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Anhang Gemeinsamer Ministerrat, 24. 12. 1912

I. Aufzeichnung über eine Besprechung der gemeinsamen Minister und des Chefs des Generalstabes über besondere militärische Vorkehrungen in Bosnien-Herzegowina und Dalmatien

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_zusatz8.pdf.

694 Nr. VIII Besprechung der gemeinsamen Minister, Wien, 24. 12. 1912

daß nach Anordnung der allgemeinen Mobilisierung - noch bevor der Aufmarsch
beendet wäre - die Bankakte suspendiert werden müßte.

   Er überläßt es der hohen Konferenz zu beurteilen, welche schädliche Wirkun¬
gen dies nicht nur in bezug auf die volkswirtschaftlichen Verhältnisse der beiden
Staaten sondern auch besonders auf die Kriegsführung ausüben würde. Er ist
dessen voll bewußt, daß die große Frage, ob Krieg oder Frieden, nicht ausschlie߬
lich nach wirtschaftlichen und finanziellen Gesichtspunkten zu entscheiden
kommt, im Bewußtsein seiner Verantwortung aber habe er es für seine Pflicht
gehalten, diesen besonders wichtigen Umstand hervorzuheben.

   Der Vorsitzende k. u. k. Kriegsminister bemerkt, daß
die Ausführungen der beiden Herrn Finanzminister so wichtiger und tiefgreifen¬
der Natur sind, daß er beantragen müsse, sie sofort zur Kenntnis der maßgeben¬
den Faktoren zu bringen.

   Die Konferenz nimmt die Darlegungen der beiden Finanzminister als sehr be¬
achtenswert zur Kenntnis und gelangt übereinstimmend zur Anschauung, daß bei
Beurteilung der gesamten Lage, die naturgemäß durch die auswärtige Politik und
militärische Momente in erster Linie bedingt bleiben muß, der Stand der finanzi¬
ellen Kriegsvorbereitung als ein wesentlich mitbestimmendes Moment in Be¬
tracht kommt.

   Hiemit wird das Protokoll geschlossen.
   Budapest, am 18. November 1912

                                                                                           Auffenberg

        Nr. VIII Besprechung der gemeinsamen Minister, Wien,

                                24. Dezember 1912

    Aufzeichnung über eine Besprechung der gemeinsamen Minister und des Chefs des Generalsta¬
bes über besondere militärische Vorkehrungen in Bosnien-Herzegowina und Dalmatien. Wien, am
24. Dezember 1912.

   HHStA., PA. XL, Karton 310, fol. 790r-793r.

   Gestern Nachmittag hat im Ministerium des Äußern eine Besprechung der ge¬
meinsamen Minister über die auswärtige Lage stattgefimden, an welcher auch der
Chef des Generalstabes teilnahm.

   Bei diesem Anlaß wurde die von dem Landeschef für Bosnien und die Herze¬
gowina GdI. Potiorek beantragte Einberufung aller Reservisten, Landwehr- und
Landsturmpflichtigen im 15. und 16. Korpsbereiche besprochen, wobei der
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k. u. k. Kriegsminister und der Chef des Generalsta¬
bes sich für die Durchführung dieser Maßnahme aussprachen.1

    Den Äußerungen der beiden Generale war zu entnehmen, daß sie für eine ag¬
gressive Politik Serbien gegenüber eingenommen sind, weil sie von einem er¬
folgreichen Knege eine endgiltige Regelung der südslawischen Frage erhoffen,
dagegen in einer friedlichen und versöhnlichen Politik ernste Gefahren für die
Zukunft unserer südslawischen Provinzen erblicken.

    Der gemeinsame Finanzminister vertrat die Ansicht, daß es
nicht möglich wäre, die vom Chef der Landesregierung beantragten Maßnahmen
abzulehnen. General Potiorek trage die Verantwortung für die Sicherheit und
Ruhe der annektierten Länder und man würde eine schwere Verantwortung auf
sich laden, wenn man seine Vorschläge nicht berücksichtige.3

   Der k. u. k. Minister des Äußern betont demgegenüber, daß
in den letzten Tagen eine merkliche Entspannung der auswärtigen Lage eingetre¬
ten sei.

   Nach den ihm vorliegenden Meldungen halte er es für ausgeschlossen, daß
Serbien eine kriegerische Aktion gegen die Monarchie plane. Man müsse im Ge¬
genteil den Eindruck haben, daß die Stimmung in Belgrad umzuschlagen beginne
und daß man dort zu einer freundschaftlichen Aussprache über die zukünftigen
wirtschaftlichen und politischen Beziehungen geneigt sei.

   Es sei möglich, daß die internationale Lage sich wieder verschlechtere und daß
wir noch genötigt sein werden, vor Beendigung des Balkankonfliktes unsere In¬
teressen mit Waffengewalt zu vertreten. Vorderhand liegen hiefür aber keine An¬
zeichen vor. Nach bden ihm zugekommenen Informationenb habe General Potio¬
rek bereits jetzt alle Truppenverstärkungen erhalten, die er zur Aufrechterhaltung
der Ruhe in Bosnien benötige. Dies sei ihm auch von militärischer Seite wieder¬
holt bestätigt worden.2 Die weitgehenden militärischen Maßnahmen an unserer

3 Gestrichen Herr v. Bilinski erwähnt, daß General Potiorek im Anschlüsse an diese Maßregeln
        auch gewisse Ausnahmsverfiigungen in Bosnien-Herzegowina-Dalmatien in Antrag gebracht
        habe, die man nicht zurückweisen könne.

b_b Korrektur aus seiner Impression.

1 Die militärischen Vorkehrungen an der serbischen und montenegrinischen Grenze waren
        zuletzt zur Sprache gekommen in GMR. v. 28. 10. 19121, GMKPZ. 499. Der - erneute - An¬
        trag Potioreks konnte in den Beständen des Ka., KM., Präs, und HHStA., PA. I, CdM. nicht
        gefunden werden.

2 Zu den bisher bewilligten Standeserhöhungen bei den an der Grenze zu Serbien und Monte¬
        negro stationierten Truppen siehe GMR. v. 8. und 9. 10. 1912, GMKPZ. 497. Aufdie Einbe¬
        rufung der aus dem XV. und XVI. Korpsbereich stammenden, aber hier nicht stationierten
        Truppen wurde mit Ah. E. v. 7. 12. 1912 auf Vortrag Aujfenbergs v. 28. 11. 1912 dezidiert
        verzichtet. Siehe dazu die Telegramme Potioreks an die Militärkanzlei Seiner Majestät v. 5.
        und 6. 12. 1912, die Stellungnahme Berchtolds v. 5. 12. 1912 und die Darstellung Boljras&#39;v.
        7. 12. 1912, alles Beilagen in Ka., MKSM. 82-1/8-8/1912.
<pb/>696 Nr. VIII Besprechung der gemeinsamen Minister, Wien, 24. 12. 1912

Südostgrenze würden im Auslande als Anzeichen unserer aggressiven Absichten
mißdeutet. Sie erschweren bis zu einem gewissen Grade unsere sonst sehr günsti¬
ge diplomatische Position.

   Was die von dem Kriegsminister und dem Chef des Generalstabes befürworte¬
te aggressive Politik gegenüber Serbien anbelange, so müsse er erklären, daß er
vom Standpunkte seines Ressorts eine solche Politik nicht befolgen könne, cohne
mit der von ihnen bisher verfolgten, auf diplomatische Isolierung Serbiens einge¬
stellten Politik, in Widerspruch zu geraten und nebstbei Gefahr zu laufen, bei den
eigenen Bundesgenossen aufWiderstand zu stoßen und die Monarchie so in ganz
Europa zu isolieren0. Es sei seiner Ansicht nach in diplomatischer Hinsicht ganz
unmöglich, die seit drei Monaten befolgte maßvolle und den Balkanstaaten ge¬
genüber wohlwollende Politik von einem Tag zum andern umzustoßen und Ser¬
bien dohne greifbaren, für die öffentliche Meinung in Europa verständlichen
Grundd zu überfallen.

   Aus diesem Grunde müsse er sich vorderhand dagegen aussprechen, daß die
von General Potiorek beantragte Einberufung der Reservisten in Bosnien-Herze-
gowina-Dalmatien durchgefuhrt werde.0,3

c_c Korrektur Berchtolds aus ohne Gefahr zu laufen, selbst bei den Bundesgenossen auf Wider¬
        stand zu stoßen und so in ganz Europa isoliert zu sein.

d_d Einfügung Berchtolds.
e Streichung und ebenso gegen die Erlassung der im Anschlüsse an die Einberufung des Reser¬

        visten vom Landeschef beantragten Ausnahmsverfügimgen in den annektierten Ländern.
3 Die Einberufung der Reservisten aus Bosnien-Herzegowina wurde erneut besprochen in

         GMR. v. 2. 5. 1913, GMKPZ. 506.
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