Gemeinsamer Ministerrat, 8. 3. 1915
I. Die politische Lage. Beziehungen zu Italien
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z10.pdf.
Der Vorsitzende schliesst sich diesen Ausführungen vom Standpunkte der auswärtigen Politik an. Nach einer Debatte, an der sich auch die beiden Landesverteidi¬ gungsminister beteiligen, wird beschlossen, dass zunächst Vorberatungen in den militärischen Ministerien stattfinden und dass sich dann die beiden Regie¬ rungen mit der definitiven Entscheidung befassen sollen. Hierauf wird die Sitzung um 1/2 10 Uhr abends geschlossen. Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrats bestätigt. Auf dem letzten Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, am 6. Juli 1915.« Unten die Unterschriften von Günther und Buriän. Am Rande der Blätter und unter den einzel¬ nen Zeilen Striche und Zeichen, die den Sinn des Textes jedoch nicht modifizieren. -- Ebd. Konzept des Protokolls in Maschinenschrift mit vielen Zusätzen und Korrekturen des Ministers des Äußern Buriän. An mehreren Stellen handschriftliche Korrekturen und Zusätze des Protokollführers Günther. Auf dem ersten Textblatt seitwärts das Handzeichen Buriäns, unter dem Text die Unterschrift Günthers. 10. Wien, 8. März 1915 Der Ministerrat beschließt, teilweise auch infolge des deutschen Druckes, zur Sicherung der Neutralität Italiens gewisse minimale territoriale Zugeständnisse zu machen. Tisza hält das Übereinkommen mit den Italienern für wichtig, um dadurch ein Zusammenge¬ hen der Rumänen mit ihnen zu verhindern. Die italienische Frage, die in den Ministerratssitzungen vom 31. Juli, 8. und 19. August, 20. September, 31. Oktober 1914 und 3. Februar 1915 behandelt wurde, stand in diesem Kronrat zum letztenmal auf der Tagesordnung. Deutschland war von Anfang an der Meinung, daß die Neutralität Italiens auch um den Preis territorialer Zuge¬ ständnisse gesichert werden müsse. Botschafter Bülow drängte darauf und auch bei der Mission des zum linken Flügel des Zentrums gehörenden Reichstagsabgeordneten Erzberger in Italien hatte sich im wesentlichen diese Überzeugung herausgebildet. Trotz der schweren Vorwürfe gegen die Deutschen entschloß sich schließlich auch das oberste 'Regierungsorgan der Monarchie zur Politik der Gebietsabtretung. Von einer Abtretung weiterer Gebiete, über das Trentino hinaus, wollte kein einziges Mitglied des gemeinsamen Ministerrates etwas wissen. Über die Einzelheiten der Verhandlungen siehe: St. Buriän: Drei Jahre. Berlin 1923, S. 19--50. -- Af. Erzberger: Erlebnisse im Weltkrieg. Berlin, 1920, S. 21 ff. und B. von Bülow: Denkwürdigkeiten. Berlin 1930, Bd. III, S. 204 ff. Über die polnischen Beziehungen dieses Problems spreche ich in Zusam¬ menhang mit dem Material des gemeinsamen Ministerrats vom 6. Oktober 1915. Protokoll des zu Wien am 8. März 1915 abgehaltenen Ministerratesfür gemeinsame Angelegenheiten, unter dem Allerhöchsten Vorsitze Seiner Majestät des Kaisers md Königs. 2x5 <pb/> K.Z. 17 - G.M.K.P.Z. 521. Gegenwärtige: Seine k.u.k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Carl Franz Joseph, der k.u.k. Minister des Äußern Baron B u r i ä n, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf T i s z a, der k.k. Ministerpräsident Graf S t ü r g k h, der k.u.k. Kriegsminister FZM. Ritter von K r o b a t i n, der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Dr. von K o e r b e r, der k.u.k. Chef des Generalstabes G.d.I. Freiherr von Conrad. Schriftführer: Legationsrat Graf H o y o s. Gegenstand: Die politische Lage. Beziehungen zu Italien. Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen den Ministerrat mit der Bemerkung zu eröffnen, es liege Seiner Majestät angesichts der gefährlichen Situation sehr viel daran, die Ansichten der versammelten Herren über die Lage kennenzulernen. Allerhöchstderselbe lege den grössten Wert darauf, dass jeder Teilnehmer an der Konferenz seine Anschauung vollkommen aufrichtig und mit möglichster Präzision zum Ausdruck bringe und erteile vor allem dem Minister des Äussern das Wort, damit er die Anwesenden über die aussenpolitische Lage orientiere. Der Minister des Äußern eröffnet seine Ausführungen mit der Feststellung, dass die Beziehungen zu Italien an einem kritischen Punkte angelangt seien. Itahen habe seine Prätensionen auf einen Gebietserwerb auf unsere Kosten zuerst am Anfang des Krieges in schüchterner und verschleierter Weise vorge¬ bracht; schon damals habe man sich italienischerseits der deutschen Vermittlung bedient und in Berhn den Glauben erweckt, dass Itahen für den Preis territorialer Konzessionen im Gebiete der Monarchie zur Teilnahme am Kriege auf unserer Seite bewogen werden könnte. Dass dies auch damals eine Illusion war, sei durch die weitere Entwicklung erwiesen, indem man seither gesehen habe, dass Italien damals wegen seiner mangelnden Rüstungen absolut nicht in der Lage gewesen wäre, eine kriegerische Aktion zu riskieren. Die k.u.k. Regierung habe damals die durch das Berliner Kabinett übermittelten itahenischen Wünsche abgelehnt. In Wien und dem k.u.k. Botschafter in Rom gegenüber habe die itahenische Regierung zu jenem Zeitpunkte ihre Bestrebungen nur in Form von Andeutungen erwähnt. Seither sei sie jedoch deutlicher damit hervorgetreten. Am 11. Jänner dieses Jahres habe die itahenische Regierung zum ersten Male in positiver Weise das Postulat aufgestellt, dass ihr für die Erhaltung ihrer Neutralität eine Gebiets¬ abtretung von Territorien in Aussicht gestellt werden müsse, welche jetzt zu der Monarchie gehören. Sobald dieses Verlangen einmal klar formuliert war, war die Wahrscheinlichkeit einer itahenischen Intervention gegen uns gegeben, falls unsere mihtärische Lage eine ungünstige würde. Es handelte sich für uns daher vor allem darum, Zeit zu gewinnen und, ohne schroff abzulehnen, jede bindende Zusage zu vermeiden, weil begründete Hoffnung vorhanden war, dass unsere mihtärische Lage sich durch entscheidende Erfolge unserer und der deutschen Truppen bessern 216 <pb/>würde. Solche Erfolge wären das einzige Mittel gewesen, um die italienische Regie¬ rung von der eingeschlagenen uns feindlichen Richtung abzubringen. Schon im Jänner hat die deutsche Regierung uns sehr gedrängt, wir sollten territoriale Opfer bringen. Baron Buriän habe dies damals aus zwei Gründen abgelehnt, einerseits, weil er solche territorialen Opfer damals für zwecklos hielt in der Überzeugung, dass Itahen sowieso nicht sofort, sondern erst nach Beendigung seiner Rüstungen losschlagen könnte und andererseits auch deshalb, weil er den militärischen Ereig¬ nissen nicht vorgreifen und die günstige Wirkung möglicher militärischer Erfolge auf die politische Situation nicht präjudizieren wollte. Es sei auch gelungen, die Italiener bis zum 14. Februar hinzuhalten. Da hätte Baron Sonnino die Geduld verloren und die Konversation plötzlich abgebrochen, indem er durch den italieni¬ schen Botschafter hier erklären Hess, dass Italien in Hinkunft nur mehr auf dem Standpunkte des Artikels VII des Dreibundvertrages1 stehen werde und dass nach der italienischen Auffassung dieses Artikels jede weitere miHtärische Aktion unserer Armee gegen Serbien oder Montenegro von einem »Accord prealable« mit Italien über die Kompensationsfrage abhängig sei. Diese abrupte Stellungnahme der italienischen Regierung bot in taktischer Hinsicht gewisse Vorteile, indem uns hiedurch die Möglichkeit geboten war, den Zeitpunkt zu bestimmen, wann die Verhandlungen mit Italien wieder aufgenom¬ men werden sollten. Die italienische Regierung bewährte aber nicht lange Still¬ schweigen, Herzog Avarna erhielt nach einer Woche neue Instruktionen, laut welchen ItaHen sich auf den Standpunkt stellte, dass der Accord prealable mit uns nicht nur eingeleitet, sondern zu einem günstigen Abschluss gekommen sein müsse, bevor wir die militärischen Offensiv-Operationen an unserer Südostgrenze wieder aufnehmen könnten. Baron Buriän ist dieser Auffassung mit Entschieden¬ heit entgegengetreten, indem er daraufhinwies, dass es unmöglich sei, im Momente, wo man die Operationen beginne, auch die Kompensationen zu bemessen. Daher habe er auch die italienischerseits angewendete Interpretation des Artikels VII, als wäre jede militärische Operation ohne vorheriges vollkommenes Einverständnis mit Italien ein flagranter Vertragsbruch, mit Entschiedenheit zurückgewiesen. Der italienische Minister des Äussern habe ausserdem noch erklären lassen, dass jede Diskussion über einen Accord prealable zwecklos wäre, wenn nicht das Prinzip, dass Gebiete der Monarchie als Kompensationsobjekt in Frage kommen können, von uns als Verhandlungsbasis anerkannt werde. Dem itaHenischen Minister das Äussern wurde damals hierauf keine Antwort erteilt, da eine Wieder¬ aufnahme der italienischerseits abgebrochenen Verhandlungen damals nicht aktuell war. Unsere hinhaltende PoUtik hat, so fuhr Baron Buriän fort, an der natüriichen Entwicklung der kriegerischen Ereignisse ein rapides Ende gefunden. Wir haben zuverlässige Anhaltspunkte dafür, dass Italien sich an die rumänische Regierung mit einer Anfrage über eine mögliche Kooperation der beiden Königreiche gegen uns gewendet hat und dass hierauf eine zustimmende Antwort erteilt wurde. Italien dürfte etwa Mitte April seine volle Kriegsbereitschaft erlangen, es sei aber 1 Über den Art. VII. des Dreibundvertrages s. Anm. 1. zum Protokoll v. 31. Juli 1914. 217 <pb/>für uns jetzt nicht mehr möglich, die Entscheidung über das, was zu geschehen hätte, bis zu diesem Zeitpunkt hinauszuschieben, denn, abgesehen von der hiemit verbundenen militärischen Gefahr, erheische auch die gegenwärtige aussenpoli- tische Situation dringende Entschlüsse. In militärischer Hinsicht sei die Hoffnung auf entscheidende strategische Erfolge unserer und der deutschen Truppen am Kriegsschauplätze im Osten und Westen für absehbare Zeit geschwunden. Beide Armeen hätten heldenhaft ge¬ kämpft und sehr schöne taktische Erfolge erzielt, in politischer Hinsicht genüge dies aber nicht. Es wäre unter diesen Umständen nicht gerechtfertigt, weiter zuzuwarten, denn Italien kann infolge dieser unentschiedenen Situation seine Interventions-Politik mit Entschiedenheit fortsetzen und könnte tatsächlich in die Lage kommen, die von vielen Italienern angestrebte Rolle eines Schiedsrichters in dem grossen Weltkrieg zu spielen. Es steht in militärischer Hinsicht ziemlich fest, dass die vereinten Armeen Italiens und Rumäniens in diesem Kriege der einen oder anderen Seite zum entscheidenden Siege verhelfen könnten. Selbst¬ verständlich nützen die Italiener diese Situation aus. Gleichzeitig entfalte die Tripleentente eine vehemente Tätigkeit bei allen Neutralen, um sie auf ihre Seite zu ziehen. Seitens der Ententemächte seien die verlockendsten Anträge an Italien, Rumänien, Bulgarien, und Griechenland gelangt. Auch Serbien, welches kriegs¬ müde sei, werde durch England und Frankreich in jeder Weise zum Ausharren bewogen und in eine erneuerte Offensive hineingetrieben. Soweit bekannt, sei Italien für die aktive Teilnahme durch Frankreich ein Teil Tunesiens, durch England ein grosses Gebiet in Kleinasien angeboten worden. Russland biete Rumänien die südlichen von Rumänen bewohnten Bezirke der Bukowina und eine Grenzberichtigung in Bessarabien, alles dies unbeschadet aller anderen Gebiete, welche die beiden Länder in einem Kriege gegen die Mon¬ archie erorbern würden. Bulgarien solle für einen Anschluss an den Dreierverband die Enos -- Midia-Linie mit Adrianopel erhalten und Griechenland habe man ein mächtiges Reich in Kleinasien versprochen. Zum Glück habe man hier das Ziel überschossen und den Griechen so viel geboten, dass- sie selbst nicht an die Realisierung dieses Ver¬ sprechens glauben wollen. Diese Umstände haben die Erregung in ItalienvonTag zu Tag sichtlich gesteigert, selbst die Stimmung der früher sehr zahlreichen Neutralitätsfreunde habe umge¬ schlagen und der Wunsch nach Neutralität, sei jetzt fast allgemein nur mehr ein bedingter. Die Gegner einer Intervention wollen den Krieg zwar auch jetzt noch vermeiden und ein intimeres Verhältnis zur Monarchie anbahnen, dies jedoch nur unter der Bedingung, dass die nationalen Ansprüche befriedigt werden. Ausser den Sozialisten denken jetzt alle anderen so. Angesichts dieser Situation habe, so führte der Minister des Äussern aus, Italien immer mehr auf eine Entscheidung gedrängt. Der italienische Botschafter habe hier im Aufträge seiner Regierung von den »consequences graves« gesprochen und wiederholt darauf hingewiesen, dass Italien sich volle Aktionsfreiheit bewahre für den Fall, dass wir gegen Serbien oder Montenegro Vorgehen ohne zu einem Akkord gelangt zu sein. 218 <pb/> Wir konnten die Gefahren, die aus einer solchen Sachlage entstehen mussten, selbst klar erkennen, sie wurden uns aber auch deutscherseits mit der grössten Vehemenz vor Augen geführt. Früher habe man der deutschen Auffassung, als sei die Gefahr imminent, widersprechen können, seit der ersten Drohung Sonninos seien aber nunmehr fast zwei Monate verstrichen und jetzt müsse auch er zugeben, dass man die Entschlüsse, wie der italienischen Gefahr zu begegnen sei, sofort fassen müsse. Die deutsche Regierung hat in den letzten Tagen nicht nur in recht unangeneh¬ mer Weise alle nur erdenklichen Kanäle benützt, um eine Pression auf die Ent¬ schlüsse der massgebenden Faktoren in Österreich-Ungarn auszuüben, sie hat auch mit anerkennenswerter Loyalität erklärt, dass sie bereit ist, an dem Opfer teilzunehmen, welches wir im Interesse der gemeinsamen Sache bringen und hat uns das ganze reiche Kohlgebiet in Südwestpolen angeboten, ein Gebiet, das bisher zum grösseren Teile deutscherseits mit Gier für sich reklamiert worden sei. Ferner hat die deutsche Regierung auch erklärt, dass Italien selbstverständlich eine Gegenleistung bieten müsse, welche in wohlwollender Neutralität bis zum Ende des Krieges und in freier Hand für uns am Balkan bestehen müsste. Nachdem mit Entschlüssen nicht mehr hingehalten werden könne, habe er mit Allergnädigster Genehmigung Seiner k.u.k. Apostolischen Majestät den Antrag der deutschen Regierung bedingungsweise zustimmend zur Kenntnis genommen. Als Bedingung für seine Zustimmung habe er in erster Linie betont, dass durch die Er¬ werbung des deutscherseits konzedierten russisch-polnischen Kohlengebietes die Er¬ werbungweiterer Gebiete Russisch-Polens durch die Monarchie in keiner Weise präjudiziert werden dürfe, zweitens habe er den Wunsch ausgesprochen, dass uns deutscherseits eine Geldanleihe zur Ergänzung unserer Goldbestände finanziert werde und endlich habe er verlangt, dass die deutsche Regierung eine Gewähr¬ leistung für die uns von Italien versprochene »freie Hand am Balkan« übernehme. Die deutsche Regierung hat diesen drei Bedingungen zugestimmt, so dass jetzt der Zeitpunkt gekommen sei, wo er die Allerhöchste Ermächtigung Seiner k.u.k Apostolischen Majestät nachsuchen müsse, um an die Durchführung der weiteren Verhandlungen mit Deutschland und Italien schreiten zu können. Nach dem Dafürhalten Baron Buriäns kann jetzt kein Tag verloren werden, weil die Leidenschaften in Italien täglich wachsen und es auch den Gutgesinnten immer schwieriger gemacht wird, die Entwicklung der Dinge in dem sicheren Kanäle der Fortsetzung der Verhandlungen mit uns festzuhalten. Der Minister des Äussern beabsichtigt, die italienische Regierung vorerst durch Vermittlung der deutschen Regierung davon in Kenntnis zu setzen, dass er bereit ist, als Basis der Diskussion die Möglichkeit der Abtretung österreichisch-ungari¬ schen Gebietes als Kompensation an Italien zuzugestehen. Auf weitere Details wolle er sich Italien gegenüber vorerst nicht einlassen. Dagegen beabsichtige er die deutsche Regierung in vertraulicher Weise davon in Kenntnis zu setzen, was wir als Maximum an Italien abtreten könnten und worin das Minimum der Gegenleistung Italiens bestehen müsse. Deutschland könnte dann die Verhandlungen mit Italien auf dieser Grundlage festlegen und zuweitgehenden italienischen Forderungen a priori entgegentreten. 219 <pb/>Die Eröffnungen der deutschen Regierung in Rom könnten dann den Ausgangs¬ punkt für eine »conversation ä trois« bilden, wie sie deutscherseits schon vor¬ geschlagen worden sei und bei welcher der ganze Komplex der Dreibundfragen durchgesprochen und der Versuch gemacht werden könnte, den Wert des Bundes¬ verhältnisses für alle Verbündeten zu erhöhen. Die Frage der Kompensation an Italien könnte dann in der Diskussion mit unterlaufen. Uber die Gebietsabtretung selbst würde nur zwischen Österreich-Ungarn und Italien direkt verhandelt werden. Das Opfer, welches wir zu bringen hätten, sei ein sehr schweres. Eben, weil es ein so schmerzliches sei, müsse man aber alles tun, dass dieses Opfer nicht umsonst gebracht werde, sondern, dass uns hiedurch die Möglichkeit geboten werde, in Zukunft gute Beziehungen zu Italien zu erhalten. Daher müssten alle mass¬ gebenden Faktoren trachten, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und so dazu beitragen, dass in Italien der Wunsch nach Erhaltung des Bündnisses mit uns gekräftigt werde. Die permanenten internationalen Interessen Italiens weisen es auf den Anschluss an die Zentralmächte. Dies sieht auch jeder italienische Staatsmann ein, auch Son- nino, der sich entschieden in diesem Sinne auch uns gegenüber ausgesprochen hat. Für Italien sei ohne dieses Bündnis eine gute Mittehneerpolitik eben nicht denkbar. Auf diese Dispositionen allein könne man die Zuversicht bauen, dass Italien sich mit dem von uns gebrachten Opfer begnügen und in der Zukunft zu uns halten werde. Um dies aber zu erreichen, sei es notwendig, dass in Italien kein Miss¬ trauen gegen uns und das Deutsche Reich aufkomme und dass man dort nicht das Gefühl habe, als würden wir unsere Zusicherungen nicht loyal einhalten oder die abgetretenen Gebiete bei der ersten Gelegenheit wieder zurückerobern wollen. Hiemit schliesst der Minister des Äussern seine Ausführungen, indem er Seine Majestät bittet, zu gestatten, dass die anderen Anwesenden nunmehr ihre Anschau¬ ungen vortragen und auch über die Einzelheiten der weiteren Vorgangsweise kon¬ krete Fragen stellen. Seine Majestät geruhen hierauf, dem kgl. ung. Ministerpräsidenten das Wort zu erteilen. Graf T i s z a betont, der Gedanke, etwas aus dem eigenen Leibe abzutreten, sei ein so furchtbares Opfer, dass man das Menschenmögliche zu tun ver¬ pflichtet sei, um eine solche Modahtät abzuwenden. Daher habe er sich auch seit Beginn des Krieges immer jenen angeschlossen, welche eine solche Gebietsabtre¬ tung entschieden ablehnten. Schon Anfang August habe er Gelegenheit gehabt, in dieser Weise Stellung zu nehmen. Auch später, als infolge der verhängnisvollen Aktion des neuen deutschen Botschafters in Rom Anfang Jänner die Lage sich wieder verschärfte, habe er sich für eine zuwartende Haltung ausgesprochen. In erster Linie, weil man damals noch hoffen konnte, dass entscheidende militäri¬ sche Erfolge auch die politische Lage zu unseren Gunsten beeinflussen würden. Diese Hoffnung sei leider nicht in Erfüllung gegangen; trotz der heldenmütigen Haltung unserer Truppen in schweren Kämpfen sei kein so ausschlaggebender Erfolg erzielt worden, dass unsere pohtische Situation hiedurch verbessert worden wäre. Hingegen seien zwei neue Momente aufgetaucht, welche die entgegen¬ gesetzte Wirkung ausüben könnten. Er meine die Möglichkeit, dass Przemysl 220 <pb/>sich nicht mehr werde halten können und den Angriff der anglo-französischen Flotte auf die Dardanellen. Letztere sei die in politischer Hinsicht weitaus wichti¬ gere Begebenheit, weil der ganze Balkan durch die Möglichkeit der Eroberung Konstantinopels in Unruhe versetzt worden sei. Der zweite Grund, welcher den Grafen Tisza im Jänner noch veranlasst hat, für eine ablehnende Haltung gegenüber Italien einzutreten, war die berechtigte Hoffnung, dass die Einsicht der permanenten Interessen Italiens die italienischen Staatsmänner vor einer Abenteuererpolitik zurückhalten werde. Auch Graf Tisza ist davon überzeugt, dass Italiens Mittelmeerinteressen nur in der Anlehnung an die Zentralmächte befriedigt werden können. Leider habe man sich auch hierin getäuscht. Er wolle nicht untersuchen, wie weit die unglückliche Tätigkeit des Fürsten Bülow dazu beigetragen habe, um die italienischen Staatsmänner in ihrer Erpressungspolitik zu ermutigen. Eines sei ganz sicher, dass die deutsche Pohtik im Jänner des Jahres die italienischen Aspirationen auf ein so hohes Diapa¬ son hinaufgeschraubt hatte, dass man damals in Rom mit der Abtretung des Trentino wie mit etwas ganz selbstverständlichem rechnete und dass man seine Blicke daher schon auf weitere Gebiete der Monarchie richtete. Die leidenschaft¬ liche Erregung in Italien sei dann hauptsächlich dadurch hervorgerufen worden, dass man sich durch unsere ablehnende Haltung in Gefahr sah, etwas zu verheren, womit man schon ganz sicher als nationale Errungenschaft gerechnet hatte. All dies könnte man zum guten Teil auf das Schuldkonto der deutschen Politik setzen, jetzt nütze es aberwenig, dies festzustellen; manmüsse vielmehr derSituation mit offenen Augen entgegentreten und das Beste tun, um ihr Rechnung zu tragen. Durch den Eintritt Italiens und Rumäniens in den Krieg auf Seite unserer Gegner würde, nach Ansicht aller massgebenden militärischen Faktoren, eine ganz unhalt¬ bare Kriegslage geschaffen werden. Man müsse sich daher unbedingt rechtzeitig mit Italien abfinden, damit es sich nicht weiter Rumänien gegenüber verpflichte. Daher könne man auch nicht bis Ende April zuwarten. Alle Momente weisen darauf hin, dass schon jetzt zwischen Italien und Rumänien über konkrete Ver¬ einbarungen verhandelt wird. Wenn diese einmal zum Abschlüsse gelangt seien, würde Italien vermutlich auch Abmachungen mit den Ententemächten abschliessen und so gebunden sein, dass wir durch ein Nachgeben im letzten Augenblicke nichts mehr erreichen würden. Trotzdem der zähe Widerstand, den er immer befürwortet habe, keinen vollen Erfolg hatte, so sei er doch nützlich gewesen, einerseits, weil erst hierdurch das Trentino für das italienische Volk zu einem wertvollen und begehrenswerten Kompensationsobjekt wurde und dieser Umstand es den italienischen Staats¬ männern erleichtern wird, sich mit einem viel geringeren Erfolg zu begnügen als es der Fall gewesen wäre, wenn man schon im Jänner nachgegeben hätte. Die zweite günstige Wirkung unserer Zähigkeit erblicke er in dem deutschen Angebot bezüglich des Kohlengebietes in Russisch-Polen, nicht weil er darin ein Aequi- valent für die Abtretung des Trentino erblicke, denn durch einen wirtschaftlichen Gewinn könne dieser ethische und politische Verlust nicht aufgewogen werden, sondern weil er, abgesehen von der ökonomischen Bedeutung des Kohlengebietes, auch ein wertvolles Anzeichen der loyalen Gesinnung Deutschlands für die Zukunft 221 <pb/>in diesem Angebot erblicke. Der Ministerpräsident betont bei diesem Anlass, dass wir ein verhältnismässig grosses Goldanlehen benötigen, um die sehr verringerten Goldbestände der Österreichisch-Ungarischen Bank zu ergänzen und macht die Anregung, dass bei diesem Anlasse die deutsche Regierung dazu veranlasst werden sollte, uns Maschinen und Rohstoffe für die Bedürfnisse der Armee, welche in Deutschland nicht benötigt werden, zu liefern, ohne dass hierfür wie bisher Kompensationen unsererseits begehrt werden. Am Schlüsse seiner Ausführungen betont Graf Tisza, dass man keine Garantie für eine korrekte Haltung Italiens in der Zukunft übernehmen könne, sondern nur hoffen könne, dass die realen Interessen Italiens letzteres auch in Zukunft an die Zentralmächte weisen werden. Dies sei zwar nur eine Hoffnung, die andere Alternative aber, nämlich den italienischen Forderungen nicht nachzugeben, bedeute unter den gegebenen Umständen mit Sicherheit den Krieg gegen Italien und Rumänien mit unabsehbaren Konsequenzen. Über die Durchfüh¬ rung der weiteren Schritte wolle er sich im einzelnen nicht äussern, es sei dies Sache der Diplomatie und gerade für eine erfolgreiche Diplomatie sei es notwendig, dass ein Einzelner die Leitung in der Hand halte und dass er durch fremde Einwirkung nicht gestört werde. Er möchte aber auch seinerseits betonen, dass wir trachten sollten, aus diesem schweren Opfer, welches die Mon¬ archie bringen müsse, den grösstmöglichen Vorteil zu ziehen und in dieser Beziehung möchte er zwei Momente hervorheben, einerseits sollten wir Italien darüber beruhigen, dass wir das, was wir jetzt versprechen müssen, auch wirklich einhalten wollen und dass wir nicht sofort an eine Vergeltung denken werden. Eine solche Befürchtung Italiens könnte den ganzen Erfolg unseres Entgegen¬ kommens kompromittieren. Bis zum Ende des Krieges werde Italien es in der Hand haben, seine Armee auch gegen uns einzusetzen und hiedurch die Über¬ legenheit der uns feindlichen Gruppe herbeiführen. Dafür, ob Italien diese Situation werde ausbeuten wollen oder nicht, werde vor allem die Frage entscheidend sein, ob man in Rom über das zukünftige Verhältnis zu den Zentralmächten beruhigt sei oder nicht. Aber auch nach dem Kriege wäre es für uns eine Lebensfrage, mit Italien gute Beziehungen zu unterhalten. Er teile in vollem Masse die sittliche Entrüstung über das Vorgehen Italiens, aber die Monarchie wird kaum jemals in der Lage sein, sich den Luxus eines Vergeltungs-Krieges zu erlauben, so dass wir uns durch Betonung solcher Absichten ganz nutz- und zwecklos schädigen." Es erscheine ihm ferner ungemein wichtig, dass die Spannung, welche momentan in unserem Verhältnisse zu Italien eingetreten sei, sobald als möglich einer fühl¬ baren Detente weiche. In Rumänien habe diese Spannung schon jetzt in einer uns sehr ungünstigen Weise gewirkt, indem daselbst der sich langsam fühlbar machende Umschwung der öffentlichen Meinung zugunsten der Monarchie wieder aufgehalten worden sei. Was die Rückwirkung der Abtretung österreichisch-ungarischen Gebietes auf die öffentliche Meinung der Monarchie betrifft, ist Graf Tisza der Ansicht, wenn a) Der mit »Er teile« beginnende und mit »zwecklos schädigen« endende Teil wurde von Tisza nachträglich in die Reinschrift des Protokolls eingefügt. 222 <pb/>auch das Geheimnis über die erfolgte Abtretung nicht zu halten sein wird, die grosse Öffentlichkeit dieses Opfer doch nicht so schmerzlich empfinden wird, als man annehmen könnte. Die grosse Mehrzahl wünsche eine Verständigung mit Italien und werde sich verhältnismässig leicht über die hiefür gebrachten Opfer hinwegsetzen. Für die Militärkreise werde letzteres allerdings sehr schmerzhaft sein, aber man sollte hiebei bedenken, dass ein Rückenangriff Italiens und Rumä¬ niens von unserer tapferen Armee, welche nunmehr seit fast 8 Monaten in beispiel¬ loser Pflichterfüllung unter den schwierigsten Verhältnissen gegen eine gewaltige Übermacht ankämpft, noch viel schmerzlicher empfunden werden würde. Der ungarische Ministerpräsident verweist am Schlüsse seiner Ausführungen darauf, dass dies der schwerste Entschluss sei, den er in seinem ganzen öffentlichen Leben zu fassen genötigt gewesen sei. Wenn er den Anträgen des Ministers des Äussern seine Zustimmung gebe, so tue er es in der Überzeugung, dass sie durch die Verhältnisse gerechtfertigt seien. Im privaten Leben stehe jedem das Recht zu, seine persönliche Sicherheit, sein Leben aus ideellen Gründen aufs Spiel zu setzen, im öffentlichen Leben müsse aber ein verantwortlicher Staatsmann sich vor der schwersten Notwendigkeit beugen, wenn die Existenz des Staates bedroht er¬ scheint. Seine k.u.k. Apostohsche Majestät geruhen hierauf, dem k.k. Ministerpräsiden¬ ten das Wort zu erteilen. Graf Stürgkh betont, dass, wenn der kgl. ung. Ministerpräsident seiner Empfindung in dieser schweren Stunde Ausdruck verleihen konnte, er als die für die Angelegenheiten der Reichsratslande in erster Linie verantwortliche Persön¬ lichkeit für sich das Recht in Anspruch nehmen dürfe, das Opfer, das gebracht werden müsse, noch um einen Grad tiefer zu fühlen. Der Minister des Äussern habe die ganze Situation in so klarer und ausführlicher Weise dargelegt, dass er seinerseits diesen Ausführungen nichts Neues beifügen könne. Er wolle daher nur einige markante Punkte in Schlagworten berühren, die ihm beachtenswert er¬ scheinen. Da müsse er vor allem auf die zweifellos täglich zunehmende kriegerische Bereitschaft Italiens und Rumäniens hinweisen, in zweiter Linie auf die Tatsache, dass über eine Kooperation der beiden Armeen gegen uns verhandelt werde. Drittens erscheine auch ihm die Dardanellengefahr als ein sehr ernstes Moment in der ganzen Lage. Viertens dürfe man seiner Ansicht nach auch die Überzeugung des deutschen Verbündeten, dass eine Remedur gegen die italienische Gefahr gefun¬ den werden müsse, nicht ganz ausser Acht lassen und endlich müsse auch die Be¬ trachtung unserer Lage am nördlichen und auf dem serbischen Kriegsschauplatz die Überzeugung hervorrufen, dass daselbst für absehbare Zeit keine definitiven Entscheidungen fallen können und dass wir absolut nicht in der Lage seien, Italien mit irgendwelcher Aussicht auf Erfolg entgegenzutreten. Selbst wenn man einen Einfall der italienischen Truppen im Trentino aufhalten könnte, so wäre dies am Isonzo oder in Dalmatien mit den uns zur Verfügung stehenden Truppen ganz unmöglich. Unter diesen Umständen und da es nicht möglich erscheine, Itahen in irgendwelcher anderen Weise zu befriedigen, müsse auch er zur Konklu¬ sion gelangen, dass dieses schwere Opfer gebracht werden müsse. Es sei dies das einzige Mittel, um den drohenden Gefahren vorzubeugen. Wenn man einmal 223 <pb/>diese Überzeugung gewonnen habe, sei es Pflicht jedes einzelnen, die schwere Verantwortung hiefür auf sich zu nehmen; daher könne er dem Minister des Äussern seine Zustimmung nicht versagen. Er stimme vollkommen mit dem kgl. ung. Ministerpräsidenten darin überein, dass die Sache nicht ganz geheim durch¬ geführt werden könne. In dieser Beziehung werde das Erreichbare anzustreben sein. Es wäre wünschenswert, dass über die Form und den Zeitpunkt der in der itahenischen Kammer abzugebenden Erklärung konkrete Abmachungen mit der italienischen Regierung getroffen werden. Er sei mit der von dem Minister des Äussern skizzierten Vorgangsweise ganz einverstanden und lege insbesondere Wert auf die Teilnahme des deutschen Kabinetts an den Verhandlungen, weil seiner Ansicht nach die deutsche Mitgarantie für. die italienischen Zusagen sehr wertvoll sei. Was die Leistungen Italiens betreffe, sollte man auf die wohlwollende Neutralität besonders in wirtschaftlicher Hinsicht grosses Gewicht legen und vor allem freie Hand in Serbien und Montenegro erhalten. Auch er begrüsse es mit Genugtuung, dass Deutschland sich dazu verstanden habe, uns eine Kompensation für das Opfer, welches wir bringen, anzubieten. Er müsse jedoch auch seinerseits den Vorbehalt machen, dass durch Annahme des deutschen Anerbietens die Möglichkeit weiterer Erwerbungen russisch-polnischen Gebietes durch die Monarchie in keiner Weise präjudiziert werden dürfe, denn die An¬ sprüche, die wir in diesem Belange erheben, können durch den Erwerb von Sos- nowice in keiner Weise befriedigt werden. Der Ministerpräsident ist sich nicht ganz klar darüber, wie der deutsche Vorschlag bezüglich des Kohlenbeckens ge¬ meint sei. Es scheine sich mehr um ein6 privatliches Eigentumsverhältnis zu han¬ deln, das man uns anbiete. Was das durch Deutschland uns zu gewährende Goldanlehen betreffe, so sei ein solches zur Aufbesserung der Valuta sehr nötig und könne auch, wie er von deutscher finanzieller Seite erfahren hat, tatsächlich zu einem geeigneten Zeit¬ punkte in Berlin auf den Markt gebracht werden. Nur der Zeitpunkt sei noch unbestimmt, von mancher Seite höre er die Ansicht aussprechen, dass dieses Anlehen erst bei Friedensschluss effektuiert werden sollte, da müsse man sich in Acht nehmen, dass diese Frage nicht deutscherseits mit jener der Kriegsentschädi¬ gung in Zusammenhang gebracht werde. Nachdem vorerst Italien durch Vermittlung Deutschlands nur von unserer prinzipiellen Zusage in Kenntnis gesetzt werden soll, so sei es noch zu früh, über die konkreten Abmachungen zu sprechen. Graf Stürgkh möchte aber schon jetzt darauf hinweisen, dass bei der Delimitierung der 'abzutretenden Gebiete Süd¬ tirols nicht nur die ethnographischen Grenzen berücksichtigt werden dürfen, sondern in erster Linie auch strategische Interessen. Letztere stimmen nicht überall mit der Sprachgrenze überein. Ferner müsse er noch folgendes betonen. Wenn man schon blutenden Herzens die Abtretung des Trentino ins Auge fasst, so liegen die Verhältnisse an der Isonzolinie ganz anders. Es wäre seiner Ansicht nach für die Zukunft des ganzen Küstenlandes verhängnisvoll, hier an Abtretungen zu denken und die italienische Grenze näher an Triest heranrücken zu lassen. b) Das »ein« nachträglich in die Reinschrift des Protokolls eingetragen. 224 <pb/>Wenn die italienischen Aspirationen auf das Küstenland auch nur zum kleinen Teil erfüllt würden, so würde Gefahr bestehen, dass die politische Situation daselbst unhaltbar wird. Aus diesem Grunde möchte er dringend bitten, dass auch die deutsche Regierung auf das eindringlichste darauf aufmerksam gemacht werde, dass wir in eine Gebietsabtretung im Isonzogebiet unter keinen Umständen ein¬ willigen können und dass wir von der deutschen Regierung erwarten, dass sie jede diesbezüghch vorgebrachte Anspielung Italiens entschieden zurückweisen wird. Der k.k. Ministerpräsident reflektiert sodann auf die Bemerkung des Ministers des Äussern und des ungarischen Ministerpräsidenten über unser zukünftiges Ver¬ hältnis zu Italien und stimmt der Anschauung bei, dass es nötig sein wird, bonne mine au mauvais jeu zu machen und den Italienern möglichst freundlich ent¬ gegenzukommen. Er ist aber der Ansicht, dass dies nur bis zur Erfüllung der italieni¬ schen Gegenleistung, also bis zum Friedensschlüsse zu geschehen brauche. Jetzt müsse gewiss alles aufgeboten werden, um die öffentliche Meinung Italiens von unseren freundschaftlichen Absichten zu überzeugen. Was die Stimmung in der Bevölkerung anbelangt, betonte Graf Stürgkh, dass die durch die Abtretung betroffenen Kreise der Provinz die Aussicht auf dies¬ bezügliche Verhandlungen mit Italien ungemein schmerzlich empfinden. In anderen Kreisen überwiegen die Befürchtungen vor den Konsequenzen eines Eingreifens Italiens alle anderen Konsiderationen; die Insistenz, mit welcher einzelne unter ihnen an massgebender Stelle zur Nachgiebigkeit drängen, hat sogar etwas Cho¬ kantes an sich, man dürfe diese Insistenz aber nicht als Mangel an Patriotismus ansehen, im Gegenteil, gerade sehr monarchietreue Elemente hätten in der letzten Zeit aus Besorgnis für die Zukunft Österreich-Ungarns besonders zu einem Entge¬ genkommen gegenüber Deutschland und Italien gedrängt. Wenn diese Erscheinung auch in subjektiver Beziehung unangenehm empfunden werden müsste, so müsse man doch zugeben, dass diese Haltung einflussreicher Kreise in der Monarchie die Entschlüsse der massgebenden Faktoren in pohtischer Hinsicht bis zu einem gewissen Grade erleichtere. Bevor er schliesse, möchte er den Minister des Äussern noch fragen, ob er es nicht für möglich halte, dass Rumänien, falls wir mit Italien zu einer befriedigen¬ den Einigung gelangen, nicht doch dazu bewogen werden könnte, nicht nur neutral zu bleiben, sondern sich uns und unseren Verbündeten aktiv anzuschliessen. Hiedurch könnte der Weltkrieg mit aller Aussicht zu einer raschen Entscheidung gebracht werden. Der Minister des Äussern beantwortet diese letzte Anfrage dahin, dass nach Einschätzung aller gegebenen Momente mit Sicherheit angenommen werden kann, dass Rumänien automatisch gegen uns losschlagen wird, wenn Italien uns angreift. Dagegen könne mit fast ebensolcher Bestimmtheit gesagt werden, dass Rumänien ruhig bleiben werde, wenn Italien sich nicht rühre. Die dritte Möglichkeit, dass Rumänien auf unserer Seite eingreife, erscheine viel zweifel¬ hafter, er habe aber niemals aufgehört, alle jene Elemente, welche sich in Rumänien noch für die Fortsetzung der traditionellen dreibundfreundlichen Politik ein- setzen, zu stärken und mit denselben enge Fühlungnahme zu unterhalten. Die öffentliche Meinung Rumäniens sei so beweglich, dass ein Umschwung zu unseren 15 Komjäthy: Protokolle 225 <pb/>Gunsten gar nicht unmöglich wäre, wenn die geringere Gefahr und der grössere Gewinn in einem Zusammengehen mit uns erblickt werde. In der rumänischen Seele sei die Stufenleiter des in diesem Kriege anzustreben¬ den Gewinnes so geordnet, dass ah erster Stelle der Erwerb Siebenbürgens und der Bukowina stehe, an zweiter Stelle Bessarabien, welches insoferne weniger Wert habe, als man mit Bestimmtheit damit rechnen zu müssen glaubt, dass Russland es bei erster Gelegenheit wieder mit Waffengewalt zurücknehmen würde. Der Minister wiederholt, dass sowohl er wie auch die deutsche Regierung, ihr Möglich¬ stes tue, um den kleinen Kreis dreibundfreundlicher Politiker in Bukarest in ihrem Einfluss zu stärken und man ihnen auch gewisse Zusicherungen betreffend den Er¬ werb Bessarabiens für den Fall gemacht habe, dass Rumänien rechtzeitig eingreife. Was die Geheimhaltung unserer Abmachungen mit Italien betrifft, ist Baron Buriän der Ansicht, dass eine solche Geheimhaltung unmöglich und auch in gewisser Hinsicht gar nicht erwünscht wäre, weil man eine Detente mit Italien herbeiführen wolle und weil unter den gegebenen Umständen ein Versprechen an Italien auch mit der Durchführung gleichbedeutend sei. Selbstverständlich werde man sein ganzes Augenmerk auf die Form und den Inhalt der italienischer- seits beabsichtigten parlamentarischen Erklärung richten müssen. Es würde nicht leicht sein, eine Textierung zu finden, die weder zuviel noch, was mit Rücksicht auf das italienische Parlament wichtig sei, zu wenig sage. Baron Buriän beabsich¬ tigt, diese wichtige Frage gleich nach Abgabe der prinzipiellen Erklärung durch die deutsche Regierung anzuschneiden. Eine zweite Schwierigkeit sehe er darin voraus, dass, wie er wisse, Italien die Absicht habe, die sofortige Räumung der von uns abgetretenen Gebiete zu verlangen. Er werde sich einem solchen Ansinnen mit Entschiedenheit widersetzen und auch auf die deutsche Regierung einwirken, damit sie ihrerseits die Italiener von einer solchen Forderung zurückhalte. Was das Isonzogebiet betreffe, so sei es in der italienischen Presse sehr oft zusammen mit dem Trentino genannt worden, dagegen habe die deutsche Regierung erst in der letzten Depesche des Reichskanzlers dieses Gebiet als weiteres Postulat Italiens erwähnt. Der Minister führt dies auf einen Bericht des Abgeordneten Erzberger über seine italienische Reise zurück, der am 28. Februar, das heisst am Tage, wo die erwähnte Depesche redigiert wurde, dem Reichskanzler Vorgelegen hat. Baron Buriän hat auf dieses deutsche Ansinnen sofort geantwortet, dass das Isonzogebiet unter allen Umständen von den Verhandlungen ausgeschlossen bleiben müsse. Italien dürfte jedoch auch in dieser Frage mit Insistenz an uns herantreten, das solle uns zwar nicht bewegen, sofort nachzugeben, er müsse aber befürchten, dass die italienische Regierung wegen des Isonzogebietes die Sachen in drei bis vier Wochen wieder auf die Spitze treiben und eine Art von Ultimatum an uns richten würde. Er werde dann selbstverständlich keine weitere Entschei¬ dung treffen, bevor er die Frage nicht neuerlich im Ministerrat vorgebracht habe. Was die Anfrage des k.k. Ministerpräsidenten über das Kohlengebiet von Sosnowice betreffe, müsse er betonen, dass die deutsche Regierung uns selbstver¬ ständlich die volle staatliche Souveränität über die Kohlengebiete zuerkenne, ausserdem soll sie auch die Enteignung der Kohlengruben auf ihre Kosten vor¬ nehmen, so dass letztere dann lastenfrei in unser Staatseigentum übergehen würden. 226 <pb/> Bezüglich der Goldanleihe sei es ganz selbstverständlich, dass diese Frage ganz getrennt von der Frage der Kriegsentschädigung zu behandeln sein werde. Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen hierauf dem gemeinsamen Finanz¬ minister das Wort zu erteilen. Dr. von K o e r b e r erklärt, er wolle sich nach den erschöpfenden Darlegungen des Ministers des Äussern und der beiden Ministerpräsidenten kurz fassen. Er verweist darauf, wie sehr das Prinzip des schrankenlosen Egoismus die Politik der einzelnen Staaten zu beherrschen drohe. Wenn früher geschriebene Verträge eine gewisse Garantie für die Haltung eines Verbündeten boten, so sei dies nicht mehr der Fall, denn kein Staat scheue sich heute Verträge zu brechen, wenn dies zu seinem Vorteil geschehen kann. Auch unser Verhältnis zu Italien müsse von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet werden und wenn auch für die treulose Haltung Italiens eine Entschuldigung nicht zu finden sei, so müsse man doch die Tatsache nicht vergessen, dass wir von Feinden umringt sind und dass wir auch in der Zukunft genötigt sein werden, hiemit zu rechnen und trachten müssen, die Zahl unserer Feinde soweit wir können, zu verringern. Daher müsse er für eine wohlwollende Verständigung mit Italien eintreten, welche Italien nicht nur aus dem Kreise unserer Gegner ziehen, sondern auch noch ein volles Überein¬ kommen über den ganzen Komplex der Balkanfragen herstellen würde. Wir sollten unsere Interessen am Balkan gemeinsam mit Italien wahren. Bei dieser Verständigung denke er vor allem an unsere gemeinsamen Interessen in Albanien und an Salonik, welches für unsere wirtschaftliche Expansion in der Welt eine immer grössere Bedeutung erhalten würde. Wir müssen trachten, die Verbindung mit Salonik kürzer zu machen. Politisch habe es auch eine Bedeutung, dass die Bevölkerung von Salonik seit jeher mit uns sympatisiere. Er denke also daran, dass man mit der italienischen Regierung eine Verständi¬ gung suche, die sich auch auf den Balkan beziehe, damit unsere wirtschaftlichen Interessen daselbst gleichzeitig mit jenen Italiens gewahrt werden. Auf die Frage der Goldanleihe übergehend, erwähnt der gemeinsame Finanz¬ minister, dass er dieselben Bedenken wie Graf Stürgkh hege, ob es möglich sein werde, eine solche Anleihe im jetzigen Zeitpunkte zu effektuieren. Seiner Ansicht nach werde man ohnedies eine neue innere Anleihe zur Deckung der Kriegs¬ kosten aufnehmen müssen. Dies könnte eventuell im Mai geschehen und auf diese Weise den Geldbedarf sicherstellen. Ob dann noch eine Goldanleihe im Auslande nötig sein werde, wisse er nicht, für jeden Fall halte er esc für nicht angängig/ dass das Goldanlehen, wenn es uns erst bei Friedensschluss gewährt wird, deutscherseits nicht mit der Frage der Kriegsentschädigung in Zusammen¬ hang gebracht werde. Dr. von Koerber schliesst seine Ausführungen mit der Bemerkung, er pflichte der Anschauung vollkommen bei, dass die Gebietsabtretung von der öffentlichen Meinung mit Ruhe hingenommen werden würde, weil man die Zwangslage, in c) Das nach »es« stehende Wort »fast« wurde von Koerber gestrichen. d) An Stelle des in der Reinschrift des Protokolls gestandenen »unmöglich« setzte Koerber »nicht angängig». 15* 227 <pb/> der wir uns befinden, begreife. So schwer es jedem patriotisch denkenden Menschen auch fallen müsse, so könne er persönlich sich mit gutem Gewissen sagen, dass unter den gegebenen Verhältnissen nichts anderes geschehen könne und daher stimme er dem Anträge des Ministers des Äussern bei. Mit Allerhöchster Ermächtigung ergreift der k.u.k. Kriegsminister das Wort. FZM. von K r o b a t i n betont, er habe sich seit Beginn des Krieges bei jeder Gelegenheit mit aller Entschiedenheit gegen jede Gebietsabtretung ausgesprochen und immer den Standpunkt vertreten, dass die volle Integrität des Besitzstandes der Monarchie erhalten werden müsse. Es sei daher begreiflich, dass es ihm jetzt doppelt schwer falle, den Vorschlägen Baron Buriäns zuzustimmen; wenn er es dennoch tue, so geschehe dies, weil er einsehe, dass man nicht das Unmögliche leisten könne. Wir haben nicht die Macht, zwei neuen feindlichen Heeren entgegenzutreten, welche zusammen über 2 Millio¬ nen Soldaten verfügen. Selbst wenn wir, was er hoffe und glaube, genügend Men¬ schenmaterial hätten, um genügend starke neue Armeen gegen diese Gegner aufzustellen, so würde es materiell leider nicht möglich sein, diese Armeen auszu¬ rüsten. Wenn er jetzt zustimme, so tue er es in der Voraussetzung, dass die militä¬ rischen Interessen der Monarchie bei der Abtretung des Trentino gewahrt und eine uns in strategischer Hinsicht günstige Grenze gesichert werden würde. Die Monarchie habe so viele mihtärisch schlechte Grenzen, dass es eine dringende Notwendigkeit wäre, hier auch auf die Bedürfnisse der Defensive Rücksicht zu nehmen. Er müsse ferner die Bitte Vorbringen, dass die Gebietsabtretungen nur auf Südtirol beschränkt bleiben sollten und endlich noch darauf hinweisen, dass, falls dieses Opfer gebracht würde, die Monarchie auch den Willen kundgeben sollte, Herr im eigenen Hause sein zu wollen. Man sollte sich entschliessen, bei dieser Gelegenheit alle jene Italiener, welche mit dem italienischen Nationafismus sympa- tisieren, auch wenn sie österreichische Staatsangehörige seien, auszuweisen, sie zu exproprieren und sie der österreichischen Staatsbürgerschaft verlustig zu erklären. Dies wäre das einzige Mittel, dem Irredehtismus entgegenzutreten und zu verhüten, dass wir in einigen Jahren wieder in eine ähnliche Zwangslage versetzt werden wie heute. Auch FZM. von Krobatin ist der Ansicht, dass diese Gelegenheit benützt werden sollte, um die deutsche Regierung zu veranlassen, uns bei den Lieferungen für die Armee grösseres Entgegenkommen zu zeigen. Es sei selbstverständlich, dass die Abtretung Südtirols in der Armee am härtesten empfunden werden würde, besonders weil die Armee in Italien nie einen Freund oder verlässlichen Bundesgenossen erblickt hat. Die Armee werde aber wie immer den ihr erteilten Befehlen gehorchen und nie werde ein Ton ihres Schmerzes über dieses schwere Opfer in die Öffentlichkeit dringen. Der Chef des Generalstabes, welcher auf Befehl Seiner Majestät nunmehr seine Ansicht äussert, betont, dass er, seitdem er den Generalstab leitet, immer wieder in langen Friedensjahren auf die Perfidie Italiens hingewiesen und den Krieg gegen diesen unverlässlichen Bundesgenossen gewünscht habe, weil er wusste, dass Italien uns im Ernstfälle in den Rücken fallen würde, wenn man 228 <pb/>der Schlange nicht rechtzeitig den Kopf zertrete. In allen seinen Denkschriften über diese Frage habe er betont, dass wir einem Kriege gegen Russland und Italien nicht gewachsen seien, dies schon gar nicht, wenn wir, wie dies jetzt der Fall sei, auch am Balkan engagiert wären. Er würde sich selbst desavouiren, wenn er jetzt dieser Ansicht untreu würde.6 Italien können nunmehr verlangen, was es wolle und wir hätten in mihtärischer Beziehung kein Mittel in der Hand, um dieser Erpressung entgegenzutreten. Der Schwerpunkt liege momentan nur auf politi¬ schem Gebiete und es werde nur von dem guten Willen Italiens und der Geschick¬ lichkeit unserer Diplomatie abhängen, inwieweit die Italiener ihre Forderungen einschränken würden. Jede Gebietsabtretung sei ein schwerer Schaden; die Abtretung Südtirols würde aber in strategischer Hinsicht besonders schwer empfunden werden. Man verliere einen Keil, der nach Italien hineinragt und der ein Dorn im Fleische Italiens ist, daher auch einen ganz bedeutenden militärischen Wert habe. Es sei ganz ungerecht¬ fertigt, dass man im Deutschen Reiche über diese italienische Forderung so leicht hinweggehe und von dem Trentino als von einem Fetzen Land spreche, das kei¬ nen Wert habe. Wenn Italien mit diesem schweren Opfer nicht befriedigt werden könnte und neue Forderungen stelle, so müsste man, seiner Ansicht nach, lieber zugrunde gehen und Deutschland mitreissen, als solchen weiteren Erpressungen nachzugeben. Seine k. u. k. Apostolische Majestät geruhen, das Ergebnis der im Ministerrate vorgebrachten Ansichten dahin zu resümieren, dass alle Teil¬ nehmer, wenn auch schweren Herzens dafür eingetreten seien, dass dieses schwere Opfer gebracht und dass Verhandlungen mit Itahen auf Grundlage einer Gebiets¬ abtretung eingeleitet werden können. Seine Majestät hebt jedoch hervor, dass Er die Allerhöchste Ermächtigung hiezu nur erteile, insoferne Gebietsabtretungen in Südtirol in Frage kommen und dass eine territoriale Zession am Isonzo unter keinen Umständen zugestanden werden dürfe. Der Minister des Äussern erbittet sich das Wort von Seiner Majestät, um noch einige Worte über die Art der Durchführung der Verhandlungen zu spre¬ chen. Er hoffe, die deutsche Regierung dazu zu bewegen, auf Italien mit eben¬ solcher Insistenz einzuwirken, damit es seine Forderungen nicht zu hoch stelle, wie auf uns aus Berlin eingewirkt worden sei, um uns zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Wir würden der deutschen Regierung das Maximum dessen mitteilen, was wir in Südtirol konzedieren könnten, wobei.wir natürlich in erster Linie strategische Rücksichten berücksichtigen würden. Auf eine Anfrage Baron Conrads erklärt der Minister, er betrachte es als selbstverständlich, dass die Ver¬ handlungen mit Itahen sobald sie sich auf konkrete Gebietsabtretungen erstrecken, nur im engsten Einvernehmen mit den militärischen Stellen der Monarchie geführt werden würden. Er möchte aber vom Standpunkte seines Ressorts davon abraten, dass man strategische Rücksichten nur deshalb vorschiebe, um ein möglichst kleines Territorium an Italien abzutreten. Ganz abgesehen davon, dass man sich e) Von »Es würde« bis »untreu würde« wurde von Conrad mit Bleistift nachträglich in die Reinschrift des Protokolls eingetragen. 229 <pb/>in Italien mit einer bescheidenen Grenzberichtigung niemals zufrieden geben könne, würde es auch nicht in unserem Interesse liegen, einen grösseren Teil der italienischen Bevölkerung Südtirols bei uns zu behalten und so die Trentinofrage nicht definitiv zu bereinigen. Was die italienische Gegenleistung betreffe, so würde dieselbe in den Besprechun¬ gen zu dritt, welche in Berlin stattfinden würden, festgesetzt werden. Deutschland habe uns mitgeteilt, dass Italien uns freie Hand am Balkan anbiete, dies sei ein recht weiter Begriff. Wir haben kein Interesse daran, ihn einzuschränken und werden es der deutschen Regierung überlassen, den italienischerseits zu erwartenden Einschränkungen entgegenzutreten. Was das Abkommen über Albanien betrifft, verweist Baron Buriän darauf, dass wir kein Interesse daran haben, die Beschlüsse der Londoner Konferenz2 oder unseren albanischen Akkord mit Italien jetzt umzustossen, da diese Abkommen uns eine Handhabe bieten können, Itahen beim Friedensschluss zur Aufgabe Valonas zu veran¬ lassen. Der Kriegsminister habe sich für ziemlich drastische Massregeln in der Zukunft gegen jede Itahener ausgesprochen, welche der Monarchie angehören und gegen dieselbe agitieren. Wenn er auch nicht so weit gehe, wie FZM. von Krobatin, so sei er doch auch der Ansicht, dass es nach dem Kriege notwendig sein wird, die hochverräterischen Agitationen, welche nur infolge der Langmut der Regie¬ renden in der Monarchie Wurzel fassen konnten, zu unterdrücken. Es müsseein für alle Mal jenen Elementen, welche sich an dieser Agitation beteiligen, klar gemacht werden, dass dies nicht mehr geduldet werden wird und dass sie die Mon¬ archie verlassen müssen, wenn sie hier nicht ihren Pflichten als loyale Untertanen nachkommen wollen. Er denke hiebei nicht nur an Verbrecher, sondern auch an jene, die manchmal auch in gutem Glauben ihre nationalen Aspirationen zum Schaden der Monarchie verbreiten. Der k.k. Ministerpräsident ist mit dem Vorschläge Baron Buriäns ganz einverstanden, möchte aber nur die eine Einschränkung machen, dass man seiner Ansicht nach auch mit den Mitteilungen an die deutsche Regierungsehr vorsichtig sein sollte. Die Erfahrungen der letzten Wochen hätten gezeigt, dass man in Berlin bei Preisgabe fremden Gebietes recht freigebig verfahre und sich nicht scheue, eine ganz unbeschränkte Pression auf uns auszuüben, um uns zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Graf Stürgkh befürchtet, dass, wenn man die deutsche Regierung sofort von unseren Maximalkonzessionen in Kenntnis setzt, sie diese zu früh preisgeben wird. Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen dieser Ansicht zuzustimmen. Der Minister des Äussern erklärt, dass auch er die Absicht habe, vorerst nur von Grenzberichtigungen zu reden. Nur sollte man sich schon jetzt darüber klar werden, dass diese nicht genügen werden und dass eine vollständige Bereinigung der italienischen Frage in Südtirol bei Wahrung unserer strategischen Interessen notwendig sein werde. 2 Über die Londoner Konferenz s. Anm. 1. zum Protokoll v. 7. September 1914. 230 <pb/> Der kgl. ung. Ministerpräsident reflektiert auf die Frage der Anleihe, indem er wiederholt, dass er allerdings an eine jetzt abzuschliessende grosse^ Gold-Anleihe denke. Ein leitender deutscher Bankmann habe ihm dies¬ bezüglich gesagt,g dass Berliner Finanzkreise sich mit der Frage beschäftigen und das Geschäft für möglich halten^ würden, wenn einmal die italienische Spannung beseitigt sei. Auf die Balkanfragen zurückkommend, bemerkt Graf Tisza, dass wir vor allem trachten müssen, freie Hand in Serbien und Montenegro zu erhalten. Wir müssten trachten, möglichst wenig Reibungsflächen mit Italien für die Zukunft zu schaf¬ fen. Was die vom gemeinsamen Finanzminister aufgeworfene Frage von Salonik betreffe, glaube er Dr. von Koerber richtig dahin verstanden zu haben, dass nur von der Stärkung unserer wirtschaftlichen Position daselbst die Rede war, denn es wäre für die Monarchie ganz unmöglich, eine gesunde Balkanpolitik zu machen, wenn man ihr politische Absichten auf Salonik nachsagen könne. Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen hierauf den Chef des General¬ stabes aufzufordern, sich über die mihtärische Lage zu äussern, indem Seine Maje¬ stät betonen, dass es notwendig sei, darüber Beschluss zu fassen, wie die Operatio¬ nen angesichts der jüngsten Misserfolge der deutschen Armee in Nord-Polen weiterzuführen sein würden. Eine zweite Frage, über welche der Ministerrat auf¬ geklärt werden solle, sei jene, welche Verteidigungsmittel uns im äussersten Falle gegen Italien zur Verfügung stehen. G.d.I. Baron Conrad erklärt, der jüngste Misserfolg der deutschen Armee, welcher es unmöglich machte, aus dem grossen Siege bei den masurischen Seen strategische Vorteile zu ziehen, sei zwar sehr bedauerlich, die Gesamtlage wäre jedoch hiedurch nicht so beeinflusst, dass es für uns notwendig wäre, unsere Operationen abzubrechen. Der Chef des Generalstabes gibt hierauf vertrauliche Aufklärungen über diese Operationen, welche in erster Linie zum Entsätze der Festung Przemysl und zur Wiedereroberung Mittelgaliziens führen sollen. Auch über die Frage unserer Verteidigungsmittel gegen Italien erteilt Baron Conrad streng vertrauliche Auskünfte. Aus denselben geht hervor, dass keine grossen Truppenmassen für eine wirksame Verteidigung zur Verfügung stehen und dass nur Pola und Südtirol für einige Zeit gehalten werden könnten. Auf die italienische Frage zurückkommend, spricht der Chef des Generalstabes seine Überzeugung aus, dass Italien uns niemals freie Hand in Serbien gewähren werde, weil Italien Serbien als zukünftigen Bundesgenossen gegen uns brauche. Auch er sei der Ansicht, dass man während der Dauer des Krieges trachten müsse, die italienische öffentliche Meinung über unsere Absichten zu beruhigen, denn wir können jetzt einen italienischen Angriff nicht riskieren. Aber, was itahenische Zusicherungen bedeuten, lehre uns die Erfahrung der letzten Monate und seiner f) An Stelle des ursprünglichen »größere« wurde von Tisza in die Reinschrift des Protokolls »jetzt abzuschließende große« gesetzt. g) Das ursprüngliche »zugesagt« wurde von Tisza auf »gesagt« verbessert. h) »und das Geschäft für möglich halten« ist eine nachträgliche Eintragung Tiszas in die Reinschrift des Protokolls. 231 <pb/>Ansicht nach werde man nach dem Kriege die erste Gelegenheit benützen müssen, um Italien eine Lektion zu erteilen. , Auch der k.k. Ministerpräsident ist der Ansicht, dass es in der Zukunft wegen der serbischen Frage zu einem Konflikte mit Italien kommen wird, wogegen Graf T i s z a und Baron B u r i ä n die Anschauung vertreten, dass der Versuch gemacht werden müsse, Italien im Bundesverhältnis zu erhalten. Baron Buriän verweist insbesondere darauf, dass Italien schon jetzt bereit war, sein sogenanntes vitales Interesse an Serbien gegen das Trentino einzutauschen und glaubt nicht, dass dieses Interesse tatsächlich ein so grosses ist, dass eine Ver¬ ständigung hierüber unmöglich wäre. Auch er ist sich dessen bewusst, dass künftige Verträge mit Italien keinen Wert haben werden, wenn es nicht gelingt, Italiens wahre Interessen mit jenen des Dreibundes in Einklang zu bringen. Wir riskieren nichts, wenn wir dies versuchen und wenn man sich in dieser Hoffnung täusche, so werde dies nur beweisen, dass die Leidenschaften in Italien so starke sind, dass eine besonnene Politik daselbst nicht aufkommen kann. Seine k.u.k. Hoheit Erzherzog Carl Franz Joseph richtet mit Genehmigung Seiner k.u.k. Apostolischen Majestät an den Minister des Äussern die Anfrage, ob es nicht möglich sein würde, falls Italien nunmehr be¬ friedigt wird und sich zu einer neutralen Haltung verpflichtet, die italienische Regierung dazu zu bewegen, auch bezüglich der korrekten Haltung Rumäniens uns gegenüber eine gewisse Garantie zu übernehmen. Der Minister des Äussern verweist in Beantwortung dieser Anfrage darauf, dass eine solche Garantie wohl nicht leicht erreichbar wäre. Wir seien übrigens dessen so ziemlich sicher, dass die rumänische Gefahr nur bei einem Angriff Italiens akut wäre. Was vermieden werden musste, war eine weitergehende Vereinbarung zwischen Italien und Rumänien, durch welche die beiden Staaten etwa durch Übernahme einer Garantie für die beiderseitigen Eroberungen noch enger aneinander geknüpft werden würden. Es liege bisher nichts vor, was auf eine solche schon perfekte Interessengemeinschaft schliessen lassen würde, im Gegenteil, es wären Anzeichen dafür, dass Italien noch immer bestrebt sei, die Brücken zum Dreibund nicht abzubrechen und sich noch sowohl gegenüber Rumänien als auch gegenüber den Ententemächten Handlungsfreiheit bewahren wolle. Dies beweise, dass man in Italien noch immer hoffe, mit uns zu einer Verein¬ barung zu gelangen. Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen hierauf, den gemeinsamen Minister¬ rat aufzuheben. Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. In der rechten oberen Ecke dieses Bogens mit Bleistift geschrieben: »fertig«. Auf dem letzten Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, 2. April 1915.« Links unten die Unterschrift des Protokollführers Hoyos. Das Konzept des Protokolls befindet sich zwischen dem Konzept des Ministerratsprotokolls vom 3. Februar 1915 und der Original-Reinschrift des Protokolls vom 18. Juni 1915. Am Rubrum des Mantelbogens 232 <pb/> steht: »Gern. Min. R. Protokoll. No. 521. Über die unter Allerh. Vorsitz stattgehabte Beratung vom 8. März 1915. Bereitwilligkeit, das Trentino an Italien abzutreten.« Im Konzept einige, vom Protokollführer stammende Korrekturen. 11. Wien, 18. Juni 1915 Außenminister Buriän informiert den Ministerrat kurz über die außenpolitische Lage, mit besonderer Berücksichtigung des Kriegseintritts Italiens. Es wird beschlossen, das Armeeoberkommando zu ersuchen, den Krieg sparsamer zu führen und die Kriegsmaterialbestellungen auf die Erfordernisse des gegenwärtigen Krieges zu beschränken. Dann wurde die finanzielle Lage besprochen, auf Grund der Vorlage des ungarischen Finanzministers Teleszky an den ungarischen Ministerrat vom 3. Juni über die Modalitäten der Deckung der außerordentlichen Kriegsausgaben. In diesem Zusammenhang kam die Zollunion mit Deutschland zur Sprache, sowie das Problem des Goldfonds. Ebenfalls die Einberufung der Delegationen, schließlich die Frage der Heranziehung von Kriegsgefangenen zu landwirtschaftlichen Arbeiten. Über die Antezedenzien der im kurzen außenpolitischen Bericht Buriäns behandel¬ ten Fragen siehe das Material des gemeinsamen Ministerrats vom 7. Juli 1914 und 8. März 1915. Über das Problem der Mobilisierungskredite und der Finanzplanung des Krieges siehe die im Kommentar zum Protokoll vom 3. Februar 1915 zitierten Arbeiten (E. Ivanyi, I. Teleszky und S. Popovics). -- Zur Deckung der gemeinsamen Ausgaben beschloß die Konferenz, die Voranschläge des vorangegangenen Jahres als Grundlage zu nehmen; wenn spezielle Kredite notwendig wären, müßten diese von den Regierun¬ gen bereitgestellt werden. Bei Meinungsverschiedenheiten muß der gemeinsame Ministerrat entscheiden. Diese Frage tauchte übrigens auf der gemeinsamen Minister¬ konferenz vom 6. Oktober 1915 von neuem auf, wobei das Vorgehen der beiden Regierungen im Sinne der von der Konferenz gemachten Vorschriften vom Ministerrat gutgeheißen wurde. Protokoll des zu Wien am 18. Juni 1915 abgehaltenen Ministerratesfür gemeinsame Angelegenheiten, unter dem Vorsitze des Ministers des k.u.k. Hauses und des Äußern Baron Buriän. K.Z. - G.M.K.P.Z. 522. Gegenwärtige: der k.k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung- Ministerpräsident Graf T i s z a, der k.u.k. gemeinsame Finanzmmister Dr. von K o e r b e r, der k.u.k. Kriegsminister FZM. Ritter von Krobatin, der k.k. Minister für Landesverteidigung G.d.I. Freiherr von G e o r g i, der kgl. ung. Landesverteidigungsminister G.d.I. Baron H a z a i, der kgl. ung. Finanz¬ minister Dr. Teleszky, der k.k. Handelsminister Dr. von Schuster, der kgl. ung. Handelsminister Baron Harkänyi, der k.k. Finanzminister Freiherr von Engel, der Chef des k.u.k. Generalstabes G.d.I. Freiherr von 233 <pb/>