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Gemeinsamer Ministerrat, 16. 10. 1912

510 Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16. 10. 1912

       Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16. Oktober 1912

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung. Ministerpräsident v.
Lukäcs, der k. u. k. Kriegsminister GdI. Ritter v. Auffenberg, der gemeinsame Finanzminister
Dr. Ritter v. Bilihski, der k. k. Finanzminister Dr. Ritter v. Zaleski, der kgl. ung. Finanzminister
Dr. Teleszky, der k. k. Eisenbahnminister Dr. Freiherr v. Förster, der kgl. ung. Handelsminister v.
Beöthy, der k. k. Handelsminister Dr. Edler v. Schuster.
    Schriftführer: Legationsrat Graf Hoyos.
    Gegenstand: Bosnische Bahnbauten.

   KZ. 57 - GMKPZ. 498
   Protokoll des zu Wien am 16. Oktober 1912 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. Ministers des k. u. k.
Hauses und des Äußern Grafen Berchtold.

   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung, indem er darauf verweist, die
beiden Regierungen hätten in dem am 2. Mai 1. J. abgehaltenen Ministerrat die
finanzielle Unterstützung eines Eisenbahnbauprogrammes in den annektierten
Ländern in Aussicht gestellt,1 wobei ausgemacht worden sei, daß die Verhandlun¬
gen hinsichtlich der mit der Ausführung des Programmes zusammenhängenden
tarifarischen Fragen sofort eingeleitet und ehetunlichst zum Abschluß gebracht
werden sollten.2

   Bevor er den Herrn gemeinsamen Finanzminister bitte, das Wort zu ergreifen,
um dem Ministerrate eine Mitteilung darüber zu machen, welche Aufnahme sei¬
nem Bauprogramme in Bosnien und der Herzegowina zuteil wurde, möchte Graf
Berchtold noch seinerseits auf die große Bedeutung hinweisen, welche die bosni¬
sche Bahnfrage nicht nur vom Standpunkte der Konsolidierung unseres Besitz¬
standes in den annektierten Ländern, sondern auch in außenpolitischer Hinsicht
besitze.

   Die kriegerische Aktion der Balkanstaaten stehe unter dem Zeichen der Eman¬
zipation des Slawentums von fremder Herrschaft. Wenn wir die gerechten Wün¬
sche und Bestrebungen unserer Südslawen nicht unterstützten, liege die Gefahr
nahe, daß im Laufe der Zeit unter denselben zentrifugale Kräfte die Überhand
gewinnen werden.

   Aus diesem Grunde glaube er, den Anwesenden die bosnische Bahnffage be¬
sonders warm anempfehlen zu sollen und bitte nunmehr den gemeinsamen Fi¬
nanzminister, der Versammlung seinen Standpunkt darzulegen.

        Fortsetzung des GMR. v. 2. 5. 1912, GMKPZ. 493.
2 Zur Problematik der Tarißildung in Bosnien-Herzegowina allgemein siehe Schmid, Bosnien

        und die Herzegovina 608-612. Zur Position Cisleithaniens siehe den Entwurfeines Schrei¬
        bens Försters an Stürgkh aus dem April 1912, Ava., VA., EM., Präs. 652/1912.
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   Der gemeinsame Finanzminister fuhrt aus, der gemeinsame
Ministerrat vom 2. Mai 1. J. habe ein provisorisches Linienprogramm festgestellt,
welches kurz darauf in einer im gemeinsamen Finanzministerium abgehaltenen
interministeriellen Konferenz wieder durchberaten worden sei,3 wobei trotz eini¬
ger unbedeutender Streitfragen eine Einigung in Form eines protokollarischen
Übereinkommens zwischen den beiden Regierung und dem gemeinsamen Fi¬
nanzministerium erzielt worden sei. Auf Grund dieser protokollarischen Verein-
barung habe er dann versuchsweise ein Gesetz entwerfen lassen.

   Die ungarische Regierung habe die protokollarische Vereinbarung glatt unter¬
schrieben und auch dem Gesetzentwurf unter gewissen Einschränkungen zuge¬
stimmt, mit der österreichischen Regierung hätten sich dagegen Schwierigkeiten
ergeben, indem diese ihre Zustimmung zu dem ganzen Bauprogramme von dem
Resultate der tarifarischen Verhandlungen abhängig gemacht hätte.

   Trotzdem habe er während seines Aufenthaltes in Bosnien Verhandlungen mit
den Landtagsparteien begonnen und sie von dem Inhalte des Bahngesetzentwur¬
fes in Kenntnis gesetzt. Er habe sich hiezu umsomehr für berechtigt gehalten, als
beide Regierungen ihm erklärt hätten, daß der bosnische Landtag vorangehen
und die Vorlage votieren müsse, ehe man die einschlägigen Finanzierungsgesetze
in den Parlamenten einbringen könnte. Die Verhandlungen in Bosnien hätten an¬
fangs zu keinem Resultate geführt, weil die maßgebenden Politiker im Landtag
den sofortigen Bau der Linie Tuzla-Kladanj--Sarajewo als Bedingung für die An¬
nahme des restlichen Programmes aufstellten. Die Verhandlungen mit den Partei¬
en gerieten deshalb auf einen toten Punkt und mußten abgebrochen werden. Spä¬
ter seien die Kroaten und Mohammedaner an ihn herangetreten, und man habe zu
einem Kompromiß gelangen können, dem nunmehr auch die Mehrzahl der Ser¬
ben beigetreten sei.4 Danach wäre das ursprüngliche Bauprogramm durch die
Normalisierung der Strecke Tuzla-Doboj zu erweitern, die zirka 10 Millionen
Kronen kosten würde. Die Bahn Tuzla-Kladanj-Sarajewo habe sich nach der
letzten Expertise als eine schwierige, kostspielige Gebirgsbahn erwiesen, man
habe in Bosnien selbst eingesehen, daß deren sofortiger Bau das Linienprogramm
in finanzieller Hinsicht zu sehr belasten würde; dafür hätten alle maßgebenden
Faktoren die normalspurige Verbindung Tuzlas mit Doboj verlangt, weil Tuzla,
welches normalspurig mit Brcka verbunden werden solle, nicht vom direkten
normalspurigen Verkehr mit Sarajewo abgeschnitten werden dürfe.

Im Einsichtsakt des Eisenbahnministeriums v. 8. 5. 1912 wurde die Einladung zu dieser Kon¬
ferenz erwähnt und bemerkt, dass sie stattgefunden habe, Ava., VA., EM., Präs. 832/1912.
Der hier erwähnte Akt mit den Ausführungen über die Konferenz liegt nicht mehr ein.
Zu den Verhandlungen zur Herstellung einer Landtagsmajorität siehe die Schreiben Potio-
reks an Bilihski in Ka., Nachlaß Potiorek B 1503, Karton 1, speziell die Vereinbarung
Bilihskis mit den Vertretern Bosnien-Herzegowinas, das Potiorek seinem Schreiben an
Bilihski v. 20. 9. 1912 beilegte, ebd., Nr. 80, Schreiben Potioreks an Bilihski v. 11. 10. 1912,
ebd. Nr., 111 und das Übereinkommen zwischen den drei Konfessionen v. 10. 10. 1912, spe¬
ziell Punkt IX, ebd. Nr. 112.
<pb/>512 Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16. 10. 1912

   Er habe dem von der Landtagsmajorität vorgeschlagenen Kompromiß zwar
nicht zustimmen können, es aber auf sich genommen, sein Möglichstes zu tun, um
die Zustimmung der beiden Regierungen zu demselben einzuholen. Angesichts
der großen Summen, welche beim ganzen Bauprogramme in Frage kommen, sei
die Mehrbelastung von 10 Millionen Kronen keine sehr bedeutende. Ohne diese
Zutat würde der bosnisch-herzegowinische Landtag das Gesetz unter keinen Um¬
ständen annehmen. Es spielen hier nicht nur politische, sondern auch finanzielle
Interessen einflußreicher serbischer Landtagsabgeordneter eine große Rolle.

   Was die wirtschaftliche Bedeutung der Normalisierung der Linie Tuzla-Doboj
anbelange, könne man allerdings behaupten, daß sie mehr weniger ein ungari¬
sches Interesse fördere. Es würden hiedurch zwei normalspurige Verbindungen
der ungarischen Grenze mit Doboj hergestellt und der Verkehr auf der zu norma¬
lisierenden Linie Doboj-Sarajewo verstärkt werden.

   Es sei nicht seine Sache zu entscheiden, ob es möglich wäre, hiefiir der öster¬
reichischen Regierung eine Kompensation zu bieten. Diese könnte nur in der
Verbindung der bosnischen Westbahn mit Sarajewo gefunden werden. Diese Ver¬
bindung wäre aber bedeutend kostspieliger und schwerer zu bauen, als die Nor¬
malisierung der Strecke Tuzla-Doboj.

   Eine zweite Änderung, die er im Gesetzentwurfvorschlage, bestehe darin, daß
er sich Vorbehalten möchte, statt der einfachen Normalisierung der Strecke Do¬
boj-Sarajewo parallel zur bestehenden Schmalspur eine Normalspur zu legen, so
daß beide Betriebe möglich wären. Wenn österreichischerseits daraufhingewie¬
sen werde, daß auch diese Änderung des ursprünglichen Bauprogrammes ungari¬
schen Interessen diene, so könne er dies nicht zugeben. Die Beibehaltung der
Schmalspur auf der Bosnatalbahn sei im Gegenteil ein eminent österreichisches
Interesse und werde dem Verkehr nach Spalato und den anderen dalmatinischen
Häfen zugute kommen.

    Er könne sich jetzt noch nicht darüber äußern, ob die Parallellinie technisch
möglich sein werde, wolle sich aber die Möglichkeit bewahren, sie zu bauen,
wenn dies der Fall wäre. Seine Bitte gehe nun dahin, die beiden Regierungen
möchten zu einer Einigung gelangen, damit er dem Landtage das Eisenbahnge¬
setz vorlegen könne.

    Im Gesetzentwurf selbst möchte er zwei Punkte erwähnen, die von großer
Wichtigkeit seien:

    1. den Übergang der Militärlinie Doberlin-Banjaluka in das Eigentum des
Landes und

    2. die Frage der bosnischen Tarifhoheit.
    Die ungarische Regierung habe berechtigte Bedenken dagegen geltend ge¬
macht, daß der bosnisch-herzegowinische Landtag berufen sein sollte, über den
Übergang von der Monarchie gehörigem Staatsgute in das bosnisch-herzegowi¬
nische Eigentum legislativ zu verfügen. Um diesem Bedenken Rechnung zu tra¬
gen, gleichzeitig aber auch die an sich voll berechtigte Verfügung selbst, die von
den Landtagsparteien verlangt werde, auffechtzuerhalten, habe er die betreffen-
<pb/>Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16. 10. 1912  513

den Bestimmungen aus dem Landtagsgesetze selbst ausgeschieden, dagegen am
Anfänge des Gesetzentwurfes selbst nach der Voraussetzung des Bauprogram¬
mes, betreffend die Sicherstellung der finanziellen Beitragsleistung der beiden
Regierungen, eine zweite Voraussetzung aufgenommen, wonach die Übernahme
der Militärbahn durch die Landesverwaltung von dem Zustandekommen ein¬
schlägiger gesetzlicher Verfügungen in den beiden Staaten der Monarchie abhän¬
gig gemacht wird.5

   Endlich habe er ebenfalls, um Bedenken der ungarischen Regierung Rechnung
zu tragen, an Stelle des die Tarifhoheit des Landtages betreffenden Artikels des
Gesetzentwurfes in der Einleitung den Passus aufgenommen, daß als dritte Vor¬
aussetzung für das Gesetz eine prinzipielle unkündbare Vereinigung zwischen
der gemeinsamen Regierung und den Regierungen der beiden Staaten zustande
kommen müsse, welche festsetze, daß die Beförderung von Waren auf den neuen
Bahnen ebenso wie auf den alten Linien auf Grund der im autonomen Wege oder
im Wege von Vereinbarungen festgesetzten Tarife zu erfolgen habe und grund¬
sätzlich bestimmt werde, daß einheimische Waren unter denselben Transportver¬
hältnissen tarifarisch nicht ungünstiger behandelt werden dürften, als jene Waren,
welche nach Bosnien und die Herzegowina eingeführt werden oder die beiden
Länder transitieren, wobei solche Begünstigungen auszunehmen seien, die für
Transporte gewährt werden, welche ohne diese Begünstigungen auf einer ande¬
ren Konkurrenzroute, etwa am Seewege von Fiume, zu denselben Preise zur Ab¬
gabestation gelangen würden.

   Dies sei das weitestgehende Entgegenkommen, welches er angesichts der Hal¬
tung des bosnischen Landtages den von der kgl. ung. Regierung geltend gemach¬
ten Bedenken gegenüber beweisen könne; in Bosnien sei das Wort Tarifhoheit zu
einem Schlagwort geworden, man bestehe darauf, daß der Landtag auf die Tarife
der neuen Bahnen Einfluß üben müsse und würde das Gesetz ohne dieses Zuge¬
ständnis zu Fall bringen.

   Was die Tariffrage selbst betreffe, so müsse man zwischen den Vereinbarungen
unterscheiden, welche Bosnien und Herzegowina mit den beiden Regierungen
und jenen, welche die beiden Regierungen untereinander treffen müßten.

   Die Verhandlungen Bosniens mit Ungarn würden keine großen Schwierigkei¬
ten bereiten, dagegen gestalteten sie sich mit der k. k. Regierung sehr schwierig,
da die betreffenden Linien ohnedies einen sehr teueren Betrieb aufweisen.

   Die größte Schwierigkeit bestehe aber darin, zu einer neuen Vereinbarung der
beiden Regierungen hinsichtlich der Durchfuhrstarife von Österreich nach Bosni¬
en zu gelangen. Nachdem das frühere Übereinkommen im Jahre 1905 nicht er¬
neuert worden sei, bestehe seither ein gesetzloser Zustand.

Eine Vereinbarung kam zwischen dem Kriegs- und dem gemeinsamen Finanzministerium am
14. 7. 1914 zustande. Abschrift der Vereinbarung im Schreiben Stürgkhs an Zaleski v. 21. 8.
1914 in Fa., FM., allg., Z. 63428/1914.
<pb/>514 Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16. 10. 1912

   Die österreichische Regierung habe das Zustandekommen der tarifarischen
Vereinbarung zur Bedingung ihrer Zustimmung zu dem Gesetzentwürfe gemacht.
Nun stehe die Sachlage so, daß der bosnische Landtag am 21. dieses Monats ein¬
berufen werden solle.

   Er könne den Landtag durch drei bis vier Wochen mit anderen Arbeiten be¬
schäftigen, dann müsse er aber entweder das Eisenbahngesetz vorlegen oder den
Landtag schließen. Er brauche nicht zu sagen, welch einen günstigen Eindruck es
in ganz Europa hervorrufen würde, wenn der bosnische Landtag trotz des Bal¬
kanbrandes seine legislatorische Arbeit ruhig erledigen könnte. Es würde damit
der Beweis erbracht sein, daß die südslawische Frage in Bosnien und Herzegowi¬
na nicht existiere. Andererseits würde eine sehr ernste Lage entstehen, wenn er
sein Versprechen nicht halten könnte und genötigt wäre, den Landtag vorzeitig zu
schließen. Wenn man es vermeiden wolle, daß größere Kundgebungen für die
Sache der Balkanstaaten in Bosnien in Erscheinung treten, müsse man den Land¬
tag so beschäftigen, wie es notwendig sei.

   Resümierend bittet Herr v. Bilihski die beiden Regierungen, den von den bos¬
nischen Landtagsparteien beantragten Änderungen am Eisenbahnprogramme zu¬
zustimmen und hinsichtlich der Tariffragen zu einem ehebaldigsten Einverneh¬
men zu gelangen.6

    Der k. k. Ministerpräsident ergreift hierauf auf Wunsch des
Vorsitzenden das Wort, um den Standpunkt der österreichschen Regierung zu
präzisieren. Er betont, daß letztere sich den von Grafen Berchtold und Herrn v.
Bilihski geltend gemachten politischen Argumenten für eine ehebaldige Unter¬
breitung der Eisenbahnvorlage im bosnisch-herzegowinischen Landtag nicht ver¬
schließe. Man dürfe aber nicht vergessen, daß ihre Stellung eine sehr schwierige
sei. Er wolle nur retrospektiv daraufhinweisen, daß seit den am 2. Mai stattge¬
habten Ministerrate nichts geschehen sei, um ungarischerseits die Tariffrage einer
Lösung zuzuftihren. Er müsse gleichfalls rückblickend feststellen, daß in dem
Ministerrate vom Oktober vorigen Jahres und Mai dieses Jahres zwar prinzipielle
Entschließungen getroffen worden seien, daß deren Durchführung aber noch
jetzt, von zahlreichen noch ungelösten Detailfragen abhänge. Eine ganze Reihe
von Fragen entbehre noch sozusagen des Charakters der Reife, es liegen bei¬
spielsweise für die Baulinien immer noch nur Generalprojekte vor, die weder in
technischer noch in finanzieller Hinsicht ausgearbeitet seien. Es würden vermut¬
lich bezüglich der Baukosten große Überschreitungen nicht zu vermeiden sein, so
daß das Programm entweder nicht vollständig würde durchgeführt werden kön¬
nen oder die Regierungen zu neuen Beitragsleistungen genötigt sein würden. Jede
Rentabilitätsberechnung der neuen Linien fehle; es könnten sich große Betriebs¬
defizite ergeben, so daß ein neuerlicher Zuschuß unvermeidlich wäre. Eine wei¬
tere Frage, die noch ganz ungelöst wäre, sei die Art und Weise, wie die Mittel zu

         Zur Einschätzung der Lage vgl. Schreiben Bilinskis an Potiorekv. 15. 10. 1912, Ka., Nachlaß

         Potiorek B 1503, Karton 1, Nr. 121.
<pb/>Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16. 10. 1912  515

den großen Investitionen beschafft werden könnten. Jede große Kreditoperation
für Bosnien und die Herzegowina würde auf den Geldmarkt ungünstig einwirken
und es den Regierungen der beiden Staaten sehr erschweren, ihren anderen Ver¬
pflichtungen namentlich den aus den neuen Rüstungskrediten erwachsenden, zu
entsprechen.

   Er habe diese Schwierigkeiten nur streifen wollen, um darzutun, daß die prin¬
zipielle Stellungnahme der k. k. Regierung schon früher eine äußerst schwer ver¬
tretbare gewesen sei.

   Seit dem Ministerrate im Monate Mai habe die Situation sich geändert; die
großen militärischen Kredite, denen noch weitere folgen würden, erschwerten es
der Regierung, in der Bahnfrage Entgegenkommen zu zeigen.

   Er führe dies alles nur an, um zu beweisen, mit welchen Schwierigkeiten er
und seine Kollegen zu kämpfen hätten. Seit dem Frühjahre dränge die k. k. Re¬
gierung ohne Erfolg auf die Lösung der Tariffrage.

   Außerdem habe jetzt das Linienprogramm eine Änderung erfahren, indem die
Linie Tuzla-Doboj normalisiert und die Linie Doboj-Sarajewo normal und
schmalspurig ausgebaut werden sollte. Abgesehen davon, daß diese beiden Lini¬
en an und für sich im ungarischen Interesse gelegen seien, erfahre die Sachlage
vom österreichischen Standpunkt noch dadurch eine erhebliche Verschlechte¬
rung, daß durch die Normalisierung der Linie Tuzla-Doboj der Bau der Linie
Tuzla-Kladany-Sarajewo in weite Feme gerückt sei und hiedurch auch der Bau
der mit dieser Bahn in Beziehung gebrachten normalspurigen Verbindung der
bosnischen Westbahn Doberlin-Banjaluka-Jajce mit Sarajewo auf unbestimmte
Zeit hinausgeschoben werde.

   Der k. k. Eisenbahnminister bemerkt vor allem, er müsse der
Auffassung des gemeinsamen Finanzministers entgegentreten, wonach die Be-
lassung einer Schmalspur auf der Strecke Doboj-Sarajewo österreichischen In¬
teressen dienen würde. Nach ernstem Studium sei er zur Überzeugung gelangt,
daß man für die Bahn Bugojno-Arzano nur aufdie Gegend von Jajce und Travnik
rechnen könne. Die Parallelbahn Sarajewo-Doboj würde ebenso wie die Norma-
lisierung der Strecke Tuzla-Doboj ungarischen Interessen dienen.

   Die österreichische Regierung habe sich durch die im Parlament und in der
Öffentlichkeit seit dem Ministerrate vom 2. Mai laut gewordenen Stimmen davon
überzeugen können, daß sie durch ihre prinzipielle Zustimmung zu dem ursprüng¬
lichen Bauprogramme bis ans äußerste Maß dessen gegangen sei, was sich mit
irgend welcher Aussicht auf Erfolg vor beiden Häusern des Reichsrates vertreten
lasse. Wenn sie nunmehr einem im Sinne ungarischer Interessen modifizierten
Bauprogramme gegenüberstehe, so müsse sie sich sagen, daß es ganz unmöglich
wäre, demselben ohne Kompensationen zuzustimmen. Die hauptsächlichste Be¬
schwerde, die schon gegen das erste Programm geltend gemacht worden sei, sei
die Tatsache gewesen, daß die normalspurige Verbindung der in der sogenannten
österreichischen Interessensphäre gelegenen bosnischen Westbahn mit Sarajewo
m die zweite Bauperiode im Junktim mit der Linie Tuzla-Sarajewo hinausge-
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schoben wurde und ferner, daß auch die Linie Bugojno-Arzano, deren gesetzli¬
ches Junktim mit der Linie Samac-Doboj noch fortbestehe, nicht gleichzeitig mit
letzterer, sondern später gebaut werden solle. Er müsse daher im Namen der
österreichischen Regierung erklären, daß sie nur dann in der Lage wäre, dem vom
bosnisch-herzegowinischen Landtage erweiterten Bauprogramme zuzustimmen,
wenn

   1. das Programm noch durch die Normalisierung der Linie Lasva-Donji-Vakuf,
die etwa 20 Millionen Kronen kosten würde, erweitert wäre,

   2. der Ausbau der Linie Bugojno-Arzano gleichzeitig mit den Linien Samac-
Doboj und Banjaluka-Jajce im ersten Jahre des Bauprogrammes begonnen werde
und

   3. wenn die Tariffrage gelöst werde.7
   Was letztere anbelange, habe die k. k. Regierung der ungarischen bereits im
Mai dieses Jahres einen Tarifvertragsentwurf übersendet und dieselbe zu Ver-
handlungen eingeladen; seither seien sechs Monate verstrichen, ohne daß sie aus
Budapest eine Antwort erhalten könne.
   Der kgl. ung. Ministerpräsident erwähnt, daß er, als ihm der
Zweck der heutigen Sitzung bekanntgegeben wurde, ernstliche Schwierigkeiten
zu einer Einigung zu gelangen vorausgesehen habe; seine Befürchtungen hätten
sich nach dem eben Gehörten gesteigert. Ungarn habe im Mai d. J. nach langwie¬
rigen Verhandlungen dem damals festgelegten Linienprogramme mit großer
Überwindung zugestimmt. Jetzt habe dasselbe eine neuerliche Änderung erfah¬
ren, welche, wie er betonen müsse, die ungarische Regierung weder angestrebt
habe, noch für besonders wünschenswert halte. Er befürchte jetzt auch seiner¬
seits, daß er in Ungarn, wenn er den Änderungen zustimme, auf neuerliche
Schwierigkeiten stoßen werde; auf keinen Fall sei er aber in der Lage, für die
neuprojektierte Linie eine Kompensation zu geben.
   Mit Rücksicht auf die großen Gegensätze, die vorhanden seien, frage er sich,
ob man überhaupt zu einer Einigung gelangen könne. Man sollte sich mit der
ganzen Angelegenheit nur dann befassen, wenn Aussicht vorhanden sei, zu einem
Resultat zu gelangen.
   Der k. k. Ministerpräsident betont, daß man das vom bosni¬
schen Landtag erweiterte Bauprogramm als Substrat der Verhandlungen benüt¬
zen müsse, weil der gemeinsame Finanzminister erkläre, das frühere Programm
unmöglich im Landtage vertreten zu können. Darum habe die k. k. Regierung
ihre Stellungnahme gegenüber der ganzen Frage einer Revision unterziehen müs¬
sen. Ungarn habe in seiner geographischen Lage einen natürlichen Bundesgenos¬
sen in seinem wirtschaftlichen Verhältnis zu Bosnien, dies wolle man im öster-

7 Siehe dazu das Protokoll der kommissioneilen Besprechung der betreffenden k. k. Minister v.
        7. 10. 1912 über ihren Standpunkt in der Frage des bosnisch-herzegowinischen Bahnnetzes,
       Fa., FM., allg., Z. 76811/1912.
<pb/>Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16. 10. 1912  517

reichischen Parlament nicht anerkennen und verlange umsomehr, daß die in
österreichischem Interesse gelegenen Bahnen ausgebaut werden.

   Der gemeinsame Finanzminister gibt zu, daß es schwer sei,
gegen den Standpunkt der ungarischen Regierung, welche noch immer auf Basis
des Maiprogrammes stehe, zu argumentieren, seinerseits müsse er aber neuerlich
wiederholen, daß das Maiprogramm für ihn wertlos sei, weil der bosnische Land¬
tag es ohne Modifikationen nicht votieren würde. Er frage sich, ob es nicht doch
noch möglich wäre, einen Ausweg darin zu finden, daß man einen weiteren Be¬
trag von 10 Millionen in das Bauprogramm einsetze, um wenigstens eine Teil¬
strecke der südwestlichen Verbindungsbahn mit Sarajewo auszubauen.

   Der kgl. ung. Finanzminister stimmt der Auffassung Herrn v.
Lukäcs bei, daß die ungarische Regierung für die von ihr nicht gewünschte Nor¬
malisierung der Strecke Tuzla-Doboj unmöglich Kompensationen bewilligen
könne. Was die normalspurige Bahn Samac-Doboj-Sarajewo anbelange, so sei
sie durchaus keine nur ungarischen Interessen dienende, im Gegenteil auch der
Hauptverkehr aus Österreich werde immer über diese Strecke gehen. Dagegen sei
die Verbindung der bosnischen Westbahn mit Sarajewo eine direkte Konkurrenz¬
linie gegen ungarische Interessen. Für eine Linie, die Ungarn absolut nicht ver¬
lange, wie es die Linie Tuzla-Doboj sei, könne es diese Kompensation unmög¬
lich geben.

   Der k. k. Eisenbahnminister erwidert hierauf, es sei allerdings
wahr, daß der Transit der Waren aus Wien und Nordböhmen zum großen Teil über
Samac-Doboj nach Sarajewo gehen werde, für die südlichen Länder Cisleithani-
ens wie Steiermark, Krain und Dalmatien habe aber die südliche Verbindung mit
Sarajewo den größten Wert. Er müsse nochmals darauf aufinerksam machen, daß
ohne diese Verbindung die Vorlage im österreichischen Parlamente niemals ange¬
nommen werden würde.

   Der kgl. ung. Finanzminister wirft die Frage auf, ob es nicht
möglich wäre, die Schwierigkeiten dadurch zu beheben, daß die bosnische Lan¬
desverwaltung die Normalisierung der Linie Tuzla-Doboj aus eigenen Mitteln
durchführe und das alte Bauprogramm dann, was die finanzielle Unterstützung
der Regierungen anbelange, wiederhergestellt werden könnte.

   Demgegenüber betont Graf Stürgkh und Freiherr v. För¬
ster, daß das Bauprogramm durch die Normalisierung dieser Linie nicht nur
in finanzieller, sondern auch in verkehrstechnischer Hinsicht eine Änderung er¬
fahren würde, der die k. k. Regierung nicht zustimmen könnte.

   Der k. k. Finanzminister erinnert daran, daß die Kosten der Fi¬
nanzierung des Bauprogrammes zum großen Teil von den beiden Regierungen
quotenmäßig getragen werden müssen, da es sich um eine gemeinsame Angele¬
genheit handle, so daß Österreich weit mehr zahle als Ungarn, wogegen letzteres
einen viel größeren wirtschaftlichen Vorteil aus den Bahnen werde ziehen kön¬
nen. Er wolle keinen Vorschlag machen, es schiene ihm aber, daß die ganze Frage
viel leichter zu lösen wäre, wenn die finanzielle Beitragsleistung der beiden Staa-
<pb/>518 Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16. 10. 1912

ten perzentuell nach ihrem wirtschaftlichen Interesse an den Bahnen bemessen
werden könnte.

   Der kgl. ung. Handelsminister erwidert hierauf, man müsse
bei Beurteilung der gegenseitigen Vor- und Nachteile des Projektes auch die Tras-
senlängen der verschiedenen Bahnen berücksichtigen und darauf sehen, daß kei¬
ne Änderung der bestehenden Verhältnisse eintrete. Durch den Ausbau der Linien
Banjaluka-Jajce und Samac-Doboj werde die Strecke Wien-Sarajewo um zirka
42 km, die Strecke Budapest-Sarajewo um 30 km gekürzt. Sollte man aber die
Vrbastallinie normalisieren, würde sich das Verhältnis sehr zugunsten Österreichs
verschieben.

   Der Vorsitzende verweist darauf, daß es sich vielleicht empfehlen
dürfte, über die anderen, vom k. k. Eisenbahnminister aufgestellten Bedingungen
zu diskutieren und die Frage der Vrbastallinie vorerst beiseite zu lassen.

   Man bespricht sodann den Termin des Beginnes der Tarifverhandlungen zwi¬
schen der k. k. und der kgl. ung. Regierung, wobei der kgl. ung. Han¬
delsminister es auf sich nimmt, die Angelegenheit in Budapest zu be¬
schleunigen, damit die Verhandlungen in der kürzesten Zeit beginnen können.

   Der gemeinsame Finanzminister bittet die Anwesenden hier¬
auf neuerlich, Mittel und Wege zu suchen, damit er dem Landtag das Eisenbahn¬
gesetz vorlegen könne.

   Es entspinnt sich hierauf eine längere Diskussion, in deren Verlaufe beide Re¬
gierungen ihren Standpunkt durch weitere Argumente zu begründen suchen. Im
Verlaufe derselben wirft der k. u. k. Kriegsminister die Frage auf,
ob es nicht möglich wäre, sich auf den schmalspurigen Ausbau des bosnischen
Bahnnetzes zu beschränken, dasselbe bis an die montenegrinische Grenze zu er¬
weitern und dabei auf die Betriebsmittel größere Summen zu investieren.

   aDies umsomehr, als sehr wichtige Linien auch nach dem vorliegenden Pro¬
gramm schmalspurig bleiben sollen.3

   Nachdem dieser Antrag keine Unterstützung findet, wird die Frage aufgewor¬
fen, ob es nicht möglich wäre, die Normalisierung der Linie Tuzla-Doboj in die
zweite Bauperiode zu verweisen und ein neues Junktim mit der Verbindung der
Westbahn mit Sarajewo und mit der Strecke Tuzla-Kladanj-Sarajewo zu schaf¬
fen.

   Um den Vertretern der beiden Regierungen Zeit zu geben, sich hierüber unter¬
einander zu besprechen, unterbricht der Vorsitzende die Sitzung auf kurze Zeit.

   Nach Wiederbeginn der Sitzung beantragt der kgl. ung. Minister¬
präsident die folgende Stilisierung für den Artikel III des Gesetzentwur¬
fes:

    ,,Nach Fertigstellung der im Artikel II litera db) bezeichneten Normalisierung
werden unter Voraussetzung der im Sinne des Gesetzes vom 22. Februar 1880

a-a Einfiigung.
b Ausbesserung aus e.
<pb/>Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16. 10. 1912  519

erlangten Zustimmung der beiden Staaten der österreichisch-ungarischen Mon¬
archie die Normalisierung der Linie Doboj-Tuzla, dannc die Normalisierung der
Linie Lasva-Donji-Vakuf1 und schließlich die normalspurige Verbindung Tuzla-
Kladanj-Sarajewo in der eoben angeführten Reihenfolge6 zum Baue gelangen.&quot;

   Hiezu könne die ungarische Regierung jedoch ihre Zustimmung nur unter der
Bedingung erteilen, daß die tarifarischen Fragen mit der k. k. Regierung vorher
bereinigt werden.

   Der k. k. Ministerpräsident kann sich vorerst zu diesem Vor¬
schläge nicht äußern, möchte aber die Frage aufwerfen, ob es nicht möglich wäre,
die Finanzierung der Normalisierung Tuzla-Doboj und Lasva-Donji-Vakufschon
jetzt innerhalb des ersten Bauprogrammes in Aussicht zu nehmen und nur die
Linie Tuzla-Kladanj-Sarajewo in die zweite Periode zu versetzen.

   Dies wird von dem kgl. ung. Ministerpräsidenten mit dem
Bemerken abgelehnt, daß er in seinem Zugeständnisse über den vorstehenden
Antrag nicht hinausgehen könne.

   Es wird nun die Frage besprochen, ob die in der zweiten Bauperiode zu bauen¬
den Bahnen auf gemeinsame Kosten zu bauen seien und was unter dem Ausdruk-
ke gemeinsame Kosten zu verstehen sei. Man einigt sich dahin, daß unter ge¬
meinsamen Kosten die Teilung der Kosten zwischen der k. k., kgl. ung. und
bosnischen Regierung zu verstehen ist. Über den Verteilungsschlüssel wird zwar
kein definitiver Beschluß gefaßt, es herrscht aber die Ansicht vor, daß derselbe
Schlüssel, der für die Finanzierung des jetzigen Bauprogrammes in Betracht kam,
auch bei dem weiteren angewendet werden dürfte.

   Der Vorsitzende erkundigt sich hierauf, wann die k. k. Regierung in
der Lage sein wird, zu dem neuen Vorschläge des kgl. ung. Ministerpräsidenten
definitiv Stellung zu nehmen.

   Der k. k. Ministerpräsident verweist darauf, daß die k. k. Re¬
gierung ihre Zustimmung auch ebenso wie die kgl. ung. Regierung von der Lö¬
sung der Tarifffage abhängig machen müsse.

   Es wird der Wunsch ausgesprochen, daß die Tarifverhandlungen in ein bis
zwei Tagen beginnen und wenn möglich, in vierzehn Tagen abgeschlossen wer¬
den sollen. Am 28. Oktober würde ein neuer gemeinsamer Ministerrat zur defini¬
tiven Beschlußfassung über das Bahnprogramm zusammentreten.

   Der kgl. ung. Finanzminister spricht den Wunsch aus, daß ein
Entwurf des dem Parlamente vorzulegenden Finanzierungsgesetzes von der
österreichischen Regierung verfaßt und im nächsten Ministerrate besprochen
werden möge.

       Einfügung.
11 Streichung Lukäcs&#39; (eventuell durch Herstellung eines normalspurigen Neubaues parallel zu

       der Schmalspurstrecke).
M Ausbesserung Lukdcs ` aus vorbezeichneten Weise auf gemeinsame Kosten.
<pb/>520 Nr. 34a Gesetzentwurf

   Es wird hierauf der Beschluß gefaßt, daß die Dauer des Bahnbauprogrammes,
wie ursprünglich festgelegt, sechs Jahre betragen soll.

   Der Vorsitzende konstatiert, daß eine Einigung der noch bestehenden
Gegensätze erst nach Überprüfung der ganzen Materie durch die beiden Regie¬
rungen möglich sei und erklärt den Ministerrat für aufgehoben.8

                                                                                             Berchtold

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, am 31. Oktober 1912. Franz Joseph.

 Nr. 34a Gesetzentwurf betreffend den Ausbau und die Ausstattung
               von bosnisch-herzogowinischen Landesbahnen

    Gesetzentwurf, wie er sich - im Stadium der Unterbrechung der Beratungen ohne Beschlußfas¬
sung der Ministerkonferenz - aus den Antragstellungen ergeben hat.

   Gesetz vom ... betreffend den Ausbau und die Ausstattung von bosnisch-her¬
zogowinischen Landesbahnen.

   Mit Zustimmung des Landtages von Bosnien und der Herzegowina finde ICH
anzuordnen wie folgt:

   Artikel I.
   Unter der Voraussetzung:
    1. daß die beiden Staaten der österreichisch-ungarischen Monarchie dem Aus¬
baue der in diesem Gesetze bezeichneten, als bosnisch-herzegowinische Landes¬
bahnen auszufuhrenden Eisenbahnlinien im Sinne des § 2 des Gesetzes vom 22.
Februar 1880 beistimmen und zur teilweisen Deckung der mit dem Ausbaue und
der Ausstattung dieser Eisenbahnlinien verbundenen Kosten nachstehende Bei¬
träge an die bosnisch-herzegowinische Landesregierung leisten und zwar:
   a) vom ersten Baujahre an durch 60 Jahre einen Jahresbeitrag von 4 858 086 K,
   b) vom zweiten Baujahre an wieder durch 60 Jahre einen weiteren Jahresbei¬
trag von 2 600 000 K,
   c) vom dritten Baujahre an wieder durch 60 Jahre einen weiteren Jahresbeitrag
von 3 000 000 K;
   2. daß im Wege der Gesetzgebung beider Staaten der österreichisch-ungari¬
schen Monarchie die k. u. k. Militärbahn Banjaluka-Doberlin samt allem Zube¬
hör an die Länder Bosnien und Herzegowina als Landesbahn übergegangen ist;

        Mit Telegramm v. 17. 10. 1912 teilte Bilinski Potiorek das Ergebnis des gemeinsamen Mini¬
        sterrates mit, Ka., Nachlaß Potiotek B 1503, Karton 1, Nr. 120. Fortsetzung des Gegenstan¬
        des in GMR. v. 28. 10. 1912II, GMKPZ. 500.
<pb/>Nr. 34a Gesetzentwurf  521

   3. daß zwischen der k. k. österreichischen, der kgl. ung. und der k. u. k. ge¬
meinsamen Regierung eine prinzipielle, unkündbare Vereinbarung zustandege-
kommen ist, welche festsetzt, daß die Beförderung der Waren auf den nach die¬
sem Gesetze neu zu erbauenden bosnisch-herzegowinischen Landesbahnen
ebenso wie auf den alten Linien auf Grund der im autonomen Wege oder im Wege
von Vereinbarungen festgesetzten Tarife zu erfolgen hat, und grundsätzlich be¬
stimmt wird, daß einheimische Waren unter denselben Transportverhältnissen
tarifarisch nicht ungünstiger behandelt werden dürfen als jene Waren gleicher
Gattung, welche nach Bosnien und der Herzegowina eingeführt werden oder
Bosnien und die Herzegowina transitieren, wobei von diesem letzteren Grundsät¬
ze solche Begünstigungen ausgenommen werden, welche für Transporte gewährt
werden, die ohne diese Begünstigung auf einer anderen Konkurrenzroute außer¬
halb der bosnisch-herzegowinischen Landesbahnen zu denselben Transportprei¬
sen bis zur Abgabsstation gelangen würden, übernehmen die Länder Bosnien und
Herzegowina die nachstehenden, in den Artikeln II und IV näher bezeichneten
Verpflichtungen.

   Artikel II.

   Die Länder Bosnien und Herzegowina übernehmen die Verpflichtung inner¬
halb eines Zeitraumes von höchstens 6 Jahren vom Baubeginn an die nachfolgen¬
den Eisenbahnlinien herzustellen, die hiezu nötigen Vorarbeiten sofort in Angriff
zu nehmen und derart beschleunigt zum Abschlüsse zu bringen, daß mit allen
diesen Bahnbauten spätestens im Jahre 1915 angefangen wird und zwar:

   a) eine normalspurige Bahnverbindung von Banjaluka nach Jajce;
   b) eine normalspurige Bahnverbindung von Samac nach Doboj;
   c) die schmalspurige Bahnverbindung von Bugojno nach Arzano;
   d) die Normalisierung der Strecke von Jajce nach Bugojno, eine normalspuri¬
ge Bahnverbindung von Bugojno nach Rama und die Normalisierung der Strecke
von Rama nach Mostar;
   e) die Normalisierung der Strecke von Doboj nach Sarajewo, eventuell durch
Herstellung eines normalspurigen Neubaues parallel zu der Schmalspurstrecke;
   f) eine normalspurige Bahnverbindung von Brcka nach Tuzla mit einer Ab¬
zweigung nach Bjelina und Raca (Posavinaer Bahnen).
   In den zu normalisierenden Strecken ist für die Auffechthaltung des Schmal¬
spurbetriebes zu sorgen, sofeme der Zusammenhang des bestehenden Schmal-
spumetzes dies erfordert.
   Die sub a), b) und c) genannten Linien sind im ersten Baujahre zu beginnen.

   Artikel III.
   Nach Fertigstellung der im Artikel II lit. e) bezeichneten Normalisierung wer¬
den aunter Voraussetzung der im Sinne des Gesetzes vom 22. Februar 1880 er¬
langten Zustimmung der beiden Staaten der österreichisch-ungarischen Monar¬
chie die Normalisierung der Linie Doboj-Tuzla, die Normalisierung der Linie
<pb/>522 Nr. 34a Gesetzentwurf

Lasva-Donji-Vakuf, (eventuell durch Herstellung eines normalspurigen Neubau¬
es parallel zu der Schmalspurstrecke) und schließlich die normalspurige Verbin¬
dung Tuzla-Kladanj-Sarajewo in der vorbezeichneten Reihenfolge auf gemein¬
same Kosten zum Baue gelangen.&quot;

   Artikel IV.
   Die Länder Bosnien und Herzegowina übernehmen weiters die Verpflichtung:
   a) zur restlichen Deckung der mit dem Ausbaue und der Ausstattung der unter
Artikel II bezeichneten, als bosnisch-herzegowinische Landesbahnen auszuflih-
renden Eisenbahnlinien verbundenen Kosten im Jahre 1914 in das bosnisch-her¬
zegowinische Landesbudget den Betrag von 1 ,(2) Millionen Kronen und injedem
folgenden Jahre einen weiteren Betrag von je 1,(2) Millionen Kronen bis zu je¬
nem Höchstbetrage einzustellen, welcher nach Vollendung aller im Artikel II be¬
zeichneten Linien für die Bestreitung der Zinsen und der Amortisation der aus
Anlass dieser Bahnbauten aufgenommenen Anlehen erforderlich sein wird;
   b) zur Garantierung der Durchführung der im Artikel II bezeichneten Bahn¬
bauten einen, in das Eigentum der diese Bahnen herstellenden Länder übergehen¬
den Eisenbahnbaufonds zu schaffen, welchen der gemeinsame Finanzminister als
oberster Verwalter der Länder Bosnien und Herzegowina verwaltet und in wel¬
chen zunächst die zu keinem anderen Zwecke zu verwendenden Erlöse der für
die Beschaffüng der Geldmittel von den Ländern Bosnien und Herzegowina auf¬
zunehmenden Anlehen einfließen;
   c) die Beiträge der beiden Staaten sowie die im jeweiligen Landesbudget ein¬
gestellten Beträge (lit. a) vor allem anderen zur Bestreitung des jeweiligen Anle¬
hensdienstes zu verwenden und den eventuell hiefür in einem Gebarungsjahre
nicht benötigten Restbetrag ebenfalls in diesen Eisenbahnbaufond abzuführen,
insofeme nicht die Landesregierung auf Grund des bosnisch-herzegowinischen
Voranschlages diesen Restbetrag zur Bestreitung einmaliger Investitionsauslagen
in demselben Gebarungsjahre heranzieht.

   Artikel V.
   Unter der Voraussetzung der im Sinne des § 3, Absatz 2 des Gesetzes vom 22.
Februar 1880 seitens beider Staaten der österreichisch-ungarischen Monarchie
erteilten Ermächtigung, wird der gemeinsame Finanzminister als oberster Leiter
der bosnisch-herzegowinischen Landesverwaltung, zum Zwecke des Ausbaues
und der Ausstattung der im Artikel II bezeichneten Eisenbahnlinien ein Eisen-
bahnlandesanlehen in verzinslichen binnen höchstens 60 Jahren tilgbaren Obliga¬
tionen bis zu einem Betrage aufnehmen, welcher zur Beschaffüng eines Gesamt¬
kapitals von höchstens 270 Millionen Kronen effektiv nötig sein wird.

a-a Randbemerkung Noch nicht akzeptierter Vorschlag der ungarischen Regierung.
<pb/>Nr. 35 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 10. 19121            523

   Artikel VI.
   Die Ersteher der Arbeiten sind vertragsmäßig zu verpflichten, bei Ausführung die¬
ser Arbeiten nach Tunlichkeit bosnisch-herzegowinische Arbeiter zu beschäftigen.

   Artikel VII.
   Zum Behufe des Ausbaues der im Artikel II genannten Bahnlinien wird die
entgeltliche Expropriation des Eigentumsrechtes der für die Bahnanlage erforder¬
lichen Immobilien und sonstigen dinglichen Rechte an unbeweglichen Sachen
nach Maßgabe des von der kompetenten Behörde genehmigten Begehungsproto-
kolles, ferner die entgeltliche Expropriation des zeitweiligen Benützungsrechtes
jener Grundstücke, welche zum Bezüge, Transporte oder zur Lagerung des für die
Ausführung des Bahnbaues erforderlichen Materiales notwendig sind, bewilligt
und sind diese Expropriationen unter sinngemäßer Anwendung der für den Eisen¬
bahnbau Gabela-Landesgrenze-Trebinje erlassenen Vorschriften durchzuführen.
(Gesetz- und Verordnungsblatt für Bosnien und die Hercegovina, Jahrgang 1899,
No. 21).

Artikel VIII.
Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Kundmachung in Kraft.

      Nr. 35 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. Oktober 1912 I

   RS. (und RK.)
   Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung. Ministerpräsident Dr. v.
Lukäcs, der k. u. k. Kriegsminister GdI. Ritter v. Auffenberg, der k. u. k. gemeinsame Finanzmini¬
ster Ritter v. Bilinski (25. 11.), der k. k. Finanzminister Ritter v. Zaleski (26. 11.), der kgl. ung. Fi¬
nanzminister Dr. Teleszky.
   Protokollführer: Legationsrat Graf Hoyos.
   Gegenstand: Außerordentliche Erfordernisse der Kriegsverwaltung zur Vorbereitung der Stan¬
deserhöhung in Bosnien-Herzegowina, Dalmatien und Ergänzung der Heeresbestände.

   KZ. 68 - GMKPZ. 499
   Protokoll des zu Wien am 28. Oktober 1912 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Ministers des k. u. k. Hau¬
ses und des Äußern Grafen Berchtold.

   Der Vorsitzende eröffliet die Sitzxmg mit der Bemerkung, die jüngsten
Ereignisse am Balkan hätten eine kritische Situation ergeben.1 Obwohl die Mon¬
archie an ihrer Friedenspolitik festhalten wolle, so sei doch die Gefahr näherge-

Fortsetzung des GMR. v. 8. und 9.10.1912 über die Vorkehrungen an der serbischen Grenze,
GMKPZ. 497.
<pb/>