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Gemeinsamer Ministerrat, 8. 11. 1912

536 Nr. 37 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 8. 11. 1912

    Nr. 37 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 8. November 1912

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: Der k. k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung. Ministerpräsident v.
Lukäcs, der k. u. k. Kriegsminister GdI. Ritter v. Auffenberg, der k. u. k. gemeinsame Finanzmini¬
ster Dr. Leon Ritter v. Bilinski (7. 12.), der k. k. Finanzminister Dr. Ritter v. Zaleski, der k. k. Ei¬
senbahnminister Dr. Freiherr v. Förster, der kgl. ung. Finanzminister Dr. Teleszky, der kgl. ung.
Handelsminister v. Beöthy, der k. k. Handelsminister Dr. v. Schuster.
    Schriftführer: Legationsrat Graf Hoyos.
    Gegenstand: Bosnische Bahnen.

   KZ. 73-GMKPZ. 501
   Protokoll des zu Budapest am 8. November 1912 abgehaltenen Ministerrates
für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. Ministers des k.
u. k. Hauses und des Äußern Grafen Berohtold.

   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit der Bemerkung, der letzte
gemeinsame Ministerrat sei ergebnislos verlaufen, weil die Möglichkeit einer Ei¬
nigung von dem Resultate der tarifarischen Verhandlungen abhängig gemacht
worden sei.1 Letztere hätten inzwischen stattgefunden und seien nach seinen In¬
formationen nicht ganz ergebnislos verlaufen, so daß nunmehr vielleicht auch
über das Linienprogramm eine Einigung erzielt werden könnte. Er bitte den k. k.
Ministerpräsidenten, das Wort zu ergreifen und den Anwesenden eine Mitteilung
darüber zu machen, inwiefeme die Stellungnahme der k. k. Regierung durch den
Verlauf der Tarifverhandlungen eine Änderung erfahren habe.

    Der k. k. Ministerpräsident erinnert daran, daß die k. k. Regie¬
rung schon im letzten Ministerrate am 28. Oktober in Würdigung der von dem
Vorsitzenden und dem gemeinsamen Finanzminister geltend gemachten politi¬
schen Beweggründe bemüht war, ein sehr weitgehendes Entgegenkommen an
den Tag zu legen. Von diesem Bestreben geleitet, habe sie einen Vorschlag einge¬
bracht, der kurz resümiert dahin ging, daß die beiden Normalisierungen Tuzla-
Doboj und Donji-Vakuf-Lasva nicht in das aktuelle, sondern nur in das dekla¬
ratorische, im Artikel III des Gesetzentwurfes erwähnte Bauprogramm
aufgenommen werden sollten und daß dazu noch in einem Geheimabkommen
zwischen den beiden Regierungen vereinbart werden würde, daß die Normalisie¬
rung der Linie Tuzla-Doboj auf Kosten der bosnischen Regierung und die Nor¬
malisierung der westlichen Anschlußlinie nach Sarajewo auf Kosten der öster¬
reichischen Regierung erfolgen könne, sobald die Normalisierung der im
ungarischen Interesse gelegenen Linie Doboj--Sarajewo vollendet sei. Diesen
Vorschlag habe die k. k. Regierung von der Bedingung abhängig gemacht, daß
die kgl. ung. Regierung ihr in der Tarifffage Entgegenkommen bezeuge. Im Ver-

         Fortsetzung des GMR. v. 28. 10. 1912II, GMKPZ. 500.
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laufe der Diskussion habe der Vorschlag Kodifikationen in einem den österreichi¬
schen Interessen ungünstigen Sinne erfahren. Der gemeinsame Finanzminister
habe im Interesse der Vertretbarkeit des Bauprogrammes im bosnisch-herzegowi-
nischen Landtage die Wiederaufnahme der Normalisierung Tuzla-Doboj in die
erste Bauperiode als dringend wünschenswert bezeichnet. Auch sei ein Vorschlag
besprochen worden, wonach die Kosten dieser Normalisierung nicht von der
bosnisch-herzegowinischen Landesregierung allein, sondern von allen drei Re¬
gierungen zu gleichen Teilen übernommen werden sollten. Er habe damals, um
die Schwierigkeiten nicht zu vergrößern, gegen diese Modifikationen seiner Pro¬
position keinen Widerstand erhoben, er müsse aber nochmals betonen, daß sie
eine Verschlechterung des österreichischen Standpunktes bedeuten würden.

   Die kgl. ung. Regierung habe die Normalisierung der bosnischen Westbahn
nach Sarajewo von Bedingungen tarifarischer Natur abhängig gemacht und eine
sehr scharfe Formulierung derselben in Antrag gebracht, welcher er nicht zustim¬
men konnte. Auch in der allgemeinen Tariffrage sei damals keine Einigung zu¬
stande gekommen. Seither hätten Beratungen der Fachdelegierten über die Tarif¬
fragen stattgefimden, sie hätten aber leider kein neues Resultat ergeben. Die
Situation sei daher auch für die k. k. Regierung nicht wesentlich erleichtert. Es
handle sich für sie im wesentlichen darum, die Vertretbarkeit des ganzen Baupro¬
grammes im Reichsrate dadurch zu erleichtern, daß in demselben der Wunsch
aller österreichischen Parteien hinsichtlich des baldigen Ausbaues einer normalen
westlichen Verbindung mit Sarajewo mehr Berücksichtigung finde. Wenn die un¬
garische Regierung nicht in der Lage sei, weitere Konzessionen in der Tariffrage
zu machen, so sollte sie hinsichtlich des Linienprogrammes größeres Entgegen¬
kommen an den Tag legen, zumal die k. k. Regierung ihrerseits schon die weitge¬
hendste Nachgiebigkeit gezeigt habe, um eine Einigung zu ermöglichen.

   Der gemeinsame Finanzminister erklärt, er habe den Ein-
druck, daß eine Einigung erzielt werden könnte, wenn die k. k. Regierung sich
mit den geringen bisher gemachten ungarischen Konzessionen in der Tariffrage
begnüge und dafür von Seiten der kgl. ung. Regierung hinsichtlich der Formulie¬
rung der Bedingungen für die Normalisierung der westlichen Linie Entgegen¬
kommen gezeigt würde.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident möchte feststellen, daß die
kgl. ung. Regierung in der bosnischen Bahnfrage vom Anfänge an die wichtigen
politischen Momente anerkannt habe, welche hiemit im Zusammenhänge stehen.
Auch jetzt sei sie sich der Wichtigkeit der Frage bewußt, sie müsse aber auch an
die Vertretbarkeit der betreffenden Vorlage im ungarischen Reichstage denken.

   Vom taktischen Standpunkte würde er vorschlagen, man solle zuerst untersu¬
chen, ob die Verhandlungen der letzten Tage ein solches Resultat ergeben hätten,
daß Aussicht vorhanden sei, zu einer Einigung zu gelangen.

   Der k. k. Eisenbahnminister erklärt, die Lage habe seit dem
letzten Ministerrate vom Standpunkte der k. k. Regierung insofeme keine Besse-
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rung erfahren, als es seither nicht möglich war, in den generellen Tarifverhand¬
lungen weitere Konzessionen von der ungarischen Regierung zu erlangen.

   Die k. k. Regierung müsse nun darauf bestehen, daß ihr in anderer Weise hin¬
sichtlich des Linienprogrammes Entgegenkommen bewiesen werde. Sie wolle
keine neuen meritorischen Konzessionen verlangen, sondern solche mehr for¬
meller Natur, durch welche das Gesetz, welches sie dem Reichsrate vorlegen
müsse, eine akzeptablere Form erhalten würde.

   Es handle sich in erster Linie darum, daß jetzt vorgesehen sei, daß die Norma¬
lisierung der bosnischen Westbahn nur auf Kosten der österreichischen Regie¬
rung erfolgen dürfe. Die k. k. Regierung würde nun Wert darauf legen, daß zum
Ausdrucke gebracht werde, daß sie nur in sekundärer Hinsicht das Recht habe,
den Bau auf eigene Kosten durchzuführen, falls der Bau auf gemeinsame Kosten
nicht zustande komme.

   Ferner würde die k. k. Regierung Wert darauf legen, daß von einem Geheim¬
abkommen zwischen den Regierungen abgesehen werde und man die betreffen¬
den Bestimmungen in eine Form kleide, welche man publizieren könne.

   Drittens wünsche die k. k. Regierung auch, daß die Formel, welche von den
Fachdelegierten als Voraussetzung für die Normalisierung Donji-Vakuf-Lasva in
Antrag gebracht worden sei, noch abgeschwächt werde.

   Der k. k. Ministerpräsident formuliert nunmehr auf Grund der
Ausführungen des k. k. Eisenbahnministers neue Propositionen, welche von den
kgl. ung. Ministem in einer längeren Pause durchberaten werden.

   Nach Wiederzusammentritt der Konferenz stellt der k. k. Ministerpräsident
fest, daß der nachstehende Vorschlag akzeptiert wurde:

    1. Die Normalisierung der Linie Donji-Vakuf-Lasva wird deklaratorisch in
den Artikel III des Gesetzes, abgesondert von der Kladanyer Linie, aufgenom¬
men.

   2. Über die Durchführung dieses Baues sind weitere Verhandlungen der Regie¬
rungen Vorbehalten.

    3. Für den Fall, daß diese Verhandlungen zu keinem anderen Ergebnisse füh¬
ren, erwächst der k. k. Regierung das Recht, diese Linie ausschließlich auf Ko¬
sten des österreichischen Staatsschatzes als bosnisch-herzegowinische Landes¬
bahn auszubauen.

   4. Von diesem Rechte kann erst in dem Zeitpunkte Gebrauch gemacht werden,
in welchem die normalspurige Verbindung von Doboj nach Sarajewo vollendet
sein wird.

    5. Vor Inangriffnahme des Baues der in Punkt 1. bezeichneten Bahnstrecke
wird zwischen den Regierungen eine Vereinbarung bezüglich der Tarifbildung
und der Leitung des Verkehres zwischen Österreich und Bosnien-Herzegowina
zu treffen sein.

    6. Diese Abmachungen bilden einen Bestandteil des abzuschließenden Proto-
kollarübereinkommens.
<pb/>Nr. 37 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 8. 11. 1912  539

   Ferner solle im protokollarischen Übereinkommen das Resultat der generellen
tarifarischen Verhandlungen aufgenommen und gesagt werden, daß das Überein¬
kommen vom Tage der Unterfertigung bis fünf Jahre nach der Vollendung der
Normalisierung der Strecke Doboj-Sarajewo zu gelten habe, jedoch unter der
Voraussetzung, daß vom Jahre 1917 ab tarifarische Vereinbarungen zwischen den
Regierungen der beiden Staaten überhaupt zustande kommen.

   Der gemeinsame Finanzminister verliest hierauf den Gesetz¬
entwurf über das dem bosnisch-herzegowinischen Landtage vorzulegende Eisen¬
bahnbauprogramm.

   Der Ministerrat erklärt sich mit dem nunmehr meritorisch festgestellten Text
des Gesetzentwurfes einverstanden und überläßt es einer Referentenbesprechung,
einzelne stilistische Änderungen vorzunehmen.

   Der k. u. k. gemeinsame Finanzminister erbittet noch die Ermächtigung, dem
bosnisch-herzegowinischen Landtage einen Gesetzentwurf hinsichtlich des Bau¬
es der Linie Novi-Bihac auf Landeskosten unterbreiten zu dürfen. Dies wird be¬
willigt.

   Der Vorsitzende konstatiert, daß nach Überwindung sehr großer
Schwierigkeiten eine Einigung in allen Punkten erzielt wurde und spricht den
Anwesenden seinen wärmsten Dank für ihre erfolgreichen Bemühungen aus,
welche in hohem Maße geeignet waren, die Interessen der Monarchie in der Zu¬
kunft sicherzustellen.2

                                                                                            Berchtold

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, am 19. Dezember 1912. Franz Joseph.

Das protokollarische Übereinkommen bezüglich des Ausbaues des bosnischen Einsenbahn¬
netzes und die Zusatz- sowie Nachtragsbestimmungen in der Tarijfrage sind als Beilage im
Schreiben (Abschrift) Försters an Bilihski v. 18. 1. 1913 enthalten, Fa., FM., allg., Z.
4650/1913. Auf Vortag Bilihskis v. 12. 11. 1912 wurde der Gesetzentwurfwegen der Finan¬
zierung des Ausbaues des bosnischen Einsenbahnnetzes mit Ah. E. v. 14. 11. 1912 in den
bosnisch-hezegowinischen Landtag eingebracht, FIHStA., Kab. Kanzlei, KZ. 2755/1912.
Nach der Annahme durch den Landtag wurde das Gesetz über Vortrag Bilihskis v. 10. 2.1913
mit Ah. E. v. 17. 2. 1913 sanktioniert, ebd., KZ. 360/1913; publiziert als Gesetz vom 17. Fe¬
bruar 1913 in Gesetz- und Verordnungsblatt für Bosnien und die Hercegovina Nr. 27/1913.
Über Vortrag Bilihskis v. 27. 11. 1912 wurde mit Ah. E. v. 28. 11. 1912 der Gesetzentwurf
wegen Baues der normalspurigen Eisenbahnstrecke Bihac-Bosnisch Novi in den bosnisch-
herzegowinischen Landtag eingebracht, ebd., KZ. 2837/1912. Nach der Annahme durch den
Landtag wurde das Gesetz über Vortag Bilihskis v. 27.2.1913 mit Ah. E. v. 6. 3. 1913 saktio-
niert, ebd., KZ. 516/1913;publiziert als Gesetz v. 6. März 1913 in ebd., Nr. 36/1913. Fortset¬
zung zu den bosnischen Einsenbahnbauten in GMR. v. 10. 11. 1913/11, GMKPZ. 509.
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