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Gemeinsamer Ministerrat, 19. 7. 1914

I. Die bevorstehende diplomatische Aktion gegen Serbien

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z2.pdf.

Majestät auch eine von ihm zu verfassenden allerunterthänigsten Vortrag^ über
seine Auffassung der Lage zu unterbreiten.

    Nachdem ein Communique für die Presse aufgesetzt worden ist, hebt der Vor¬
sitzende die Sitzung auf.

            Original-Reinschrift. -- Der Mantelbogen (»zur Einsicht«) wurde von sämtlichen
         Teilnehmern des Ministerrats unterschrieben. In der rechten oberen Ecke mit Bleistift
         blaß geschrieben: »f(ertig)<i. -- Auf dem letzten Blatt die Kenntnisnahme durch den
         Elerrscher: »Wien, am 16. August 1914.« Am unteren Rand des Blattes rechts die
         Unterschrift Berchtolds, links die von Hoyos. -- Ebd. das handschriftliche Konzept
         mit unzähligen, hauptsächlich aus der Feder Berchtolds stammenden Korrekturen,
         oft ganz beträchtlichen Einschaltungen. Der Minister des Äußern hat im Konzept
         den Teil gestrichen, der die einzelnen Punkte der Forderungen der Monarchie an
         Serbien enthielt. In der Reinschrift verblieb lediglich, daß diese Punkte besprochen
         wurden.

                                                                                                      2.

                                                                                       Wien, 19. Juli 1914

         Fragen im Zusammenhang mit dem Ultimatum an Serbien und mit der Mobilmachung.
         Stellungnahme Tiszas gegen eine Annexion serbischer Gebiete.

            Der Ministerrat behandelte vor der Tagesordnung das an Serbien zu richtende
         Ultimatum. Der Text des Ultimatums wurde weder ins Konzept noch in die endgül¬
         tige Fassung des Protokolls aufgenommen. In dieser Sitzung wurde im wesentlichen
         die Debatte vom 7. Juli fortgesetzt. Der ungarische Ministerpräsident berief sich bei
        Darlegung seines annexionsfeindlichen Standpunktes auf seine Ausführungen zu
         dieser Frage in der Beratung vom 7. Juli. Seine, die Annexion Serbiens ablehnende
         Meinung hat er jedoch nur im allgemeinen, mit innerpolitischen Gesichtspunk¬
        ten motiviert. Darüber, daß er im Falle einer Einverleibung größerer slawischer
         Massen in das Gebiet Österreich-Ungarns um den Dualismus und innerhalb dessen
        um die Hegemonie des Ungarntums besorgt war, sprach er nicht. Diesen Standpunkt,
         der die Politik der ungarischen Regierung grundlegend bestimmte und der bis in die
        letzten Tage der Monarchie eines der größten Hindernisse selbst für eine nur ober¬
        flächliche Änderung der Struktur der Monarchie war, hat er im gemeinsamen Mini¬
         sterrat vom 6. Oktober 1915 detailliert dargelegt.

Protokoll des zu Wien am 19. Juli 1914 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame
Angelegenheiten, unter dem Vorsitze des Ministers des k.u.k. Hauses und des
Äußern Grafen Berchtold.

   K.Z. 50.-G.M.K.P.Z. 513.
   Gegenwärtige: der k.k. Ministerpräsident Graf S t ü r g k h, der kgl. ung.
Ministerpräsident Graf T i s z a, der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Dr. Ritter

   d) Korrektur Tiszas, in der Reinschrift stand ursprünglich »von ihm verfaßte Aufzeich¬
nung«.

150

                                                                                                                                      *
<pb/>von B i 1 i n s k i, der k.u.k. Kriegsminister FZM. Ritter von K r o b a t i n, der
k.u.k. Chef des Generalstabes G.d.I. Freiherr Conrad von Hötzendorf, der
Stellvertreter des Marinekommandanten Konteradmiral von K a i 1 e r.

   Schriftführer: Legationsrat Graf H o y o s.

   Gegenstand: Die bevorstehende diplomatische Aktion gegen Serbien.

   Bevor der gemeinsame Ministerrat sich konstituiert und der Vorsitzende die
Sitzung eröffnet, findet eine formlose Besprechung über die Redaktion der an
Serbien zu richtenden Note statt und wird deren definitiver Text festgestellt.1

   Der Vorsitzende eröffnet hierauf den Ministerrat und beantragt, dass die
Note der königlich serbischen Regierung am Donnerstag, den 23. Juli um 5 Uhr
nachmittags überreicht werde, so dass die 48-stündige Frist am Samstag den 25.1. M.
um 5 Uhr nachmittags ablaufe und die Mobilisierungsverordnung noch in der
Nacht von Samstag auf Sonntag hinausgegeben werden könne. Nach Ansicht des
Grafen Berchtold ist es nicht wahrscheinlich, dass unser Schritt noch vor der
Abreise des Präsidenten der französischen Republik von Petersburg bekannt wer¬
den wird, aber selbst wenn dies der Fall wäre, würde er hierin keinen grossen
Nachteil erblicken, nachdem wir den Courtoisie-Rücksichten genügt hätten, in¬
dem wir das Ende des Besuches abgewartet hätten. Dagegen würde er sich aus
diplomatischen Gründen entschieden gegen eine weitere Verschiebung ausspre¬
chen müssen, da man schon jetzt beginne in Berlin nervös zu werden und Nach¬
richten über unsere Intentionen schon nach Rom durchgesickert seien, so dass er
nicht für unerwünschte Zwischenfälle gutstehen könnte, wenn man die Sache noch
hinausschieben würde.

   Mit Rücksicht auf diese Erklärung des Vorsitzenden wird einstimmig beschlos¬
sen, dass die Note am 23. um 5 Uhr nachmittags zu übergeben sein wird.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident behält sich vor, falls die Nachricht
von der Überreichung des Ultimatums schon am Donnerstag abends aus Belgrad
nach Budapest gelangt sein sollte, im ungarischen Abgeordnetenhause eine
Erklärung abzugeben. Dies wird zur Kenntnis genommen.

   Der Chef des Generalstabes betont, dass er auch aus militäri¬
schen Gründen eine möglichst rasche Initierung der Aktion für wünschenswert
halten würde. Die ihm in der letzten Zeit aus Serbien zugekommenen militäri¬
schen Nachrichten hätten etappenweise 3 Situationen ergeben.

   Anfangs hätten grössere Truppenansammlungen mit starken Ständen an der
bulgarischen und albanesischen Grenze stattgefunden; in der zweiten Situation
seien Meldungen über Mannschaftssendungen nach dem alten Serbien gemeldet
worden, diese hatten sich aber dann als ungefährlich herausgestellt, indem es sich
nur um einen Austausch von Reservisten gehandelt habe; seit drei Tagen erhalte er
aber wieder ernstere Nachrichten. Zuerst sei ihm gemeldet worden, dass zwei
Regimenter, das 6. und 17. aus Neuserbien nach Altserbien geschoben worden sei-

    1 Den Text der Note s. Österreich-Ungarns Außenpolitik. Band VIII, Nr. 10395.
<pb/>en, gestern habe er von sehr beachtenswerter konfidentieller Quelle aus Bulgarien
die Nachricht erhalten, dass drei Divisionen nach dem Norden dirigiert worden
seien. Er müsse diese Nachrichten noch verifizieren lassen. Falls sie wahr seien,
würde er sich für die ehetunlichste Durchführung von Gegenmassregeln ausspre¬
chen müssen.

   Sodann wird die Frage der Verhängung des Ausnahmszustandes in allen von
Südslaven bewohnten Gebieten der Monarchie besprochen und nach einer langen
eingehenden Erörterung dieser Frage einstimmig beschlossen, dass der Ausnahms¬
zustand nicht vor der Bekanntmachung der Mobilisierung verhängt werden soll,
um den schlechten Eindruck zu vermeiden, den die vorzeitige Verhängung des
Ausnahmszustandes nicht nur im Auslande, sondern auch bei unserer Bevölkerung
hervorrufen müsste. Dies gilt auch für Bosnien und die Hercegovina, wo der
Ausnahmszustand auch erst mit dem Beginne der Mobilisierung in Kraft zu
treten hätte.

   Der k.u.k. Kriegsminister gibt hierauf Aufschlüsse über die verschie¬
dene Mobihsierungsmassnahmen, welche er vorbereitet habe. Aus seinen Äusse¬
rungen geht hervor, dass alles Erforderliche am Mittwoch den 22. d.M. der Aller¬
höchsten Sanktion unterbreitet werden soll und dass das Einvernehmen mit den
beiden Regierungen bezüglich der von den Verwaltungsbehörden vorzunehmenden
Amtshandlungen bereits hergestellt wurde.

   Hierauf beschliesst der Ministerrat, dass der Landeschef von Bosnien und der
Hercegovina durch Privatschreiben des gemeinsamen Finanzministers von den
Absichten der k.u.k. Regierung gegenüber Serbien in Kenntnis gesetzt werden
wird.

   Auf Wunsch des königlich ungarischen Ministerpräsidenten gibt der Chef des
Generalstabes noch geheime Auskünfte über die Mobihsierung und erklärt über
eine Anfrage des Grafen Tisza, dass die im Falle einer allgemeinen Mobihsierung
in Siebenbürgen verbleibenden Sicherungsbesatzungen weitaus genügen, um die
innere Ruhe des Landes bei lokalem Aufruhr zu sichern. Es handle sich um Land¬
sturmformationen unter dem Kommando von Offizieren. Das Oberkommando
werde ein höherer General übernehmen. Zum Schutze des Landes gegen eine
rumänische Armee würden diese Truppen allerdings nicht genügen, sie könnten
aber auch in diesem Falle den Vormarsch der Rumänen verzögern. Diese Truppen
seien so ausgesucht, dass nur ein kleiner Prozentsatz von ungarländischen Rumänen
darunter sei.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident erklärt sich mit dieser Erklärung
befriedigt und betont, dass die königlich ungarische Regierung ihrerseits für eine
Verstärkung der Gendarmerie in Siebenbürgen Vorsorge treffen und im Ernstfälle
einen königlichen Kommissär dahin ernennen würde, der mit dem Oberkomman¬
danten der Truppen einvernehmlich Vorgehen würde, um die Ruhe im Lande
aufrechtzuerhalten. In Siebenbürgen werde sofort nach der Mobihsierung der
Ausnahmszustand verhängt werden.

   Auf Wunsch des k.k. Ministerpräsidenten wird hierauf die Frage
akademisch erörtert, was die k.u.k. Regierung zu unternehmen hätte, wenn Italien
eine Expedition nach Valona entsenden sollte.

 152
<pb/>  Der Vorsitzende verweist darauf, dass er eine solche Aktion seitens
Italiens nicht für wahrscheinlich halte und dass auch diplomatisch einer solchen
entgegengearbeitet werde. Sollte sie dennoch stattfinden, so müsste die k.u.k.
Regierung wahrscheinlich pro forma an derselben teilnehmen, doch sei es noch
verfrüht, dieses ernstlich ins Auge zu fassen.

   Hierauf ersucht der kgl. ung. Ministerpräsident die Anwesenden, den
Beschluss zu fassen, von dem er, wie er bei der letzten Besprechung betont hätte,
die Zustimmung der königlich ungarischen Regierung zur ganzen Aktion abhängig
machen müsse. Der Ministerrat hätte nämlich noch einstimmig auszusprechen,
dass mit der Aktion gegen Serbien keine Eroberungspläne für die Monarchie ver¬
knüpft seien und dass dieselbe bis auf aus militärischen Gründen gebotene
Grenzberichtigungen kein Stück von Serbien für uns annektieren wolle. Er
müsse unbedingt darauf bestehen, dass ein solcher einstimmiger Beschluss
gefasst werde.

   Der Vorsitzende erklärt, dass er sich dem Standpunkte des könighch
ungarischen Ministerpräsidenten nur mit einer gewissen Reserve anschliessen
könne. Auch er sei der Ansicht, dass, wie die politische Lage jetzt sei, im Falle wir
in einem Kriege mit Serbien den Sieg davontragen, von diesem Lande nichts
annektieren sondern trachten sollten, es durch möglichst grosse Abtretung von
serbischen Gebieten an Bulgarien, Griechenland und Albanien, eventuell auch
Rumänien so verkleinern, dass es nicht mehr gefährlich sei. Die Situation am
Balkan könne sich ändern, es sei immerhin nicht unmöglich, dass es Russland
gehnge, das jetzige Kabinett in Sofia zu stürzen und dort wieder ein uns feindselig
gesinntes Regime an die Macht zu bringen; Albanien sei auch noch kein verläss¬
licher Faktor und er müsse als Leiter der auswärtigen Politik mit der Möglichkeit
rechnen, dass es uns am Ende des Krieges wegen der dann vorhandenen Verhält¬
nisse nicht mehr möglich sein werde, nichts zu annektieren, wenn wir bessere
Verhältnisse an unserer Grenze schaffen wollten als wie sie jetzt bestehen.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident erklärt, er könne die Reserven des
Grafen Berchtold nicht gelten lassen und müsse mit Rücksicht auf seine Verant-
wortlichkeit als ungarischer Ministerpräsident darauf bestehen, dass sein Stand¬
punkt einstimmig von der Konferenz angenommen werde. Er stelle dieses Verlan¬
gen nicht nur aus Gründen der inneren Pohtik, sondern insbesondere auch, weil
er persönlich überzeugt sei, dass Russland sich ä outrance zur Wehr setzen müsste,
wenn wir auf der vollständigen Vernichtung Serbiens bestehen würden und weil
er glaube, dass eines unserer stärksten Atouts, um unsere internationale Situation
zu verbessern, darin bestehen würde, dass wir möglichst bald den Mächten erklä¬
ren, keine Gebiete annektieren zu wollen.

   Der Vorsitzende erklärt, ohnedies die Absicht zu haben, diese Erklärung
in Rom abzugeben.

   Der k.k. Ministerpräsident verweist darauf, dass wenn auch die
Besitzergreifung serbischen Territoriums durch die Monarchie ausgeschlossen
bleiben solle, es doch noch möglich sein werde, Serbien durch die Absetzung der
Dynastie, eine Mihtärkonvention und andere entsprechende Massregeln in ein
Abhängigkeitsverhältnis zur Monarchie zu bringen. Auch dürfe der Beschluss des
<pb/>Ministerrates nicht etwa notwendig erscheinende strategische Grenzberichtigun¬
gen unmöglich machen.

   Nachdem der k.u.k. Kriegsminister erklärt hat, dass er diesem Be¬
schlüsse zustimmen würde, jedoch nur unter der Bedingung, dass ausser einer
Grenzberichtigung auch die dauernde Besetzung eines Brückenkopfes jenseits der
Save, etwa des Schabatzer Kreises, hiedurch nicht ausgeschlossen werden dürfe,
wird der nachstehende Beschluss einstimmig gefasst:

   Der gemeinsame Ministerrat beschliesst auf Antrag des königlich ungarischen
Ministerpräsidenten, dass sofort bei Beginn des Krieges den fremden Mächten
erklärt werde, dass die Monarchie keinen Eroberungskrieg führt und nicht die
Einverleibung des Königreiches beabsichtigt. Natürlich sollen strategisch notwen¬
dige Grenzberichtigungen sowie die Verkleinerung Serbiens zu Gunsten anderer
Staaten sowie eventuell notwendige vorübergehende Besetzungen serbischer Ge¬
bietsteile durch diesen Beschluss nicht ausgeschlossen werden.

   Der Vorsitzende konstatiert hierauf, dass erfreulicherweise in allen Fra¬
gen vollständige Einmütigkeit erzielt worden sei und hebt hierauf den Ministerrat
auf.

            Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des
        Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministefrates bestätigt. In der rechten
        oberen Ecke dieses Bogens mit Bleistift geschrieben: »f(ertig)«. Auf dem letzten
        Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, am 5. August 1914.« Am Rand
        des Blattes rechts die Unterschrift Berchtolds, links die des Protokollführers Hoyos. --
        Ebd. das handschriftliche Konzept des Protokolls mit einigen belanglosen Korrek¬
        turen. (Ohne Handzeichen.)

                                                                                                                  3.

                                                                                       Wien, 31. Juli 1914

        Beschluß, das Friedensvermittlungsangebot Großbritanniens in höflicher Form abzuleh¬
        nen. Debatte über die Befriedigung der territorialen Ansprüche Italiens auf der Grund¬
        lage des Dreibundes.

            Diese Ministerkonferenz ist vom Gesichtspunkt der Ausweitung des Konflikts
         zwischen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und Serbien zu einem Weltkriege
         von ausschlaggebender Bedeutung. Der britische Außenminister Grey hatte wiederholt
         (zuletzt noch vier Tage vor diesem Ministerrat, am 27. Juli) durch den Londoner
         Botschafter des Deutschen Reiches, den Fürsten Lichnowsky, vorgeschlagen, die vier
         unmittelbar nichtinteressierten Großmächte (Großbritannien, Frankreich, Deutsch¬
         land und Italien) sollten in dem Falle, daß Rußland an der Seite Serbiens auftrete,
         zwischen den Parteien vermitteln. Die deutsche Reichsregierung hat das Angebot --
         wie auch aus dem zum Protokoll beigefügten »Tagesbericht« hervorgeht -- an die
         Regierung der Monarchie weitergeleitet. Die gemeinsame Ministerkonferenz hat
        jedoch das britische Angebot, wenn auch taktvoll und von Bedingungen abhängig,
         abgelehnt. Nicht zuletzt auch darum, weil der deutsche Reichskanzler Bethmann-
         Hollweg selbst den Schein meiden wollte, daß er die Entscheidung der Regierung der
         Monarchie beeinflusse. In seinen mündlichen Mitteilungen hat er dies auch mehrfach

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<pb/>