihrer nationalen Struktur und ihren staatsrechtlichen Einrichtungen nur schwer auf¬ nahmsfähig sei und die Frage einer territorialen Angliederung jedesmal auf Schwie¬ rigkeiten stosse, die darin ihre Ursache haben. Die Kriegsereignisse haben es mit sich gebracht, dass wir ernstlich vor solchen Fragen stehen und uns damit beschäftigen müssen. Das Kriegsziel, dass wir bei Beginn des Krieges uns setzten, war vornehmlich, uns im Süden der Monarchie Ruhe zu verschaffen und unsere wirtschaftliche Stellung dort zu sichern. Die großserbische Idee, die von Jahr zu Jahr an Verbreitung gewann und mächtig auch auf die von Serben bewohnten Gebiete der Monarchie Übergriff, hat dort so unleidliche Verhältnisse geschaffen, dass ein weiteres Zusehen und Zuwarten im Interesse der Monarchie nicht mehr angängig war. Infolge der Unterwerfung Serbiens ist uns die Möglichkeit, aber auch die Aufgabe erwachsen, ein für allemal diesem unhaltbaren Zustande ein Ende zu machen. Es unterliege nämlich seines Erachtens keinem Zweifel, dass, wenn wir ein selbständiges, in noch so beschränktem Umfange und in völliger wirtschaftlicher Abhängigkeit von uns befindliches Serbien bestehen lassen, dieses nach wie vor eine Pflanzstätte der großserbischen Bewegung bleiben und durch 368 <pb/>Zuwanderung von Konnationalen aus Südungarn, Kroatien, Bosnien und Dal¬ matien das Symbol einer höheren Einheit des Serbentums darstellen wird. Ver¬ schwindet aber Serbien als Staat von der Landkarte, so hört notwendigerweise jedes weitere Refugium für die grosserbisch gesinnte Intelligenz auf. Dagegen eröffnet sich diesen allen ein ungeahntes neues Betätigungsfeld innerhalb der Monarchie. Es ist dies gewiss ein Anreiz, für den die Serben, die ja aus dem Balkankriege und aus dem jetzigen Weltkriege nicht mit Unrecht die Überzeugung geschöpft haben, ein in mannigfacher Hinsicht besonders begabtes Volk zu sein, sicher nicht unempfänglich sein werden. Von dem traurigen Bewusstsein durch¬ drungen, dass sein Staat auch im allergünstigsten Falle nicht mehr die Stellung zurückzugewinnen imstande sein wird, die er sich im Bukarester Frieden errungen hatte, wird gerade der beste und reifste Teil der serbischen Intelligenz dem Ge¬ danken, in Hinkunft im ungleich weiteren Rahmen der Monarchie eine Wirksam¬ keit zu finden, sicherlich nicht völlig ablehnend gegenüberstehen. Einen Staat kann man manu militari zu Boden werfen, eine Idee nicht. Wenn wir den serbi¬ schen Staat auch noch so sehr einschränken und niederhalten, mit der Idee sind wir darum noch lange nicht fertig. Wir können sie nicht auslöschen und nicht zertreten. Wir können nur entweder uns selbst ihrer bemächtigen, oder wir müssen gewärtigen, dass sich andere gegen uns ihrer bemächtigen. Ein Drittes gibt es nicht. Wenn wir dies tun wollen, setzt dies voraus, dass wir einen selbst- oder halbselb¬ ständigen serbischen Staat nicht fortbestehen lassen dürfen und von diesen Erwä¬ gungen geleitet, könne er sich nur für die Einverleibung des ganzen Serbiens -- mit Ausnahme des Bulgarien zufallenden Teiles -- aussprechen. Vom Standpunkte der Friedensverhandlungen dürfte dies kaum in die Wagschale fallen, denn auch gegen die Belassung eines verkleinerten, von uns wirtschaftlich abhängigen Serbiens wird der Widerstand der Ententemächte, insbesondere Russlands der gleiche sein. Wichtig scheine ihm auch, dass wir den Sandschak wieder in die Gewalt bekommen, weil er für unseren Handel und den Verkehr nach Saloniki von ausschlaggebender Bedeutung ist. Montenegro ist zu arm und unkultiviert, um eine breitere Intelligenz¬ schichte hervorzubringen und es ist dort die Pflege der großserbischen Idee wie bisher nicht zu erwarten. Von diesem Gesichtspunkte aus erscheine ihm sein eventu¬ eller Fortbestand, wenn wir eine gute strategische Grenze und die Küste erlangen, von geringerem Belange. Was Albanien betrifft, so meine er, dass die Erfahrungen, welche gerade dort in den letzten Jahren gemacht wurden, nicht ermunternd seien und dargetan haben, dass die Albanesen nicht die Reife haben, ein selbständiges Staatswesen zu bilden. Die Eigenart der Albanesen, die Rivalität der Häuptlinge der verschiedenen Stämme lassen das Land nie ganz zur Ruhe kommen und ob dies selbst bei Schaffung eines Protektorates sich ändern werde, möchte er bezweifeln. Er würde eine entspre¬ chende Teilung Albaniens, wie sie angeregt wurde, für zweckmässiger erachten. Den Ausführungen des Herrn Vorsitzenden in Bezug auf Polen schliesse er sich völlig an und müsse betonen, dass die etwa eintretende Teilung Polens eine arge Enttäuschung bei allen Schichten der polnischen Bevölkerung hervorrufen werde und die Gefahr bestehe, dass die Stimmung wieder zu Gunsten Russlands umschlage, in der Hoffnung, dass ihr von dort die verheissene Autonomie zuteil 24 Komjäthy: Protokolle 369 <pb/>werde. Jedenfalls werden sich aus einer solchen Lösung ernste Schwierigkeiten ergeben und nicht nur die Völker der Entente, auch viele neutrale Länder werden für die Polen Partei ergreifen und sie aufhetzen. Auch die besprochene Teilung Galiziens durch Schaffung einer selbständigen Provinz im Osten werde von den Polen als ein arger Schlag empfunden und auf unser künftiges Verhältnis zu Russland nicht ohne Einfluss bleiben. Der k.u.k. Kriegsminister verweist darauf, dass die auf der Tages¬ ordnung stehenden Fragen so eingehend besprochen worden seien, dass er den¬ selben wenig beizufügen habe. Wir hätten den furchtbaren Weltkrieg auf uns neh¬ men müssen, um unser Verhältnis zu klären. Zwar hätten bei Vorbereitung unserer Aktion gegen Serbien alle Faktoren damit gerechnet, dass ein Eingreifen Russ¬ lands in den Krieg unvermeidlich sei, mit der Teilnahme Frankreichs und ins¬ besondere Englands habe man nicht mit Bestimmtheit rechnen können. England habe sich seither als der treibende Faktor unter unseren Feinden erwiesen und er sei fest davon überzeugt, dass dies auch in Zukunft der Fall sein werde, wenn es nicht gelinge, England niederzuwerfen. Der Kriegsminister macht diesbezüglich geheime Mitteilungen über die Möglichkeit des Versuches einer deutschen Lan¬ dung in England nach Zerstörung eines Teiles der englischen Flotte durch deutsche Luftschiffe. Wenn wir jetzt unseren Willen gegen Serbien nicht durchsetzen und dasselbe nicht aus der Landkarte Europas streichen könnten, so würde die uns gefährliche Agitation daselbst sofort nach dem Kriege wieder einsetzen und wir müssten uns in 10 bis 20 Jahren auf eine ähnliche Situation gefasst machen, wie sie vor Ausbruch des Krieges bestand. Serbien könne in keiner Weise mit Belgien verglichen werden. Das Land stehe auf einer ganz niedrigen Kulturstufe, man müsse, wenn man Ser¬ bien heute besuche, darüber staunen, dass es diesem armseligen Lande möglich war, eine so grosse politische Rolle zu spielen. Seiner Auffassung nach müsste der ganze noch zurückbleibende Teil Serbiens an Ungarn geschlagen und in 4 Komi- tate geteilt werden. Die l1^ Millionen Serben, um die es sich handle, könnten einem so lebenskräftigen Staatswesen wie Ungarn unmöglich gefährlich werden. Der ungarische Staatsgedanke habe sich in diesem Kriege hei allen Nationen, welche die Länder der Stephanskrone bewohnen, als ein so starker erwiesen, dass alle Nationahtäten sich in den schweren Kämpfen als zuverlässige und königstreue Soldaten erwiesen hätten. In Serbien müsste ja ohnedies ein Übergansstadium mit absolutistischem Regime geschaffen werden, diese Zeit werde man ausnützen können, um auf die Jugend einzuwirken und dieselbe zum Patriotismus heranzu¬ ziehen. Graf Tisza habe die Ansiedlungsfrage erwähnt. Auch General Krobatin hält diese Frage für eine sehr wichtige und erblickt in der Ansiedlung staatstreuer Kolonisten ein sehr geeignetes Mittel, um die Gefahren zu verringern. Jedenfalls wären diese viel geringer als bei einem selbständigen Serbien. Was Montenegro betreffe, ist auch er der Ansicht, dass ein verkleinertes und vom Meere abgeschnittenes Montenegro nicht gefährlich werden könnte. Monte¬ negro müsse man als Tauschobjekt bei den Friedensverhandlungen betrachten. Über Albanien könne er sich kein Urteil bilden. Die ihm zur Verfügung stehen¬ den Informationen über die dortigen Verhältnisse seien sehr widersprechende. 370 <pb/> Man könne nicht leugnen, dass ein starkes Nationalgefühl in Albanien bestehe, wenn man dies benütze und keinen europäischen Maßstab anwende, werde es vielleicht möglich sein, dem Lande eine Entwicklungsmöglichkeit zu sichern. Auf alle Fälle dürfe man sich nicht zu sehr in die dortigen Verhältnisse einmengen. Baron Krobatin würde in der Angliederung Polens keine Stärkung sondern eher eine Schwächung der Monarchie erblicken. Wie sich die Verhältnisse dort entwickeln würden, könnte heute kein Mensch Vorhersagen. Er glaube nicht, dass Deutschland geneigt sein werde, eine Vereinigung ganz Polens mit der Monarchie zuzugeben. Der Gedanke einer Teilung trete immer mehr in den Vordergrund. Diese Lösung werde von den Polen hingenommen werden müssen, für die Zukunft erblicke er aber auch in der Teilung Polens eine Gefahr für unser Verhältnis zum deutschen Reiche. Die verschiedenartige Behandlung der polni¬ schen Untertanen habe schon wiederholt Schwierigkeiten in unserem Verhältnisse zum deutschen Reiche gezeitigt, diese dürften in der Zukunft noch fühlbarer sein. Dennoch glaubt er, dass man sich mit einer solchen Lösung abfinden sollte, denn ein selbständiges Polen würde ganz unter deutschem Einfluss stehen. In Deutsch¬ land würde man die Angliederung Polens an Österreich-Ungarn auch aus militäri¬ schen Gründen nicht zugeben, aus Besorgnis, dass wir dann zu stark wären. Der Chef des k. u. k. Generalstabes erklärt, er habe angesichts der Wichtigkeit der in Verhandlung stehenden Fragen seine Stellungnahme zu denselben zu Papier gebracht und seine Aufzeichnung jedem der Konferenzteil¬ nehmer zugestellt. (Diese Denkschrift ist dem Protokoll als Beilage angeschlos¬ sen.)" Alles was er jetzt mündlich vorbringe, müsse lediglich als Ergänzung seiner Denkschrift angesehen werden. Vor allem möchte er die Frage der Dringlichkeit, mit tunlichster Beschleunigung bindende Beschlüsse über die Zukunft zu fassen, begründen. Es könne leicht geschehen, dass die Entscheidung in Montenegro schon in den nächsten Tagen falle und dass Montenegro um Frieden bitte. Da müsse er wissen, unter welchen Bedingungen man bereit wäre, Montenegro den Frieden zu bewilligen und was mit dem Lande und der Dynastie zu geschehen habe. Eine zweite offene Frage sei die Haltung Bulgariens. Eine sehr starke bulgarische Division befinde sich an der albanesischen Grenze bei Ipek und Prisrend; die Haltung der Bulgaren sei eine so zweideutige, dass man nicht wissen könne, was sie mit diesen Truppen vor¬ hätten, für jeden Fall zögerten sie, dieselben, wie vereinbart, dem Kommando des Generals von Kövess zu unterstellen. Wenn die Bulgaren an die albanesische Küste vorrücken sollten, müsste man sich entscheiden, was darauf zu geschehen hätte und ob wir ihnen ein »Hände weg« Zurufen würden. Auch ihm wäre es nicht angenehm, die Bulgaren nach Albanien hineinzulassen, er zweifle aber an der Möglichkeit eines selbständigen Albaniens und nachdem seiner Ansicht nach ganz Nordalbanien ebenso wie Montenegro und Serbien mit der Monarchie vereinigt werden muss, würde er Südalbanien an Griechenland und auch einen kleinen Streifen an Bulgarien abtreten, wenn hiedurch die aktive Teilnahme Griechenlands erreicht werden könnte. Was den von dem gemeinsamen Finanzminister erwähnten a) Den Text der Denkschrift siehe im Anschluß an den Text des Protokolls. 24* 371 <pb/>Sandschak von Novipazar betreffe, so habe er denselben nicht erwähnt, weil seiner Auffassung nach alle diese Gebiete in unseren Besitz gelangen müssten. Bei jeder anderen Lösung der Frage werde man aber darauf achten müssen, dass der Sandschak eine sehr grosse und uns ergebene mohammedanische Bevölkerung habe und dass die Trace der Bahn nach Mitrovica durch dieses Gebiet führen müsste. Bei der Teilung Albaniens würde er -auch lieber an eine Teilung mit Griechenland allein denken. Das Land sei ohnedies sehr gespalten, schon die Trennung zwischen Tosken und Gegen Hesse eine Teilung mögHch erscheinen. Hinsichtlich der serbischen Frage verwies Baron Conrad in erster Linie auf seine Denkschrift, in welcher er die Annexion aller nicht von Bulgaren besetzten Gebiete befürwortet und betonte, dass ein unabhängiges Serbien mit l1^ Millionen Einwohnern noch immer in der Lage wäre, wenn man nur 10% der Bevölkerung rechne, welche Ziffer in diesem Kriege weit überschritten worden sei, eine Armee von 150.000 Mann aufzusteüen, die uns in einem grossen Kriege immer Un- annehmHchkeiten bereiten könnte. Es sei hier viel von Schwierigkeiten einer AngHederung Polens gesprochen wor¬ den, die er auch bis zu einem gewissen Grade begreife. Seinerseits müsse er aber bemerken, dass Polen uns doch auch grossen Nutzen bringen könnte, namentlich in militärischer Hinsicht. Wir würden nicht nur eine neue starke Armee aus¬ gezeichneter Soldaten erwerben, sondern auch unsere ganz unleidliche strategische Lage Russland gegenüber erheblich verbessern. Russland werde immer unser Hauptgegner bleiben. Wie sehr wir aber unter der misslichen geographischen Lage gelitten hätten, sei am besten durch die Ereignisse des letzten Sommers erwiesen worden. Der Vorsitzende antwortet hierauf auf einige im Laufe der Diskussion aufgeworfene Fragen. Er betont, dass er sich unser Protektorat in Albanien als durchaus effektives mit miHtärischem Besetzungsrecht vorstelle. Man müsse die soziale Struktur des Landes, die jetzt schon vorhanden sei, benützen und auf derselben aufbauen. Die Stammeshäuptlinge könnten zu Mitarbeitern herangezo¬ gen werden, jedoch selbstverständhch unter der Leitung eines mit weitgehenden Vollmachten ausgestatteten Vertreters der Monarchie, der ein genauer Kenner der dortigen Verhältnisse sein müsste und das Land zu organisieren hätte. Intrigen Italiens müsste wirksam entgegengearbeitet werden. Man müsste die Albanesen in jeder Weise auch durch Besoldungen so an dem Reorganisationswerke interes¬ sieren, dass sie selbst solchen Intrigen weniger zugängUch wären. Was die vom Chef des Generalstabes betonte Dringüchkeit von endgültigen Beschlüssen bezüghch der Zukunft Montenegros betreffe, erklärt Baron Buriän, es bestehe schon heute kein Zweifel darüber, was vorderhand in Montenegro zu geschehen habe. Wir könnten heute nur mehr eine unbedingte Kapitulation Montenegros akzeptieren, dann würde das Land, genau so, wie dies in Serbien geschehen sei, miHtärisch besetzt und verwaltet werden müssen, ganz unbeschadet seiner Zukunft. BezügUch der Haltung Bulgariens Albanien gegenüber sei auch er der Ansicht, dass diese Verhältnisse geklärt werden müssen. Er begrüsse die Absicht Baron Conrads, dies im HinbHcke auf die Verwendung der 3. bulgari¬ schen Division sobald als mögHch zu tun, werde aber, angesichts der poHtischen 372 <pb/>Wichtigkeit der Teilnahme österreichisch-ungarischer Truppen an der Aktion gegen Salonik auch seinerseits in Sofia einen entsprechenden Schritt unternehmen. Baron Conrad erhoffe ein Eingreifen Griechenlands auf unserer Seite, wenn Bulgarien den Vormarsch in Albanien beginne. Er könne diese Hoffnung nicht teilen. Für Griechenland sei die ganze Frage lediglich eine Brotfrage. König Constantin habe es bisher mit staunenswerter Energie verstanden, neutral zu bleiben. Die Neutralität Griechenlands sei für uns das Wesentliche, sie sei den Ententemächten vielleicht unangenehmer als ein Eingreifen Griechenlands an unserer Seite. England und Frankreich befinden sich in einer Zwangslage Grie¬ chenland gegenüber, sie könnten sich auf dasselbe nicht verlassen und könnten andererseits nicht zu weit in ihren Neutralitätsverletzungen gehen. Die Indignation gegen die Westmächte nehme in Griechenland zu, unsererseits geschehe alles, um dieselbe zu vertiefen, weiter könnten wir nicht gehen. Wenn wir Griechenland ausreichende Proviantmengen auf dem Landwege zuführen könnten, wäre die Lage eine andere. Wir haben Griechenland für seine Neutralität südalbanesische Gebiete zugesagt, indem wir der griechischen Regierung mitteilten, dass wir, im Falle Griechenland neutral bleibe, nichts dagegen hätten, dass es sich in Südalbanien, soweit die griechischen Interessen reichen, ausbreite. Der Vorsitzende kommt nun auf den Wunsch des Grafen Tisza zu sprechen, dass der Beschluss vom Juli 1914 über die serbische Annexionsfrage einen Zusatz hin¬ sichtlich der Vereinigung der Nordwestecke Serbiens mit Ungarn und der diese Massnahme vorbereitenden Haltung der Militärverwaltung erhalten solle und bittet den Herrn ungarischen Ministerpräsidenten, von diesem Anträge abzustehen. Es könnte ein solcher ergänzender Beschluss tatsächlich zu Missverständnissen führen und die ganze Frage hiedurch präjudiziert werden. Es würde seiner Ansicht nach genügen, wenn einfach die Stellungnahme des Grafen Tisza zu dieser Frage in dem Protokoll verzeichnet werde, ohne dass ein förmlicher Beschluss gefasst werde. Es entspinnt sich hierauf eine längere Diskussion über diese Frage, indem der kgl. ung. Ministerpräsident einerseits für diesen Zusatzantrag plaidiert, wogegen der k.k. Ministerpräsident und auch der Vorsitzende ihre Bedenken gegen denselben wiederholen und ergänzen. Im Laufe der Bespre¬ chung betont Graf Tisza in der nachdrücklichsten Weise seine entschiedene Stellungnahme gegen weitgehende Annexionen serbischen Gebietes, welche die Situation sowohl in Kroatien, wie in Bosnien unhaltbar machen und schwere innere Krisen für die Monarchie bedeuten würden/ Er erinnert an die Umstände, unter welchen der Ministerratsbeschluss vom 19. Juli 1914 gefasst wurde, con- statiert dass derselbe auf ausdrücklichen Wunsch der ungarischen Regierung als dauernde Garantie gegen etwaige weitgehende Eroberungsgelüste in Serbien zustandekam® und erklärt, dass, falls dieser Beschluss nicht noch zu recht bestehen f) Der Teil »welche die Situation... bedeuten würden« wurde von Tisza nachträglich eingefügt. g) Der Teil »constatiert... in Serbien zustandekam« wurde von Tisza nachträglich eingefügt. 373 <pb/>würde, er heute verlangen müsste, dass ein neuerlicher Beschluss im gleichen Sinne gefasst würde, weil er einer anderen Vorgangsweise nach wie vor nicht zustimmen könnte. Auf Antrag des Vorsitzenden einigt sich die Konferenz nach eingehender Erörterung der Frage auf die nachstehende Formulierung des Zusatzantrages des Grafen Tisza, der ohne Widerspruch angenommen wird: »Die Konferenz einigt sich in der prinzipiellen Auffassung, dass jene Gebiete, welche nach Mass- gabe des Kriegsergebnisses am nördlichen Kriegsschauplätze an die Monarchie angegliedert werden können, mit Österreich zu vereinigen wären, wogegen alle Gebietserwerbungen in Serbien zu Ungarn kommen sollen, so dass nach Inkorpo¬ rierung dieser Gebiete in die Monarchie die respektive Gesetzgebung der beiden Staaten über das weitere Schicksal derselben zu entscheiden haben wird. Der gemeinsame Finanzminister vermisst eine Feststellung über das montenegrinische Gebiet, wogegen der Chef des General¬ stabes seine Auffassung dahin ausspricht, dass der Ministerratsbeschluss vom 19. Juli 1914 ehebaldigst durch einen neuerlichen, den veränderten Verhältnissen entsprechenden Beschluss ersetzt werden sollte. Der Vorsitzende erklärt hierauf die Diskussion über die in Verhandlung stehenden Angelegenheiten für beendet und erteilt der Konferenz vertrauliche Auskünfte über den durch die Verhaftung unserer Konsularvertreter in Salonik hervorgerufenen Zwischenfall. Nachdem der Chef des Generalstabes der Konferenz noch streng vertrauliche Mitteilungen über die Kriegslage gemacht hat, hebt der Vorsitzende den Ministerrat auf. ot) K.u.k. Chef des Generalstabes. Op.No. 19.830. Politische Ziele des Krieges No. 526. Stellungnahme Graf Tisza's. Geheim! An den kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza in Budapest T e s c h e n, am 4. Jänner 1916. Für die Mitteilung des vertraulichen, an den Herrn Minister des k.u.k. Hauses und des Äussern gerichteten Schreibens vom 30. Dezember 191 fj, in welchem Euere Excellenz zur Frage der Kriegsziele unserer Monarchie Stellung nehmen, sage ich meinen verbindlichsten Dank. Je länger der Krieg dauert, je näher wir also dem Frieden kommen, umso notwendiger wird es, das Einvernehmen der führenden Staatsmänner untereinander und mit der militärischen Leitung zu erzielen, weil sowohl die Operationen den 374 <pb/>klar umschriebenen Kriegszielen Rechnung tragen, als auch andererseits die Ziele mit der militärischen Lage immer wieder in Einklang gebracht werden müssen. Die militärische Lage ist zwar in Kriegszeiten die vor allem massgebende, sie muss aber zweifellos immer auch mit Rücksicht auf die eigene und die feindliche personelle und materielle Leistungsfähigkeit, auf die Notwendigkeit und Möglich¬ keit des Durchhaltens und auf die Chancen für eine Fortsetzung des Kampfes beurteilt werden. Ich bin durchaus kein Optimist und stimme mit der Ansicht Euerer Excellenz vollkommen überein, dass wir, trotz der militärischen Erfolge des Jahres 1915, nicht in der Lage sind, den feindlichen Grossmächten (Russland, Frankreich, England, Italien) unseren Willen ganz aufzuzwingen und sie zum Frieden zu nö¬ tigen. Nur eine erfolgreiche Fortsetzung des Krieges im Vereine mit weiser Mässigung in unseren Kriegszielen wird es ermöglichen, diesen Feinden die Überzeugung beizubringen, dass die Fortsetzung des Kampfes für sie zwecklos ist und ihnen Nachteile bringen würde, die grösser sind, als die Nachteile, welche sie beim Friedensschluss in dem Kauf nehmen. Mit besonderer Genugtuung stelle ich fest, dass ich die von Euerer Excellenz ausgesprochene Überzeugung vollkommen teile, welche dahin geht, dass die Voraussetzung für eine, den ungeheueren Kriegsopfern und dem Interesse der Monarchie entsprechenden Friedensschluss erst dann gegeben sein werden, bis das italienische Heer nicht bloss abgewehrt, sondern geschlagen ist und wir sieg¬ reich in Feindesland eindringen. Dieses militärische Ziel zu erreichen, ist mein ernstes Bestreben. Ich verhehle mir aber nicht, dass es erst nach siegreicher, vollständiger Beendigung des Balkan¬ krieges möglich werden kann, weil uns bis dahin die Kräfte für einen Angriff auf Italien fehlen. Äusserst treffend kennzeichnen Euere Excellenz die Gesamtlage dahin, dass ein vollständiger, durchgreifender Erfolg bisher nur am Balkan eingetreten ist. Aber auch dies gült vorerst nur hinsichtlich Serbiens; die Niederwerfung Monte- negro's steht noch aus, wird aber hoffentlich demnächst erreichbar sein. Wenn meine Anregungen zur Klärung unserer Kriegsziele zu einer Aussprache und Verständigung der massgebenden Faktoren führen, so werde ich das mit besonderer Freude begrüssen und mich selbstverständlich gern für diese Bespre¬ chung zur Verfügung stellen. Noch ehe es zu einer solchen Besprechung kommt, lege ich aber besonderen Wert darauf, Euerer Excellenz zu versichern, dass mir nichts ferner liegt, als uferlose Annexionswünsche. Ich bin nur bemüht, jene positiven und negativen Kriegsziele zu suchen und zu erreichen, welche der Monarchie die wirtschaftliche und poli¬ tische Machtstellung dauernd zu wahren und sie mihtärisch vor der Wieder¬ holung einer so äusserst bedrängten und kritischen Lage zu sichern geeignet sind, wie sie in unserem jetzigen Existenzkampf auf Grund der Versäumnisse von Jahrzehnten eingetreten ist und nun mit übermenschlicher Anstrengung und unter ungeheuren Opfern überwunden werden muss. <pb/> Kurz gesagt, meine ich, dass wir die Pflicht haben, ehestens festzustellen, was wir unbedingt zu erreichen und was wir unbedingt zu verhindern trachten müssen, um das eben erwähnte Ziel dauernder Sicherheit und Entwicklungsmöglichkeit zu erreichen. Meine Ansichten darüber bitte ich, Eurer Excellenz nach der Reihe unserer feindlichen Nachbarn (Russland, Italien, Serbien und Montenegro) darlegen zu dürfen. 1. Russland Das gewiss anstrebenswerte Ziel, das ganze, von uns und von den Deutschen besetzte russisch-polnische Gebiet der Monarchie einzuverleiben, dürfte nicht nur einen Friedensschluss mit Russland erschweren, sondern voraussichtlich auch bei unseren deutschen Verbündeten Widerstand finden. Da ich in Übereinstimmung mit den Ansichten Euerer Excellenz eine voll¬ ständige Niederwerfung Russlands als kaum erreichbar erachte, bezeichne ich als eine für die Monarchie noch annehmbare Lösung die Teilung Russisch Polens zwischen uns und dem Deutschen Reich, eventuell sogar unter Rückgabe des Gebietes östlich der Weichsel an Russland. Das Gebiet westlich der Weichsel an Russland zurückzugeben, wäre militärisch unannehmbar, weil dadurch der für uns höchst ungünstige alte Grenzverlauf wiederhergestellt würde. Absolut auszuschliessen wäre: a) Der Gedanke an die Errichtung eines selbständigen polnischen Staates und b) Die Angliederung Russisch-Polens als Bundesstaat an das Deutsche Reich. Beide Eventuahtäten hätten in Zukunft unbedingt die Loslösung Gahziens von der Monarchie zur Folge. Ein selbständiges Polen würde -- als slavischer Staat -- nach einiger Konsolidierung nur zu rasch und sicher dem Einflüsse Russlands verfallen und zu einem neuen Gegner für uns werden. 2. Italien Das Mass des an unserer Südwestgrenze erreichbaren Zieles kann erst nach einer durch eine Offensive unsererseits anzustrebende Niederlage des italienischen Heeres festgelegt werden. Für jetzt kann, -- nebst dem Wunsche nach Grenzkorrekturen, welche unseren militärischen Bedürfnissen entsprechen, -- nur ein negatives Ziel mit voller Sicherheit als unerlässlich bezeichnet werden. Ich meine die definitive Ausschlie¬ ssung Italiens von der adriatischen Ostküste. Dieses Postulat hängt sosehr mit der albanischen Frage zusammen, dass ich es bei Besprechung der Balkanfrage erörtern kann. 3. B a 1 k a n Hier sind vor allem die südslawische und die albanische Frage zu unterscheiden. 37ö <pb/> Die nächstliegende südslawische Frage kann, meiner Überzeugung nach, nur im Rahmen der Monarchie gelöst werden. In der Form für die Durch¬ führung dieser Lösung sehe ich den einzigen Unterschied meiner Ansichten gegen¬ über den Ausführungen Euerer Excellenz. Ich halte es nämlich praktisch auf die Dauer für unausführbar, einen selbständig belassenen serbischen Nationalstaat -- mag er nun Serbien oder Montenegro heissen, mag er von der bisherigen Dynastie oder einem deutschen Prin¬ zen regiert werden, -- unschädlich zu machen und ein Auferstehen der ge¬ gen die Integrität der Monarchie gerichteten serbischen Politik auf diese Weise zu verhindern. Was die Serben ausserhalb der Monarchie bedeuten, darüber sind wir im jetzigen Kriege blutig belehrt worden. Zu einer Wiederholung dieses Zustandes haben wir wahrlich keinen Anlass. Die nationale Werbekraft eines noch so verkleinerten serbischen Staates würde zweifellos fortbestehen, umsomehr als dieser kleine Nationalstaat sehr bald mächtige, uns feindliche Protektoren finden würde, die ihm alle Mittel in die Hand zu geben bereit wären, das alte Spiel von neuem zu beginnen. Die Kleinheit Montenegros hat dieses Land nie daran gehindert, gegen uns die perfideste Politik zu machen. Es war stets an der Seite unserer Feinde zu finden. Auch Napoleon I. hat aus Preussen so einen armen »unschädlichen Staat« zu machen geglaubt und hat sich damit doch gründlich geirrt. Der wirtschaftliche Zwang, unter den Euer Excellenz diesen kleinen serbischen Nationalstaat zu stellen gedenken, wäre bei der Vielfältigkeit moderner Verkehrs¬ einrichtungen auf die Dauer nicht aufrechtzuhalten, weil dieser Staat sich andere Wege für seinen Handel und Wandel eröffnen würde. Den wirtschaftlichen Zwang würde man in diesem Staat, trotz aller Vertragsverpflichtungen, immer nur als Chikane empfinden, die ganz so, wie es in den dem Kriege vorausgegangenen Jahren der Fall war, -- den nationalen Hass nur noch mehr anfachen müsste. Vom politischen Standpunkte ist mir nicht erklärlich, wieso es leichter sein sollte, die national-serbischen, gegen die Monarchie gerichteten Aspirationen bei einem selbständigen kleinen Nachbarn im Zaune zu halten, als bei einem Volk, dem ein solcher Krystallisationspunkt fehlt, weil es ganz in den Rahmen der Monarchie aufgenommen wurde und bei entsprechender Behandlung das mögliche Mass nationaler Entwicklung innerhalb der Monarchie finden kann. Wie ich über die so oft angewendeten Begriffe der »Botmässigkeit«, des »Pro¬ tektorates« und ähnlicher, künstlicher Konstruktionen denke, habe ich mir erlaubt, den Herrn k.u.k. Minister des Äussern vor wenigen Tagen mitzuteilen. Botmässigkeit und Protektorat sind immer für beide Teile eine Quelle von Reibungen, Schwierigkeiten und Krisen. Das botmässige oder protegierte Staatswesen ist für seinen Protektor anfänglich nur eine Last in materiellem oder politischem Sinne, ohne ihm irgendwelchen Nutzen oder Vorteil zu bringen. Dies wäre im höchsten Mass bei jedem, uns »botmässigen« Staatswesen auf dem Balkan der Fall. Die primitiven kulturellen und wirtschaftlichen, die komplizierten, nie zur Ruhe kommenden innerpolitischen Verhältnisse eines suveränen Balkanstaats- 377 <pb/>Wesens würde uns nur Opfer an Investitionen auferlegen und in politischer und kultureller Hinsicht ganz unabsehbare Schwierigkeiten machen, deren Über¬ windung und Ausschaltung eben nur durch die volle Einverleibung in den Verband der Monarchie möglich ist. Zudem sind botmässige oder protegierte Staaten stets den Einflüssen anderer, mitinteressierter Mächte unterworfen. Das klägliche Schicksal des unter den grössten Schwierigkeiten künstlich ge¬ schaffenen Albanien und seiner Eintagsdynastie ist wohl die beste Illustration hierfür. Gelingt es aber, ein solches Staatswesen lebensfähig zu machen, so dauert seine »Botmässigkeit« natürlich nur so lange, bis dieses Staatswesen dank der Unter¬ stützung seines Protektors (aber oft auch eines, dem Protektor feindlichen Staates) genügend erstarkt ist, um das Protektorat abzuschütteln und sich selbst auch gegen seinen ehemaligen Protektor zu wenden. Ich erlaube mir nur auf Bulgarien zu verweisen, das nach genügender Erstarkung und unter Russlands Schutz im Jahre 1908/9 friedlich, im Jahre 1912 mit den Waffen und endgültig das »effektive« Protektorat der Türkei abschüttelte und im jetzigen Kriege mit den Waffen in der Hand gegen seinen zweiten Protektor kämpft, der ihm einst die Befreiung vom Joche der Türkei ermöglichte. Ich kann sonach die -- gewiss auch nach Ansicht Euerer Excellenz unerlässliche -- Beseitigung der grosserbischen Gefahr nur darin suchen, dass jeder selbständige serbische Nationalstaat zu bestehen aufhört und die Monarchie dieses Volk ihrem Verbände einverleibt. Schwierigkeiten werden dabei gewiss zu überwinden sein. Dass sie unüberwind¬ lich wären, kann ich aber bei der auch im jetzigen Existenzkämpfe erwiesenen Lebenskraft der Monarchie und bei der bewährten Kraft des ungarischen Staates nicht voraussetzen. Sowohl dem Schreiben, als auch der Neujahrsrede Euerer Excellenz entnehme ich mit besonderer Genugtuung die hohe Bedeutung, welche Sie mit Recht dem harmonischen und verständnisvollen Zusammenarbeiten der Ungarn und Kroaten beimessen. Unter der kraftvollen, sicheren Führung Euerer Excellenz wird es zweifellos gelingen, die von Ihnen befürchtete Auslieferung des kroatischen Stammes an die serbische Majorität zu verhindern und umsomehr einen Anschluss der Serben an den loyalen kroatischen Stamm zu erzielen, als jede äussere Anlehnung der Serben für zentrifugale Bestrebungen ausgeschaltet sein wird. Um dieses Ziel von allem Anbeginn mit Sicherheit zu erreichen, wird die militä¬ rische Verwaltung der serbischen Gebiete gewiss Alles aufbieten, um im Sinne der Intentionen Euerer Excellenz dahin zu wirken, dass den Kroaten in ihrer Anlehnung an Ungarn der Kampf mit dem Grosserbentum erleichtert werde, für welches eben, -- bei der von mir als einzig möglich erachteten Lösung -- jede äussere Anlehnung fehlen wird. Die Wege für die Durchführung dieses gewiss schwierigen Problems können eben nur innerhalb der Gesamtmonarchie gefunden werden, -- niemals jedoch beim Fortbestehen eines serbischen Nationalstaates. 378 <pb/> Die Ansicht Euerer Excellenz, dass die Annexion des serbischen Gebietes, welches nach Befriedigung der vertragsmässig festgelegten bulgarischen Ansprüche übrig bleibt, sich als unbedingtes Hindernis des Friedens erweisen würde, vermag ich nicht zu teilen. Alles, was über die Haltung der Ententemächte gegenüber Serbien nach dessen Niederwerfung bekannt wurde, macht vielmehr den Ein¬ druck, dass die Entente recht erleichtert aufatmen würde, wenn sie dieses Sorgen¬ kindes ledig wäre, zu dessen Rettung sie zu spät und mit unzureichenden Kräften eingetreten ist und dessen Unterstützung in Zeiten der Not sie militärisch und wirtschaftlich belastet. Ich habe all'dies wohl überlegt, als ich vor kurzem beim Herrn k.u.k. Minister des Äussern die Anregung vorbrachte, Serbien und seine Dynastie als nicht mehr bestehend zu erklären und offen kundzutun, dass das Gebiet des bestandenen Königreiches Serbien im Einvernehmen zwischen den Verbündeten -- Österreich- Ungarn, Deutschland und Bulgarien - bis auf weiteres militärisch verwaltet wird, während sie sich Vorbehalten, über die künftige Aufteilung des Gesamtgebietes in gegenseitigem Einverständnis zu entscheiden. Eine Stellungnahme Baron Buriäh's zu dieser Anregung ist nicht erfolgt und ich fürchte fast, dass wir uns schliesslich doch noch bereit finden könnten, einen König, der mitsamt seiner Regierung und der gesamten Armee auch aus dem letzten Rest seines Landes vertrieben wurde und als Flüchtling der Entente zur Last fällt, zu dem Zweck zurückzurufen, um ihm oder doch seiner Regierung einen grossen Teil des Landes, das in zwei Feldzügen mit dem Blute unserer Soldaten getränkt wurde und nun endlich erobert ist, wiederzugeben. Es wäre widersinnig zu erwarten, dass sich nach einer sö schwächlichen und würdelosen Handlungsweise nicht unverzüglich wieder die ganze Ruchlosigkeit des Grosserbentums mit allem Hass gegen uns wenden würde. Die Gesetzmässigkeit der Geschichte spricht dafür. Für mich ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Ententemächte sich mit dem Verschwinden des serbischen Schützlings umso leichter abfinden werden, als sie danach erwarten dürfen, dass wir beim Friedensschlüsse in anderer, ihnen näher¬ liegender Hinsicht Entgegenkommen zu zeigen bereit sein werden. Vom Standpunkte der Monarchie und ihrer gesamten bewaffneten Macht, die jetzt für alte Friedenssünden bluten muss, darf eben nie vergessen werden, was die ursprüngliche Kriegsursache war. Es darf nie ausser Acht gelassen werden, dass die endgültige Regelung und Stabihsierung an unserer Balkangrenze von allen politisch und militärisch vitalen Fragen die vitalste ist. Ein selbständiger, noch so kleiner serbischer Rest wird unter gar keinen Ver¬ hältnissen und niemals ein Freund der Monarchie werden. Er wird vielmehr immer unser Feind und der Freund unserer Feinde bleiben, der -- wie bisher, so auch künftig - vor keinem Mittel zurückschrecken wird, um die Grundlagen unserer Monarchie zu untergraben. Das steht für mich so unabänderlich fest, dass ich einen Anteil an der Verant¬ wortung für die Belassung eines auch noch so kleinen, selbständigen serbischen Staates keinesfalls zu tragen vermöchte. Mit diesem Problem hängt unmittelbar auch die albanische Frage zusammen. 379 <pb/> Ein selbständiges Albanien ist meiner Überzeugung nach nicht lebensfähig; das hat das Schicksal des ersten Fürstentums deutlich erwiesen. Ein Einfluss unsererseits wäre umsoweniger möglich, wenn wir durch einen südslavischen Keil von Albanien getrennt und mit ihm nur durch einen schmalen Küstenstreifen verbunden wären,wie dies bei Belassung eines selbständigen ser¬ bisch-montenegrinischen Staates eintreten müsste. Von einer Homogenität des albanischen Elementes ist weder nach Sprache, noch nach Herkunft oder Religion die Rede. Ein solches Staatswesen wäre daher, wie das bestandene Fürstentum der Tummelplatz der Einflüsse aller interessierten Mächte, vor allem Italiens, dessen dauernde Festsetzung an der adriatischen Ostküste wir keinesfalls zulassen dürfen. Wie ich über ein Protektorat überhaupt denke, habe ich mir im vorstehenden darzulegen erlaubt; ein solches würde den Einfluss in Albanien mitinteressierter Mächte nur fördern. Mehr als Nordalbanien bis zum Mati-Fluss für die Monarchie selbst zu behalten, wäre meines Erachtens eine Belastung in pohtischer, wirtschaftlicher und in militärischer Hinsicht, die wir kaum vertragen könnten. Ich habe daher beim Herrn k.u.k. Minister des Äussern angeregt, Nordalbanien bis zum Mati für uns zu beanspruchen, Südalbanien mit Valona Griechenland anzubieten, Mittelalbanien mit Durazzo hingegen Bulgarien zur Verfügung zu stellen. Das für uns unerlässliche Ziel, Italien von der Ostküste der Adria dauernd auszuschalten, um die ganz unerträgliche Einschnürung der Monarchie zu ver¬ hindern, ist für alle Zukunft von entscheidender Bedeutung und ohne Bulgariens und womöglich auch Griechenlands Mithilfe überhaupt kaum erreichbar. Bulga¬ riens Mitwirkung brauchen wir unbedingt, weil wir an unseren anderen Fronten für die Fortführung der Balkanoperationen nicht genügend Kräfte erübrigen können. Überdies bin ich der Ansicht, dass eine solche Initiative unsererseits die Haltung Bulgariens, namentlich aber Griechenlands in der jetzigen kritischen Phase des Balkankrieges sehr wesentlich zu unseren Gunsten zu beeinflussen geeignet wäre. Am Schlüsse des Schreibens Euerer Excellenz an Baron Buriän erwähnen Euere Excellenz einen, in der gemeinsamen Ministerkonferenz am 19. Juli 1914 gefassten Beschluss hinsichtlich der serbischen Frage. Dieser Beschluss wurde damals unter der Voraussetzung gefasst, dass der Krieg gegen Serbien nur eine Strafexpedition gegen dieses sein werde, mit der Tendenz einen Weltkrieg zu vermeiden. Diese Voraussetzung ist nicht eingetreten; der Ausbruch des Weltkrieges hat alle Prämissen des damaligen Ministerratsbeschlusses vollständig geändert. Dieser Beschluss kann daher unter den gegenwärtigen Verhältnissen wohl kaum mehr als unabänderlich betrachtet werden. Wir müssen der geänderten Lage aber voll Rechnung tragen und aus dem Welt¬ kriege alle Konsequenzen ziehen, die der Monarchie und ihrer Zukunft dienlich sind und den ungeheuren Opfern entsprechen, die wir in diesem Kriege zu tragen haben. 380 <pb/> Dieser Forderung kann ein Beschluss, der unter ganz anderen Voraussetzungen, vor eineinhalb Jahren gefasst wurde -- angesichts der Weltlage nach dem Kriege -- nicht mehr voll entsprechen. Genehmigen Euere Excellenz den Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung Conrad Gen. Oberst m. p. Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. Auf diesem Blatt oben in Anführungszeichen, unterstrichen folgender Titel: »Kriegsziele der Monar¬ chie«. In der Ecke oben rechts: »fertig«. Auf dem letzten Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, am 15. Februar 1916.« -- Unter dem Text rechts die Unterschrift Buriäns, links die des Protokollführers Hoyos. -- Ebd. das Konzept des Protokolls mit einigen Abänderungen. 16. Wien, 3. Juli 1916 Debatte über die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Monarchie. Die vorteilhafte Lage der österreichischen Schwerindustrie gegenüber der ungarischen. -- Die Banken können mit Zustimmung der beiden Regierungen der Türkei finanzielle Hilfe gewähren. Über die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme im Zusammenhang mit Kriegs¬ industrieanlagen wurde schon früher verhandelt, siehe dazu die Kommentare zu den Protokollen vom 3. Februar, 18. Juni und 6. Oktober 1915. Zur weiteren Behandlung dieser Frage siehe den Kommentar zum Protokoll vom 24. Februar 1917. Über den der Türkei gewährten Kredit ist im Kommentar zum Protokoll vom 6--15. September 1917 die Rede. (Siehe: J. Teleszky: A magyar ällam penzügyei a häborü alatt [Die Finanzen des ungarischen Staates während des Krieges.] Budapest 1927, S. 280 f.) Protokoll des zu Wien am 3. Juli 1916 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten, unter dem Vorsitze des Ministers des k.u.k. Hauses und des Äußern Baron Buriän. K.Z. - G.M.K.P.Z. 527. Gegenwärtige: der k.k. Ministerpräsident Graf S t ü r g k h, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf T i s z a, der k.u.k. Kriegsminister GO. Freiherr von K r o b a t i n, der k.k. Finanzminister Dr. von L e t h, der kgl. ung. Finanz¬ minister Dr. Teleszky, der k.k. Handelsminister Dr. von Spitzmüller, der kgl. ung. Handelsminister Baron Harkänyi. Schriftführer: Generalkonsul Joannovics. Gegenstände: 1. Die Errichtung von kriegsindustriellen Anstalten und deren Rückwirkung auf die private Industrie. 2. Finanzielle Beihilfe für die Türkei. 38i <pb/>