MRP-2-0-07-0-19140920-P-0007.xml

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Gemeinsamer Ministerrat, 20. 9. 1914

I. Die politische und militärische Situation

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z7.pdf.

legen würde, bevor es zum Angriff gegen die Monarchie schreite, wenn es weiss,
dass dies gleichbedeutend mit tatsächlicher Feindseligkeiten wäre.

   Graf Stürgkh weist auf die moralische Wirkung hin, die dadurch erzielt würde,
wenn eine -- wenn auch kleine -- deutsche Truppen-Abteilung an der Abwehr-Ak¬
tion gegen einen eventuellen italienischen Angriff teilnehmen würde.

   Demgegenüber bemerkt der Vorsitzende, dass der Standpunkt der deutschen
Regierung in dieser Richtung bisher ablehnend gewesen, da Deutschland nicht
in einen Konflikt mit Italien geraten wolle. Die Ratschläge des Berliner Kabinettes
gingen auch für uns immer dahin, gegebenen Falles die Itahener unter Protest ein¬

zulassen.
   Nachdem der Vorsitzende noch angeregt hat, darauf hinzuwirken, dass

die Zeitungszensur einheitlich gehandhabt werde, schliesst er die Sitzung um 1 Uhr

30 Minuten.

         Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des Proto¬
         kolls von sämtlichen Mitgliedern des Ministerrates bestätigt. In der rechten oberen
         Ecke dieses Bogens mit Bleistift geschrieben: »f(ertig)«. -- Auf dem letzten Blatt die
         Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, am 27. September 1914.« Auf demselben
         Blatt rechts unten die Unterschrift von Berchtold, links die von Walterskirchen. --
         Ebd. das handschriftliche Konzept des Protokolls mit einigen Korrekturen des Mini¬
         sters des Äußern Berchtold und des Protokollführers.

                                                                                                        7.

                                                                    Wien, 20. September 1914

Bericht Berchtolds über die außenpolitische Lage: die Frage des Kriegseintritts bzw.
der Neutralität Rumäniens. Das Deutsche Reich ist für einen Einmarsch der Rumänen
nach Siebenbürgen. Der italienische, türkische und griechische Standpunkt. Tisza
hält die deutsche Auffassung für gefährlich. Debatte über die deutsche und die öster¬
reichisch-ungarische Kriegführung.

   Auch dieser Ministerrat wurde -- wie die Ministerratssitzungen während des
Weltkrieges im allgemeinen -- mit einem Bericht des Außenministers über die außen¬
politische Lage eingeleitet. Berchtold knüpfte an sein Expose vom 7. September an.
Die militärische Lage der Mittelmächte hat sich seither verschlechtert. Die Truppen des
Generals Brudermann (die 3. österreichisch-ungarische Armee) hatten bei Lemberg
zweimal (26--30. August und 8--12. September) eine katastrophale Niederlage erlit¬
ten. Die Russen haben Lemberg erobert, Przemysl umzingelt und sind in die Karpaten¬
pässe eingedrungen. Ungarn ist von einer russischen Invasion bedroht. Da zur selben
Zeit (5--12. September) der deutsche Vormarsch an der Marne durch den französisch¬
englischen Gegenangriff zum Stehen gebracht wurde, konnte keine Rede davon sein,
von dort deutsche Einheiten zur Entlastung der österreichisch-ungarischen Truppen
abzuziehen. Angesichts des drohenden russischen Vormarsches kam das Problem der
rumänischen Intervention notwendigerweise in den Vordergrund. So wie die Deutschen
am 7. September beantragt hatten, den Italienern das Trentino zu überlassen, um einem
italienischen Angriff zuvorzukommen, schlugen sie jetzt die Überlassung Sieben¬
bürgens an Rumänien als beste Methode gegen einen rumänischen Angriff vor.

12 Komjathy: Protokolle  177
<pb/>Protokoll des zu Wien am 20. September 1914 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k.u.k. Ministers des Kaiserli¬
chen und Königlichen Hauses und des Äußern Grafen Berchtold.

   K.Z. 76. - G.M.K.P.Z. 518.
   Gegenwärtige: Der k.k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung.
Ministerpräsident Graf T i s z a, der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Dr. Ritter
von B i 1 i n s k i, der k.u.k. Kriegsminister FZM. Ritter von K r o b a t i n, der
kgl. ung. Minister am Allerhöchsten Hoflager Freiherr von B u r i ä n.
   Schriftführer: Legationsrat Graf Hoyos.
   Gegenstand: Die politische und militärische Situation.
   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und erteilt den Anwesenden
Aufklärungen über die politische Lage, indem er an die letzten Besprechungen der
gemeinsamen Minister anknüpft. Die wichtigste Frage sei die rumänische. Unsere
jetzige militärische Situation bilde die Ursache, dass die politische Lage sich in
den letzten Tagen verschlechtert hat. Die Erregung in Bukarest sei gestiegen und
könne dort leicht eine Explosion der öffentlichen Meinung die schwache Regierung
dazu bringen, gegen uns zu gehen. Die deutsche Regierung habe sich in den letzten
Tagen bemüht, die Situation zu verbessern. Zu diesem Ende sei der bisherige
deutsche Gesandte Waldhausen, welcher nicht entsprach, durch Freiherrn
von dem Bussche ersetzt worden, der als einer der fähigsten deutschen Diplomaten
gelte. Deutschland wolle vermittelnd eingreifen und festzustellen trachten, was
Rumänien für eine aktive Kooperation mit uns verlangen würde. Wir wollen zuerst
die rumänischen Ansprüche kennen, bevor wir dazu Stellung nehmen und müssten
es vermeiden, unsererseits ein Angebot zu machen, das den Rumänen die Gelegen¬
heit geben würde, uns hinaufzulizitieren. Der Vorsitzende erwähnt, dass er Herrn
von dem Bussche, der ihn auf der Reise nach Bukarest aufgesucht habe, in diesem
Sinne orientiert und einen sehr günstigen Eindruck von der Intelligenz und dem
Auftreten des neuen deutschen Gesandten erhalten habe.
   Graf Berchtold glaubt nicht, dass Rumänien jetzt überhaupt dazu zu bewegen
wäre, sich uns anzuschliessen und gegen Russland loszuschlagen, dies auch nicht
um den Preis von weitgehenden Konzessionen.
   Herr von dem Bussche habe unterdessen mit Bratiano gesprochen und ihm
erklärt, Deutschland stehe in allem und jedem hinter uns. Bratiano, auf den diese
Erklärung angeblich grossen Eindruck gemacht hat, soll geantwortet haben, er
werde einer Aktion gegen Österreich-Ungarn niemals zustimmen, für seinen Nach¬
folger könne er aber nicht gutstehen. Über die Bedingungen, welche Rumänien
für seine aktive Kooperation stellen würde, habe der deutsche Gesandte mit dem
rumänischen Ministerpräsidenten nicht gesprochen, er wollte diesfalls vorerst
bloss an König Karl herantreten.
   Angesichts der mihtärischen Lage lege Deutschland grosses Gewicht auf die
Gewinnung Rumäniens, selbst um den Preis grosser Opfer. Botschafter Prinz
Hohenlohe, der sich kürzlich, einem an ihn ergangenen Aufträge entsprechend, mit
dem Feldmarschalleutnant Marterer in das deutsche Hauptquartier begeben
hatte, um die derzeitige Situation auf dem Kriegsschauplätze und die im weiteren
Verlaufe des Krieges zu beobachtende politische Haltung zu besprechen, habe

 178
<pb/>berichtet, er sei im Hauptquartier von allen massgebenden Faktoren darauf auf¬
merksam gemacht worden, dass die Lage am französischen, wie am russischen
Kriegsschauplätze eine sehr ernste sei und dass es von allergrösster Wichtigkeit wäre,
Rumänien auf unsere Seite zu bekommen. Seine Majestät der deutsche Kaiser
habe sich der Sache angenommen, die weitgehendsten Konzessionen angeraten
und endlich auch dafür plädiert, dass man einen Einmarsch Rumäniens in Sieben¬
bürgen nicht als Kriegserklärung auffassen dürfe, sondern vielmehr den Rumänen
die Möglichkeit bieten sollte, den Schein der Bundestreue zu wahren und zu erklä¬
ren, dass sie nur, um Siebenbürgen vor Russland zu
schützen, eingerücktseien.

   Der deutsche Botschafter habe den Vorsitzenden auch soeben im Aufträge des
Reichskanzlers aufgesucht, um ihn zu ersuchen, Österreich-Ungarn möge den
Rumänen konkrete Anerbieten machen. Er habe Herrn von Tschirschky daran
erinnert, dass man beschlossen habe, durch den neuen deutschen Gesandten in
Bukarest feststellen zu lassen, was die Rumänen fordern, Herr von dem Bussche
habe noch nicht geantwortet; da gehe es doch nicht an, den Rumänen unsererseits
Anerbieten zu machen. Leider werde deutscherseits noch immer übersehen, dass
Rumänien jetzt überhaupt nicht gegen Russland losschlagen werde. Selbst wenn wir
der rumänischen Regierung Siebenbürgen anbieten würden, würde sie es wohl
besetzen lassen, aber auch dann nicht gegen Russland Front machen. Die Rumänen
gehen mit ihren Forderungen immer mehr hinauf, ohne eine Gegenleistung anzu¬
bieten, daher wären Konzessionen unter den gegebenen Verhältnissen ganz wertlos.
Ein wirksameres Mittel, Rumänien vor einer Abenteurer-Politik zurückzuhalten,
wäre die in Bukarest vorherrschende Besorgnis, dass Bulgarien Rumänien in den
Rücken fallen würde. Es wäre sehr zweckmässig, wenn die Bulgaren in offiziöser
Weise erklären würden, dass sie in die Dobrutscha einrücken würden, falls Rumä¬
nien sich gegen die beiden verbündeten Kaisermächte wende. Er habe der bulgari¬
schen Regierung nahelegen lassen, eine solche Erklärung abzugeben, und man
scheine in Sofia nicht abgeneigt, dies zu tun. Die Rumänen hätten den Bulgaren
für ihre Neutralität während eines Krieges zwischen Österreich-Ungarn und
Rumänien, die Dobrutschagrenze vor dem Ausbruche des Balkankrieges angebo-
ten, die Bulgaren scheinen jedoch für diesen Fall die ganze Dobrutscha für sich
verlangen zu wollen.

   Die rumänische Frage und unsere Stellungnahme gegen die rumänischen
Aspirationen stehe in enger Relation mit unserem Verhältnisse zu Italien, was nicht
aus den Augen verloren werden dürfe.

   Momentan scheine trotz der Feier des 20. Septembers die Situation daselbst
nicht alarmierend. Unser Botschafter in Rom messe den Strassendemonstrationen,
welche in Rom und anderen Städten Italiens stattfanden, keine allzu grosse Be¬
deutung bei und ist der Ansicht, dass die italienische Regierung die Neutralität
nach wie vor zu halten entschlossen sei. Dies würde für die Regierung aber sehr
schwer werden, wenn Rumänien eingreift oder wenn unsere und insbesondere die
Lage des deutschen Heeres in Frankreich sich verschlechtert.

  Was die Türkei anbelange, so besässen wir an ihr einenüberzeugtenVerbündeten,
da sich die führenden Männer in Konstantinopel der Überzeugung nicht entschla-

    12* 179
<pb/>gen, dass ein Sieg Russlands für die Türkei verhängnisvoll werden müsse. Man habe
auch in Konstantinopel bis vor kurzem sehr grosse Bereitwilligkeit gezeigt, eine
Aktion zu beginnen; in den letzten Tagen sei allerdings ein gewisser Stillstand zu
merken gewesen, welcher auf die Kapitulationsfrage zurückzuführen sei, da man
hoffe, dass die Ententemächte, um die türkische Neutrahtät zu erhalten, der
Aufhebung der Kapitulationen zustimmen werden.1 Dies würde auch wahrschein¬
lich insoferne geschehen, als die Ententemächte bereit zu sein scheinen, in wirt-
schaftlicher Beziehung auf ihre Kapitulationsrechte zu verzichten, es sei dies
dasselbe, wozu wir uns in prinzipieller Hinsicht schon im Jahre 1909 bereit erklärt
hätten, ebenso wie Italien im Frieden von Lausanne.2

   In Griechenland habe die Lage insoferne eine Verschlechterung erfahren, als
der uns freundlich gesinnte Minister des Äussern Dr. Streit demissioniert hätte und
Venizelos, der für die Ententemächte sympathisiere, das Ministerium des Äussern
übernommen habe. Unser Gesandter habe eine längere Aussprache mit Herrn
Venizelos gehabt, in deren Verlaufe letzterer versicherte, dass Griechenland an
seiner Neutralität festhalten werde, die Gefahr, dass die Furcht vor England und
die Sympathien für unsere Gegner die Oberhand gewinnen, sei aber gewachsen und
es sprechen schon jetzt Anzeichen dafür, dass eine Kriegspolitik in Mazedonien
beabsichtigt sei.

   Zum Schlüsse seiner Ausführungen verliest der Vorsitzende die letzten militäri¬
schen Situationsberichte und erklärt auf eine Anfrage des k.k. Ministerpräsiden¬
ten über die Nachrichten von der beabsichtigten Landung Riciotti Garibaldis
mit italienischen Freischaren in Dalmatien, dass zwar hierüber nichtamtliche
Meldungen vorliegen, dass aber die italienische Regierung erklärt habe, sie werde
alles tun, um eine solche Landung zu verhindern.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident verweist darauf, dass der Schwer¬
punkt der Situation jetzt in Rumänien hege. Die Antwort, welche der Minister des
Äussern der deutschen Regierung aufihre drängenden Demarchen erteilt habe, sei
eine vorzügliche. Es wäre für uns geradezu schädlich, ein Angebot zu machen, es
würde dies geradezu einer Lizitation ohne Käufer führen und wäre ein solches Zei¬
chen von Schwäche unsererseits, dass Rumänien erst recht die Lust verlieren würde,
mit uns zu gehen. Entscheidend für die rumänischen Entschlüsse werde nur die
Frage sein, welchen Teil man für den Stärkeren halte. Der neue deutsche Gesandte
Herr von dem Bussche hat auch auf den Grafen Tisza einen vorzüghchen Ein¬
druck gemacht. Man müsste jetzt abwarten, was die Rumänen verlangen würden
und könnte dann erst sehen, inwieferne man ihren Forderungen entsprechen
könne. Was die Frage von Konzessionen an die ungarländischen Rumänen anbe¬
langt, sei er geneigt, grosses Entgegenkommen zu zeigen. Er wolle der rumänischen
Regierung, sobald die Frage weiter gediehen sei, Vorschlägen, einen Vertrauens-

    1 Die Türkei hob am 9. September die Kapitulationen auf, denen zufolge die europäischen
Staaten berechtigt waren, über ihre dortigen Untertanen selbst die Gerichtsbarkeit auszuüben.

    2 Im Frieden von Lausanne (18. Oktober 1912) trat die Türkei Tripolis und Cyrenaika an
Italien ab. Itaben war bereit, der Türkei auf Grund des internationalen Rechtes volle wirt¬
schaftliche Unabhängigkeit zu gewähren und deren Hände nicht durch Kapitulationen zu
binden.

l8o
<pb/>mann des Königs und der Regierung nach Budapest zu senden, mit dem er diese
Fragen besprechen würde. Dies wäre seiner Ansicht nach die einzige Methode,
um zu einem Resultate zu gelangen. Auch unser Gesandter in Bukarest beherrsche
die ganze Materie nicht genügend, um aufjedes kleine Detail antworten zu können.
Graf Tisza hat nunmehr eine Denkschrift über die rumänische Frage ausgearbeitet,
welche er dem Grafen Czernin und auch der deutschen Regierung zukommen lassen
möchte. Die Hauptsache wäre, den Rumänen klar zu machen, dass es eine sieben-
bürgische Frage in Ungarn nicht gebe. Nur die Hälfte der ungarländischen
Rumänen lebt in Siebenbürgen, die andere Hälfte in den angrenzenden ungarischen
Comitaten. Andererseits&quot; seien in Siebenbürgen 45 % der Bevölkerung und zwar
der in kultureller Beziehung weitaus höchststehende Teil magyarischer und deut¬
scher Abstammung. Eine rumänische Autonomie würde daselbst der Keim für wei¬
tere Komplikationen sein. Die Rumänen wüssten das ganz genau und gehen mala
fide vor, weil sie die Sezession Siebenbürgens von der Monarchie vorbereiten wol¬
len. Was der Verlust von Siebenbürgen für die ganze Monarchie bedeuten würde,
davon wolle er gar nicht sprechen. Es gebe allerdings eine rumänische Frage in
Ungarn und er wäre auch bereit, jetzt angesichts des Ernstes der Lage den ungar¬
ländischen Rumänen in kirchlichen und Schulangelegenheiten grössere Konzessio¬
nen zu machen, als bisher in seinen Absichten gelegen war, wenn das Königreich
Rumänien sich entschhesse, ganz mit uns zu gehen und diesbezüglich bindende
Zusicherungen mache. Diese Konzessionen in Kirchen- und Schulangelegenheiten
müssten sich auf alle nicht magyarischen ungarischen Staatsangehörigen beziehen,
bei der Durchführung könnte man dann allenfalls die Rumänen bevorzugen.3

   Was die sehr eigentümliche Idee betreffe, man solle die Rumänen nach Sieben¬
bürgen hineinlassen, damit sie die Russen hinauswerfen, so hiesse dies den Bock
zum Gärtner machen und sei nichts anderes als ein gelungener Trick der Rumä¬
nen, welche ihrerGewohnheit entsprechend, jedesBlutvergiessenvermeidenmöchten,
wenn sie Siebenbürgen erobern. Ein Eingehen auf diese Zumutung hätte, abgese¬
hen von allen anderen bösen Folgen, auch noch den Nachteil, dass die anscheinend
noch vorhandenen Gewissensbisse und Skrupeln König Karls durch unser Ein¬
verständnis sogleich verschwinden dürften und er sich auf diese Weise in eine
Abenteuerpohtik hineinziehen lassen würde. Wenn die rumänischen Truppen sich
einmal in Siebenbürgen zeigen, so werde die rumänische Bevölkerung, welche den
russischen Soldaten gewiss nicht freundlich entgegenkommen werde, nicht mehr zu
halten sein und ein fait accompli schaffen, das nicht mehr rückgängig zu machen
wäre.

   Der k.k. Ministerpräsident erklärt, er hätte vielleicht Zweifel gehabt,
ob die deutschen Zumutungen bezüglich der Rumänien zu gewährenden Konzessio-

    a) Der mit »Nur die Hälfte ...« beginnende und mit »anderseits« schließende Teil wurde
von Tisza nachträglich eingefügt.

    3 Über den ganzen Fragenkomplex s. Tiszas Briefe an die rumänischen Metropoliten,
Bischöfe und an die Obergespane Siebenbürgens, an Graf Czernin, den Gesandten der Mon¬
archie in Bukarest (mit Tiszas Denkschrift über die rumänische Frage), an Freiherrn von
Buriän, Minister am Allerhöchsten Hoflager in: Tisza Istvdn Összes Munkäi (Tiszas Werke).
4. Reihe, Bd. II, Budapest 1924, S. 157 ff., 272 ff.

                                                                                                               l8i
<pb/>nen nicht beachtet werden sollten, wenn unsere militärische Situation eine günsti¬
gere wäre. Man könnte in diesem Falle die Ansicht vertreten, dass die Aktion
des neuen deutschen Gesandten in Bukarest erfolgreich sein und Rumänien zum
Losschlagen mit uns bewogen werden könnte, wenn unsere Truppen im Vormarsch
begriffen wären und wir dann noch die Rumänen durch Konzessionen gleichsam
mitreissen könnten; bei der jetzigen Situation unserer Armee wäre aber jede
Konzession nutzlos, dass Nachwerfen von Angeboten an die Rumänen, wie es
uns jetzt von den Deutschen angeraten werde, Würde in Bukarest nur als Beweis
unserer Schwäche angesehen werden. Wir dürfen uns durch den deutschen Kaiser
nicht drängen und uns Konzessionen herauslocken lassen, die sich nachträglich
als wertlos erweisen würden.

   Was die Zumutung betreffe, dass man den Rumänen erlauben solle, Sieben¬
bürgen zu besetzen, so sei dies das Unmöglichste, was er je gehört habe. Die
Abtretung des Trentino, welche er als österreichischer Ministerpräsident immer
entschieden und kathegorisch abgelehnt habe, wäre gar nichts gegenüber dem uns
jetzt anempfohlenen Handel; eine solche Transaktion würde der moralischen
Eroberung Siebenbürgens durch Rumänien gleichkommen. Es sei viel besser die
Russen nach Transsylvanien einmarschieren zu lassen.

   Der k.u.k. gemeinsame Finanzminister stimmt diesen Aus¬
führungen zu. Er betont, dass er die grösste Bewunderung für die Tüchtigkeit des
deutschen Heeres hege sowie auch volles Vertrauen in die Bundestreue derdeutschen
Regierung, er müsse aber gestehen, dass er geradezu entsetzt sei über die uns
deutscherseits zukommenden Vorschläge. Man müsse sich auch fragen, ob die
Dispositionen der deutschen Truppenführer in Ostpreussen nicht auch zum Teile
an unseren Misserfolgen Schuld seien. Als Laie könnte man nicht begreifen, wel¬
chen Zweck der Vorstoss der Armee Dankl gegen Norden haben könnte, wenn man
nicht eine entsprechende Offensivbewegung der ostpreussichen Armee gegen Süden
erwartet hatte. Trotzdem müssen wir natürlich ruhig weiterkämpfen und Deutsch¬
land den Rücken decken, bis es weitere Kräfte in Frankreich entbehren könne. Er
höre jetzt, dass deutsche Hilfstruppen für Galizien bestimmt seien; dies würde
jedenfalls viel erfolgreicher .auch gegenüber Rumänien wirken, als wenn wir Ge¬
bietsabtretungen vornehmen. Durch solche Zumutungen, wie sie jetzt von Deutsch¬
land gemacht werden, würde man nur am Freunde irre. Es wäre seiner Ansicht
sehr erwünscht, dass die Tatsache, dass deutsche Truppen unsere Armee jetzt
verstärken, so bald als möglich öffentüch bekanntgegeben werde, natürlich erst wenn
die deutschen Hilfskorps an Ort und Stelle seien.

   Der Vorsitzende verweist darauf, dass Deutschland in einer Zwangslage
sei, es könne derzeit keine Truppen aus Frankreich herausnehmen. Man müsse
jetzt Geduld haben und ausharren, bis die Lage in Frankreich eine bessere ge¬
worden sei.

   Der k.k. Ministerpräsident ist der Ansicht, dass wenn wir auch die
deutschen Ratschläge betreffend Rumänien nicht befolgen könnten, man sich doch
in psychologischer Hinsicht erklären könne, dass Deutschland, welches in Frank¬
reich vor einer sehr schweren Aufgabe stehe, den Wunsch habe, unsere Situation
in Gahzien durch die rumänische Unterstützung zu bessern und uns daher rate,

182
<pb/>Ballast auszuwerfen. Wenn wir diese Stellungnahme unseres Verbündeten auch in
mancher Hinsicht begreiflich finden, so entbinde uns dies nicht von der Pflicht,
auf die deutsche Nervosität nicht zu achten und mit Ruhe jene Politik fortzusetzen,
welche unseren Interessen am besten entspricht.

   Graf T i s z a stimmt hiemit vollkommen überein und warnt davor, dass wir
gegen Deutschland jetzt Rekriminationen erheben sollten. Sowohl unsere als
auch die deutsche Heeresverwaltung habe die russischen Streitkräfte sehr unter¬
schätzt. Russland sei eben viel stärker, als man gedacht habe und diese Tatsache
müsse man eben jetzt berücksichtigen. Die deutsche Armee habe sowohl in Frank¬
reich als auch in Russland zu kämpfen. Jetzt käme sie uns auch in Galizien zu-
hilfe und wir würden dann hoffentlich in der Lage sein, die Russen zu schlagen. Der
kgl. ung. Ministerpräsident führt sodann aus, dass er das vollste Vertrauen in unsere
Heeresleitung habe, welche bis auf den ersten Echec in Serbien, der vielleicht hätte
vermieden werden können, grosses geleistet habe, indem sie die russische Macht
durch mehrere Wochen in Galizien aufhielt und so die Monarchie schützte und der
deutschen Armee den Rücken deckte.

   Was Rumänien anbelange, müsse man zwei Atouts, die wir in der Hand haben,
nicht vergessen; das eine sei die anständige Gesinnung des Königs und das zweite
die Angst der Rumänen vor einem ernsteren Kriege. Sie möchten Bukovina und
Siebenbürgen ohne Blutvergiessen nehmen können, wogegen wir alles Interesse
daran haben, ihnen dies unsererseits unmöglich zu machen und sie ausserdem auch
durch Bulgarien und die Türkei im Zaume zu halten. Die Türkei würde jetzt ein-
sehen müssen, dass ein Sieg Russlands ihr Ende wäre und dass sie um ihre Existenz
kämpfen müsse. Für uns sei es sehr günstig, dass die türkische Hauptmacht sich
in Thrazien befinde und daher auch gegen Rumänien ausgespielt werden könne.

   Der k.u.k. Kriegsminister erklärt sich mit den Ausführungen seiner
Vorredner ganz einverstanden und hat denselben nichts beizufügen. Ebensowenig
wie wir das Trentino an Italien abgetreten hätten, dürften wir an eine Gebietsab¬
tretung zugunsten Rumäniens denken. Rumänien könne kaum mehr als 2 Korps
gegen uns einsetzen, da es alle seine anderen Truppen zum Schutze der Dobrutscha
verwenden müsste. Die 2 Korps würden wir, eben so bedauerlich es auch sei, auf
uns nehmen müssen. Die Hauptsache sei, dass Bulgarien die rumänische Grenze
bedrohe. Es sei nicht richtig, dass die k.u.k. Kriegsverwaltung die russische Wehr¬
macht unterschätzt habe, allerdings habe man nicht erwartet, dass diese so rasch
mobilisiert sein werde. Tatsächlich seien alle russischen Reservedivisionen schon
Ende August mobilisiert gewesen, was darauf hindeute, dass Russland schon seit
Anfang Juli die Mobilisierung eingeleitet und sich systematisch auf den Krieg
vorbereitet hat.

   Hiemit wird die Beratung über die rumänische Frage geschlossen, wobei fest¬
gestellt wird, dass die von dem Vorsitzenden gegenüber Rumänien beobachtete
Politik die Billigung aller Minister gefunden hat.

  Der k.k. Ministerpräsident ergreift hierauf das Wort, um über die
im Zuge befindliche Aktion. General Potioreks in Bosnien zu sprechen. Graf
Stürgkh betont, dass es für die Regierung sehr schwer möglich sei, ihre Politik
und die daraus resultierenden Vorkehrungen der militärischen Lage anzupassen.

                                                                                                              183
<pb/>Er könne nur konstatieren, dass keiner der verantwortungsvollen Berater der
Krone in der Monarchie über die militärische Lage entsprechende Informationen
erhalte. Bisher sei sogar immer gerade das Gegenteil auf dem Kriegsschauplätze
geschehen, als im gemeinsamen Ministerrate besprochen worden war. Dies gelte
insbesondere in Serbien, wo man nunmehr wieder zur Offensive übergegangen sei,
obwohl stärkere serbische Truppen auf Sarajevo im Anzuge seien.

   Es wird hierauf die militärische Lage in Serbien und Bosnien vom Vorsit¬
zenden auf Grund der ihm von der Militärkanzlei Seiner k.u.k. Apostolischen
Majestät zugekommenen Nachrichten und vom k.u.k. Kriegsminister eingehend
erläutert.

   Nachdem alle Anwesenden diese Erklärungen zur Kenntnis genommen haben,
hebt der Vorsitzende die Sitzung auf.

            Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des
        Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. In der rechten
        oberen Ecke dieses Bogens mit Bleistift geschrieben: »f(ertig)«. Auf dem letzten Blatt
        die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, am 11. Oktober 1914.« Rechts
        unten die Unterschrift Berchtolds, links die des Protokollführers A. Hoyos. -- Ebd.
        das handschriftliche Konzept des Protokolls mit vielen Korrekturen des Protokoll¬
        führers und des Ministers des Äußern Berchtold. Am Rubrum mit Bleistift ge¬
        schrieben: »gesehen Berchtold«.

                                                                                             8.

                                                                                Wien, 31. Oktober 1914

        Der Minister des Äußern berichtet über den Kriegseintritt der Türkei an der Seite der
        Mittelmächte und über die zu erwartenden Folgen. Nachher behandelt der Ministerrat
        die Fragen der Verwaltung Galiziens, das teilweise zum Kriegsgebiet geworden war.
        Tisza wirft das Problem der Zuständigkeit des gemeinsamen Ministerrates auf. Er
        beantragt, auf Grund eines vom Minister des Äußern anzufertigenden Memorandums
        über die Friedensbedingungen zu verhandeln.

            Seit der gemeinsamen Ministerkonferenz vom 20. September hatte sich die mili¬
         tärische Lage der Mittelmächte aus zwei Gesichtspunkten gebessert. Die Türkei
         war an ihrer Seite in den Krieg eingetreten. Türkische Kriegsschiffe haben am 28--29.
         Oktober Odessa, Sewastopol und andere russische Hafenstädte angegriffen, worauf
        in der Zeit vom 2--5. November erst Rußland, dann Großbritannien und schließlich
        Frankreich der Türkei den Krieg erklärten. In Galizien hat die österreichisch-ungari¬
        sche Armee, von einem erfolgreichen Gegenangriff der Deutschen unterstützt, den
        Vormarsch der Russen zum Stehen gebracht, Przemysl entsetzt und den Großteil
         Galiziens zurückerobert. In Galizien konnte nicht sofort die Zivüverwaltung wieder¬
        hergestellt werden. Nicht nur, weil durch die Kriegsereignisse die inneren Verhältnisse
         zerrüttet worden waren, sondern auch, weil ein Teil des Gebietes weiterhin Kriegs¬
        gebiet, ein anderer Etappe blieb.

            Zur Debatte, ob die Probleme der inneren Verwaltung Galiziens vor den gemeinsa¬
         men Ministerrat gehören, verweise ich auf den entsprechenden Teil der einleitenden
         Studie.

184
<pb/>